Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 23.07.2007

OVG NRW: offene bauweise, aufschiebende wirkung, gebäude, verzicht, einheit, grundeigentümer, bauherr, grenzanbau, rückgriff, grenzabstand

Oberverwaltungsgericht NRW, 10 B 1090/07
Datum:
23.07.2007
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
10 B 1090/07
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 5 L 606/07
Tenor:
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des
Verwaltungsgerichts H. vom 20. Juni 2007 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5000 Euro
festgesetzt.
Gründe:
1
Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig, aber nicht begründet.
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Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, die der Senat gemäß § 146
Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, führen nicht zu einer Änderung der
angefochtenen Entscheidung, mit der das Verwaltungsgericht die aufschiebende
Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die der Beigeladenen erteilten
Baugenehmigung vom 7. Mai 2007 angeordnet hat. Das Aussetzungsinteresse der
Antragstellerin ist höher zu bewerten als das Interesse der Beigeladenen an der
Ausnutzung der Baugenehmigung, weil diese mit überwiegender Wahrscheinlichkeit
rechtswidrig ist und die Antragstellerin in ihren subjektiv-öffentlichen Nachbarrechten
verletzt.
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Das Bauvorhaben der Beigeladenen liegt nicht im Geltungsbereich eines
Bebauungsplans. Die somit nach § 34 Abs. 1 BauGB vorzunehmende Beurteilung führt
unter Auswertung des vorliegenden Karten- und Bildmaterials jedenfalls bei
summarischer Prüfung zu dem Ergebnis, dass die maßgebliche Eigenart der näheren
Umgebung durch offene Bauweise geprägt wird. Hiervon geht offenbar auch die
planungsrechtliche Beurteilung durch die Antragsgegnerin vom 11. April 2007 aus.
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Dass in der Umgebung - wie das Verwaltungsgericht ausgeführt hat - auch aneinander
gebaute Haushälften vorhanden sind, die nicht mehr den Charakter eines
Doppelhauses haben dürften, stellt die Annahme einer prägend vorhandenen offenen
Bauweise im vorliegenden Verfahren nicht durchgreifend in Frage.
Nach § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO werden in der offenen Bauweise die Gebäude mit
seitlichem Grenzabstand als Einzel-, Doppelhäuser oder Hausgruppen errichtet. Trotz
der offenen Bauweise werden Doppelhäuser begriffsnotwendig - quasi als innere
Gliederung - auf der gemeinsamen Grundstücksgrenze aneinandergebaut.
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Bei dem streitigen Bauvorhaben der Beigeladenen handelt es sich nicht um eine in der
offenen Bauweise zulässige Doppelhausbebauung. Es ist nachbarrechtswidrig. Dies
ergibt sich aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Begriff des
Doppelhauses und dem daraus folgenden Nachbarschutz. Für einen Rückgriff auf das
Gebot der nachbarlichen Rücksichtnahme it bei dieser Rechtslage kein Raum.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2000 - 4 C 12.98 -, BRS 63 Nr. 185.
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Danach entsteht ein Doppelhaus, wenn zwei Gebäude derart zusammengebaut werden,
dass sie einen Gesamtkörper bilden, dessen beide "Haushälften" in wechselseitig
verträglicher und abgestimmter Weise aneinander gebaut werden. Nicht erforderlich ist,
dass die Doppelhaushälften gleichzeitig oder deckungsgleich (spiegelbildlich) errichtet
werden. Das Erfordernis einer baulichen Einheit schließt es auch nicht aus, dass die ein
Doppelhaus bildenden Gebäude an der gemeinsamen Grundstücksgrenze zueinander
versetzt aneinandergebaut werden. In welchem Umfang die beiden Haushälften an der
Grenze zusammengebaut sein müssen lässt, sich weder abstrakt-generell noch
mathematisch-prozentual festlegen. Ausschlaggebend sind die Umstände des
Einzelfalls.
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Ausgehend von diesen Grundsätzen handelt es sich bei dem geplanten Gebäude der
Beigeladenen entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht um eine
Doppelhaushälfte. Die beiden Gebäudehälften würden sich als völlig unterschiedliche
Baukörper darstellen, wie das Verwaltungsgericht im Einzelnen dargelegt hat. Dass die
Haushälften grenzständig auf der gesamten Länge aneinandergebaut bleiben sollen,
rechtfertigt wegen der ansonsten in keiner Weise verträglichen Bebauung keine andere
Beurteilung.
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Der weitere Einwand der Antragsgegnerin, die angeführte Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts zur Doppelhausbebauung sei nicht einschlägig, ist
unbegründet. Sie macht geltend, aus dem zitierten Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts ergebe sich zwar die nachbarschützende Wirkung der
planerischen Festsetzung von Doppelhäusern in der offenen Bauweise. Eine
Übertragung dieser Grundsätze auf Baugebiete, die nach § 34 BauGB zu beurteilen
seien, könne nicht allgemeingültig erfolgen und bedürfe insbesondere im vorliegenden
Fall einer differenzierten Betrachtung. Bestehe eine planerische Festsetzung, liege für
die davon betroffenen Grundstückseigentümer klar auf der Hand, inwieweit sie ihre
Parzellen baulich nutzen könnten oder Beschränkungen vorhanden seien. Das daraus
resultierende Austauschverhältnis entspringe den klaren Festlegungen des
Bebauungsplans. Daraus folge ein schützenswertes Vertrauen der
Grundstückseigentümer in die gegenseitige Einhaltung der planerischen Vorgaben.
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Diese Differenzierung ist unzutreffend. Entscheidend ist vielmehr, dass die
Grundstückseigentümer durch die Doppelhausbebauung ein nachbarliches
Austauschverhältnis eingehen, das nicht einseitig aufgehoben oder aus dem
Gleichgewicht gebracht werden darf. Die Zulässigkeit einer Bebauung als Doppelhaus
setzt den Verzicht der Grundstückseigentümer auf seitliche Grenzabstände an der
gemeinsamen Grundstücksgrenze voraus. Dieser Verzicht bindet die benachbarten
Grundeigentümer bauplanungsrechtlich in ein Verhältnis des gegenseitigen
Interessenausgleichs ein. Ihre Baufreiheit wird zugleich erweitert und beschränkt.
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Vgl. BVerwG a.a.O.
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Ob die planungsrechtliche Grundlage für die Doppelhausbebauung aus den
Festsetzungen eines Bebauungsplans oder aus der Planersatzvorschrift des § 34
BauGB ergibt, ist insoweit ohne Belang. Dies belegen auch die Ausführungen des
Bundesverwaltungsgerichts in dem zitierten Urteil zu der Frage, welche Bindungen für
den Grenzanbau bestehen, falls die andere Doppelhaushälfte bereits an der
Grundstücksgrenze errichtet ist: Der frühere Grenzbau wirke für den späteren als
maßstabsbildende "Vorbelastung". Zwar könne nicht erwartet werden, dass die später
errichtete Doppelhaushälfte die überbaubare Grundstücksfläche nur in dem selben
eingeschränkten Umfang wie die zuerst gebaute Haushälfte ausnutzt. Der spätere Bau
müsse sich aber an der Grenzstellung des früheren orientieren und in eine
"harmonische Beziehung" zu diesem treten. Dies führte in jenem Fall letztlich dazu,
dass der Bauherr der später errichteten Doppelhaushälfte trotz entsprechender
Festsetzung die überbaubare Grundstücksfläche nicht voll ausschöpfen durfte.
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Es ist kein Grund ersichtlich, für Erweiterungs- oder Umbauvorhaben von bereits
errichteten Doppelhaushälften auch in unbeplanten Gebieten von anderen Grundsätzen
auszugehen.
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Der von der Antragsgegnerin zitierte Satz aus dem Beschluss des
Bundesverwaltungsgerichts vom 13. November 1997 - 4 B 195/97 -, BRS 59 Nr. 177=
ZfBR 1998, 166: "Die für überplante Gebiete entwickelten Grundsätze lassen sich
dagegen nicht auf den unbeplanten Innenbereich übertragen", betrifft demgegenüber
eine andere Fragestellung.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2 und 3. 162 Abs. 3 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO.
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