Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 17.01.2008

OVG NRW: offene bauweise, grundstück, gebäude, belichtung, öffentlich, vorbescheid, schutzwürdiges interesse, geschlossene bauweise, grundbuch, breite

Oberverwaltungsgericht NRW, 10 A 2795/05
Datum:
17.01.2008
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 A 2795/05
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 5 K 246/03
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Der Vorbescheid der Beklagten vom 3. Juli 2001 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung B. vom 23. Dezember
2002 wird aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Beklagte und die Beigeladene je
zur Hälfte. Die Beklagte und die Beigeladene tragen ihre
außergerichtlichen Kosten selbst.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Klägerin wehrt sich mit ihrer Klage gegen die der Beigeladenen erteilten Erlaubnis
(Bebauungsgenehmigung) für eine geschlossene Bebauung des Nachbargrundstücks,
die zur Schließung von vier Fenstern im grenzständigen Giebel ihres Hauses führt.
2
Die Klägerin ist Eigentümerin des ca. 1905 errichteten dreigeschossigen Wohn- und
Geschäftshauses auf dem Grundstück X. Straße 245 in Bochum (Gemarkung B1. , Flur
6, Flurstück 75). Die X. Straße (B 226) ist in diesem Bereich beidseitig mehrgeschossig
bebaut. Die ordnungsbehördliche Verordnung über die Regelung, Abstufung und
Gestaltung der Bebauung im Gebiet der Stadt C. vom 24. Juni 1961 sah für das
Vorhabengrundstück und das Gebäude der Klägerin, das traufseitig zur X. Straße
ausgerichtet ist und dessen Giebelwände an den beiden Grundstücksgrenzen stehen,
eine geschlossene Bebauung vor.
3
Zu Gunsten des klägerischen Grundstücks und zu Lasten des der Beigeladenen
gehörenden Flurstücks 72 der Flur 6 (Gemarkung B1. ) wurde im Jahre 1905 im
Grundbuch von B1. (Blatt 0504, Zweite Abteilung) ein Lichtrecht eingetragen. Die
Flurstücke 72 und 75 grenzen nicht unmittelbar aneinander. Zwischen ihnen liegt das
der Beigeladenen gehörende Flurstück 73 der Flur 6.
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Während die mit dem Lichtrecht belastete Parzelle westlich des klägerischen
Grundstücks früher mit einem beidseitig grenzständig errichteten Gebäude bebaut war
und heute als Parkplatz genutzt wird, wurde das ca. 2,60 m breite seit jeher unbebaute
Flurstück 73 als Wegeparzelle genutzt. Es dient als Durchfahrt zu einer rückwärtigen
Garage auf dem Flurstück 74, das ebenfalls im Eigentum der Beigeladenen steht.
5
In der an das Flurstück 73 angrenzenden westlichen Giebelwand des Hauses der
Klägerin befindet sich ungefähr mittig im ersten und zweiten Obergeschoss jeweils ein
Fenster mit den Außenmaßen 1,86 m x 1,09 m. Die Fenster dienen der Belichtung der
ca. 5 qm großen Küchen separater Wohnungen. Diese sind mit einer Wand von dem
jeweils angrenzenden Wohnzimmer abgetrennt. Die Wohnzimmer haben ca. 5 m von
der jeweiligen Wand entfernt je ein zur Straßenseite gerichtetes Fenster mit den Maßen
1,96 m x 1,49 m. Die Giebelwand weist im übrigen neben einem weiteren Fenster im
Keller zwei Fenster im Dachgeschoss auf, die zusammen mit vier Dachflächenfenstern
der Belichtung des Wohnzimmers der Dachgeschosswohnung dienen.
6
Westlich der Flurstücke 72 und 73 liegt das einem Dritten gehörende Grundstück X.
Straße 241, das beidseitig grenzständig bebaut ist. Bis zur Kreuzung X. Straße/M.---------
straße schließen sich weitere unbebaute Parzellen der Beigeladenen an, die sie im
Eckbereich ebenfalls bebauen will. An der nach Norden abzweigenden M.---------straße
stehen mehrere Gebäude in offener Bauweise. Im südlichen Bereich dieser Straße sind
mehrere Häuser auch grenzständig errichtet worden. Westlich der genannten Kreuzung
sind die Gebäude an der X. Straße teilweise unmittelbar an die Grenze gebaut worden,
teilweise weisen sie zu angrenzenden Flurstücken einen Abstand unterschiedlicher
Tiefe auf.
7
Östlich des klägerischen Grundstücks (X. Straße 245) schließt sich bis zum Grundstück
X. Straße 257 jeweils grenzständig errichtete zumeist mehrgeschossige Bebauung an.
Unterbrochen wird diese durch einen - von der Westseite des Hauses der Klägerin ca.
60 m entfernten - nicht gewidmeten Weg zwischen den Gebäuden X. Straße 251 und
253. Auch östlich vom nur einseitig an der Grenze gebauten Gebäude X. Straße 257
sind die Grundstücke grenzständig bebaut. An der von der X. Straße abzweigenden
Straße B2. dem L. stehen neben einem Doppelhaus mehrere einseitig grenzständige
Gebäude.
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Am 25. April 2001 - geändert mit Schreiben vom 18. Mai 2001 - stellte die Beigeladene
bei der Beklagten eine planungsrechtliche Bauvoranfrage zur Errichtung von zwei
mehrgeschossigen Gebäuden, und zwar für ein Wohn- und Geschäftshaus auf dem
westlich an das Haus X. Straße 241 angrenzenden Eckgrundstück X. Straße/M.---------
straße und für ein zwischen den Gebäuden X. Straße 241 und 245 vorgesehenes
Wohnhaus. Letzteres soll nach dem Erdgeschossgrundriss an die Grundstücksgrenze
der Klägerin gebaut werden. Den zum Bauvorbescheid gehörigen Bauvorlagen ist zu
entnehmen, dass im Erdgeschoss 9 Stellplätze vorgesehen sind und der Dachfirst ca.
90 cm höher sein soll als das Haus der Klägerin, aber über 1 m niedriger als das Haus
9
X. Straße 241.
Unter dem 3. Juli 2001 erteilte die Beklagte der Beigeladenen den beantragten
Bauvorbescheid. Im Anschluss an die Rechtsbehelfsbelehrung wies die Beklagte darauf
hin, dass die Prüfung der Bauvoranfrage sich auf die planungsrechtliche Zulässigkeit
des Bauvorhabens beschränke. Im weiteren führte die Beklagte aus:
10
"Dennoch möchte ich Sie für die weitere Planung Ihres Bauvorhabens insbesondere auf
folgendes hinweisen: ....
11
In der grenzständigen Giebelwand des östlich benachbarten Gebäudes ("X. Str. 245")
befinden sich Fensteröffnungen. Für diese ist ein sogenanntes "Lichtrecht"
grundbuchlich gesichert. Eine solche zivilrechtliche Sicherung ist auch im
Baugenehmigungs-Verfahren zu berücksichtigen."
12
Am 7. September 2001 erhob die Klägerin gegen den ihr nicht zugestellten
Bauvorbescheid Widerspruch. Zur Begründung führte sie aus, die Beigeladene müsse
die üblichen Abstände einhalten, zumal entlang der X. Straße nicht durchgehend
angebaut sei. Der Vorbescheid verstoße gegen das Rücksichtnahmegebot, da die hinter
den Fenstern in der Giebelwand liegenden Räume ausschließlich über diese Licht und
Luft erhielten.
13
Mit Widerspruchsbescheid vom 23. Dezember 2002 wies die Bezirksregierung B. den
Widerspruch mit der Begründung zurück, das Gebot der Rücksichtnahme sei nicht
verletzt. Der Neubau setze nur die von der Klägerin bereits in Anspruch genommene
Grenzbebauung fort. Es sei unerheblich, dass durch den Anbau Fenster in der
Grenzwand geschlossen würden. Das Bauvorhaben verletze in der genehmigten Form
auch keine bauordnungsrechtlichen Vorschriften.
14
Am 17. Januar 2003 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung hat sie
ausgeführt, nach den sich insoweit widersprechenden Bescheiden sei offen, ob und in
welchem Umfang Abstandflächen geprüft worden seien. Das Verschließen der Fenster
sei rücksichtslos, da es sich um seit dem Jahre 1905 vorhandene nicht ersetzbare
notwendige Fenster handele. Gesunde Wohnverhältnisse seien wegen der
unzureichenden Belichtung und Belüftung nicht mehr gewährleistet. Bei der Errichtung
ihres Gebäudes sei auch nicht mit einem Anbau zu rechnen gewesen, da auf dem
benachbarten Flurstück stets ein Weg verlaufen sei. Im Rahmen der gebotenen
Interessenabwägung sei auch das im Grundbuch eingetragene Lichtrecht zu
berücksichtigen. Im weiteren sei das Vorhaben wegen des Maßes der baulichen
Nutzung rücksichtslos.
15
Die Klägerin hat beantragt,
16
den der Beigeladenen erteilten Vorbescheid der Beklagten vom 3. Juli 2001 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung B. vom 23. Dezember 2002
aufzuheben.
17
Die Beklagte hat beantragt,
18
die Klage abzuweisen.
19
Sie hat ausgeführt, die nähere Umgebung des Bauvorhabens sei durch geschlossene
Bebauung geprägt. Nach § 22 Abs. 3 Halbsatz 1 BauNVO sei somit kein seitlicher
Grenzabstand erforderlich. Ein möglicher Bestandsschutz der Fenster in der
Giebelwand des klägerischen Gebäudes begründe keine öffentlich-rechtliche
Abwehrposition zur Verhinderung der angrenzenden Bebauung. Die Klägerin könne im
Rahmen des § 22 Abs. 3 Halbsatz 2 BauNVO auf die ihr mögliche architektonische
Selbsthilfe zur hinreichenden Belichtung verwiesen werden. Das klägerische
Grundstück sei aufgrund der grenzständigen Errichtung latent vorbelastet gewesen. Es
bestehe auch keine Unklarheit im Hinblick auf die Prüfung von § 6 BauO NRW.
Regelungsgegenstand des Vorbescheides sei jedoch allein die planungsrechtliche
Zulässigkeit gewesen.
20
Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat mit Urteil vom 2. Juni 2005 die Klage
abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, bauordnungsrechtliche Fragen seien
nicht Gegenstand des Vorbescheides gewesen. Gegen nachbarschützende Vorschriften
des Bauplanungsrechts verstoße dieser nicht. Eine Rücksichtslosigkeit des vom
Vorbescheid erfassten Vorhabens ergebe sich auch nicht aus dem Verschließen der
Fenster. In die insoweit vorzunehmende Abwägung sei das zivilrechtliche Lichtrecht
nicht einzubeziehen. Bei der zumindest auch vorhandenen geschlossenen Bauweise
sei eine grenzständige Bebauung zulässig. Derjenige, der ein Fenster in eine
Grenzwand baue, dürfe nicht erwarten, dass der Nachbar sein Grundstück nicht in
gleicher Weise ausnutze und einen nicht vorgegebenen Grenzabstand einhalte. Die
Klägerin könne die durch das Verschließen der Fenster in ihrem Hause entstehenden
baurechtswidrigen Zustände durch ihr zumutbare Maßnahmen der architektonischen
Selbsthilfe, u.a. die Vergrößerung anderer Fenster, ausgleichen. Die Kosten hierfür
habe sie zu tragen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Urteil Bezug
genommen.
21
Die Klägerin hat gegen das ihr am 21. Juni 2006 zugestellte Urteil am 21. Juli 2005 die
Zulassung der Berufung beantragt. Mit Beschluss vom 15. Mai 2007 hat der Senat die
Berufung zugelassen.
22
Mit der rechtzeitig bei Gericht eingegangenen Berufungsbegründung trägt die Klägerin
vor, der Bauvorbescheid sei trotz des Erdgeschossgrundrisses unbestimmt, da die Lage
der Obergeschosse unklar bleibe. Das Interesse der Beigeladenen an einer
grenzständigen Errichtung sei nachrangig, da deren Eigentum durch das Lichtrecht
belastet sei. Durch das Lichtrecht, den Bestandsschutz der Fenster und die Lage des
Giebels an einem Weg werde eine besondere Schutzwürdigkeit begründet. Wegen
dieser Schutzwürdigkeit könne man von ihr keinen Umbau im Sinne der
architektonischen Selbsthilfe erwarten. Im übrigen erreiche man dadurch keinen
hinreichenden Ausgleich. Da hier neben der geschlossenen auch offene Bebauung
zulässig sei, sei auch kein besonderer Rechtfertigungsgrund für die offene Bauweise
nötig. Das Vorhaben habe zudem eine erdrückende Wirkung.
23
Die Klägerin beantragt,
24
unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 2. Juni 2005
den der Beigeladenen erteilten Vorbescheid der Beklagten vom 3. Juli 2001 in der
Fassung des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung B. vom 23. Dezember
2002 aufzuheben.
25
Die Beklagte beantragt,
26
die Berufung zurückzuweisen.
27
Die Beklagte trägt vor, dem Erdgeschossgrundriss sei die Lage des gesamten
Baukörpers mit hinreichender Bestimmtheit zu entnehmen, da diese für alle Etagen
identisch sei. Das Zumauern der Fenster begründe keine Rücksichtslosigkeit des
Vorhabens. Das Interesse der Beigeladenen an der grenzständigen Errichtung
überwiege. Nach § 22 Abs. 3 Halbsatz 2 BauNVO erfordere ein Abrücken von der
Grenze eine planungsrechtliche Rechtfertigung, an der es hier fehle. Insoweit
erforderliche unabweisbare Gründe seien auch unter Berücksichtigung des Lichtrechts
nicht ersichtlich. Die Fenster seien nicht schutzwürdig. Der Nachweis für eine
Genehmigung sei nicht erbracht worden. Abgesehen davon sei eine etwaige
Genehmigung wegen umfänglicher Umbauarbeiten im Innern des Hauses erloschen.
28
Die Beigeladene beantragt ebenfalls,
29
die Berufung zurückzuweisen.
30
Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung.
31
Der Berichterstatter des Senats hat am 21. November 2007 eine Ortsbesichtigung
durchgeführt. B2. die Niederschrift vom gleichen Tage wird verwiesen. Wegen der
weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte
sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der Bezirksregierung
B. Bezug genommen.
32
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
33
Die zulässige Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht
abgewiesen.
34
Die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) ist zulässig und begründet.
35
Der der Beigeladenen erteilte Vorbescheid der Beklagten vom 3. Juli 2001 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung B. vom 23. Dezember 2002 verstößt
gegen nachbarschützende Vorschriften des öffentlichen Bauplanungsrechts und verletzt
die Klägerin damit in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
36
Hierbei begründet der Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften durch das
geplante Gebäude X. Straße 243 in C. die Rechtswidrigkeit des angefochtenen
Vorbescheides, der insgesamt Streitgegenstand der Anfechtungsklage ist.
37
Das Bauvorhaben der Beigeladenen ist nach § 34 BauGB zu beurteilen, da es innerhalb
eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils verwirklicht werden soll und nicht im
Geltungsbereich eines wirksamen Bebauungsplans gemäß § 30 BauGB liegt.
38
Die ordnungsbehördliche Verordnung über die Regelung, Abstufung und Gestaltung der
Bebauung im Gebiet der Stadt C. vom 24. Juni 1961 stellt keinen gültigen
Bebauungsplan dar. Hierbei kann offen bleiben, ob diese Verordnung jemals
Wirksamkeit erlangt hat. Eine solche hat sie jedenfalls durch Zeitablauf verloren. B2. der
39
Grundlage des § 30 des Ordnungsbehördengesetzes vom 16. Oktober 1956 (GV NW S.
289) als ordnungsbehördliche Verordnungen erlassene Baustufenordnungen galten mit
dem vollständigen Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes am 1. Juli 1961 gemäß § 173
Abs. 3 BBauG a.F. zwar zunächst als übergeleitete Bebauungspläne fort. Jedoch sind
diese gemäß § 34 Abs. 1 Satz 3 OBG NRW 20 Jahre nach ihrem Inkrafttreten ungültig
geworden, sofern - wie hier - keine andere Frist bestimmt worden ist.
Vgl. zur vergleichbaren gesetzlichen Befristung der als Bebauungspläne übergeleiteten,
auf Grund des Preußischen Polizeiverwaltungsgesetzes ergangenen
Baupolizeiverordnungen: BVerwG, Urteil vom 12. Januar 1968 - IV C 167.65 -,
BVerwGE 29, 49 ff. (insoweit aber nicht abgedruckt); OVG NRW, Urteil vom 16. Mai
1966 - X A 269/64 -, VwRspr. 18 Nr. 122; Runderlass des Ministers für Wohnungsbau
und öffentliche Arbeiten vom 19. Juli 1968 - II/1 - 0.310, MBl. NRW 1968, 1422 f..
40
Nach § 34 Abs. 1 BauGB ist ein Vorhaben nur dann zulässig, wenn es sich nach Art und
Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut
werden soll, in die nähere Umgebung einfügt.
41
Nachbarschützende Wirkung entfaltet § 34 Abs. 1 BauGB ausnahmsweise nur über das
im Tatbestandsmerkmal des Einfügens verankerte Rücksichtnahmegebot. Für eine
solche Verletzung reicht es indes nicht aus, dass ein Vorhaben sich nicht in jeder
Hinsicht innerhalb des Rahmens hält, der durch die Bebauung der Umgebung gebildet
wird. Hinzu kommen muss objektivrechtlich, dass es im Verhältnis zu seiner Umgebung
bewältigungsbedürftige Spannungen erzeugt, die potentiell ein Planungsbedürfnis nach
sich ziehen, und subjektivrechtlich, dass es die gebotene Rücksichtnahme speziell auf
die in seiner unmittelbaren Nähe vorhandene Bebauung vermissen lässt.
42
Das Gebot der Rücksichtnahme soll die bei Verwirklichung von Bauvorhaben
aufeinanderstoßenden Interessen angemessen ausgleichen. Ob ein Vorhaben das
Gebot der Rücksichtnahme verletzt, hängt im Wesentlichen von den jeweiligen
konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die
Stellung derer ist, denen die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugute
kommt, umso mehr kann an Rücksichtnahme verlangt werden. Umgekehrt braucht
derjenige, der ein Vorhaben verwirklichen will, umso weniger Rücksicht zu nehmen, je
verständlicher und unabweisbarer die von ihm verfolgten Interessen sind. Für die
sachgerechte Beurteilung des Einzelfalles kommt es danach wesentlich auf eine
Abwägung an zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmeberechtigten und
andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist.
Dementsprechend ist das Rücksichtnahmegebot verletzt, wenn unter Berücksichtigung
der Schutzwürdigkeit der Betroffenen, der Intensität der Beeinträchtigung und der
wechselseitigen Interessen das Maß dessen was billigerweise noch zumutbar ist,
überschritten wird.
43
Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Februar 1977 - 4 C 22.75 -, BRS 32 Nr. 155.
44
Die Beurteilung hat jeweils gesondert bezüglich der in § 34 Abs. 1 BauGB genannten
Tatbestandsmerkmale der Art, des Maßes der baulichen Nutzung, der Bauweise und
der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, zu erfolgen. Die durch den
Bauvorbescheid zugelassene grenzständige Errichtung des Wohnhauses X. Straße 243
unmittelbar grenzständig am bestehenden Gebäude X. Straße 245 erweist sich
gegenüber der Klägerin hinsichtlich der Bauweise als rücksichtslos. Bezüglich der
45
Bauweise gehört zur näheren Umgebung des Vorhabens jedenfalls der Bereich nördlich
der X. Straße zwischen der Kreuzung Bruchspitze und der Abzweigung B2. dem L.
sowie die Grundstücke im südlichen Teil der M.---------straße . Die Grundstücke südlich
der X. Straße gehören nicht zur maßgeblichen näheren Umgebung, weil diese wegen
ihrer Breite und in deren Mitte verlaufende Straßenbahnschienen trennende Wirkung
hat. In dieser näheren Umgebung gibt es sowohl geschlossene Bebauung - u.a. X.
Straße 245 bis 255 - als auch offene Bebauung - vor allem an der M.---------straße -.
Daneben sind insbesondere an der X. Straße (u.a. Nr. 233, 237, 257) eine Reihe von
Gebäuden einseitig an der Grenze angebaut. Da sich die Bauweise der Bebauung an
der Straße B2. dem L. - offen, einseitig grenzständig - von derjenigen im oben
genannten Bereich nicht unterscheidet, kann offen bleiben, ob auch diese zur näheren
Umgebung gehört.
Aus der näheren Umgebung lässt sich somit weder eine zwingende geschlossene oder
offene Bauweise als städtebauliche Ordnung ableiten. In einem Gebiet mit teils offener,
teils geschlossener Bauweise sind regelmäßig beide Bauweisen planungsrechtlich
zulässig. Hieran ändert sich auch dann nichts, wenn die geschlossene Bebauung
zahlenmäßig überwiegt.
46
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. März 1994 - 4 B 53.94 -, BRS 56 Nr. 65.
47
Die hiernach grundsätzlich zulässige geschlossene Bauweise erweist sich im
vorliegenden Einzelfall jedoch gegenüber dem Grundstück der Klägerin als unzulässig.
Selbst bei einer durch Bebauungsplan festgesetzten geschlossenen Bauweise ist nach
§ 22 Abs. 3 Halbsatz 2 BauNVO ein Grenzabstand einzuhalten, wenn die vorhandene
Bebauung eine Abweichung erfordert. Entsprechendes gilt in einem nicht beplanten
Gebiet, sofern der Grenzanbau dem unmittelbaren Nachbarn gegenüber rücksichtslos
ist.
48
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Januar 1995 - 4 B 197. 94 - , BRS 57 Nr. 131.
49
Ein solcher Fall liegt hier vor.
50
Die grenzständige Errichtung des Wohnhauses X. Straße 243 unmittelbar am
bestehenden Gebäude X. Straße 245 erweist sich unter Berücksichtigung der konkreten
Grundstückssituation und des im Jahre 1905 im Grundbuch von B1. eingetragenen
Lichtrechts zu Gunsten des klägerischen Grundstücks als rücksichtslos. Infolgedessen
ist das unmittelbar an das Grundstück der Klägerin angrenzende ca. 2,60 m breite
Flurstück 73 der Flur 6, Gemarkung B1. von Bebauung freizuhalten.
51
Entgegen der Auffassung der Beklagten und des Beigeladenen ist hier die aus
privatrechtlichen Rechten der Klägerin folgende öffentlich-rechtliche Rechtsposition im
Rahmen des Abwägungsgebots beachtlich. Die rechtlichen Eigentümerbefugnisse
werden im konkreten Nachbarschaftsverhältnis zwischen dem Grundstück der Klägerin
(Flurstück 75) und den Grundstücken der Beigeladenen (Flurstücke 72 und 73)
maßgeblich durch das 1905 in das Grundbuch eingetragene "Lichtrecht" bestimmt, das
durch Auslegung zu bestimmen ist.
52
Für die Auslegung des hier fraglichen Lichtrechts führt allerdings der nahe liegende
Rückgriff auf § 142 des 1. Teils, 8. Titel des Allgemeinen Landrechts für die
Preußischen Staaten - ALR - nicht weiter. Diese zur Zeit der Eintragung in das
53
Grundbuch im Jahre 1905 in C. gemäß Art. 124 EGBGB geltende Regelung bestimmte:
"Sind jedoch die Fenster des Nachbarn, vor welchen gebaut werden soll, schon seit 10
Jahren oder länger vorhanden, und die Behältnisse, wo sie sich befinden, haben nur
von dieser Seite her Licht, so muss der neue Bau so weit zurücktreten, dass der
Nachbar noch aus den ungeöffneten Fenstern des unteren Stockwerkes den Himmel
erblicken könne."
54
Bei diesem Lichtrecht handelte es sich somit um eine gesetzliche
Eigentumsbeschränkung, die erst nach dem Ablauf von 10 Jahren seit der Herstellung
der Fenster entstand. Während der Nachbar dann verpflichtet war, einen
entsprechenden Abstand zu halten, wurden die Befugnisse des anderen Eigentümers
erweitert. Dieses Lichtrecht konnte der Nachbar nicht durch Klage, sondern nur dadurch
verhindern, dass er bis zum Ablauf dieser Frist das Fenster verbaut hatte.
55
Vgl. RG, Urteile vom 29. September 1899 - VIa. 81/99 -, RGZ 44, 312 (316 ff.) und vom
23. Mai 1900 - V. 78/00 -, RGZ 46, 269 (271).
56
§ 142 des Ersten Teils, 8. Titel ALR traf keine Regelung zu einem zwischen den
Nachbarn zu vereinbarenden Lichtrecht. Daher kann hier nicht vom Inhalt des gesetzlich
entstehenden Lichtrechts ausgegangen werden. Wesentlich für die Bestimmung der im
Grundbuch gesicherten Begünstigung des Grundstücks der Klägerin (Flurstück 75) ist,
dass mit dem Lichtrecht nicht die angrenzende ca. 2,60 m breite Zuwegungsparzelle,
sondern das nicht unmittelbar benachbarte Baugrundstück (Flurstück 72) belastet
wurde. Aus der Zuordnung des Lichtrechts zum Flurstück 72 folgt, dass das ca. 2,60 m
breite Flurstück 73 zur Freihaltung der Fenster im grenzständigen Giebel des Hauses
auf dem Flurstück 75 auf Dauer unbebaut bleiben sollte.
57
Der Berücksichtigung des so zwischen den Grundstücksnachbarn vereinbarten
Lichtrechts im Rahmen des Rücksichtnahmegebots steht nicht entgegen, dass es sich
dabei um private Rechte handelt. Privatrechtliche Rechte, die den Inhalt des Eigentums
bestimmen, können im Einzelfall - ebenso wie für Festsetzungen im Bebauungsplan - im
Rahmen des Rücksichtnahmegebots beachtlich sein.
58
Vgl. zur Berücksichtigung privater Rechtspositionen Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Söfker,
BauGB, Stand: September 2007, § 34 Rn 48; Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB 10. Aufl.
2007, § 34 Rn 19.
59
Dies ist hier insbesondere der Fall, weil das fragliche Lichtrecht als Ersatz einer
seinerzeit nicht möglichen öffentlich-rechtlichen Sicherung der Nichtbebaubarkeit des
Flurstückes 73 gedient hat. Zur Zeit der Begründung des Lichtrechts im Jahre 1905 gab
es in Preußen - zu dem C. seinerzeit gehörte - nämlich noch keine öffentlich-rechtliche
Sicherungsmöglichkeit.
60
Vgl. Gädtke/Temme/Heintz, BauO NRW, 10. Aufl. 2003, § 83 Rn 1.
61
Erst seit dem 1. Oktober 1962 ist in den jeweils geltenden Bauordnungen für das Land
Nordrhein-Westfalen die Sicherung baurechtsgemäßer Zustände durch eine öffentlich-
rechtliche Baulast vorgesehen (§ 83 BauO NRW). Im Jahre 1905 war stattdessen
lediglich eine privatrechtliche Sicherung möglich. Somit diente hier die Eintragung des
Lichtrechts der Sicherung der Nachbarrechte im Zusammenhang mit der Errichtung des
62
Wohn- und Geschäftshauses X. Straße 245. Für eine Berücksichtigung des Lichtrechts
im Rahmen des Rücksichtnahmegebots spricht somit auch dessen seinerzeitige
Ersatzfunktion im Hinblick auf die Geltendmachung nachbarlicher Abwehrrechte.
Während heute öffentlich- rechtliche nachbarliche Abwehrrechte anerkannt sind, stand
nach der Rechtsprechung des Preußischen OVG,
vgl. Urteil vom 30. April 1877, PrOVGE 2, 351 (354),
63
dem Nachbarn seinerzeit kein Abwehrrecht gegenüber einer Baugenehmigung zu, die
gegen eine Vorschrift verstieß, die neben den öffentlichen allgemeinen Interessen auch
die besonderen Interessen der Nachbarn zu schützen bestimmt war. Allein private
Rechte wie das Lichtrecht boten dem Nachbarn die Möglichkeit, sich - auf dem
Privatrechtsweg - gegen eine öffentlich-rechtlich zugelassene Bebauung zu wehren.
64
Einer Berücksichtigung des privatrechtlich im Verhältnis zum Grundstücksnachbarn
ausgestalteten Eigentums im Rahmen des planungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots
steht nicht die Bestimmung des § 71 Abs. 2 i.V.m. § 75 Abs. 3 Satz 1 BauO NRW
entgegen, wonach ein Bauvorbescheid - wie eine Baugenehmigung - unbeschadet
privater Rechter Dritter ergeht. Dies bedeutet nämlich abgesehen davon, dass es sich
um eine landesrechtliche Vorschrift handelt, nicht, dass private Rechte für das
Baugenehmigungs- bzw. Bauvorbescheidsverfahren stets unbeachtlich wären. Nach
der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,
65
Vgl. Urteil vom 17. Dezember 1964 - I C 130.63 -, BVerwGE 20, 124 (126),
66
kann aus dieser Regelung derjenige, der zur Bauausführung privatrechtlich nicht befugt
ist, nicht das Recht herleiten, dass ihm die öffentlich-rechtliche Baugenehmigung erteilt
werden müsse. Im weiteren ist dort ausgeführt:
67
"Die Gesamtheit der zivilrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Schranken konkretisiert
erst den Inhalt des Eigentums. Im Baugenehmigungsverfahren kann nicht von einem
anderen Eigentum ausgegangen werden als im Zivilprozess. Da die Baugenehmigung
nicht nur die Feststellung der Vereinbarkeit des Vorhabens mit dem öffentlichen Recht
enthält, sondern zugleich auch die Ausführung des genehmigten Vorhabens enthält,
besteht kein Anspruch des Grundstückseigentümers auf Erteilung der baurechtlichen
Genehmigung, wenn das betreffende Grundstück nicht bebaut werden darf und somit
das Eigentum an dem Grundstück nicht die Befugnis zur Bebauung des Grundstücks
enthält."
68
Abgesehen davon verstößt das Vorhaben der Beigeladenen zu Lasten der Klägerin
gegen das Gebot der Rücksichtnahme, weil sie durch das Schließen der Fenster im 1.
und 2. Obergeschoss des Wohn- und Geschäftshauses X. Straße 245 unzumutbar in
ihren Rechten beeinträchtigt wird.
69
Eine Schließung der Fenster in den beiden Geschossen hätte zur Folge, dass die
Küchen in den beiden dortigen Wohnungen über kein Tageslicht mehr verfügten. Denn
es handelt sich um die einzigen Fenster dieser Aufenthaltsräume. Eine derartige
Grenzbebauung würde dem Ziel, gesunde Wohnverhältnisse zu erhalten, diametral
entgegenlaufen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn diese Fenster nicht ersetzbar sind.
70
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Januar 1995, a.a.O.
71
Dies ist hier der Fall. Ein Ersatz der Fenster innerhalb der Küchen ist nicht möglich, da
die zum Grundstück der Beigeladenen gerichtete grenzständige Giebelwand die einzige
Außenwand der Küchen ist.
72
Eine Belichtung der Küchen wäre nur möglich, wenn die vorhandenen Innenwände zum
Wohnzimmer oder zum Kinderzimmer ganz oder jedenfalls weitgehend beseitigt
würden. Da eine Verbindung von Kinderzimmer und Küche nicht ernsthaft in Betracht zu
ziehen ist, verbleibt nur die Möglichkeit, die Küche jeweils mit dem Wohnzimmer zu
verbinden. Die faktische Abschaffung eines von der Küche separaten Wohnbereichs
stellt eine grundlegende Veränderung der Wohnungen dar, die der Klägerin nicht
zuzumuten ist. Im übrigen stellt diese bauliche Maßnahme keinen Ersatz für die
erforderliche Fensterlüftung der Küchen dar. Der grundlegenden Umgestaltung des
Wohnungszuschnitts steht des weiteren entgegen, dass diese gesunde
Wohnverhältnisse nicht sicherstellen. In Anbetracht des Umstandes, dass die Küchen
bis zu mehr als 9 m von dem jeweils vorhandenen Wohnzimmerfenster entfernt sind,
drängt sich die Ungeeignetheit einer solchen Maßnahme auf. Zudem ist nicht
gewährleistet, dass durch eine Erweiterung der Wohnzimmerfenster eine hinreichende
Belichtung erreicht werden kann.
73
Der Abwehranspruch der Klägerin scheitert entgegen der Auffassung der Beklagten
nicht daran, dass sie die Fenster illegal errichtet oder den Bestandsschutz für ihr
Wohnhaus insgesamt verloren hätte. Denn zur Überzeugung des Senats steht fest, dass
das Wohn- und Geschäftshaus der Klägerin - einschließlich der Fenster in der
Giebelwand - formell und materiell legal errichtet wurden. Zwar kann die Klägerin - die
insoweit grundsätzlich darlegungs- und beweispflichtig ist - keine
Baugenehmigungsurkunde vorlegen, aus der sich die Legalität ihres Baubestandes
hinsichtlich der betroffenen Fenster ergäbe. Aus den konkreten Umständen des
vorliegenden Einzelfalls ergibt sich jedoch mit hinreichender Sicherheit, dass von einer
legalen Errichtung des Gebäudes einschließlich der Fenster auszugehen ist.
74
Die Inaugenscheinnahme durch den Berichterstatter des Senats hat ergeben, dass die
in der Giebelwand vorhandenen Fenster aller Wahrscheinlichkeit nach nicht
nachträglich, sondern schon im Zuge der ursprünglichen Errichtung des Hauses
eingebaut worden sind. Für ihre Legalität spricht auch die vorerwähnte im Jahre 1905
erfolgte grundbuchliche Sicherung des vertraglich vereinbarten Lichtrechts, die
andernfalls sinnlos gewesen wäre. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass
das Gebäude der Klägerin bei seiner Errichtung materiell baurechtmäßig war und dass
die erforderliche Baugenehmigung vorgelegen hat, jedoch - wie die übrigen Hausakten
auch - während des zweiten Weltkriegs vernichtet worden ist. Im Übrigen wäre in der
konkreten Grundstückssituation die Errichtung eines formell oder materiell illegalen
Gebäudes der hier vorliegenden Dimension "unter den Augen der Baupolizei" schwer
vorstellbar, nachdem zuvor eine förmliche grundbuchliche Sicherung des erforderlichen
Lichtrechts erfolgt war.
75
Vgl. zu einer vergleichbaren Konstellation: BVerwG, Beschluss vom 12. Januar 1995,
a.a.O.
76
Die Schutzwürdigkeit jedenfalls der Giebelfenster im 1. und 2. Obergeschoss ist auch
nicht durch die nachträgliche Änderung bzw. Nutzungsänderung des Dachgeschosses
entfallen. Diese auf eine Veränderung und Intensivierung der dortigen Wohnnutzung
77
abzielende Maßnahme hat keine materielle Illegalität des gesamten Wohn- und
Geschäftsgebäudes einschließlich der genannten Fenster begründet. Abgesehen
davon, dass keine materielle Illegalität der Umbauarbeiten als solche ersichtlich ist,
beschränkten sich der Umbau und die Nutzungsänderung auf das Innere des
abgetrennten Dachgeschosses. Der äußere Baukörper mit den Giebelfenstern blieb -
abgesehen vom Ersatz und Einbau von Dachflächenfenstern - ebenso unberührt wie die
Wohnungen im 1. und 2. Obergeschoss.
Der Schutzwürdigkeit der zur Belichtung erforderlichen Giebelfenster im 1. und 2.
Obergeschoss stehen auch nicht die nunmehr von der Beklagten erhobenen
brandschutzrechtlichen Bedenken gegen Treppenhaustüren aus Glas entgegen. Das
dauerhafte Interesse an der Belichtung wird nicht dadurch relativiert, dass Türen
auszutauschen sind. Ein derartiger Austausch der möglicherweise seinerzeit materiell
legal eingebauten Türen ist ohne weiteres möglich. Die Beklagte hat aber von der
Klägerin einen solchen Austausch bislang nicht gefordert, obwohl ihr die Örtlichkeiten
jedenfalls seit dem erstinstanzlichen Ortstermin vor mehr als 2 ½ Jahren hinreichend
bekannt sind. Auch im übrigen bestehen keine Bedenken hinsichtlich der
Schutzwürdigkeit der zur Belichtung erforderlichen Giebelfenster.
78
Den Interessen der Klägerin an der Verhinderung einer grenzständigen Bebauung steht
kein besonders schutzwürdiges Interesse der Beigeladenen gegenüber. Der
Beigeladenen ist es ohne weiteres möglich, ihre Grundstücke auch mit dem
erforderlichen Abstand zu errichten. Die Bebaubarkeit des an das klägerische
Grundstück angrenzenden Flurstücks 74 ist auch nicht unabweisbar. Im Gegenteil hat
eine solche in Anbetracht dessen, dass diese Parzelle immer als Weg genutzt wurde
und nie bebaut war, ferngelegen. Demgegenüber dominieren die schutzwürdigen
Interessen der Klägerin. Diese ergeben sich - für die Rücksichtslosigkeit hinreichend -
aus dem der grenzständigen Bebauung entgegenstehenden Lichtrecht als einer auch
für das öffentliche Recht erheblichen Rechtsposition. Davon unabhängig dominiert auch
das Interesse der Klägerin an der Verhinderung unzureichender Lichtverhältnisse, die
sich bei einem Grenzanbau auch nicht anderweitig zumutbar vermeiden lassen.
79
Der festgestellte Nachbarrechtsverstoß führt zur Aufhebung des Vorbescheides auch
soweit er die Bebauung des Eckgrundstücks betrifft, das die Klägerin nicht in ihren
Rechten verletzt. Einer verfahrensrechtlichen Aufteilung des Vorbescheides in zwei
Regelungsbereiche hat der Beigeladene in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich
widersprochen. An einer Aufspaltung des Vorbescheides in zwei Vorhaben sieht sich
der Senat aus Rechtsgründen gehindert.
80
Gemäß § 71 Abs. 1 BauO NRW kann vor Einreichung des Bauantrages zu Fragen des
Bauvorhabens ein Vorbescheid beantragt werden. Die "Fragen des Bauvorhabens"
können alle diejenigen sein, über die im bauaufsichtsrechtlichen
Genehmigungsverfahren entschieden werden muss, wenn ein Bauantrag gestellt wird.
Da der Vorbescheid ein mitwirkungsbedürftiger Verwaltungsakt ist, der gemäß § 71 Abs.
1, § 71 Abs. 2 i.V.m. § 69 BauO NRW nur auf schriftlichen Antrag erteilt wird, bestimmt
der Bauherr mit der Bauvoranfrage - wie mit einem Bauantrag -, was Gegenstand des
Verfahrens und der dort vorzunehmenden Beurteilung sein soll.
81
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. März 1999 - 4 B 62.98 -, BRS 62 Nr. 178;
Boeddinghaus/Hahn/Schulte, BauO NRW, Stand: Oktober 2007, § 71 Rn 3 ff.
82
Mit dem Bauantrag bzw. der Bauvoranfrage legt der Bauherr damit auch grundsätzlich
fest, was "das Vorhaben" im Sinne von § 29 Absatz 1 BauGB ist.
83
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. August 1991 - 4 B 20.91 -, BRS 52 Nr. 2.
84
Regelmäßig stellt ein zur Genehmigung gestelltes Bauvorhaben ein einheitliches
Ganzes dar, sei es, dass dessen einzelne Teile unter Nutzungsgesichtspunkten eine
enge funktionale Verbindung aufweisen, sei es, dass der eine Bestandteil ohne den
anderen baurechtlich nicht zulässig ist, oder sei es, dass die Einheitlichkeit des
Vorhabens dem ausdrücklich geäußerten oder jedenfalls erkennbaren Willen des
Bauherrn entspricht.
85
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 4. September 2001 - 10 B 332/01 -, BRS 64 Nr. 180.
86
Das gilt in gleicher Weise für den Bauvorbescheid, der Fragen des Bauvorhabens
betrifft.
87
Die Beigeladene hat durch ihre Anfrage den Gegenstand des hier angefochtenen
Vorbescheides dahingehend bestimmt, dass die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der
Gebäude X. Straße 239 und 243 beurteilt werden soll. Von der Regel eines sich daraus
ergebenden einheitlichen Vorhabens ist hier nicht abzuweichen. Die Einheitlichkeit des
Vorhabens entspricht dem Willen der Beigeladenen. Offenbar auch im Hinblick auf die
Unterbringung der bauordnungsrechtlich für das Gebäude X. Straße 239 erforderlichen
Stellplätze im Wohnhaus X. Straße 243 geht es der Beigeladenen ersichtlich um die
Bebauung des gesamten Areals und nicht nur eines einzelnen Teilgrundstücks.
88
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 154 Abs. 3, 159 S. 1 VwGO i.V.m. §
100 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167
VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 ZPO.
89
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht vorliegen.
90
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