Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 16.12.2003

OVG NRW: subjektives recht, staatliches handeln, form, zustand, demokratie, eigenschaft, wahlfreiheit, legitimation, öffentlich, neutralität

Oberverwaltungsgericht NRW, 15 B 2455/03
Datum:
16.12.2003
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
15. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
15 B 2455/03
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 4 L 2623/03
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Antragsteller.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 4.000,-- EUR
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag,
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der Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes aufzugeben, folgende
Äußerungen zu unterlassen:
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"Die H. Bezirksvorsteherin ruft die Bürger auf, das Bürgerbegehren nicht zu
unterstützen." (Äußerung Nr. 1)
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"Wer hier unterschreibt, zementiert einen unhaltbaren Zustand. Das ist keine Initiative
für, sondern gegen C. H. ." (Äußerung Nr. 2)
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"Abgesehen von der optischen Scheußlichkeit ist die Zahl an Stellplätzen nur unter
Inkaufnahme einer großen Verkehrsgefährdung machbar." (Äußerung Nr. 3)
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"Wenn das Bürgerbegehren kommt, herrscht Stillstand in H. . Dann ist der Platz im
Eimer." (Äußerung Nr. 4)
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"Ich werde dann die Namen derer nennen, die für den Stillstand verantwortlich sind."
(Äußerung Nr. 5),
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zu Recht abgelehnt. Er ist zwar zulässig, aber unbegründet. Die Antragsteller haben
keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 der
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung).
Der in einem Hauptsacheverfahren zu verfolgende Anordnungsanspruch, um dessen
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Sicherung es im vorliegenden Verfahren geht, ist ein öffentlich-rechtlicher
Unterlassungsanspruch, der auf Unterlassen der im Antrag genannten Äußerungen
gerichtet ist. Der Anspruch setzt voraus, dass durch eine drohende Wiederholung der
beanstandeten, der Antragsgegnerin zuzurechnenden Äußerungen der
Bezirksvorsteherin C. -C. H. als hoheitliche Eingriffe in ein subjektives Recht der
Antragsteller ein rechtswidriger Zustand geschaffen würde. Diese Voraussetzungen
liegen nicht vor, weil die beanstandeten Äußerungen rechtmäßig sind und daher kein
rechtswidriger Zustand einzutreten droht.
Die beanstandeten Äußerungen stellen jeweils eine hoheitliche Handlung dar. Die
Bezirksvorsteherin der Bezirksvertretung C. -C. H. hat sich in ihrer Funktion als
städtisches Organ (vgl. § 36 Abs. 2 Satz 2 der Gemeindeordnung für das Land
Nordrhein-Westfalen - GO NRW -) und somit hoheitlich geäußert.
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Vgl. dazu, dass es für die Einstufung einer Äußerung als hoheitlich darauf ankommt, ob
sie von einem Hoheitsträger in amtlicher Eigenschaft gemacht wird, BVerwG, Urteil vom
14. April 1988 - 3 C 65.85 -, NJW 1989, 412 (413); Urteil vom 17. Januar 1980 - 7 C
42.78 -, BVerwGE 59, 319 (325).
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Das gilt einerseits für die Äußerungen, die in den von den Antragstellern eingereichten
Presseartikeln über eine Pressemitteilung bzw. ein Interview der Bezirksvorsteherin
enthalten sind. Dort äußerte sie sich nicht etwa als Parteimitglied, sondern als
Bezirksvorsteherin. Soweit sich die Antragsteller auch auf ein Flugblatt stützen (offener
Brief an die Bürgerinnen und Bürger von C. H. ), sind die dort enthaltenen Äußerungen
von der Bezirksvorssteherin allerdings erkennbar nicht in ihrer amtlichen Eigenschaft
getätigt worden. Sie ist als eine der Unterzeichner lediglich mit ihrem Namen ohne
Amtsbezeichnung aufgeführt, und im Kopf des Flugblatts wird für ein
Informationsgespräch mit Vertretern der Parteien zum Thema der Umgestaltung des N.
platz geworben. Jedoch kommt es darauf für den geltend gemachten Anspruch nicht an,
da die insoweit beanstandete Äußerung (nämlich das Bürgerbegehren nicht zu
unterstützen) auch in den genannten Zeitungsartikeln sowie in einer Presseerklärung
der Stadt C. vom 16. Oktober 2003 enthalten ist.
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Diese hoheitlichen Äußerungen sind auch grundsätzlich geeignet, in ein Recht der
Antragsteller einzugreifen, nämlich das Recht der Antragsteller auf gesetzliche
Durchführung eines Bürgerbegehrens (§ 26 Abs. 1 und 9 Satz 1 GO NRW). Die
Gemeindeordnung gewährt in diesen Vorschriften den Bürgern eines Stadtbezirks das
Recht zu beantragen, anstelle der Bezirksvertretung über eine Angelegenheit, für
welche die Bezirksvertretung zuständig ist, zu entscheiden. In dieses Recht kann
sowohl unmittelbar durch Anordnung und Zwang gegenüber den Teilnehmern an einem
Bürgerbegehren eingegriffen werden als auch, was hier allein in Betracht kommt,
mittelbar durch nicht imperative Einwirkungen auf die Bürger, ihr Recht, das
Bürgerbegehren zu unterzeichnen und damit einen Bürgerentscheid zu beantragen, in
bestimmter Weise auszuüben.
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Inhaber des geltend gemachten Unterlassungsanspruchs zur Wahrung des Rechts auf
gesetzliche Durchführung eines Bürgerbegehrens wären, wenn er bestünde, wie bei
allen Rechten hinsichtlich eines Bürgerbegehrens die Antragsteller als Vertreter des
Bürgerbegehrens.
14
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 25. September 2001 - 15 A 2445/97 -, NWVBl. 2002, 110
15
(111); Urteil vom 9. Dezember 1997 - 15 A 974/97 -, DVBl. 1998, 785.
Jedoch besteht der Unterlassungsanspruch nicht, weil die inkriminierten Äußerungen
keinen rechtswidrigen Eingriff in das Recht auf gesetzliche Durchführung eines
Bürgerbegehrens darstellen. Die Bezirksvorsteherin des Stadtbezirks C. -C. H. war zu
den beanstandeten Äußerungen berechtigt.
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Die Bezirksvorsteherin unterliegt bei ihren Äußerungen entgegen der Auffassung der
Antragsteller keinem Neutralitätsgebot wie bei Wahlen. Allerdings gebieten bei der
Wahl als Grundakt demokratischer Legitimation die Wahlrechtsgrundsätze der
Wahlfreiheit und Wahlgleichheit in der besonderen Form der Chancengleichheit, dass
staatliche Stellen nicht in mehr als nur unerheblichem Maße parteiergreifend auf die
Bildung des Wählerwillens einwirken, sie insofern also einem Neutralitätsgebot
unterliegen.
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Vgl. BVerfG, Urteil vom 8. Februar 2001 - 2 BvF 1/00 -, NJW 2001, 1048 (1050 f.); Urteil
vom 2. März 1977 - 2 BvE 1/76 -, BVerfGE 44, 125 (138 ff.); BVerwG, Urteil vom 8. April
2003 - 8 C 14.02 -, DVBl. 2003, 943 (946); Beschluss vom 19. April 2001 - 8 B 33.01 -,
NVwZ 2001, 928 (929); OVG NRW, Urteil vom 18. März 1997 - 15 A 6240/96 -, NWVBl.
1997, 395.
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Hier geht es jedoch nicht um diesen Grundakt demokratischer Legitimation, sondern um
die Entscheidung einer konkreten Sachfrage im Wege direkter Demokratie, und zwar in
der besonderen Form eines kassatorischen Bürgerbegehrens, das begrifflich
voraussetzt, dass die - vollständige oder teilweise - Beseitigung eines Rats- bzw.
Bezirksvertretungsbeschlusses durch Aufhebung oder Änderung erstrebt wird.
19
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 28. Januar 2003 - 15 A 203/02 -, NWVBl. 2003, 312 (313).
20
Daraus ergibt sich, dass die Organe der Gemeinde - wie auch sonst bei der
gemeindlichen Willensbildung im Verfahren des Rats- bzw.
Bezirksvertretungsbeschlusses - nicht zur Neutralität verpflichtet sind, sondern sogar im
Gegenteil gehalten sein können, öffentlich zu dem Sachbegehren wertend Stellung zu
nehmen. Im repräsentativ-demokratischen Verfahren der gemeindlichen Willensbildung
sind Organe oder Organteile der Antragsgegnerin in vielfältiger Form beteiligt, u.a.
dadurch, dass der Bürgermeister die Beschlüsse des Rates und der Bezirksvertretung
vorbereitet, insbesondere auch durch Beschlussempfehlungen (§ 62 Abs. 2 Satz 1 GO
NRW). Die Mitglieder des Rates und der Bezirksvertretungen, aber auch der
Bürgermeister (vgl. §§ 36 Abs. 7 Satz 1 2. Halbsatz, 69 Abs. 1 Satz 2 GO NRW) können
sich durch Debattenbeiträge an der Beratung beteiligen. Bei einem kassatorischen
Bürgerbegehren - wie hier - hat sogar schon eine Willensbildung der Gemeinde im
repräsentativ-demokratischen Wege stattgefunden. Hier repräsentiert die
Bezirksvorsteherin als Vorsitzender der Bezirksvertretung (§ 36 Abs. 2 Satz 2 GO NRW)
die Bezirksvertretung, die den angegriffenen Beschluss gefasst hat. Sie hat alles
Erforderliche zu veranlassen, um die Durchführung des Beschlusses der
Bezirksvertretung durch den Bürgermeister (§ 62 Abs. 2 GO NRW) zu ermöglichen.
Darüber hinaus sieht auch das Recht des Bürgerbegehrens selbst vor, dass
Gemeindeorgane inhaltlich zu dem Bürgerbegehren Stellung nehmen können: Gemäß §
26 Abs. 6 Satz 3 GO NRW ist ein Bürgerentscheid nur durchzuführen, wenn der Rat
dem zulässigen Bürgerbegehren nicht entspricht. Spätestens in diesem Stadium sieht
also das Gesetz die regelmäßige inhaltliche Befassung von Gemeindeorganen mit dem
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sachlichen Ziel des Bürgerbegehrens in öffentlicher Sitzung (§ 48 Abs. 2 Satz 1 GO
NRW) vor und damit auch einen Beschlussvorschlag des Bürgermeisters in
Vorbereitung des Beschlusses.
Wird statt des gewöhnlichen Verfahrens der gemeindlichen Willensbildung der Weg des
Bürgerentscheids gewählt, der einen Rats- oder Bezirksvertretungsbeschluss ersetzen
soll, so folgt daraus nicht die Verpflichtung der Gemeindeorgane, sich nunmehr aus der
gemeindlichen Willensbildung herauszuhalten und Neutralität zu üben.
Dementsprechend haben die an einem Bürgerbegehren und Bürgerentscheid
teilnehmenden Bürger ebenso wenig einen Anspruch auf Neutralität der
Gemeindeorgane wie es die Rats- bzw. Bezirksvertretungsmitglieder im repräsentativ-
demokratischen Verfahren haben.
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Ebenso ein Neutralitätsverbot verneinend für Volksbegehren und Volksentscheid:
BayVerfGH, Entscheidung vom 19. Januar 1994 - Vf. 89, 92 - III - 92 -, NVwZ-RR 1994,
529 (530 f.); Oebbecke, Die rechtlichen Grenzen amtlicher Einflussnahme auf
Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, BayVBl. 1998, 641 (644 f.); kritisch Morlok/Voss,
Grenzen der staatlichen Informationstätigkeit bei Volksentscheiden, BayVBl. 1995, 513
(516 ff.); a.A. wohl BayVGH, Beschluss vom 10. Januar 2000 - 4 ZE 99.3678 -, NVwZ-
RR 2000, 454; Hofmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in der kommunalen
Praxis, VR 1997, 156 (162).
23
Schranken für die hier in Rede stehenden Äußerungen ergeben sich auch nicht aus den
Grundsätzen über mittelbare Grundrechtseingriffe durch nicht imperatives staatliches
Handeln.
24
Vgl. zu diesen im Einzelnen umstrittenen Schranken: BVerfG, Beschluss vom 26. Juni
2002 - 1 BvR 558/91 u.a. -, NJW 2002, 2621 (2622 ff.); BVerwG, Urteil vom 27. März
1992 - 7 C 21.90 -, NJW 1992, 2496 (2498 f.); Murswiek, Staatliche Warnungen,
Wertungen, Kritik als Grundrechtseingriffe, DVBl. 1997, 1021 ff.; Brohm,
Rechtsstaatliche Vorgaben für informelles Verwaltungshandeln, DVBl. 1994, 133 (134
ff.); Di Fabio, Grundrechte im präzeptoralen Staat am Beispiel hoheitlicher
Informationstätigkeit, JZ 1993, 689 ff., Heintzen, Staatliche Warnungen als
Grundrechtsproblem, VerwArch. 1990 (Bd. 81), 532 ff.
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Denn hier geht es nicht um den Schutz eines grundrechtlichen Freiheitsraums vor
staatlichen Eingriffen, sondern um den Schutz der einfach gesetzlichen Gewährleistung
der unmittelbaren Beteiligung der Bürger an der gemeindlichen Willensbildung.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. Juli 1997 - 2 BvR 389/94, BVerfGE 96, 231 (239 ff.) zur
fehlenden grundrechtlichen Betroffenheit der Gesamtheit der Unterzeichner eines
Volksbegehrens bei einem Verstoß gegen ein vermeintliches Recht auf
Chancengleichheit bei der Durchführung eines Volksentscheids.
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Die Grenzen des Äußerungsrechts der Antragsgegnerin durch die Bezirksvorsteherin
des Bezirks C. -C. H. zu dem Bürgerbegehren der Antragsteller ergeben sich vielmehr
aus den Kompetenznormen für die sich äußernden Gemeindeorgane, den
fachgesetzlichen Normen des betroffenen Rechtskreises, hier des Rechtes des
Bürgerbegehrens, und den allgemein das hoheitliche Handeln bestimmenden
Rechtsnormen, insbesondere dem Rechtsstaatsprinzip, hier in Form des
Sachlichkeitsgebots: Das Bürgerbegehren gewährleistet eine Mitwirkung der Bürger an
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der gemeindlichen Willensbildung neben der ansonsten vorgesehenen gemeindlichen
Willensbildung durch Rats- bzw. Bezirksvertretungsbeschluss. Wenn Gemeindeorgane
sich zu einem Bürgerbegehren in amtlicher Eigenschaft äußern, ist erstens - wie für
jedes amtliche Handeln - erforderlich, dass sich das jeweilige Gemeindeorgan im
Rahmen seiner kommunalverfassungsrechtlichen Kompetenzen bewegt, zweitens dass
die dem Bürgerbegehren als Ausdruck unmittelbarer Demokratie zukommende
Teilnahmefreiheit gewahrt bleibt, und drittens dass die allgemein hoheitliches Handeln
bestimmenden Gebote der Wahrhaftigkeit und Sachlichkeit als Ausfluss des
Rechtsstaatsprinzip beachtet werden.
Gemessen an diesen Maßstäben verletzen die beanstandeten Äußerungen der
Bezirksvorsteherin C. -C. H. das Recht der Antragsteller auf gesetzliche Durchführung
eines Bürgerbegehrens nicht. Die Kompetenz der Bezirksvorsteherin zur Abgabe der
beanstandeten Äußerungen ergibt sich aus den §§ 36 und 37 GO NRW. Nach diesen
Vorschriften werden Bezirksvertretungen mit näher bestimmten Kompetenzen
eingerichtet, deren Vorsitzender der Bezirksvorsteher ist. Zu den Aufgaben eines
Vorsitzenden der Bezirksvertretung gehört es jedenfalls, Beschlüsse der
Bezirksvertretung, hier den Beschluss vom 17. September 2003 über die Umgestaltung
des N. platz , in der Öffentlichkeit zu vertreten und zu verteidigen, hier gegenüber dem
Bürgerbegehren der Antragsteller, die eine Änderung des genannten Beschlusses
erreichen wollen.
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Durch die beanstandeten Äußerungen wird die Freiheit zur Teilnahme am
Bürgerbegehern mittels Unterzeichnung nicht verletzt. Mit dem Unterzeichnungs- und
späteren Abstimmungsverfahren "Bürgerbegehren und Bürgerentscheid" üben die
Bürger im Wege unmittelbarer Demokratie Staatsgewalt aus (Art. 20 Abs. 2 des
Grundgesetzes). Ungeachtet der obigen Feststellung, dass es bei Bürgerbegehren im
Gegensatz zur Wahl ein Neutralitätsgebot nicht gibt,
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vgl. zur Unterscheidung von Wahl- und Abstimmungsrechtsgrundsätzen: Sachs,
Grundgesetz, 3. Aufl., Art. 20 Rn. 18, 34; insoweit nicht näher unterscheidend aber
BVerfG, Beschluss vom 17. November 1994 - 2 BvB 1/93 -, BVerfGE 91, 262, 267); zu
Abstimmungen im Rahmen von Volksentscheiden über die Neugliederung des
Bundesgebietes Beschluss vom 2. April 1974 - 2 BvP 1,2/71 -, BVerfGE 37, 84 (90 f.),
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handelt es sich beim Bürgerbegehren und Bürgerentscheid jedoch um ein
Abstimmungsverfahren zur staatlichen Willensbildung, das demokratische Legitimation
nur verleihen kann, wenn es frei ist.
32
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. November 1994 - 2 BvB 1/93 -, BVerfGE 91, 262 (267).
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Das bedeutet - insofern nicht anders als beim Grundsatz der Wahlfreiheit -, dass jeder
am Bürgerbegehren und Bürgerentscheid teilnehmende Bürger sein Unterschrifts- und
Abstimmungsrecht ohne Zwang oder sonstige unzulässige Beeinflussung von außen
ausüben kann. Er soll sein Urteil in einem freien, offenen Prozess der Meinungsbildung
gewinnen können.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. April 1984 - 2 BvC 2/83 -, BVerfGE 66, 369 (380);
allgemein zum Grundsatz der Wahlfreiheit: Schreiber, Handbuch des Wahlrechts zum
Deutschen Bundestag, 5. Aufl., § 1 BWahlG, Rn. 13 ff.
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Gegen die so verstandene Unterzeichnungsfreiheit verstoßen die Äußerungen Nr. 1 bis
4 nicht, weil mit ihnen lediglich zu einem bestimmten, nämlich ablehnenden
Beteiligungsverhalten bezüglich des Bürgerbegehrens aufgerufen und eine Bewertung
des Sachanliegens des Bürgerbegehrens vorgenommen wird. Demgegenüber könnte
die Äußerung Nr. 5 geeignet sein, die Unterzeichnungsfreiheit zu beeinträchtigen, wenn
die Ankündigung der Bezirksvorsteherin, sie werde dann (nämlich wenn das
Bürgerbegehren kommt) die Namen derer nennen, die für den Stillstand verantwortlich
seien, dahin zu verstehen wäre, es würden die Namen der Unterzeichner des
Bürgerbegehrens von der Bezirksvorsteherin gleichsam mit Prangerwirkung
veröffentlicht. Darin läge ein Zwang gegenüber potenziellen Unterzeichnern des
Bürgerbegehrens, der in unzulässiger Weise deren Unterzeichnungsfreiheit
einschränkte. Indes ist die Äußerung nicht in diesem Sinne zu verstehen. Dies
verdeutlicht bereits der Zusammenhang, in dem sie gefallen ist. Mit ihr kündigt die
Bezirksvorsteherin Konsequenzen für den Fall an, dass das von ihr negativ bewertete
Bürgerbegehren sein Ziel erreicht. Es ist daher naheliegend, dass diese Konsequenzen
die Urheber des Bürgerbegehrens treffen sollen. Demgegenüber liegt es fern, in der
Äußerung eine Drohung dahingehend zu sehen, jeder einzelne der über 2000
notwendigen Unterzeichner des Bürgerbegehrens werde als Verantwortlicher öffentlich
benannt. Zumindest nach der erstinstanzlichen Klarstellung im Schriftsatz vom 12.
November 2003 durch die Verfahrensbevollmächtigten der Bezirksvorsteherin, dass mit
der genannten Äußerung nur die Initiatoren des Bürgerbegehrens gemeint seien, gibt es
keinen Grund, noch eine auf die Bürger ausgeübte unzulässige Zwangswirkung durch
die Äußerung anzunehmen.
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Über diese die Unterzeichnungsfreiheit betreffenden Schranken hinaus haben sich
amtliche Äußerungen an den allgemeinen Grundsätzen für rechtsstaatliches Verhalten
in der Ausprägung des Willkürverbots und des Verhältnismäßigkeitsprinzips (auch
außerhalb des grundrechtlichen Bereichs) zu orientieren.
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Vgl. zu den rechtsstaatlichen Anforderungen einer staatlichen Äußerung: BVerfG (1.
Kammer des Ersten Senats), Beschluss vom 15. August 1989 - 1 BvR 881/89 -, NJW
1989, 3269 (3270); BVerwG, Beschluss vom 13. März 1991 - 7 B 99/90 -, NJW 1991,
1770 (1771); Urteil vom 23. Mai 1989 - 7 C 2.87 -, BVerwGE 82, 76 (83); OVG NRW,
Urteil vom 22. Mai 1990 - 5 A 2694/88 -, NVwZ 1991, 176 (178); s. auch zu den
Anforderungen an die Begründung eines Bürgerbegehrens: OVG NRW, Urteil vom 23.
April 2002 - 15 A 5594/00 -, DÖV 2002, 961.
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Dies bedeutet als Sachlichkeitsgebot zusammengefasst, dass mitgeteilte Tatsachen
zutreffend wiedergegeben werden müssen und Werturteile nicht auf sachfremden
Erwägungen beruhen und den sachlich gebotenen Rahmen nicht überschreiten dürfen
sowie auf einem im Wesentlichen zutreffenden und zumindest sachgerecht und
vertretbar gewürdigten Tatsachenkern beruhen müssen. Außerdem dürfen die
Äußerungen im Hinblick auf das mit der Äußerung verfolgte sachliche Ziel im Verhältnis
zur Unterzeichnungsfreiheit der Bürger nicht unverhältnismäßig sein.
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Diesen Anforderungen genügen die beanstandeten Äußerungen: Äußerung 1 beinhaltet
die zusammenfassende Empfehlung an die Bürger, sich nicht am Bürgerbegehren zu
beteiligen. Eine solche Empfehlung entspricht ohne weiteres den genannten
Anforderungen. Die Äußerungen 2 bis 4 stellen Bewertungen des vom Bürgerbegehren
erstrebten Ziels dar, deren sachliche Unvertretbarkeit von den Antragstellern weder
substantiiert behauptet noch für den Senat erkennbar ist. Auch stellen sie sich trotz der
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Deutlichkeit der Worte (unhaltbarer Zustand, optische Scheußlichkeit, Platz im Eimer)
nicht als unverhältnismäßige Einwirkung auf die Bürger dar. Letzteres trifft auch auf die
Äußerung 5 zu, wenn man sie, wie hier geboten, auf die Namhaftmachung der
politischen Verantwortlichkeit der Vertreter des Bürgerbegehrens bezieht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertentscheidung
ergibt sich aus §§ 14 Abs. 1, 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes.
Angesichts des Umstandes, dass ein Hauptsacherechtsschutz bis zur Beendigung des
Bürgerbegehrens nicht zu erreichen sein wird und somit über den begehrten Schutz im
einstweiligen Rechtsschutzverfahren endgültig entschieden wird, ist es gerechtfertigt,
den vollen Auffangstreitwert zu Grunde zu legen.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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