Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 14.04.2000

OVG NRW: bebauungsplan, überwiegendes öffentliches interesse, geschlossene bauweise, grundstück, denkmalschutz, betriebsgebäude, breite, befreiung, zone, anfang

Oberverwaltungsgericht NRW, 10A D 93/94.NE
Datum:
14.04.2000
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
10a Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
10A D 93/94.NE
Tenor:
Der Bebauungsplan Nr. 307 - W. - der Stadt V. (Satzungsbeschluss vom
13. Juli 1982) ist, soweit er nicht durch Urteil des Senats vom 30. Juni
1997 für nichtig erklärt worden ist und soweit er den Bereich der 1.
Änderung umfasst, wegen Funktionslosigkeit außer Kraft getreten.
Die Antragsgegnerin trägt unter Einbeziehung des rechtskräftigen Teils
der Kostenentscheidung des Urteils vom 30. Juni 1997 die Kosten des
Verfahrens einschließlich der Kosten des Revisionsverfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e:
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I.
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Die Antragstellerin wendet sich mit ihrem Normenkontrollantrag gegen den
Bebauungsplan Nr. 307 - W. - der Antragsgegnerin, soweit er das Plangebiet der
rechtskräftig für nichtig erklärten 1. Änderung umfasst und soweit über ihn nicht bereits
rechtskräftig durch Urteil des Senats vom 30. Juni 1997 entschieden worden ist.
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Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks D. straße 4 und 6 in V. -L. . Es ist
zur D. straße hin mit einem 2-geschossigen, 1895 errichteten Gebäude (D. straße 4)
bebaut. Die Antragstellerin stellt dort im Wesentlichen Bäckereigeräte her. Im
rückwärtigen Teil des Grundstücks befinden sich das ehemalige "Kutscherhaus" (D.
straße 6) sowie verschiedene Nebengebäude, unter anderem Garagen. Die Gebäude D.
straße 4 und 6 stehen seit Anfang 1998 unter Denkmalschutz.
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Das Grundstück der Antragstellerin liegt in einem Sanierungsgebiet, für das der Rat der
Antragsgegnerin im Jahre 1982 den Bebauungsplan Nr. 307 - W. - aufgestellt hat. Der
hier interessierende Teil des Plangebiets - der Bebauungsplan ist nur noch hinsichtlich
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eines Teils des gesamten Plangebiets angefochten - liegt zwischen der D. straße im
Osten und der W. straße im Westen. Der Bebauungsplan setzt für diesen Bereich ein
Kerngebiet mit unterschiedlicher baulicher Nutzung fest. Die Festsetzungen sehen an
der Ostseite der W. straße eine - parallel zur Straßenflucht verlaufende, etwa 60 m lange
- überbaubare Grundstücksfläche, eine maximal 2- bzw. 3-geschossige Bebauung und
geschlossene Bauweise vor. Parallel dazu, in einer Entfernung von etwa 12 m, setzt der
Bebauungsplan im zentralen Bereich eine überbaubare Grundstücksfläche für eine
maximal 4- geschossige Bebauung und eine vorgelagerte 1-geschossige Zone bei
geschlossener Bauweise fest. Die zuletzt genannte überbaubare Grundstücksfläche
erstreckt sich zu einem erheblichen Teil auf das Grundstück der Antragstellerin, nämlich
auf das "Kutscherhaus" (D. straße 6) sowie den Hof mit Nebengebäuden. Die Fläche
zwischen den beiden überbaubaren Grundstücksflächen belegt der Bebauungsplan,
von einem kleinen Baufenster abgesehen, mit einem Gehrecht zugunsten der
Allgemeinheit. Für den Teil des Grundstücks der Antragstellerin, der mit dem
Betriebsgebäude D. straße 4 bebaut ist, setzt der Bebauungsplan eine öffentliche
Verkehrsfläche mit besonderer Zweckbestimmung (verkehrsberuhigte Zone) fest. Unter
anderem soll hier unter Aufweitung der D. straße der Marktplatz entstehen.
Der Rat der Antragsgegnerin beschloss am 25. September 1990 den Bebauungsplan
Nr. 307 - W. - 1. Änderung als Satzung. Die - durch Senatsurteil vom 30. Juni 1997
rechtskräftig für nichtig erklärte - 1. Änderung umfasste den Bereich zwischen Donner-
und W. straße. Sie setzte für das von ihr erfasste Gebiet - wie der
Ursprungsbebauungsplan - eine Nutzung als Kerngebiet fest. Abweichend von dem
ursprünglichen Bebauungsplan sollte das Betriebsgebäude der Antragstellerin an der D.
straße erhalten bleiben. Insoweit setzte der Bebauungsplan eine überbaubare
Grundstücksfläche mit maximal 2- geschossiger Bebauung bei geschlossener
Bauweise fest. Der rückwärtige Teil des Grundstücks war ebenso wie ein Teil des
westlich angrenzenden Grundstücks als Verkehrsfläche besonderer Zweckbestimmung
(Marktplatz) festgesetzt. Entlang der W. straße setzte der Bebauungsplan eine
bogenförmige, bis zu 26 m in das Hintergelände hineinragende überbaubare
Grundstücksfläche fest, die eine maximal 3-geschossige Bebauung in geschlossener
Bauweise gestattete.
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Auf der Grundlage des Bebauungsplans in der Fassung seiner 1. Änderung entstand ab
1994 ein 3-geschossiges Wohn- und Geschäftshaus auf der überbaubaren
Grundstücksfläche östlich der W. straße.
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Die Antragstellerin hat am 29. Juni 1994 ihren Normenkontrollantrag bei Gericht
eingereicht. Sie hat sowohl den Ursprungsbebauungsplan als auch den Bebauungsplan
in der Fassung seiner 1. Änderung hinsichtlich der sie betreffenden planerischen
Festsetzungen als abwägungsfehlerhaft gerügt. In der mündlichen Verhandlung hat sie
ergänzend geltend gemacht, der Bebauungsplan sei in seiner ursprünglichen Fassung
jedenfalls funktionslos geworden. Seine Festsetzungen ließen sich nicht mehr
verwirklichen, nachdem die 1. Änderung teilweise umgesetzt worden sei. Die
Antragsgegnerin wolle den Bebauungsplan in seiner ursprünglichen Fassung auch
nicht mehr verwirklichen. Sie habe das seinerzeit verfolgte Plankonzept endgültig
aufgegeben.
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Die Antragstellerin hat ursprünglich beantragt,
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den Bebauungsplan Nr. 307 - W. - der Antragsgegnerin einschließlich der 1. Änderung
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für nichtig zu erklären.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
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den Normenkontrollantrag zurückzuweisen.
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Sie hat den angefochtenen Bebauungsplan verteidigt.
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Der erkennende Senat hat durch Urteil vom 30. Juni 1997 den Bebauungsplan Nr. 307 -
W. - hinsichtlich der textlichen Festsetzung Nr. 1 sowie die 1. Änderung des genannten
Bebauungsplans für nichtig erklärt. Den weiter gehenden Antrag der Antragstellerin, den
Bebauungsplan Nr. 307 in seiner Ursprungsfassung für nichtig oder funktionslos zu
erklären, hat der Senat abgelehnt. Er hat die Auffassung vertreten, über die Frage der
Funktionslosigkeit eines Bebauungsplans könne in einem Normenkontrollverfahren
nicht entschieden werden.
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Auf die vom Senat zugelassene Revision hat das Bundesverwaltungsgericht auf Antrag
der Antragstellerin die angefochtene Entscheidung durch Urteil vom 3. Dezember 1998 -
4 CN 3.97 - aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und
Entscheidung zurückverwiesen. Zur Begründung hat das Bundesverwaltungsgericht
ausgeführt, die Frage, ob ein Bebauungsplan wegen Funktionslosigkeit ungültig sei,
könne Gegenstand der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle sein.
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Die Antragstellerin hält an ihrer Auffassung fest, der Ursprungsbebauungsplan Nr. 307 -
W. - habe in dem Bereich zwischen Donner- und W. straße seine Gültigkeit wegen
Funktionslosigkeit verloren. In der Ursprungsfassung habe der Bebauungsplan in dem
zentralen Bereich, der als MK-Gebiet ausgewiesen sei, u.a. eine 4-geschossige
Bebauung mit einer vorgelagerten 1-geschossigen Ladenzone vorgesehen. Diese
Bebauung sei aber nicht mehr zu verwirklichen, nachdem östlich der W. straße eine 3-
geschossige Riegelbebauung, wie sie den Festsetzungen der 1. Änderung des
Bebauungsplans Nr. 307 entspreche, verwirklicht worden sei. Letztere Bebauung reiche
25 m in das Hintergelände hinein. Sie wäre nur noch 4 m von der westlichen Bauflucht
der im Ursprungsbebauungsplan vorgesehenen 4-geschossigen Bebauung entfernt.
Schon die bauordnungsrechtlichen Abstandflächenvorschriften schlössen deshalb die
im Ursprungsbebauungsplan vorgesehene Bebauung aus. Sei aber das städtebauliche
Kernstück des Ursprungsbebauungsplans nicht mehr zu verwirklichen, so sei dieser
insgesamt wegen Funktionslosigkeit nichtig.
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Die Antragstellerin beantragt,
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den Bebauungsplan Nr. 307 - W. - (Satzungsbeschluss vom 13. Mai 1982) insoweit für
nichtig zu erklären, als er das Plangebiet der aufgehobenen 1. Änderung umfasst.
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Die Antragsgegnerin stellt keinen Antrag.
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Sie führt aus: Infolge von Bauvorhaben, die auf der Grundlage der 1. Änderung des
Bebauungsplans 307 - W. - durchgeführt worden seien, sei der
Ursprungsbebauungsplan, soweit es den nach Einschränkung des
Normenkontrollantrags relevanten Teil des Plangebiets betreffe, teilweise nicht mehr zu
verwirklichen. Das 3-geschossige Gebäude östlich der W. straße sei, wie in dem
Änderungsbebauungsplan vorgesehen, errichtet. Hinsichtlich weiterer Bauvorhaben an
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der W. straße (Altenwohnungen der evangelischen Kirchengemeinde) liege ein auf der
Grundlage der 1. Änderung des Bebauungsplans Nr. 307 ergangener Bauvorbescheid
vor. Das Baugenehmigungsverfahren stehe kurz vor dem Abschluss. Damit könnten die
Festsetzungen des Ursprungsbebauungsplans in der westlichen Hälfte des Bereichs
zwischen Donner- und W. straße nicht mehr umgesetzt werden. In der östlichen Hälfte
könnte die ursprüngliche Planung zwar theoretisch noch verwirklicht werden. Diese
Planung, nach der an der Stelle des Betriebs der Antragstellerin ein Marktplatz habe
entstehen sollen, entspreche jedoch nicht mehr den Vorstellungen der Stadt als
Planungsträgerin. Diese habe ihre Planvorstellungen, wie in der 1. Änderung des
Bebauungsplans Nr. 307 zum Ausdruck gekommen, dahin geändert, dass die
Bausubstanz auf dem Grundstück der Antragstellerin im Wesentlichen erhalten bleiben
solle und dass ein Marktplatz zwischen den Gebäuden der Antragstellerin und der
Bebauung östlich der W. straße entstehen solle. Nachdem Haupt- und
Remisengebäude auf dem Grundstück der Antragstellerin Anfang 1998 unter
Denkmalschutz gestellt worden seien, sei eine Planung wie in der Ursprungsfassung
des Bebauungsplans vorgesehen auch kaum noch fehlerfrei durchsetzbar.
Der Berichterstatter hat die Örtlichkeit in Augenschein genommen. Wegen des
Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der hierüber gefertigten
Niederschrift und die im Ortstermin gefertigten Lichtbilder Bezug genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den
Inhalt der Gerichtsakte, des Bebauungsplans Nr. 307 - W. - , des Bebauungsplans Nr.
307 - W. - 1. Änderung, der Aufstellungsvorgänge zu diesen Bebauungsplänen und der
Bauakten für die Grundstücke D. straße 4 und 6 sowie W. straße 3, 3a, 3b, 3c.
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II.
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A. Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten über den
Normenkontrollantrag gemäß § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO durch Beschluss, weil er eine
mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.
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B. Es bedarf zunächst der Klarstellung des Umfangs der streitgegenständlichen
Prüfung. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht durch sein Revisionsurteil vom 3.
Dezember 1998 - 4 CN 3.97 -, BRS 60 Nr. 43, ausweislich des Wortlauts des Tenors
das Normenkontrollurteil des Senats vom 30. Juni 1997 (insgesamt) aufgehoben und
die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Wie
sich aus den Gründen des Revisionsurteils ergibt, geht das Bundesverwaltungsgericht
jedoch an mehreren Stellen seiner Entscheidung (vgl. Urteilsabdruck S. 3 und 4) davon
aus, dass das Urteil vom 30. Juni 1997, soweit es dem Antrag der Antragstellerin
stattgegeben und die angefochtenen Bebauungspläne vollständig (Bebauungsplan Nr.
307 - W. - 1. Änderung) bzw. teilweise (textliche Festsetzung Nr. 1 des Bebauungsplans
Nr. 307 - W. -) für nichtig erklärt hat, rechtskräftig geworden ist (denn insoweit ist das
Normenkontrollurteil von der Antragsgegnerin nicht angefochten worden). Der Tenor der
Revisionsentscheidung ist daher unter Berücksichtigung der Gründe einschränkend
dahin auszulegen, dass von der Aufhebung und Zurückverweisung von vornherein nur
der Teil des Normenkontrollurteils betroffen ist, durch den der Senat den
Normenkontrollantrag abgelehnt hat.
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Die Antragstellerin ihrerseits hat den Streitgegenstand weiter eingeschränkt. Sie hat
nach Zurückverweisung der Sache die Feststellung der Nichtigkeit beziehungsweise
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der Funktionslosigkeit des Bebauungsplans Nr. 307 - W. - (nur noch) hinsichtlich des
Teilbereichs begehrt, der mit dem räumlichen Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr.
307 - W. - 1. Änderung deckungsgleich ist.
C. Der Antrag mit dem zuletzt dargestellten Inhalt ist zulässig und im Umfange des
Tenors begründet.
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I. Der Antrag ist zulässig. Insbesondere ist die Antragstellerin gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1
VwGO antragsbefugt. Insoweit kann auf die Ausführungen des Senats in seinem
erwähnten Urteil Bezug genommen werden (Urteilsabdruck S. 24 f). Prozessual
unbedenklich ist auch die Beschränkung des Normenkontrollantrags auf eine erstrebte
Teil- Funktionsloserklärung des angefochtenen Bebauungsplans. Grundsätzlich kann
ein Antragsteller in einem Normenkontrollverfahren über den Umfang seines
Rechtsschutzgesuchs disponieren. In diesem Sinne hat er die Möglichkeit, seine
Angriffe auf solche Teile des Plangebiets zu beschränken, die einen abtrennbaren und
aus sich heraus lebensfähigen Teil des Ganzen darstellen. Hiervon zu unterscheiden
ist, welche Tragweite ggfls. dem zulässigerweise beschränkt gestellten Antrag für den
gerichtlichen Entscheidungsausspruch zukommt.
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Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 20. August 1991 - 4 NB 3.91 -, BRS 52 Nr. 36 und vom
25. Februar 1997 - 4 NB 30.96 -, BRS 59 Nr. 51.
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II. Der Antrag ist im Wesentlichen begründet.
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1. Er ist allerdings unbegründet, soweit er auf die Feststellung der (anfänglichen)
Nichtigkeit des Bebauungsplans Nr. 307 gerichtet ist. Da der Antragsteller nach
Zurückverweisung der Sache insoweit keine Ausführungen mehr gemacht hat, nimmt
der Senat zur Begründung auf seine früheren Ausführungen in dem Urteil vom 30. Juni
1997, in dem er die Nichtigkeit des Bebauungsplans Nr. 307 (mit Ausnahme der
textlichen Festsetzung Nr. 1) verneint hat, Bezug. Hieran hält er, insbesondere nachdem
das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 3. Dezember 1998 - 4 CN 3.97 -,
a.a.O., den Überlegungen des Senats insoweit beigetreten ist (Urteilsabdruck S. 5),
auch nach erneuter Überprüfung fest.
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2. Im Übrigen ist der Normenkontrollantrag begründet. Der Bebauungsplan Nr. 307 - W. -
ist im hier noch zu prüfenden Umfang, soweit er nicht bereits durch Urteil des
erkennenden Senats vom 30. Juni 1997 für nichtig erklärt worden ist (betreffend textliche
Festsetzung Nr. 1), funktionslos geworden und damit außer Kraft getreten.
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a) Nach der den erkennenden Senat gemäß § 144 Abs. 6 VwGO bindenden
Revisionsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Dezember 1998 - 4 CN
3.97 -, a.a.O., kann die Feststellung der Funktionslosigkeit eines Bebauungsplans oder
einzelner Festsetzungen Gegenstand eines Normenkontrollverfahrens nach § 47 VwGO
sein.
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b) Ein Bebauungsplan oder einzelne Festsetzungen treten wegen Funktionslosigkeit
außer Kraft, wenn und soweit die Verhältnisse, auf die sie sich beziehen, in der
tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung des
Bebauungsplans insgesamt oder einzelner Festsetzungen auf unabsehbare Zeit
ausschließt, und die Erkennbarkeit dieser Tatsache einen Grad erreicht hat, der einem
etwa dennoch in die Fortgeltung der Festsetzung gesetzten Vertrauen die
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Schutzwürdigkeit nimmt.
Ständige Rechtsprechung seit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. April
1977 - IV C 39.75 -, BRS 32 Nr. 28; so auch Beschluss vom 3. Dezember 1998 - 4 CN
3.97 -, a.a.O.
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c) Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Eine Verwirklichung des angefochtenen
Bebauungsplans Nr. 307 - W. - in dem hier interessierenden Bereich zwischen Donner-
und W. straße ist aufgrund zwischenzeitlich eingetretener Änderung der tatsächlichen
Verhältnisse in wesentlicher Beziehung offenkundig nicht mehr möglich.
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aa) Nicht mehr verwirklicht werden kann die geplante 4- geschossige Gebäudezeile im
zentralen Bereich. Entlang der W. straße ist - auf der Grundlage der 1. Änderung des
Bebauungsplans Nr. 307 - zwischenzeitlich eine 3-geschossige Bebauung (W. straße 3,
3a, 3b, 3c) entstanden, die - entgegen den im Bebauungsplan Nr. 307 festgesetzten
hinteren (östlichen) Baugrenzen - nicht 17 m, sondern entsprechend den in der 1.
Änderung festgesetzten Baugrenzen ca. 26 m tief in das Hintergelände hineinragt.
Damit nähert sich die östliche Bauflucht dieser Bebauung den im Bebauungsplan Nr.
307 für die 4-geschossige Bebauung festgesetzten (westlichen) Baugrenzen bis auf ca.
3 m. Nach der bei den Bauvorlagen befindlichen und mit Zugehörigkeitsvermerk zur
Baugenehmigung versehenen Abstandflächenberechnung für die Häuser W. straße 3,
3a, 3b, 3c lösen diese in nordöstlicher Richtung, d.h. in Richtung auf die nach dem
Bebauungsplan Nr. 307 vorgesehene 4- geschossige Gebäudezeile, Abstandflächen
von 4,90 m bzw. 5,28 m aus. Die Abstandflächen liegen damit teilweise auf der durch
den Ursprungsbebauungsplan für die 4-geschossige Bebauung vorgesehenen
überbaubaren Grundstücksfläche. Letztere Bebauung müsste überdies, da sich die
Abstandflächen zweier Gebäude nicht überdecken dürfen (§ 6 Abs. 3 BauO NRW),
eigene Abstandflächen einhalten. Ohne dass es insoweit genauerer Berechnungen
bedürfte, ist davon auszugehen, dass der Abstand zwischen beiden Gebäudezeilen
jedenfalls mehr als 10 m betragen muss. Damit scheidet eine Errichtung des
ursprünglich geplanten Gebäudes in den im Bebauungsplan Nr. 307 festgesetzten
Baugrenzen aus. Diese haben lediglich eine Breite zwischen 12 und 17 m und könnten
- wegen des dargestellten Abstandflächenerfordernisses - allenfalls in einer Breite von
ca. 3 m bis 8 m ausgenutzt werden. Dies lässt eine sinnvolle Bebauung, jedenfalls eine
solche zur Erreichung der Planziele, nicht zu.
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Die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse stehen einer Verwirklichung des
Ursprungsbebauungsplans auch dann entgegen, wenn in Rechnung gestellt wird, dass
der Bebauungsplan Nr. 307 keine zwingende 4-Geschossigkeit des Baukörpers
festsetzt und eine Bebauung demgemäß hinter der maximalen Ausnutzbarkeit der
planerischen Festsetzung zurückbleiben dürfte. Auch für ein Gebäude mit einer
geringeren Geschosszahl und einem demgemäß geringeren Abstandflächenerfordernis
ließen die tatsächlichen Verhältnisse keinen genügenden Raum mehr.
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Eine Umsetzung des Ursprungsbebauungsplans kommt auch nicht in der Weise in
Betracht, dass für das vorgesehene 4- geschossige Gebäude Befreiung von den
Baugrenzen erteilt würde und die Grundfläche des Gebäudes insgesamt nach Osten
verschoben würde. Eine solche Vorgehensweise scheidet unabhängig davon, ob
überhaupt die Voraussetzungen für eine Befreiung gegeben wären, bereits deshalb aus,
weil die erforderliche Fläche wegen des östlich angrenzenden Hauses D. straße 6, das
denkmalgeschützt ist und dessen Beseitigung für planerische Zwecke nicht in Betracht
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kommt, nicht zur Verfügung stünde.
bb) Auch die im Bebauungsplan Nr. 307 vorgesehene Verkehrsfläche besonderer
Zweckbestimmung, die auf dem Grundstück der Antragstellerin entstehen und unter
anderem den Marktplatz aufnehmen soll, lässt sich infolge zwischenzeitlich
eingetretener Umstände nicht mehr verwirklichen. Die Antragsgegnerin hat in ihrer
Eigenschaft als Untere Denkmalbehörde in Kenntnis der Festsetzungen des
Bebauungsplans Nr. 307 sowohl das Betriebsgebäude der Antragstellerin (D. straße 4)
als auch das im Hintergelände befindliche "Kutscherhaus" (D. straße 6) im Februar
1998 unter Denkmalschutz gestellt. Gesetzliche Voraussetzung für die
Unterschutzstellung war, dass an der Erhaltung und Nutzung der Gebäude ein
öffentliches Interesse besteht (§ 2 Abs. 1 Satz 1 DSchG). Eine Erlaubnis zur Beseitigung
der Gebäude, deren Beantragung nach den im Verfahren zum Ausdruck gekommenen
Vorstellungen der Antragstellerin im Übrigen nicht beabsichtigt ist, käme - von hier nicht
einschlägigen Fallgestaltungen abgesehen - nur in Betracht, wenn ein überwiegendes
öffentliches Interesse die Abrissmaßnahme verlangte (§ 9 Abs. 2 Buchst. b DSchG). Das
Vorliegen dieser Voraussetzung lässt sich, insbesondere nach der in Kenntnis der
entgegenstehenden Planfestsetzungen erfolgten denkmalrechtlichen
Unterschutzstellung der Gebäude, nicht vertretbar begründen. Mit einer rechtlich
zulässigen Beseitigung der Gebäude zur Herstellung einer Marktfläche ist daher auf
absehbare Zeit nicht zu rechnen.
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cc) Die Antragsgegnerin teilt offenbar die Auffassung, dass der auf der Grundlage der 1.
Änderung des Bebauungsplans Nr. 307 errichtete und der unter Denkmalschutz
gestellte historische Bautenbestand auf nicht absehbare Zeit einer Verwirklichung der
im Ursprungsbebauungsplan zum Ausdruck gekommenen planerischen Vorstellungen
entgegenstehen (vgl. ihren Schriftsatz vom 14. Juli 1999). Entsprechend hat der
Planungsausschuss durch Beschluss vom 17. August 1999 dem Rat der
Antragsgegnerin die Aufhebung des Bebauungsplans Nr. 307 hinsichtlich des
Teilbereichs vorgeschlagen, der Gegenstand der 1. Änderung war. Das
Planaufhebungsverfahren ist indessen nicht weiter verfolgt worden.
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d) Die Funktionslosigkeit der planerischen Festsetzungen erstreckt sich auf den
gesamten Bereich zwischen Donner- und W. straße, wie er später Gegenstand der 1.
Änderung des Bebauungsplans geworden ist. Denn die planerischen Festsetzungen in
diesem Bereich sind funktional aufeinander bezogen und lassen eine Abspaltung
einzelner Festsetzungen, die ggfls. noch verwirklicht werden könnten, nicht zu. Das für
den genannten Bereich angestrebte städtebauliche Ziel lässt sich insgesamt nicht mehr
erreichen. Dieses Ziel ging, anknüpfend an ein zuvor erarbeitetes Sanierungskonzept,
dahin, im Ortskern Entwicklungsschwerpunkte zu bilden und eine wirtschaftliche
Entfaltung des Ortskerns zu ermöglichen. In dem Erläuterungsbericht zum
"Neuordnungskonzept für das Sanierungsgebiet Altstadt im Stadtgebiet V. -L. " heißt es
u.a.: Erforderlich sei eine dichte Mischung eines ausreichenden Warenangebots sowie
einer angemessenen Breite von Dienstleistungen und zentralen Kultur- und
Freizeiteinrichtungen. Für die besondere Versorgungsfunktion des Ortskerns fehle eine
notwendige Verkaufsfläche in den Bereichen des kurz-, mittel- und langfristigen Bedarfs
von etwa 3000 qm. Der Deckung dieses Fehlbedarfs sollten u.a. die geplanten Gebäude
sowie die ebenfalls vorgesehene Fläche für den Wochenmarkt dienen. Erfasst die
Funktionslosigkeit, wie erwähnt, den gesamten Bereich zwischen Donner- und W.
straße gemäß der 1. Änderung, handelt es sich dabei andererseits um einen solchen
Bereich, der eine speziell auf ihn zugeschnittene Regelungskonzeption aufweist und
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daher von den übrigen Planbereichen abtrennbar ist, sodass keine Funktionslosigkeit
des Bebauungsplans Nr. 307 insgesamt anzunehmen ist. Dies rechtfertigt die
eingeschränkte Fassung des Beschlussausspruchs.
Vgl. hierzu Oberverwaltungsgericht Saarlouis, Urteil vom 25. Juni 1990 - 2 R 20/89 -,
BRS 50 Nr. 12.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Antragstellerin waren,
obwohl sie teilweise mit ihrem Antrag nicht durchgedrungen ist, keine Kosten
aufzuerlegen, da ihrem eigentlichen Begehren, nämlich von einer Durchführung des
Bebauungsplans Nr. 307 und einer damit verbundenen Beseitigung ihres Betriebs- und
Wohngebäudes verschont zu bleiben, entsprochen worden ist. Insoweit gilt das Gleiche,
wie wenn ein Antragsteller die Feststellung der Nichtigkeit eines Bebauungsplans
begehrt, aber nur dessen Teilnichtigkeit festgestellt wird. Der Ausspruch der vorläufigen
Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO, § 708 Nr. 10, § 711, §
713 ZPO.
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Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht vorliegen.
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