Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 05.11.2007
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Oberverwaltungsgericht NRW, 7 E 737/07
Datum:
05.11.2007
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
7 E 737/07
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 11 K 3119/06
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens;
außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
G r ü n d e :
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Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
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Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Klägers auf Bewilligung von
Prozesskostenhilfe zu Recht abgelehnt, weil die Rechtsverfolgung keine hinreichende
Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO). Die streitige
Ordnungsverfügung des Beklagten vom 5. April 2005 ist rechtmäßig und verletzt den
Kläger daher nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass es sich bei der von dem Kläger
als Bauherrn auf dem Grundstück seiner Ehefrau (Gemarkung G. , Flur 3, Flurstück
4757) errichteten Terrassenüberdachung um einen "Annex zum Wohnhaus" und damit
um ein Gebäude handelt, für welches die Anforderungen des § 31 Abs. 1 Nr. 1 BauO
NRW gelten. An der Richtigkeit dieser rechtlichen Wertung bestehen auch unter
Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens keine Zweifel. Die
Terrassenüberdachung erfüllt - was letztlich auch von dem Kläger nicht in Abrede
gestellt wird - die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 BauO NRW. Der in
§ 2 Abs. 2 BauO NRW definierte Begriff des Gebäudes gilt mit dem festgelegten Inhalt
aber für sämtliche Vorschriften der BauO NRW und damit auch für § 31 Abs. 1 BauO
NRW.
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Vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte, Kommentar zur BauO NRW, Stand: August 2007, Rn.
31 zu § 2; Gädtke/Temme/Heintz, Kommentar zur BauO NRW, 10. Aufl. 2003, Rn. 1, 104
zu § 2 sowie Rn. 5 zu § 31.
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Da die streitige Terrassenüberdachung unmittelbar an der nördlichen
Grundstücksgrenze errichtet worden ist und zur südlichen Grundstücksgrenze lediglich
einen Abstand von 0,70 m einhält, sieht § 31 Abs. 1 Nr. 1 BauO NRW zwingend -
unabhängig von der konkreten Brandlast - die Errichtung von
Gebäudeabschlusswänden vor.
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Der Beklagte ist auch nicht verpflichtet, nach § 73 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW eine
Abweichung von den Anforderungen des § 31 Abs. 1 Nr. 1 BauO NRW zuzulassen und
von der Herstellung von Gebäudeabschlusswänden abzusehen.
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Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW kann die Genehmigungsbehörde Abweichungen
von bauaufsichtlichen Anforderungen dieses Gesetzes und der aufgrund dieses
Gesetzes erlassenen Vorschriften zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des
Zwecks der jeweiligen Anforderungen und unter Würdigung der nachbarlichen
Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar sind. Da durch die
bauordnungsrechtlichen Vorschriften die schutzwürdigen und schutzbedürftigen
Belange und Interessen regelmäßig schon in einen gerechten Ausgleich gebracht
worden sind, ist die Abweichung kein Instrument zur Legalisierung gewöhnlicher
Rechtsverletzungen. Die Voraussetzungen für eine Abweichung sind nur dann
gegeben, wenn im konkreten Einzelfall eine besondere Situation vorliegt, die sich vom
gesetzlichen Regelfall derart unterscheidet, dass die Nichtberücksichtigung oder
Unterschreitung des normativ festgelegten Standards gerechtfertigt ist.
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Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 10. August 2006 - 7 A 3176/05 - und vom 28. August
1995 - 7 B 2117/95 -, BRS 57 Nr. 141; Boeddinghaus/Hahn/ Schulte, Kommentar zur
BauO NRW, Stand: August 2007, Rn. 12 zu § 73.
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Steht eine Abweichung von zwingendem Recht - wie etwa § 31 Abs. 1 BauO NRW - in
Rede, setzt die Zulassung der Abweichung eine atypische Grundstückssituation voraus.
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Ständige Rechtsprechung des OVG NRW, vgl. etwa Urteil vom 3. Mai 2007 - 7 A
2364/06 -, juris.
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Eine solche atypische Grundstückssituation ist aber weder vom Kläger dargelegt
worden noch sonst erkennbar. Ob hier dennoch die tatbestandlichen Voraussetzungen
für die Erteilung einer Abweichung angenommen werden können, weil die Aufgabe von
Gebäudeabschlusswänden, einen einmal ausgebrochenen Brand auf das eigene
Grundstück zu begrenzen, bei einer Terrassenüberdachung nicht in dem Maße zum
Tragen kommt, wie bei sonstigen Gebäuden und insbesondere (Wohn-)Häusern, kann
letztlich dahingestellt bleiben. Auch wenn nämlich die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1
Satz 1 BauO NRW vorliegen würden, hätte der Kläger gegenüber dem Beklagten
keinen Anspruch auf Erteilung einer Abweichung. Die Entscheidung über die Zulassung
einer Abweichung steht im pflichtgemäßen Ermessen der Genehmigungsbehörde.
Regelmäßig besteht kein Anspruch auf Zulassung der Abweichung, sondern nur auf
fehlerfreie Ermessensausübung.
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Vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte, Kommentar zur BauO NRW, Stand: August 2007, Rn.
29 zu § 73.
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Eine Ermessensreduzierung auf Null ist hier nicht gegeben. Sie ergibt sich
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insbesondere nicht - wie der Kläger meint - aufgrund der von ihm aus der Niederschrift
über die Dienstbesprechung 2006 des Bauministeriums NRW mit den
Bauaufsichtsbehörden zitierten Hinweise zu § 31 BauO NRW. In der Niederschrift ist
lediglich die Rede davon, ein Verzicht auf Gebäudeabschlusswände bei einer
Terrassenüberdachung sei "vertretbar", mit anderen Worten zulässig, aber nicht
zwingend. Im Übrigen ist eine Gebäudeabschlusswand bei einer
Terrassenüberdachung aus Brandschutzgründen nicht sinnlos. Bei der streitigen
Terrassenüberdachung handelt es sich nicht um ein selbständiges Gebäude, sondern
um einen Teil des Wohnhauses. Es ist daher auch hinsichtlich des Brandschutzes eine
einheitliche Betrachtung geboten. Bei einem Wohnungsbrand ist aber auch im Bereich
der Terrasse bei entsprechenden Windverhältnissen die Gefahr des Abzugs von Rauch
und Wärme zum Nachbargrundstück gegeben. Die sich hieraus ergebende Gefährdung
für den Nachbarn ist bei einer Reihenhausbebauung - wie hier - entsprechend höher.
Auch werden unter Terrassenüberdachungen häufig (brennbare) Gegenstände
aufbewahrt und ist somit eine entsprechende Brandlast anzunehmen. Es sprechen
daher gewichtige Gründe dafür, von der Erteilung einer Abweichung von § 31 Abs. 1
BauO NRW abzusehen. Ein sich aufgrund einer Ermessensreduzierung ergebender
Anspruch der Klägers auf Abweichung kann jedenfalls nicht angenommen werden.
Rechtliche Bedenken hinsichtlich der unter Nr. 2 der angefochtenen Ordnungsverfügung
ergangenen Aufforderung, binnen 4 Wochen nach Unanfechtbarkeit der Verfügung
einen Standsicherheitsnachweis vorzulegen, sind weder von dem Kläger geltend
gemacht worden noch sonst erkennbar.
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Die Androhung der Ersatzvornahme (Nr. 1 der Verfügung) bzw. eines Zwangsgeldes
(Nr. 2 der Verfügung) entspricht den gesetzlichen Anforderungen (vgl. §§ 55 ff. VwVG
NRW).
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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