Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 20.05.2010

OVG NRW (streitgegenstand, antrag, alarm, anordnung, genehmigung, beschwerde, kommentar, auflage, erlass, verwaltungsgericht)

Oberverwaltungsgericht NRW, 13 B 170/10
Datum:
20.05.2010
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 B 170/10
Tenor:
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Be-schluss des
Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 21. Januar 2010 wird
zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 98.700,- EUR
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die Beschwerde hat weder wegen einer offensichtlichen Unrichtigkeit der
angefochtenen Entscheidung noch aus den vom Antragsgegner dargelegten Gründen (§
146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) Erfolg.
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Das Verwaltungsgericht hat dem von ihm sinngemäß verstandenen Antrag der
Antragstellerin,
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den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten,
den von der Antragstellerin betriebenen Rettungstransportwagen mit dem
amtlichen Kennzeichen ... vorläufig bis zu einer Entscheidung in der
Hauptsache, längstens für die Zeit der Geltung der durch den Beschluss der
Kammer des Verwaltungsgerichts vom 19. Mai 2009 (7 L 1520/08)
verlängerten Genehmigung vom 15. März 2007 wieder in den ersten Alarm
zu setzen,
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zu Recht entsprochen.
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Eine offensichtliche Unrichtigkeit des angefochtenen Beschlusses, deren Vorliegen
ausnahmsweise ungeachtet der vom Beschwerdeführer dargelegten Gründe - zur
Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung führte,
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vgl. hierzu Kopp/ Schenke, VwGO, Kommentar, 16. Auflage, § 146 Rdnr. 43
a. E.; Meyer-Ladewig/Rudi-sile in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner,
VwGO, Loseblattkommentar, 19. Ergänzungslieferung, § 146 Rdnr. 15;
Guckelberger in: Sodan/Ziekow, VwGO, Kommentar, 3. Auflage, § 146
Rdnr. 110 ff.; Kaufmann in: Posser/Wolff, VwGO, Kommentar, § 146 Rdnr.
17; Bader in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, Kommentar,
4. Auflage, § 146 Rdnr. 34 jeweils m.w.N; auch OVG NRW, Beschluss vom
26. Januar 2010 – 13 B 760/09 -, DVBl 2010, 442 = juris,
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ist nicht gegeben. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs.
1 Satz 2 VwGO war trotz anderweitiger Rechtshängigkeit desselben Streitgegenstands
und - nach Rücknahme der Beschwerde gegen den Beschluss vom 19. Mai 2009 (7 L
1520/08) - eingetretener Rechtskraft der über denselben Streitgegenstand getroffenen
Entscheidung nicht unzulässig. Der Antragstellerin fehlte nicht das für den Antrag auf
Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Sie wäre
insbesondere nicht auf das Vollstreckungsverfahren nach § 172 VwGO zu verweisen
gewesen.
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Dem Beschwerdeverfahren liegt derselbe Streitgegenstand zugrunde wie dem – zum
Zeitpunkt der Antragstellung insoweit noch anhängigen und inzwischen rechtskräftig
abgeschlossenen – vorläufigen Rechtsschutzverfahren 7 L 1520/08. Über das mit dem
vorliegenden Verfahren anhängig gemachte Begehren, den Antragsgegner im Wege der
einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Rettungswagen der Antragstellerin im
Rahmen der Geltungsdauer der unter dem 15. März 2007 beantragten und bis längstens
zum 14. März 2011 verlängerten Genehmigung (wieder) in den 1. Alarm zu setzen, hatte
das Gericht bereits in dem inzwischen rechtkräftigen Beschluss vom 19. Mai 2009 (7 L
1520/08) entschieden. Denn dort hatte es den Antragsgegner zur vorläufigen
Verlängerung der unter dem 15. März 2007 beantragten Genehmigung bis längstens
zum 14. März 2011 verpflichtet, die sich – so das Verwaltungsgericht auf Seite 4 des
angefochtenen Beschlusses – auf den Einsatz des Rettungswagens im 1. Alarm
erstreckte. Es ging mithin in beiden Verfahren um denselben Verwaltungsakt; er bezog
sich auf den Betrieb desselben Fahrzeugs, dieselbe Geltungsdauer und insbesondere
denselben Einsatz des Fahrzeugs, nämlich im 1. Alarm.
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Der erneute Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes war aber dennoch
zulässig. Grundsätzlich kann ein erneuter Antrag während der Rechtshängigkeit wie sie
hier wegen der Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss vom 19. Mai
2009 (7 L 1520/08) bis zu deren Rücknahme noch gegeben war - in Bezug auf
denselben Streitgegenstand nicht gestellt werden (§ 173 VwGO, § 17 Abs. 1 Satz 2
GVG); liegt bereits eine rechtskräftige Entscheidung über den Streitgegenstand vor, so
steht diese wegen der Bindungswirkung nach § 121 VwGO einem erneuten Antrag über
denselben Streitgegenstand entgegen. In solchen Fällen ist der Antragsteller
regelmäßig gehalten, sein Begehren im Vollstreckungsverfahren nach § 172 VwGO
durchzusetzen. Etwas anderes kann ausnahmsweise dann gelten, wenn die Behörde –
wie hier - ihrer durch eine einstweilige Anordnung auferlegten Verpflichtung unter
Berufung auf eine Änderung der Sach- und Rechtslage nicht nachkommt. In einem
solchen Fall erscheint der Vollstreckungsantrag nicht als der einfachere, schnellere
sowie kostengünstigere und damit unter dem Gesichtspunkt des
Rechtsschutzbedürfnisses vorrangige Weg zur Durchsetzung des (vollständigen)
Erfüllungsanspruchs. Denn der Antragsteller kann durch den Vollstreckungsantrag ein
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neues Verfahren nicht vermeiden, da für die Behörde auf diesen Antrag unter Hinweis
auf die Änderung der Sach- und Rechtslage nach Erlass der einstweiligen Anordnung
eine Vollstreckungsgegenklage gemäß § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 767 ZPO statthaft
ist.
Vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 1. Juni 2007 4 B 13.07 -, juris; VGH
Bad.-Württ., Urteil vom 26. Januar 2007 - 1 BV 02.2147 -, NVwZ-RR 2007,
736 = juris.
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So verhielt es sich hier. Der Antragsgegner hatte die Herausnahme des
Rettungstransportwagens der Antragstellerin aus dem 1. Alarm mit dem Hinweis auf die
im Juli 2009 erfolgte Verlagerung zweier Wachen, der deswegen geänderten Alarm-
und Ausrückordnung sowie der aus diesem Grunde entfallenen Notwendigkeit der
Stationierung ihres Rettungswagens und damit mit einer Änderung der Sach- und
Rechtslage begründet. Insofern wäre im Falle eines Vollstreckungsantrags durch die
Antragstellerin nach § 172 VwGO damit zu rechnen gewesen, dass der Antragsgegner
mit dieser Begründung im Wege der Vollstreckungsgegenklage vorgegangen und so ein
neues Erkenntnisverfahren durchgeführt worden wäre.
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Der Antrag ist auch begründet. Der Antragsgegner ist zur (vollständigen) vorläufigen
Erteilung der unter dem 15. März 2007 beantragten und bis zum 14. März 2011
verlängerten Genehmigung - einschließlich des Einsatzes des Rettungswagens der
Antragstellerin im 1. Alarm - verpflichtet.
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Dies folgt aus der Bindungswirkung des rechtskräftigen Beschlusses vom 19. Mai 2009
(7 L 1520/08). Nach § 121 Nr. 1 VwGO, der im Anordnungsverfahren nach § 123 Abs. 1
Satz 2 VwGO entsprechende Anwendung findet, binden rechtskräftige Entscheidungen
die Beteiligten, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Die
Rechtskraftwirkung soll verhindern, dass die aus einem festgestellten Sachverhalt
hergeleitete Rechtsfolge, über die rechtskräftig entschieden worden ist, erneut – mit der
Gefahr unterschiedlicher Ergebnisse - zum Gegenstand eines Verfahrens zwischen
denselben Beteiligten gemacht wird. Diese Wirkung entfällt, wenn sich nach dem Erlass
der voraufgegangenen Entscheidung die Sach- oder Rechtslage
entscheidungserheblich ändert. Allerdings ist eine solche nachträgliche Änderung nur
dann entscheidungserheblich, wenn es für die geltend gemachte Rechtsfolge um die
rechtliche Bewertung eines jedenfalls in wesentlichen Punkten neuen Sachverhalts
geht, zu dem die rechtskräftige Entscheidung – auch unter Berücksichtigung ihrer
Rechtsfrieden und Rechtssicherheit stiftenden Funktion – keine verbindlichen Aussagen
mehr enthält.
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Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 1992 1 C 12.92 -, NVwZ 1993,
672 (673), Urteil vom 18. September 2001 – 1 C 7.01 -, DVBl 2002, 343
(344); Kopp/Schenke, a. a. O. § 121 Rdnr. 28; Clausing in: Schoch/Schmidt-
Aßmann/Pietzner, a. a. O., § 121 Rdnr. 71; Kilian in: Sodan/Ziekow, a. a. O.,
§ 121 Rdnr. 115.
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Über denselben Streitgegenstand ist – wie oben ausgeführt – rechtskräftig entschieden
worden. Eine entscheidungserhebliche Veränderung in Bezug auf den Gegenstand der
von der Antragstellerin beanspruchten Genehmigung ist nicht eingetreten. Die im Juli
2009 - in Umsetzung des im Februar 2009 beschlossenen Rettungsdienstbedarfsplans -
durchgeführte Wachverlagerung ist jedenfalls keine Tatsache, die den vom
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Streitgegenstand erfassten Sachverhalt verändert. Diesen Umstand hatte das
Verwaltungsgericht nämlich bereits in der rechtskräftigen Entscheidung berücksichtigt
und war (auch) in Ansehung der damals insoweit erst noch zukünftig eintretenden
tatsächlichen Umsetzung des Rettungsdienstbedarfsplans zu dem Ergebnis gekommen,
ein Anordnungsgrund sowie ein Anordnungsanspruch lägen vor. Gleichermaßen verhält
es sich mit der wegen der Wachverlagerung vorgenommenen Änderung der Alarm- und
Ausrückordnung. Andere Umstände, die auf eine nachträgliche Änderung der Sach-
oder Rechtslage schließen lassen, hat der Antragsgegner nicht dargelegt. Vielmehr
betreffen seine weiteren Ausführungen Fragen, die im voraufgegangenen rechtskräftig
abgeschlossenen Verfahren hätten geklärt werden können.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt
sich aus den §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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