Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 19.02.2004

OVG NRW: subjektives recht, verkehrssicherheit, schranke, sperrung, eigentümer, stillschweigend, rad, kommunikation, fahrzeug, verkehrsinsel

Oberverwaltungsgericht NRW, 11 B 2601/03
Datum:
19.02.2004
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
11. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
11 B 2601/03
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Minden, 1 L 1159/03
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 4.000,00 Euro
festgesetzt.
Gründe:
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I.
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Mit Widmungsverfügung vom 8. Juni 2002 wurde die Straße "X. " als Gemeindestraße
für den Benutzerkreis "Rad- und Fußweg, landwirtschaftlicher- und Reitverkehr"
gewidmet. Der Antragsteller ist Landwirt und muss die Straße befahren bzw. queren, um
von seinem Hof aus eigene sowie zugepachtete landwirtschaftliche Flächen zu
bewirtschaften. Zur Sicherstellung des Widmungszweckes errichtete der Antragsgegner
in der Vergangenheit im Mündungsbereich einiger Straßen und Wege zur Straße "X. "
Schranken und Pfosten, für die die betroffenen Landwirte - so auch der Antragsteller -
Dreikantschlüssel erhielten.
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Am 15. Oktober 2003 wurde die Schranke im Bereich des B. Weges verschweißt, so
dass der Antragsteller nunmehr Umwege in Kauf nehmen muss, um seine Felder zu
erreichen. Die Straße "X. " ist trotz dieser Zugangssperre weiterhin durchgehend für
landwirtschaftliche Fahrzeuge befahrbar, die Anzahl der Zufahrten ist jedoch auf einer
Länge von insgesamt 1, 5 km auf 6 Zufahrten beschränkt.
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Der auf Freigängigmachung der zugeschweißten Schranke in Höhe des B. Wegs
gerichtete Antrag wurde vom Verwaltungsgericht mangels Glaubhaftmachung eines
Anordnungsanspruchs abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde.
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II.
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Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
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Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu
Recht mit der Begründung abgelehnt, es fehle an einem Anordnungsanspruch. Das
Beschwerdevorbringen, auf das der Senat bei seiner Prüfung beschränkt ist (§ 146 Abs.
4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt keine andere Entscheidung.
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Der Antragsteller beruft sich auf einen - seiner Meinung nach - von Art. 14 Abs. 1 GG
geschützten "gesteigerten Gemeingebrauch des Anliegers". Die ihm nunmehr
abverlangten Umwege seien nicht zumutbar, denn sie führten zu einer erhöhten Lärm-
und Geruchsbelästigung für die Wohnbevölkerung. Im Übrigen würden die mit der
Sperrung beabsichtigten Zwecke (Vermeidung von Verschmutzungen durch
landwirtschaftliche Fahrzeuge; Erhöhung der Verkehrssicherheit) nicht erreicht, da
wegen der Umwege die Verschmutzungsgefahr zu- und die Verkehrssicherheit
abnehme. Mit diesem Vortrag kann der Antragsteller nicht durchdringen.
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Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts lässt sich der
Anliegergebrauch zwar nicht mehr unmittelbar aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ableiten.
Wie weit er gewährleistet ist, richte sich vielmehr nach dem einschlägigen Straßenrecht,
dessen Regelungsbereich das Nachbarschaftsverhältnis zwischen Straße und
angrenzenden Grundstücken mit umfasse.
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BVerwG, Beschluss vom 11. Mai 1999 - 4 VR 7.99 -, NVwZ 1999, 1341 (1342) - zu § 8a
FStrG -; ausführlich hierzu Schnebelt, VBlBW 2001, 213 ff.; vgl. zur einfachrechtlichen
Verankerung auch schon BVerwG, Urteil vom 26. August 1993 - 4 C 24.91 -, BVerwGE
94, 100 (105); anders dagegen die frühere std. Rspr., vgl. nur BVerwG, Urteil vom 8.
September 1993 - 11 C 38.92 - DöV 1994, 345, m.w.N.
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Auch bei Zugrundelegung dieser gewandelten Rechtsauffassung ergibt sich jedoch in
der Sache keine durchgreifende Änderung der bisherigen Senatsrechtsprechung zum
Anliegerrecht im nordrhein-westfälischen Straßenrecht.
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Denn der Gesetzgeber muss in Erfüllung der ihm gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG
obliegenden Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums einerseits dem
Gewährleistungsgehalt des in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG grundgesetzlich anerkannten
Privateigentums und andererseits dem Sozialgebot des Art. 14 Abs. 2 GG Rechnung
tragen. Da eine Straße als öffentliche Einrichtung nicht allein der Erschließung der
Anliegergrundstücke, sondern vornehmlich dem allgemeinen Verkehrsbedürfnis in
seinen unterschiedlichen Ausgestaltungen dient, muss er einen Ausgleich zwischen
einer Vielzahl von Interessen schaffen. Auf die Belange der Anlieger hat er insofern in
spezifischer Weise Rücksicht zu nehmen, als dieser Personenkreis in besonderem
Maße auf den Gebrauch der Straße angewiesen ist. Die Zufahrt bzw. der Zugang zur
Straße schafft die Grundvoraussetzungen, derer es bedarf, um an der verkehrlichen
Kommunikation teilzunehmen.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Mai 1999
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- 4 VR 7.99 -, a.a.O.; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 11. September 1990 - 1 BvR
998/90 -, NVwZ 1991, 358.
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Das Straßengesetz für Nordrhein-Westfalen (StrWG NRW) enthält keine Vorschrift, die
dem Anlieger einer öffentlichen Straße ausdrücklich ein subjektives Recht auf eine
Verbindung seines Grundstücks mit dem öffentlichen Wegenetz gewährt. Allerdings
dürften sowohl § 14 a StrWG NRW (Straßenanliegergebrauch) als auch § 20 StrWG
NRW (Straßenanlieger, Zufahrten, Zugänge) mit seinen Ersatz- und
Entschädigungsregelungen stillschweigend von einer entsprechenden Rechtsposition
des Straßenanliegers ausgehen. Mangels weiterer Regelungen im Straßengesetz ist
anzunehmen, dass diese Rechtsposition auf die Befugnisse beschränkt ist, die der
Gesetzgeber dem Eigentümer eines Anliegergrundstücks zur Vermeidung einer mit Art.
14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 GG unvereinbaren Inhalts- und Schrankenbestimmung des
Eigentums mindestens zu gewährleisten hat. Zur Bestimmung dieses
Gewährleistungsminimums kann auf die frühere - i.d.R. aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG
abgeleitete - Rechtsprechung des Bundesverwaltungs- und Bundesverfassungsgerichts
zurückgegriffen werden. Danach sind die Bedürfnisse der Anlieger nur in ihrem Kern
und die Zufahrt zu einem Anliegergrundstück mit einem Fahrzeug nur geschützt, soweit
es die angemessene Nutzung des Grundeigentums unter Berücksichtigung der
Rechtslage und der tatsächlichen Gegebenheiten erfordert.
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Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 7. März 2002 - 11 A 5100/00 -, Beschlussabdruck S. 3
(Beseitigung einer Verkehrsinsel), vom 3. April 2001 - 11 A
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4576/99 -, Beschlussabdruck S. 9 (Einziehung einer öffentlichen Straße) oder vom 29.
September 1999 - 23 A 5749/96 -, Beschlussabdruck S. 7 f. (Beseitigung von
Sperrpfosten); im Ergebnis wie hier für das baden- württembergische Straßenrecht: VGH
Bad.-Württ., Urteil vom 28. Februar 2002 - 5 S 1121/00, VerkMitt 2002, Nr. 76.
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Daran gemessen sind die Voraussetzungen für einen Anordnungsanspruch ersichtlich
nicht erfüllt. Die Zugänglichkeit der beiden Grundstücke des Klägers (Hofstelle und
Ackerfläche) ist gewährleistet; beide sind weiterhin - auch nach der umstrittenen
Sperrung des B. Weges - vom öffentlichen Straßennetz aus mit landwirtschaftlichen
Fahrzeugen erreichbar. Weitergehende Ansprüche, insbesondere solche auf
Aufrechterhaltung einer bestimmten vorteilhaften Verkehrsverbindung, kann ein
Grundstückseigentümer aus seinem Anliegerrecht nicht herleiten. Ebensowenig kann er
sich auf eine Zunahme von Geruchs- und Lärmbelästigungen für Dritte berufen oder die
Zweckmäßigkeit der Verkehrsführung in Frage stellen. Denn er ist auf die
Geltendmachung eigener Rechte beschränkt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts
folgt aus §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).
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