Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 20.12.2005

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Oberverwaltungsgericht NRW, 12 A 2451/04
Datum:
20.12.2005
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
12 A 2451/04
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 24 K 3294/03
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig
vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden,
wenn nicht die Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Kläger wenden sich gegen die Erhebung des vollen zusätzlichen Elternbeitrags für
die Über-Mittag-Betreuung ihres Kindes in der privat getragenen Kindertagesstätte L.
GmbH, G. -T. -Weg 24, in X. im Zeitraum vom 1. Januar bis zum 31. Juli 2003. Die
Kindertagesstätte wurde mit insgesamt fünf Gruppen betrieben, davon zwei
Tagesstättengruppen, zwei Kindergartengruppen mit Vormittag- und
Nachmittagsbetreuung und jeweils ohne Über-Mittag-Betreuung sowie eine
Kindergartengruppe mit sog. Blockbetreuung von 7.00 Uhr bis 14.00 Uhr einschließlich
einer Über-Mittag-Betreuung. Das Kind der Kläger wurde in der zuletzt genannten
Gruppe betreut. Der zwischen den Klägern und der Einrichtung geschlossene
Betreuungsvertrag sah lediglich eine Betreuung bis 14.00 Uhr vor.
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Auf der Grundlage des Einkommens der Kläger setzte der Beklagte mit Bescheid vom
23. Januar 2003 den Elternbeitrag für den Zeitraum ab dem 1. August 2002 auf
monatlich 57,52 EUR (Grundbeitrag: 44,48 EUR, hälftiger zusätzlicher Beitrag für die
Über-Mittag-Betreuung: 13,04 EUR) fest.
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Mit Bescheid vom 6. Februar 2003 setzte der Beklagte den monatlichen Beitrag ab dem
1. Januar 2003 auf nunmehr 70,56 EUR fest, wobei er angesichts des zeitlichen Ablaufs
der Regelung in § 21 Abs. 1 Satz 1 und 2 GTK den zusätzlichen Elternbeitrag für die
Über-Mittag-Betreuung in voller Höhe von 26,08 EUR ansetzte.
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Auf den Widerspruch der Kläger befristete der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom
14. April 2003 den Festsetzungsbescheid vom 6. Februar 2003 auf den 31. Juli 2003,
wies im Übrigen jedoch den Widerspruch zurück.
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Zur Begründung ihrer Klage machen die Kläger wie auch im Widerspruchsverfahren
geltend, dass ihr Kind keine Ganztagsbetreuung, sondern lediglich eine Betreuung
innerhalb der Blocköffnungszeit erhalte.
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Die Kläger haben beantragt,
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den Beitragsbescheid des Beklagten vom
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6. Februar 2003 sowie dessen Widerspruchsbescheid vom 14. April 2003 aufzuheben,
soweit ein höherer Beitrag als 57,52 EUR monatlich gefordert wird.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung hat er sich auf die Gründe der angegriffenen
Verwaltungsentscheidungen bezogen.
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Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es im
Wesentlichen darauf abgestellt, dass es für die Erhebung des zusätzlichen
Elternbeitrags für die Über-Mittag-Betreuung darauf ankomme, dass dem jeweiligen
Kind regulär auch nach 14.00 Uhr eine Betreuung angeboten werde. Da der
Kindergarten Kinderland dem Kind der Kläger auch in keiner anderen Gruppe mehr eine
Betreuung nach 14.00 Uhr habe bieten können, sei der zusätzliche Elternbeitrag nicht
gerechtfertigt.
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Zur Begründung seiner zugelassenen Berufung führt der Beklagte im Wesentlichen
Folgendes aus: Auf der Grundlage des Urteils des erkennenden Gerichts vom 28. März
2001 müsse davon ausgegangen werden, dass nur dann, wenn das Betreuungsangebot
der gesamten Einrichtung um 14.00 Uhr ende, die Erhebung des zusätzlichen
Elternbeitrags für die Über-Mittag-Betreuung nicht gerechtfertigt sei. In der vom Kind der
Kläger besuchten Tageseinrichtung habe jedoch eine Betreuung nach 14.00 Uhr
stattgefunden. Eine Betreuung des Kindes der Kläger sei auch nach 14.00 Uhr
tatsächlich möglich gewesen. Darüber hinaus habe das erkennende Gericht bereits in
seinem Urteil vom 6. März 1998
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- 16 A 525/97 - klargestellt, dass es für die Beitragsbemessung nicht auf die individuelle
Betreuungszeit des Kindes (Besuch nur am Vor- oder am Nachmittag etc.) ankomme.
Die Kläger könnten sich daher allenfalls auf das Willkürverbot berufen, das jedoch nicht
verletzt sei. Im Übrige stünden Leistung und Gegenleistung nicht in einem
unangemessenen Verhältnis. Auch sei ein Verstoß gegen den
Gleichbehandlungsgrundsatz nicht gegeben.
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Der Beklagte beantragt,
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das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
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Die anwaltlich nicht vertretenen Kläger stellen keinen Antrag.
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In der Sache nehmen sie Bezug auf ihr bisheriges Vorbringen und die Gründe des
angefochtenen Urteils.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt des
beigezogenen Verwaltungsvorgangs sowie der Gerichtsakte Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht
stattgegeben.
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Der Festsetzungsbescheid des Beklagten vom 6. Februar 2003 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 14. April 2003 ist im angefochtenen Umfang rechtswidrig
und verletzt die Kläger in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Abs. 1 VwGO.
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Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 6 in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes
über Tageseinrichtungen für Kinder - GTK - vom 30. November 1993, GV NRW S. 984,
ist für die regelmäßige Betreuung eines Kindes im Kindergarten über Mittag (zwischen
12.30 Uhr und 14.00 Uhr) ein zusätzlicher Beitrag zu zahlen. Der Beitragstatbestand der
Über-Mittag-Betreuung nach § 17 Abs. 1 Satz 6 GTK rechtfertigt außerhalb der
Erprobungsregelung des § 21 GTK allerdings nur dann eine Beitragserhebung, wenn
die Über-Mittag-Betreuung nach der in der jeweiligen Einrichtung implementierten
Betreuungsstruktur der Überbrückung eines vormittäglichen Betreuungsangebots zu
einem nachmittäglichen Betreuungsangebot dient.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 28. März 2001 - 16 A 4298/00 -, EStT 2001, 428 ff.
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Soweit argumentiert wird, die Regelung der Beitragsermäßigung in § 21 Abs. 1 Satz 2
GTK durch die Bezugnahme auf § 17 Abs. 1 Satz 6 GTK laufe leer, da ein Über-Mittag-
Beitrag nach § 17 Abs. 1 Satz 6 GTK von vorneherein nicht anfalle, wenn die Betreuung
in der Einrichtung spätestens um 14.00 Uhr ende, lässt sich der scheinbare Widerspruch
zwanglos durch eine Interpretation dahingehend auflösen, dass sich ausgehend vom
Normalfall einer zusätzlich beitragspflichtigen Über- Mittags-Betreuung im Sinne von §
17 Abs. 1 Satz 6 GTK (Übergang in eine anschließende Nachmittagsbetreuung) ein
ermäßigter Beitrag ergeben soll. Wenn darüber hinaus eine Abweichung von der
gesetzlichen Typik, wie sie aus den maßgeblichen Vorschriften des Gesetzes über die
Tageseinrichtung für Kinder im Übrigen hervorgeht, beabsichtigt sein sollte, bedürfte
das - gerade im Hinblick auf die erheblichen beitragsrechtlichen Konsequenzen - einer
hinreichend eindeutigen Regelung. Als Versuch einer verdeckten Änderung
hergebrachter Strukturen könnte die Formulierung keine Beachtung beanspruchen.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 28. März 2001, a.a.O.
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Die danach erforderliche Gewährleistung einer anschließenden Nachmittagsbetreuung
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schließt es nicht aus, innerhalb einer Einrichtung Gruppen zu bilden, in denen - wie hier
in der von dem Kind der Kläger besuchten Kindertagesstätte Kinderland - regelmäßig
unterschiedliche Betreuungen angeboten werden (z.B. Blockbetreuung einschließlich
der Über-Mittag-Betreuung bis 14.00 Uhr, Vormittagsbetreuung von 07.00 Uhr bis 12.30
Uhr und Nachmittagsbetreuung von 14.00 Uhr bis 16.30 Uhr ohne Über-Mittag-
Betreuung und Ganztagesbetreuung von 07.00 Uhr bis 18.00 Uhr). Soll jedoch ein
zusätzlicher Beitrag für die Über-Mittag- Betreuung erhoben werden, erfordert die dieser
Betreuungsform immanente
Überbrückungsfunktion, dass das Betreuungsangebot der Einrichtung nach der
Organisationsstruktur und der diesbezüglichen Betriebserlaubnis einen regulären
Übergang aus der Über-Mittag-Betreuung in eine Nachmittagsbetreuung vorsieht.
Hierzu muss nach der geltenden Betriebserlaubnis für die in Betracht kommenden
Kinder aus der Über-Mittag-Betreuung jeweils ein Platz in einer Gruppe mit
Nachmittagsbetreuung vorgehalten werden, der von diesen Kindern - im Rahmen der
Öffnungs- und Betreuungszeiten - jederzeit in Anspruch genommen werden kann.
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Hinzu kommt, dass die Verwirklichung des Beitragstatbestandes der Über-Mittag-
Betreuung als einer gesonderten Angebotsform auch deren gesonderte
Inanspruchnahme voraussetzt.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. September 2005 - 12 A 2184/03 -.
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Eine Beitragserhebung gegenüber den Klägern kommt danach nur in Betracht, wenn
ihrem Kind in dem hier maßgeblichen Zeitraum eine Über-Mittag-Betreuung zuteil
geworden ist, die gerade ihm - und nicht etwa anderen Kindern aus der Blockbetreuung
- die Möglichkeit eines regulären Übergangs in eine anschließende
Nachmittagsbetreuung mit einem hierfür zur Verfügung stehenden Gruppenplatz eröffnet
hätte.
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Dies ist hier nicht der Fall. Für die Kinder aus der Über-Mittag-Betreuung
(Blockbetreuung) waren im Rahmen der Betreuungsorganisation und der Planung der
Gruppenstärken grundsätzlich keine Plätze in den Gruppen mit Nachmittagsbetreuung
vorgesehen. Dies widersprach von vornherein der besonderen Form dieser Betreuung,
die durch die Verlängerung der Betreuungszeit von 12.30 Uhr - dem regulären Ende der
Vormittagsbetreuung - bis 14.00 Uhr insbesondere den Müttern die Aufnahme einer
Teilzeit-/Halbtagstätigkeit ermöglichen oder deren Fortführung erleichtern, jedoch
sowohl aus der Sicht der Träger als auch nach Auffassung der Eltern gerade nicht in
eine Ganztagsbetreuung münden sollte. Aus diesem Grund sahen auch die
privatrechtlichen Betreuungsverträge keine Nachmittagsbetreuung der Kinder aus der
Blockbetreuung vor. Wie der Beklagte zudem selber ausführt, hätte es der Erteilung
einer Ausnahmegenehmigung bedurft, um die beiden Tagesstättengruppen von jeweils
20 Plätzen auf eine Betreuungskapazität von jeweils 25 Plätze zu erweitern, damit die
an einer Ganztagesbetreuung interessierten Kinder aus der Blockbetreuung in die
Tagesstättenbetreuung hätten wechseln können. Eine derartige
Ausnahmegenehmigung, die im Übrigen auf ein grundsätzlich anderes
Betreuungsangebot hinausgelaufen wäre, lag jedoch im Beitragszeitraum nicht vor.
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Dass - wie der Beklagte vorträgt - aufgrund geringerer Auslastung der
Nachmittagsbetreuung möglicherweise noch freie Plätze in den Gruppen mit
Nachmittagsbetreuung vorhanden gewesen sind, die im Rahmen der geltenden
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Betriebserlaubnis von Kindern aus der Blockbetreuung tatsächlich hätten genutzt
werden können, ändert hieran nichts. Derartige, durch kaum steuerbare
Nachfrageschwankungen bedingte und damit eher zufällige Vakanzen vermögen die
strukturelle Gewährleistung eines durchgängig verfügbaren Gruppenplatzes für die
Nachmittagsbetreuung der Kinder aus der Blockbetreuung nicht zu ersetzen.
Der Hinweis des Beklagten auf das Urteil des Gerichts vom 6. März 1998
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- 16 A 525/97 - lässt die besondere Brückenfunktion der Über-Mittag-Betreuung, die sich
hieraus ergebenden Anforderungen an die Erfüllung des diesbezüglichen
Beitragstatbestandes und das Erfordernis einer über den Besuch des Kindergartens
hinausgehenden gesonderten Inanspruchnahme dieser speziellen Betreuungsform
unberücksichtigt. Erst dann, wenn der Beitragstatbestand in der beschriebenen
Ausprägung erfüllt ist und das für eine Teilnahme notwendige Mindestmaß der
Inanspruchnahme vorliegt, ist der Umfang der darüber hinausgehenden
Inanspruchnahme für die Beitragserhebung unbeachtlich.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. September 2005 - 12 A 2184/03 -.
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Unbeachtlich ist des Weiteren, ob eine sich an die Über-Mittag-Betreuung
anschließende reguläre Nachmittagsbetreuung tatsächlich genutzt wird.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr.
10, 711 ZPO.
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Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht gegeben sind.
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