Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 02.06.2010

OVG NRW (fleisch, veränderung, europäische kommission, definition, gleichbehandlung im unrecht, anhang, herstellung, ablösung, verhältnis zu, bezeichnung)

Oberverwaltungsgericht NRW, 13 A 2441/07
Datum:
02.06.2010
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 A 2441/07
Tenor:
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil
des Verwaltungsgerichts Minden vom 17. Juli 2007 wird
zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfah¬rens.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfah¬ren auf 10.000,- EUR
festgesetzt.
G r ü n d e :
1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
2
Die geltend gemachten Zulassungsgründe, die gemäß § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO nur
im Rahmen der Darlegungen der Klägerin zu prüfen sind, liegen nicht vor.
3
Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen
Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
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Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seines klageabweisenden Urteils
ausgeführt: Die von der Klägerin u. a. unter den Produktbezeichnungen "Baader-
Fleisch" und "3 mm-Fleisch" in den Verkehr gebrachten Fleischerzeugnisse unterlägen
der Kennzeichnungspflicht als Separatorenfleisch. Es handele sich bei diesen mittels
einer Townsend DMM - 50 Maschine gewonnenen, mit nachfolgendem Baadern
hergestellten Erzeugnissen um Separatorenfleisch i. S. d. Definition der Verordnung
(EG) Nr. 853/2004, Anhang I Nr. 1.14. Es sei davon auszugehen, dass bereits durch das
Abscheren des Fleisches von den Knochen die Struktur der Muskelfasern verändert
werde. Dass der Beklagte die Proben vom Endprodukt gezogen habe, sei nicht
rechtsfehlerhaft. Denn nur dieses durch - dem Abschervorgang nachfolgenden -
Baadern erzeugte Produkt sei das Endprodukt, das die Klägerin tatsächlich in den
Verkehr bringe. Rechtsgrundlage der angefochtenen Ordnungsverfügung sei § 6 Abs. 3
LMKV i. V. m. § 11 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 LFGB. Eine von der Kennzeichnung der
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Erzeugnisse als Separatorenfleisch abweichende Bezeichnung verstoße gegen diese
Kennzeichnungsvorschriften. Das Gericht könne aus eigener Sachkunde die Eignung
der abweichenden Bezeichnung zur Täuschung feststellen, insbesondere bedürfe es
keiner Feststellung der Verbrauchererwartung durch ein Umfragegutachten, denn
Schwierigkeiten in der Beurteilung, ob diese Bezeichnung für den
Durchschnittsverbraucher irreführend sei, lägen nicht vor. Das Gericht sei davon
überzeugt, dass die von der Klägerin für das Separatorenfleisch gewählte Bezeichnung
die Gefahr berge, dass die Erzeugnisse an zur Weiterverarbeitung von
Separatorenfleisch nicht zugelassene Betriebe verkauft würden. Diese Bezeichnung sei
auch geeignet, in einem Durchschnittsverbraucher, der sich über die Zutaten des
Fleischprodukts anhand des Etiketts informiere, die - falsche - Vorstellung erwecke, zur
Herstellung des Enderzeugnisses sei ein höherwertiges Produkt verwendet worden.
Das Gericht halte das Ergebnis für eindeutig. Ein Anlass zur Vorlage an den EuGH
bestehe deshalb nicht.
Die dagegen erhobenen Einwände zeigen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der
angefochtenen Entscheidung nicht auf.
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Die Ordnungsverfügung findet ihre Ermächtigungsgrundlage in § 39 Abs. 2 Satz 1
i. V. m. § 11 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 LFGB. Nach § 39 Abs. 2 Satz 1 LFGB treffen die
zuständigen Behörden die notwendigen Anordnungen und Maßnahmen, die zur
Feststellung oder Ausräumung eines hinreichenden Verdachts eines Verstoßes oder
zur Beseitigung festgestellter Verstöße oder zur Verhütung künftiger Verstöße sowie
zum Schutz vor Gefahren erforderlich sind. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 LFGB ist es
verboten, Lebensmittel unter irreführender Bezeichnung, Angabe oder Aufmachung in
den Verkehr zu bringen. Eine Irreführung liegt nach § 11 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LFGB
insbesondere dann vor, wenn bei einem Lebensmittel zur Täuschung geeignete
Bezeichnungen, Angaben, Aufmachungen, Darstellungen oder sonstige Aussagen über
Eigenschaften, insbesondere über Art, Beschaffenheit, Zusammensetzung, Menge,
Haltbarkeit, Ursprung, Herkunft oder Art der Herstellung oder Gewinnung verwendet
werden.
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Die Tatbestandsvoraussetzungen der den Beklagten zum Einschreiten berechtigenden
Befugnisnorm des § 39 Abs. 2 Satz 1 LFGB sind erfüllt. Durch die Bezeichnungen ihrer
Erzeugnisse als "SA-Fleisch II Baader", "SA-Fleisch II B" und "SW-Fleisch I SB" sowie
die diesen jeweils beigefügten Materialbeschreibungen, in denen es heißt:
"Gebaadertes, kleinstückiges Saumagerfleisch mit wenig Bindegewebe. ..." oder
"Gebaadertes (3 mm), kleinstückiges Magerfleisch mit wenig Bindegewebe. ...", verstößt
die Klägerin gegen die Verbotsnorm des § 11 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 LFGB.
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Entgegen der Auffassung der Klägerin finden diese Vorschriften auch Anwendung,
obwohl sie ihre Erzeugnisse nicht an den Endverbraucher, sondern an
weiterverarbeitende Unternehmen veräußert, diese den Herstellungsprozess ihrer
Erzeugnisse kennen und tatsächlich keinem Irrtum über deren Zusammensetzung und
Herstellung unterliegen. Das Irreführungsverbot verfolgt den Zweck, jeden Abnehmer
von Lebensmitteln vor Irreführung und Täuschung zu schützen. Es setzt nicht voraus,
dass die konkrete Bezeichnung des Lebensmittels oder die Angaben darüber im
Einzelfall tatsächlich zu einer Täuschung oder gar Schädigung des Abnehmers führen.
Vielmehr sind alle Bezeichnungen, Angaben oder Aufmachungen irreführend, die
geeignet sind, bei dem in Frage kommenden Abnehmerkreis eine falsche Vorstellung
über die tatsächlichen Verhältnisse hervorzurufen. Grundsätzlich ist für die Frage, ob
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Lebensmittel unter irreführenden Bezeichnungen, Angaben oder Aufmachungen in den
Verkehr gebracht werden, auf die allgemeine Verkehrsauffassung abzustellen. Die
Berücksichtigung der Verkehrsauffassung ist aber unzulässig, wenn die inhaltliche
Bedeutung einer Kennzeichnung, Angabe oder Aufmachung oder die Beschaffenheit
eines Lebensmittels gesetzlich normiert ist. Gesetzliche Vorschriften einschließlich der
auf Gesetz beruhenden Vorschriften in Rechtsverordnungen haben Vorrang. Denn
Normierungen in Rechtssätzen sind allgemeinverbindlich, was zur Folge hat, dass ein
etwa abweichender Handelsbrauch oder eine entgegenstehende Verkehrsauffassung
rechtlich unbeachtlich ist.
Vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 10. August 2006 11 ME 74/05 -, LRE 53,
410 ff = juris; Zipfel/ Rathke, Lebensmittelrecht, Kommentar,
Loseblattsammlung, 139. Ergänzungslieferung, Bd. II, C 102, § 11 LFBG
Rdnr. 15, 78, 265, 283 m. w. N.; Meyer in: Meyer/Streinz, LFGB
·
Kommentar, § 11 Rdnr. 16 – 18.
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Die bereits aufgeführten Bezeichnungen der Erzeugnisse sowie die Angaben über
deren Art, Beschaffenheit sowie Zusammensetzung und deren Herstellung in den
jeweils beigefügten Materialbeschreibungen weichen von der in der in Anhang I Nr. 1.14
der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 allgemein verbindlich getroffenen Bestimmung
solcher Erzeugnisse als Separatorenfleisch ab. Danach wird Separatorenfleisch als ein
Erzeugnis definiert,
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"das durch Ablösung des an fleischtragenden Knochen nach dem Entbeinen bzw. an
den Geflügelschlachtkörpern haftenden Fleisches auf maschinelle Weise so gewonnen
wird, dass die Struktur der Muskelfasern sich auflöst oder verändert wird".
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Die von der Klägerin in den Verkehr gebrachten Erzeugnisse sind gemessen an dieser
verbindlichen gemeinschaftsrechtlichen Regelung als Separatorenfleisch einzustufen.
Sie unterfallen der dortigen Definition. Aus deren Wortlaut ergeben sich drei wesentliche
Voraussetzungen für das Vorliegen von Separatorenfleisch: Die Ablösung des
Fleisches von den fleischtragenden Knochen erfolgt nach dem Entbeinen bzw. bei
Geflügel an deren Karkassen, also nach dem Prozess der eigentlichen
Fleischgewinnung. Diese Restfleischgewinnung muss maschinell geschehen. Die
Auflösung oder Veränderung der Struktur der Muskelfasern ist durch die maschinelle
Ablösung verursacht.
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Die Produkte der Klägerin, von ihr (und wohl auch nach dem Handelsbrauch) als 3 mm-
Fleisch bezeichnet, erfüllen die Voraussetzungen dieser Definition.
14
Das 3 mm-Fleisch wird unstreitig nach dem Entbeinen gewonnen.
15
Die Restfleischgewinnung von den fleischtragenden Knochen geschieht maschinell und
zwar in zwei Schritten, nämlich zunächst durch Ablösung des den Knochen
anhaftenden Fleisches mittels einer Kolbenpresse der Marke "Townsend DMM - 50"
und sodann durch Bearbeitung in einer so genannten Baadermaschine.
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Dem kann die Klägerin nicht mit Erfolg entgegenhalten, das 3 mm-Fleisch falle schon
wegen des zweistufigen Herstellungsvorgangs in unterschiedlichen Maschinen nicht
unter die gemeinschaftsrechtliche Begriffsbestimmung, der Ablöseprozess werde
schließlich bereits in der Kolbenpresse durchgeführt und abgeschlossen, der Wortlaut
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der Definition gehe aber davon aus, dass die Veränderung bzw. Auflösung der Struktur
der Muskelfasern durch ein (einheitliches) maschinelles Ablösen verursacht werde.
Gegen dieses Verständnis der Definition spricht der Erwägungsgrund 20 der
Verordnung. Dieser lautet:
"Die Definition sollte so allgemein gefasst sein, dass sie alle Verfahren des
mechanischen Ablösens abdeckt. Die rasche Entwicklung in diesem Bereich lässt eine
flexible Definition angebracht erscheinen. Ausgehend von einer Risikobewertung für die
aus den unterschiedlichen Verfahren resultierenden Erzeugnisse sollten sich jedoch die
technischen Anforderungen für Separatorenfleisch voneinander unterscheiden."
18
Zweck der einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung vorangestellten Erwägungsgründe
ist es, die wichtigsten Bestimmungen des verfügenden Teils der Regelung zu
begründen, ohne deren Wortlaut wiederzugeben oder zu paraphrasieren. Sie dürfen
allerdings keine Bestimmungen mit normativen Gehalt enthalten.
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Vgl. hierzu Nr. 10. des Gemeinsamen Leitfadens des Europäischen
Parlaments, des Rates und der Kommission, www.eur-
lex.europa.eu/de/techleg/10-htm.
20
Ausgehend hiervon lässt sich dem Erwägungsgrund 20 zunächst entnehmen, dass der
Gemeinschaftsverordnungsgeber die Definition des Separatorenfleisches möglichst weit
gefasst wissen wollte. Satz 1 des Erwägungsgrundes 20 macht insbesondere deutlich,
dass mit den Begriffen "auf maschinelle Weise" jegliches Verfahren der maschinellen
Ablösung – also unabhängig von der Art, der Arbeitsweise, der Anzahl der eingesetzten
Maschinen oder der durch diese vorgegebenen Arbeitsschritte – gemeint ist.
21
Zu Unrecht nimmt die Klägerin an, Satz 1 des Erwägungsgrundes könne nicht zur
Auslegung der Legaldefinition des Separatorenfleisches herangezogen werden und sei
im Übrigen sprachlich ungenau, was dazu führe, dass auch das durch manuellen
Knochenputz gewonnene Fleisch als Separatorenfleisch angesehen werden müsse,
weil dieses durch "mechanisches" Ablösen gewonnen werde. Zwar ist es zutreffend,
dass im Erwägungsgrund von einem "mechanischen" und nicht wie in Anhang I Nr. 1.14
von einem "maschinellen" Ablösen die Rede ist. Hierbei handelt es sich aber nicht um
eine bewusst unterschiedliche Bezeichnung, sondern wohl allein um eine
Ungenauigkeit in der Übersetzung. In der englischen Fassung ist in Satz 1 des
Erwägungsgrundes von einer "mechanical separation" die Rede und in Anhang I
Nr. 1.14 heißt es ebenfalls "mechanical means"; gleichermaßen verhält es sich in der
französischen Fassung; dort lautet es im Erwägungsgrund 20 "séparation mécanique"
und in Anhang I Nr. 1.14 "moyens mécaniques". Im Englischen kann der Begriff
"mechanical" mit "mechanisch" oder aber mit "maschinell" übersetzt werden. Auch im
Französischen bedeutet "mécanique" "mechanisch" oder "maschinell". Aus dem
Gesamtzusammenhang und Sinn und Zweck der Regelung ist eindeutig zu schließen,
dass (auch) in der englischen wie in der französischen Fassung im Erwägungsgrund
und unter Nr. 1.14 jeweils der "maschinelle" Ablösevorgang gemeint ist; denn
Separatorenfleisch ist ein auf maschinellem Wege gewonnenes Produkt.
Dementsprechend kann die deutsche Fassung des Erwägungsgrundes auch nur
dahingehend zu verstehen sein.
22
Es kommt auch nicht darauf an, ob sich ihr Herstellungsverfahren - so wie die Klägerin
dies meint - grundlegend vom dem in den bislang für die Herstellung von
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Separatorenfleisch eingesetzten, mit hohen Drücken arbeitenden Maschinen
unterscheidet. Durch den bereits zitierten Satz 2 des Erwägungsgrundes 20 wird klar,
dass nach dem Willen des Gemeinschaftsverordnungsgebers auch weiterentwickelte
Restfleischgewinnungstechnologien unter die Definition des Separatorenfleisches fallen
sollten.
Durch die maschinelle Ablösung des Restfleisches von den Knochen mittels der von der
Klägerin eingesetzten Maschinen wird auch das weitere Tatbestandsmerkmal der
Begriffsbestimmung, nämlich das der Auflösung oder Veränderung der Strukturen der
Muskelfasern, erfüllt. Die vom Ablösevorgang betroffene quergestreifte
Skelettmuskulatur setzt sich aus zahlreichen Muskelfaserbündeln zusammen, die
wiederum aus bis zu mehreren Zentimeter langen Muskelfasern bestehen und die an
ihren Enden über Sehnen am Skelett befestigt sind. Die Muskelfaser ist eine vielkernige
Zelle, die aus in Längsrichtung verlaufenden Strukturen, den so genannten Myofribrillen,
aufgebaut ist; diese setzen sich wiederum aus fadenförmigen Proteinen, den so
genannten Myofilamenten, zusammen. In den Myomeren oder Sarkomeren, den
kleinsten kontraktilen Einheiten des Muskels, sind zwei Arten von Myofilamenten
(Aktinfilamente und Myosinfilamente) alternierend und überlappend angeordnet und für
die Durchführung der Muskelkontraktion verantwortlich. Durch diese Anordnung ergibt
sich auch das Querstreifungsmuster der Muskulatur.
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Vgl. hierzu Pschyrembel, 261. Auflage, Stichworte: Muskelgewebe,
Myofibrillen, Myomere; Wikipedia, Stichworte: Skelettmuskel, Muskelfaser,
Muskelfibrille, www.wikipedia.org; DocCheck Flexion,
25
Stichworte: Myofilamente, Sarkomere, www.flexion.doccheck.com;
MedizInfo®Rücken, Stichwort: Aufbau des Muskelgewebes,
www.medizinfo.de; s. auch Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR),
Separatorenfleisch: Der Grad der Veränderung der Muskelfaserstruktur ist
für die Einstufung unerheblich, Stellungnahme Nr. 038/2006 des BfR vom
16. Juni 2006, S. 3; Dr. G. Anhalt, Niedersächsisches Ministerium für den
ländlichen Raum, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz,
Hannover, Separatorenfleisch im neuen EG-Lebensmittelrecht, in: Journal
für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, Dezember 2006, dort
unter Nr. 3 Muskelfaser; s. im Übrigen hierzu auch das von der Klägerin zu
den Akten gereichte Gutachten des Instituts Dr. Erdmann vom 11.
September 2007 dort unter 4. Wissenschaftliche Begriffsdefinition der
Muskelfaser.
26
Ausgehend hiervon liegt es auf der Hand, dass beim Ablösen des Fleisches von den
Skelettknochen immer ein Eingriff in die Struktur der Muskelfasern gegeben ist,
unabhängig davon, ob das Ablösen maschinell oder mechanisch erfolgt. Denn jeder
(noch so kleine) Schnitt in die Skelettmuskulatur führt – angesichts der dargestellten
Muskelfaserstruktur schon denknotwendig – zu einer Veränderung dieser für die
Muskelfasern spezifischen Struktur. Dies gilt erst recht bei höheren Zerkleinerungs- und
Deformationsgraden des Skelettmuskulaturfleisches, wie sie beim so genannten 3 mm-
Fleisch erreicht werden. Es liegt nahe, dass bereits der maschinelle Abschervorgang in
der Townsend MMD - 50 Maschine, in der die fleischtragenden Knochen bei einem
Druck von 40 bis 80 bar gegeneinander geschert werden, eine Strukturveränderung der
Muskelfasern verursacht. Denn bei einem solchen Schervorgang sind wohl –
unabhängig vom eingesetzten Druck - Einscherungen in das Muskelfleisch nicht zu
27
verhindern. Das anschließende Baadern, bei dem das Muskelfleisch weiter zerkleinert
und durch eine 3-mm-Scheibe gepresst wird, führt jedenfalls zu einer Veränderung der
spezifischen Struktur der teilweise mehrere Zentimeter langen Muskelfasern und in
Teilen auch zu einer Auflösung von deren quergestreifter Struktur.
Vgl. hierzu auch Dr. A. Pastari, Chemisches und
Veterinäruntersuchungsamt Freiburg, Separatoren-fleisch; Veränderung der
Struktur der Muskelfasern in: Journal für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit, Dezember 2006 und i. d. S. auch Gutachten des
Instituts Dr. Erdmann, a. a. O., unter 5. Einfluss von Zerkleinerungsverfahren
auf die Struktur der Muskelfaser, wonach mit zunehmendem Zerkleinerungs-
bzw. Deformationsgrad die Struktur der Muskelfaser verändert wird und der
Vorgang der Strukturauflösung direkt proportional mit zunehmendem
Zerkleinerungsgrad steigt.
28
Der Grad der Veränderung oder Auflösung der Muskelfaserstruktur ist für die Erfüllung
der Tatbestandsvoraussetzungen der Definition ohne Belang. Zwar mag es sein, dass
die Muskelfaserstruktur bei dem mittels der mit niedrigerem Druck arbeitenden
Townsend MMD - 50 Maschine gewonnenen Restfleisch geringer verändert wird, als
dies bei den sonst üblichen Verfahren der Herstellung von Separatorenfleisch der Fall
ist. Eine Differenzierung nach dem Grad der Veränderung oder Auflösung der
Muskelfaserstruktur lässt sich aber weder dem Wortlaut der Begriffsdefinition noch der
Begründung in Erwägungsgrund 20 entnehmen. Danach ist vielmehr davon
auszugehen, dass jegliche Veränderung der Struktur der Muskelfasern ausreicht. Denn
der Verordnungsgeber hat nicht den Begriff der Muskelzellstruktur verwandt (der
ohnehin nicht zielführend gewesen wäre, weil die Muskelzellen der Skelettmuskulatur
als Muskelfasern bezeichnet werden) oder zwischen der Zerstörung der Zellmembran
oder deren Fragmentierung, der Veränderung oder Zerstörung der Querstreifung oder
der Verlagerung der Zellkerne differenziert, sondern auf die Muskelfaserstruktur in ihrer
Gesamtheit abgestellt. Insofern spielt es auch keine Rolle, dass sich - wie die Klägerin
dies unter Bezugnahme auf verschiedene Publikationen von Sachverständigen meint –
solche Strukturveränderungserscheinungen mikroskopisch quantifizieren und
gegebenenfalls mit einem Grenzwert vergleichen lassen. Denn aus der umfassenden
Einbeziehung aller Verfahren und der Formulierung der Separatorenfleischdefinition
ergibt sich, dass es nicht auf die (nur mikroskopisch feststellbare) Veränderung der
Feinstruktur der Muskelfasern oder gar den Umfang von deren Veränderung ankommt,
sondern dass allein die durch die maschinelle Ablösung verursachte (makroskopisch
feststellbare) Veränderung der Grobstruktur der Muskelfasern ausreicht.
29
Vgl. hierzu auch Dr. A. Pastari, a. a. O.; BfR, a. a. O.
30
Der in diesem Zusammenhang durch die Klägerin bzw. das Institut Dr. F. gezogene
Vergleich zur Hackfleischherstellung ist verfehlt. Denn selbst wenn es bei dieser Art der
Fleischherstellung zu einer gleichartigen oder sogar stärkeren Veränderung der
Muskelfaserstrukturen kommen sollte, als dies bei der Herstellung des 3 mm-Fleisches
der Fall ist, kann diese Fleischart von vornherein nicht unter den Begriff des
Separatorenfleisches subsumiert werden. Denn Hackfleisch wird nach der Definition in
Anhang I Nr. 1.13 der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 aus entbeintem Fleisch, das durch
Hacken zerkleinert wird und nicht – wie aber das Separatorenfleisch - aus Fleisch
hergestellt, welches den Knochen nach dem Entbeinen noch anhaftet und infolge des
Ablösevorgangs zerkleinert wird. Gleichermaßen verhält es sich mit sonst maschinell
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gewonnenem Fleisch. Auch ein bspw. vom Knochen maschinell abgelöstes
zusammenhängendes Fleischstück wird nicht dadurch Separatorenfleisch, dass die
maschinelle Ablösung zu einer Strukturveränderung der Muskelfasern führt. Denn die
Ablösung von zusammenhängenden Fleischstücken ist dem originären Prozess der
Fleischgewinnung und nicht dem diesem erst nachfolgenden Prozess der
Restfleischgewinnung zuzuordnen.
Rechtlich unbeachtlich ist auch, ob das von der Klägerin "schonend" mit niedrigem
Druck hergestellte Erzeugnis von höherer Qualität ist, als das unter Einsatz von
höherem Druck gewonnene Separatorenfleisch. Die unterschiedliche Qualität von
Separatorenfleisch führt lediglich zu Veränderungen der Hygienebedingungen und der
Verwendungsmöglichkeiten dieses Fleisches (vgl. Anhang III Abschnitt V Kapitel III Nr.
3 Buchstabe d), Anhang III Abschnitt V Kapitel III Nr. 3, Anhang III Abschnitt V Kapitel III
Nr. 4 und Anhang III Abschnitt V Kapitel II Nr. 1. bis 3. Verordnung (EG) Nr. 853/2004
sowie die Begründung dazu in dem bereits zitierten Satz 3 des Erwägungsgrundes 20).
32
Vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 28. März 2007 – 13 B 2254/06 -,
juris.
33
Der Frage, ob eine maschinelle Restfleischgewinnung überhaupt aus dem
Anwendungsbereich der gemeinschaftsrechtlichen Begriffsbestimmung des
Separatorenfleisches fallen kann, bedarf aus Anlass des Falls der Klägerin keiner
weiteren Vertiefung. Denn in dem bei der Klägerin erzeugten, durch das Chemische-
und Veterinäruntersuchungsamt Ostwestfalen beprobten 3 mm-Fleisch befanden sich
histologisch nachgewiesen – in ihrer Struktur aufgelöste oder veränderte Muskelfasern.
34
Auch die Behauptung der Klägerin, die Europäische Kommission sei inzwischen von
der Einordnung des 3 mm-Fleisches als Separatorenfleisch abgerückt, zudem hätten die
Vertreter der Kommission bei einer Besichtigung ihres Betriebs offen zugegeben, bei
Erlass der Definition 3 mm-Fleisch nicht vor Augen gehabt zu haben, ändert nichts an
der Einschätzung des Senats. Zum einen hat die Klägerin keine Belege für ihre
Behauptung vorgelegt, zum anderen geht die Europäische Kommission in ihren
Stellungnahmen vom 20. Oktober 2006 - SANCO/E2/RG/ca D (2006) S 21067 - und
vom 23. März 2009 - SANCO/E3/BJ/TC/TEG//rzD (2009) 520123 – selbst davon aus,
dass sie im Rahmen ihrer derzeitigen rechtlichen Möglichkeiten Separatorenfleisch
unabhängig vom Produktionsverfahren nur als Separatorenfleisch bezeichnen könne.
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Die von der Klägerin geltend gemachte unterschiedliche Anwendungspraxis der
gemeinschaftsrechtlichen Definition in Niedersachsen und in Nordrhein-Westfalen führt
ebenfalls zu keinem anderen Ergebnis. Abgesehen davon, dass der Begriff des
Separatorenfleisches von den niedersächsischen Behörden jedenfalls im Verhältnis zu
den Erzeugern des 3 mm-Fleisches (heute) offenbar keiner anderen Handhabung
unterliegt als in Nordrhein-Westfalen,
36
vgl. hierzu Nds. OVG, Beschluss vom 23. Juli 2009 13 LA 150/08 -, juris,
wonach nach der in Niedersachsen geltenden Erlasslage den Interessen
der fleischverarbeitenden Industrie zur Vermeidung von
Wettbewerbsnachteilen in der Weise Rechnung getragen werde, dass die
Kennzeichnungspflicht lediglich im Verkehr zwischen den Erzeugern des 3
mm-Fleisches und den Verarbeitern, nicht aber gegenüber dem
Endverbraucher durchgesetzt werde,
37
begründete einen unterschiedliche Auslegungspraxis keinen Verstoß gegen den
Gleichheitssatz.
38
Vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 28. März 2007 - 13 B 2254/06 -, a. a.
O., m.w.N.
39
Unbeachtlich ist auch, dass Lebensmittelbehörden anderer europäischer
Mitgliedsstaaten (wie bspw. in Belgien, in den Niederlanden oder in Großbritannien) die
gemeinschaftsrechtliche Definition des Separatorenfleisches anders auszulegen und
das 3 mm-Fleisch nicht als Separatorenfleisch zu qualifizieren scheinen. Eine derartige
Verwaltungspraxis in anderen Mitgliedstaaten führt nicht zu einem Anspruch auf
Gleichbehandlung im Unrecht.
40
Vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 28. März 2007 – 13 B 2254/06 -, a. a.
O.; Nds. OVG, Beschlüsse vom 23. Juli 2009 – 13 LA 150/08 -, a. a. O. und
vom 8. Juli 2008 – 13 LA 7/08 -, juris.
41
42
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils liegen nicht deshalb vor, weil das
Verwaltungsgericht als Rechtsgrundlage für die angefochtene Ordnungsverfügung
neben den Vorschriften aus dem LFGB zudem auf § 6 Abs. 3 LMKV abgestellt hat. Zwar
ist der Klägerin insoweit zustimmen, dass diese Verordnung keine Anwendung finden
dürfte. Nach § 1 Abs. 1 LMKV gilt die Verordnung für die Kennzeichnung von
Lebensmitteln in Fertigpackungen i. S. d. § 6 Abs. 1 EichG, die dazu bestimmt sind, an
den Verbraucher (§ 3 Nr. 4 LFGB), also den Endverbraucher, abgegeben zu werden.
Hier geht es aber nicht um die Abgabe der Produkte in Fertigpackungen an den
Endverbraucher, sondern um die Abgabe des Erzeugers an weiterverarbeitende
Betriebe.
43
Ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr.1 VwGO ergibt sich daraus indessen nicht.
Denn Zweifel an der Richtigkeit des Urteils liegen nicht vor, wenn zwar einzelne
Rechtssätze oder tatsächliche Feststellungen, welche das Urteil tragen, zu Zweifeln
Anlass bieten, das Urteil aber im Ergebnis - wie hier - aus anderen Gründen
offensichtlich richtig ist.
44
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. März 2004 – 7 AV 4.03 -, DVBl. 2004, 838
= juris.
45
Die Klägerin rügt auch zu Unrecht, die Frage, ob sich bei der Herstellung des 3 mm-
Fleisches die Struktur der Muskelfasern verändere oder auflöse, habe sich der eigenen
Sachkunde des Verwaltungsgerichts entzogen, insbesondere habe das Gericht nicht
ohne weiteres auf die Auffassung des Beklagten und des Bundesinstituts für
Risikobewertung abstellen dürfen, obwohl eine Vielzahl von sachverständigen
Äußerungen zu einem anderen Ergebnis komme. Zum einen lagen dem
Verwaltungsgericht die oben bereits angeführten durch das Chemische- und
Veterinäruntersuchungsamt Ostwestfalen angefertigten Untersuchungsergebnisse vor,
wonach in Proben des bei der Klägerin erzeugten 3 mm-Fleisches
Muskelfaserstrukturveränderungen festgestellt worden waren. Zum anderen gehen auch
sachverständige Äußerungen von einer Veränderung der Muskelfaserstruktur aus. So
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führt das Institut Dr. F. in dem bereits erwähnten Gutachten unter "6. Einordnung des
3 mm Schweinefleisches aufgrund der Muskelstruktur" aus: "Wie beim Zerkleinern mit
einem Fleischwolf oder anderen Schneid- oder Transportwerkzeugen wie es z. B. bei
der industriellen Herstellung von Hackfleisch üblich ist, werden die Muskelfasern im
AMRS – Verfahren (gemeint ist das von der Klägerin verwendete Verfahren) in Quer-
und Längsrichtung bis auf die endgültige Kalibrierung zerkleinert, zwangsläufig
technologisch bedingt ist hiermit die morphologische Veränderung gegenüber der
physiologischen Norm nachweisbar." Die Beurteilung, ob das 3 mm-Fleisch (angesichts
der auch vom Institut Dr. F. feststellten Muskelfaserstrukturveränderung)
Separatorenfleisch i. S. d. gemeinschaftsrechtlichen Definition ist, entzieht sich der
Sachkunde eines Sachverständigen. Diese Frage kann vielmehr nur Gegenstand einer
dem Gericht vorbehaltenen rechtlichen Bewertung sein, nämlich - wie geschehen -
durch Subsumtion unter die Tatbestandsvoraussetzungen der gemeinschaftsrechtlichen
Begriffsdefinition.
Es bestehen auch nicht deshalb ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des
erstinstanzlichen Urteils, weil das Verwaltungsgericht kein
Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 des am 1. Dezember 2009 in Kraft
getretenen Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union - AEUV - (vormals
Art. 234 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft - EG -) eingeleitet
hat. Nach Art. 267 Abs. 3 AEUV (vormals Art. 234 Abs.3 EG) besteht die Verpflichtung
zur Vorlage nur für das letztinstanzliche Gericht, also nicht für das Verwaltungsgericht.
47
Auch der Senat als im Rahmen des Berufungszulassungsverfahrens letztinstanzliches
Gericht verneint eine Verpflichtung zur Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens
nach Art. 267 Abs. 3 AEUV. Eine Vorlage kann unterbleiben, wenn die Auslegung und
richtige Anwendung der in Frage stehenden EG-Vorschrift offensichtlich ist.
48
Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., § 94 Rdnr. 21 m. w. N.; Dörr in:
Sodan/Ziekow, VwGO, Kommentar, 3. Auflage, EVR Rdnr. 128 m. w. N.; so
auch Nds. OVG, Beschluss vom 23. Juli 2009 - 13 LA 150/08 -, a. a. O.
49
Das ist hier der Fall. Der Senat hegt keine Zweifel hinsichtlich der richtigen Auslegung
und Anwendung des gemeinschaftsrechtlichen Begriffs des Separatorenfleisches.
Diese Auffassung wird auch durch andere dazu ergangene obergerichtliche
Rechtsprechung,
50
Vgl. Nds. OVG, Beschlüsse vom 23. Juli 2009 13 LA 150/08 -, a. a. O., vom
8. Juli 2008 13 LA 7/08 –, a. a. O. und vom 10. August 2008 11 ME 75/04 -,
a. a. O.,
51
und die bereits zitierten Stellungnahmen der Europäischen Kommission bestätigt.
52
Die Berufung ist nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten
(§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen. Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt
sich, dass Schwierigkeiten solcher Art, die eine Durchführung eines
Berufungsverfahrens erfordern könnten, nicht vorliegen.
53
Die Rechtssache hat ferner keine grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage ist nach der dargestellten
Rechtsprechung als geklärt anzusehen ist
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Auch der geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) liegt nicht vor.
Für das Verwaltungsgericht als nicht letztinstanzliches Gericht hat eine Vorlagepflicht
nach Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht bestanden.
55
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
56
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 52 Abs. 1 GKG.
57
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
58