Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 22.04.2002

OVG NRW: organisation, ermessen, schlachtung, ausnahme, bestätigung, schächten, auszug, gemeinde, internet, religionsgemeinschaft

Oberverwaltungsgericht NRW, 20 B 486/02
Datum:
22.04.2002
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
20. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
20 B 486/02
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Minden, 2 L 197/02
Tenor:
Das Verfahren wird eingestellt.
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Minden vom 22. Februar 2002
ist mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung wirkungslos.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert beträgt auch im Beschwerdeverfahren 4.000,- EUR.
G r ü n d e
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Das Verfahren ist in der Hauptsache erledigt, weil die Beteiligten mit Schriftsätzen vom
10. und 18. April 2002 übereinstimmende Erledigungserklärungen abgegeben haben.
Es ist daher einzustellen (§ 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO in entsprechender Anwendung). Der
Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 22. Februar 2002 ist für wirkungslos zu
erklären (§ 173 VwGO iVm § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO).
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Über die Kosten des Verfahrens ist nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des
bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden (§ 161 Abs. 2 VwGO). Billigem
Ermessen entspricht es, den Antragsteller mit den Kosten des Verfahrens zu belasten.
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Das zur Erledigung führende Ereignis fällt kostenmäßig nicht in der einen oder anderen
Richtung ins Gewicht. Dem Rechtsschutzbegehren des Antragstellers ist durch
Zeitablauf mit dem 24. Februar 2002 die Grundlage entzogen worden. Mit seinem
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erstrebte der Antragsteller eine
Ausnahmegenehmigung für das Schlachten ohne Betäubung in der Zeit vom 22. bis 24.
Februar 2002. Eine solche Genehmigung wäre nunmehr sinnlos. Mit seiner
Erledigungserklärung hat der Antragsteller demzufolge die Konsequenz daraus
gezogen, dass er sein Rechtsschutzziel nicht mehr erreichen kann. Ferner stellt die
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Erledigungserklärung des Antragsgegners nicht das Eingeständnis der Rechtswidrigkeit
der Versagung der Ausnahmegenehmigung dar, sondern die sachgerechte prozessuale
Reaktion auf das Verstreichen des für das Schlachten in Frage stehenden Zeitraums
sowie auf die Erledigungserklärung des Antragstellers.
Unter dem danach maßgeblichen Gesichtspunkt der Erfolgsaussichten des
Rechtsschutzgesuchs spricht ganz Überwiegendes dafür, die Kosten des Verfahrens
dem Antragsteller aufzuerlegen; ohne die Erledigung wäre der Antragsteller
voraussichtlich unterlegen. Es bestehen durchgreifende Zweifel daran, dass der
Antragsteller - wie erforderlich - das Bestehen des geltend gemachten Anspruchs
glaubhaft gemacht hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts,
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Urteil vom 15. Januar 2002 - 1 BvR 1783/99 -, NJW 2002, 663,
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auf die der Antragsteller seinen Antrag gestützt hat, muss derjenige, der eine
Ausnahmegenehmigung nach § 4 a Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. TierSchG zur Versorgung der
Mitglieder einer Gemeinschaft benötigt, substantiiert und nachvollziehbar darlegen, dass
nach deren gemeinsamer Glaubensüberzeugung der Verzehr des Fleisches von Tieren
zwingend eine betäubungslose Schlachtung voraussetzt. Mit einer derartigen Darlegung
soll die Frage nach der Existenz zwingender Vorschriften für das Betäubungsverbot
beim Schlachten für die konkrete Religionsgemeinschaft beantwortet werden.
Hintergrund für die Erforderlichkeit der Darlegung ist, dass auch das
Bundesverfassungsgericht in der vorgenannten Entscheidung davon ausgeht, dass
innerhalb der islamischen Religion unterschiedliche Auffassungen zum Schächtgebot
vertreten werden.
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Das Vorbringen des Antragstellers lässt die erforderliche Darlegung vermissten. Der
Antragsteller hat nicht plausibel unter Benennung hinreichend aussagekräftiger
Tatsachen dargetan, dass die Mitglieder der Gemeinschaft Milli Görüs, der er angehört,
nach ihrem Glauben von einem zwingenden Betäubungsverbot überzeugt sind. Eine
diesbezügliche Bestätigung der Organisation hat der Antragsteller ebenso wenig
beigebracht wie entsprechende Äußerungen von Mitgliedern oder einzelner Gruppen
von Mitgliedern; auch in sonstiger Weise hat er schlüssige und nachweiskräftige
Anhaltspunkte dafür nicht aufgezeigt. Die vom Antragsteller eidesstattlich versicherte
Angabe in der Antragsschrift, der Fleischverzehr setze zwingend eine betäubungslose
Schlachtung voraus, ist nicht auf begründende Ausführungen gestützt, sondern eine
bloße Behauptung. Selbst wenn man zugunsten des Antragstellers die
Beschwerdebegründung und die mit ihr vorgelegten Unterlagen einbezieht, obwohl sie
über die Erfolgsaussichten des Rechtsschutzbegehrens im Zeitpunkt der zuvor mit dem
Ablauf des Opferfestes eingetretenen Erledigung nichts besagt, weil die unerlässliche
Darlegung nicht gleichsam rückwirkend nachgeholt werden kann, mangelt es an einer
zureichenden Substantiierung des Vortrags. Vor allem genügt es nicht, dass die
Organisation, deren Mitglied der Antragsteller ist, als "islamische Gemeinschaft"
bezeichnet wird, ohne dass deren religiöser Standpunkt zum Schächten näher
aufgezeigt wird. In dem beigebrachten Auszug aus dem Internet werden im
Wesentlichen allgemeine gesellschaftliche Themen angesprochen. Die Stellungnahme
des Zentralrates der Muslime vom 10. April 1997 lässt einen Bezug zu Milli Görüs und
zur gemeinsamen Glaubensüberzeugung der Mitglieder dieser Organisation nicht
erkennen, zumal der Antragsteller seinem Widerspruch zufolge Mitglied einer Gemeinde
unter dem Dachverband des Islamrates ist. Im Übrigen geht der Antragsteller auch nicht
darauf ein, wie sich die behauptete Glaubensüberzeugung und das von ihm ausgeübte
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Schlachten nach vorheriger Betäubung sowie der Verzehr des so geschlachteten
Fleisches zueinander verhalten.
Darauf, ob weitere Voraussetzungen der vom Antragsteller erstrebten
Ausnahmegenehmigung ebenfalls nicht erfüllt sind, kommt es hiernach ebenso wenig
an wie darauf, ob der Antragsteller einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht hat.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG.
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