Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 25.11.2010

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Oberverwaltungsgericht NRW, 13 B 1472/10
Datum:
25.11.2010
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 B 1472/10
Tenor:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Be-schluss des
Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 8. Oktober 2010 wird
zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfah-ren auf 5.000,-- Euro
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die zulässige Beschwerde, über die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO nur im
Rahmen der fristgerechten Darlegungen des Rechtsmittelführers befindet,
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hat keinen Erfolg. Der angefochtene Beschluss ist in diesem vorgegebenen
Prüfungsrahmen nicht zu beanstanden. Das Beschwerdevorbringen der Antragstellerin
rechtfertigt nicht, ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel
der Zulassung zum Studium der Tiermedizin gemäß dem zum Wintersemester
2010/2011 gestellten Zulassungsantrag stattzugeben.
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Die Antragstellerin stützt ihre Beschwerde im Wesentlichen darauf, sie habe ein
Fachhochschulstudium im Studiengang "Soziale Arbeit" absolviert, um auf diesem Weg
die Allgemeine Hochschulreife zu erlangen und an einer Universität Tiermedizin
studieren zu können. Die Übernahme der tierärztlichen Praxis ihrer Eltern würde eine
erhebliche Verbesserung ihrer beruflichen Situation als Sozialpädagogin mit sich
bringen.
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Hiervon ausgehend kann die Beschwerde keinen Erfolg haben. Das Begehren, ein
Zweitstudium aufzunehmen, wird nach Maßgabe des § 17 der Verordnung über die
zentrale Vergabe von Studienplätzen durch die Stiftung für Hochschulzulassung
(VergabeVO Stiftung) vom 18. Mai 2010 behandelt. Danach besteht für die Aufnahme
eines Zweitstudiums ein eigener Zugangsweg. Zwar kann auch derjenige, der bereits
ein Studium abgeschlossen hat, grundsätzlich die Möglichkeit wahrnehmen, ein
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weiteres Studium aufzunehmen. Verschärfte Zulassungsbedingungen nach § 17
VergabeVO Stiftung finden ihre Rechtfertigung aber darin, dass sich dieser Bewerber
bereits durch eine Ausbildung im Hochschulbereich die Grundlage für eine berufliche
Tätigkeit geschaffen hat. Der verfassungsrechtlich gewährleistete Anspruch auf
Zulassung zum Studium der Wahl wird durch den Abschluss eines Erststudiums nicht
verbraucht. Das Grundrecht der freien Berufswahl umfasst daher auch einen
Berufswechsel als Akt freier Selbstbestimmung; wegen des inneren Zusammenhangs
von Berufswahl und Berufsausübung gilt insoweit das Gleiche für die Ausbildung zu
einem weiteren Beruf.
Vgl. BVerfG, Urteil vom 8. Februar 1977 1 BvF 1/76 u. a. , BVerfGE 43, 291
= NJW 1977, 569, 575; Beschluss vom 3. November 1982 1 BvR 900/78 ,
BVerfGE 62, 117 = NVwZ 1983, 277, 278.
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In Studiengängen mit Zulassungsbeschränkungen ist die Zulassung zu einem
Zweitstudium auf eine Sonderquote allerdings gerechtfertigt beschränkt; der Ausschluss
von Zweitstudienbewerbern von den generellen Kriterien des allgemeinen oder
besonderen Auswahlverfahrens ist mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar.
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Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 27. März 2008 13 B 310/08 , juris, vom
23. April 2009 13 B 269/09 -, NVwZ-RR 2009, 682, und vom 16. Februar
2010 - 13 B 1808/09 -, juris; Bahro/Berlin, Das Hochschulzulassungsrecht in
der Bundesrepublik Deutschland, 4. Aufl. 2003, § 23 Vergabeordnung Rn. 1.
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Bewerber für ein Zweitstudium werden nicht im Rahmen der Quoten nach § 6 Abs. 3 bis
5 VergabeVO Stiftung ausgewählt (§ 17 Abs. 1 VergabeVO Stiftung). Die Rangfolge
wird durch eine Messzahl bestimmt, die aus dem Ergebnis der Abschlussprüfung des
Erststudiums und dem Grad der Bedeutung der Gründe für das Zweitstudium ermittelt
wird. Die Einzelheiten der Ermittlung der Messzahl ergeben sich aus Anlage 3 zur
VergabeVO Stiftung (§ 17 Abs. 2 Satz 1 und 2 VergabeVO Stiftung). Nach Abs. 1 der
Anlage 3 ist die Messzahl die Summe der Punktzahlen, die für das Ergebnis der
Abschlussprüfung des Erststudiums und für den Grad der Bedeutung der Gründe für das
Zweitstudium vergeben werden. Hiernach hat die Antragsgegnerin die für die
Bewerbung der Antragstellerin maßgebliche Messzahl zutreffend ermittelt.
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Da die Antragstellerin das Fachhochschulstudium mit dem Gesamturteil "gut" absolviert
hat, waren hierfür 3 Punkte zu vergeben (Abs. 2 Nr. 2 der Anlage 3). Den Grad der
Bedeutung der Gründe für das Zweitstudium hat die Antragsgegnerin in rechtlich nicht
Anlage 3 anerkannter Grund gegeben ist.
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Für den Grad der Bedeutung der Gründe für das Zweitstudium wird zwischen
"zwingenden beruflichen" (9 Punkte) sowie "wissenschaftlichen" (7 – 11 Punkte),
"besonderen beruflichen" (7 Punkte) und "sonstigen beruflichen Gründen" (4 Punkte)
,
Berufswechsel ohne Bezug zur bisherigen Ausbildung anstrebt, erhält einen Punkt.
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Unstreitig liegen hier weder zwingende berufliche noch wissenschaftliche Gründe für
ein Zweitstudium der Antragstellerin vor. Auch besondere berufliche Gründe bestehen
nicht. Diese sind nur gegeben, wenn die berufliche Situation dadurch erheblich
verbessert wird, dass der Abschluss des Zweitstudiums das erste Studium sinnvoll
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ergänzt (Abs. 3 Nr. 3 der Anlage 3), also eine Doppelqualifikation angestrebt wird,
was hier nicht der Fall ist .
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Es scheidet auch eine Zuordnung zur Fallgruppe 4 des Abs. 3 der Anlage 3 aus.
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Sonstige berufliche Gründe liegen vor, wenn das Zweitstudium aufgrund der beruflichen
Situation aus sonstigen Gründen zu befürworten ist; in diesem Fall werden 4 Punkte
vergeben. Die Fallgruppe 4 hat der Verordnungsgeber in der Erkenntnis geschaffen,
dass die nach einem Erststudium erreichte berufliche Situation durch ein Zweitstudium
auch ohne inhaltliche Berührung beider Studiengänge und daher ohne - sinnvolle -
Ergänzung des Erststudiums durch das Zweitstudium faktisch verbessert werden kann,
dass mithin das Raster der Fallgruppen 3 ("besondere berufliche Gründe") und 5
("keiner der vorgenannten Gründe") zu grob sei.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23. April 2009 13 B 269/09 -, a. a. O.
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Die Schaffung der Fallgruppe 4 ist demnach Ausdruck einer verhältnismäßigen Vergabe
von Zweitstudienplätzen. Mit Rücksicht auf die nach wie vor für jeden Studienplatz
notwendigen erheblichen öffentlichen Mittel kann aber nur ein Grund in Betracht
kommen, der nicht Ausdruck eines bloßes Berufswechsels ist. Es muss deshalb eine zu
erwartende Verbesserung der beruflichen Situation des Bewerbers, die er durch das
erste Studium erreicht hat, durch das Zweitstudium zu erkennen sein. So liegt es bei der
durch ein Zweitstudium angestrebten beruflichen Veränderung aufgrund eines
Wechsels des durch das Erststudium erlangten oder erreichbaren Berufs aber nicht.
Dem schlichten Berufswechsel kommt danach keine weitere als der von der Fallgruppe
5 ("keiner der vorgenannten Gründe") mit einem Punkt versehenen Bedeutung zu.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. März 2008 13 B 310/08 , a. a. O.
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Bei Anwendung dieser Maßstäbe scheidet eine Anwendung der Fallgruppe 4 aus. Die
berufliche Situation der Antragstellerin in dem von ihr bisher erlangten oder erreichbaren
Beruf im Bereich der Sozialen Arbeit würde sich durch ein abgeschlossenes Studium im
Studiengang Tiermedizin nicht verbessern. Dass die Antragstellerin schlechterdings in
dem Bereich "Soziale Arbeit" nicht berufstätig sein kann, ist im Übrigen nicht glaubhaft
gemacht. Da sich die Bedeutung der Fallgruppe 4 hauptsächlich in der Abgrenzung zu
der Fallgruppe 5 erschließt, wobei allerdings auch ein Blick auf das System des Abs. 3
der Anlage 3 mit seiner abgestuften Punkteskala zeigt, dass nur spezifische berufliche
Gründe die Zulassung zu einem Zweitstudium rechtfertigen können, kann der bloße
Wunsch eines Berufswechsels oder eines weiteren Studiums nicht ausreichend sein,
auch wenn der Studienbewerber - wie die Antragstellerin - sich davon bessere
berufliche Perspektiven verspricht.
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Dass die Antragstellerin das Fachhochstudium nach eigenem Vorbringen nur deshalb
absolviert hat, um die Allgemeine Hochschulreife zu erlangen und das Studienfach
Tiermedizin studieren zu können, verhilft der Beschwerde gleichfalls nicht zum Erfolg.
Die Antragstellerin macht eine Berücksichtigung der Rechtssprechung des
Bundesverfassungsgerichts (vgl. insbesondere BVerfG, Beschluss vom 3. November
1982 1 BvR 900/78 , a. a. O.) geltend. Diese Entscheidungen gebieten aber keine
stärkere Gewichtung des Anliegens der Antragstellerin bei der Verwirklichung des
Zweitstudiums. Vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht - soweit hier von Belang -
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ausgeführt, dass der Gesetzgeber nicht gezwungen sei, Fachhochschulabsolventen
zulassungsrechtlich mit Abiturienten gleichzustellen und demgemäß wie
Erststudienbewerber zu behandeln. Ein gewichtiger und sachgerechter Grund für die
Ungleichbehandlung der Fachhochschulabsolventen gegenüber Abiturienten und für
die Erschwerung des Weiterstudiums sei der Umstand, dass sie durch ihr Studium
bereits einen berufsqualifizierenden Abschluss erlangt haben und demgemäß günstiger
stehen als Abiturienten (BVerfG, Beschluss vom 3. November 1982 1 BvR 900/78 ,
NVwZ 1983, 277, 280). Die Auslegung der Fallgruppe 4 bedarf daher keiner
verfassungsrechtlich gebotenen Abänderung.
Da berufsspezifische Gründe i. S. d. Abs. 3 Nr. 1 bis 4 der Anlage 3 nicht gegeben sind,
ist die Antragstellerin zutreffend der Fallgruppe 5 mit dem Wert "1 Punkt" zugeordnet
worden.
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Abschließend bleibt darauf hinzuweisen, dass die Einordnung der Gründe für das
angestrebte Zweitstudium nicht auf Dauer zur Versagung eines Tiermedizinstudiums
führt, sondern nur solange besser qualifizierte Konkurrenten die begrenzte Zahl an
Zweitstudienplätzen in dem Studiengang Tiermedizin einnehmen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertentscheidung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 1, § 52 Abs. 1, 2
GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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