Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 31.07.2001

OVG NRW: sowjetunion, weltkrieg, verfahrensmangel, estland, lettland, familie, litauen, geburt, eltern, russisch

Oberverwaltungsgericht NRW, 2 A 3703/99
Datum:
31.07.2001
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 A 3703/99
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 17 K 7180/93
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens jeweils zur
Hälfte.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 16.000,- DM
festgesetzt.
Gründe:
1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten
Zulassungsgründe liegen nicht vor.
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Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, ein Anspruch
der Kläger auf Erteilung von Aufnahmebescheiden bestehe nicht, weil in der Person der
Klägerin zu 1. die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG nicht erfüllt seien.
Die insoweit geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124
Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht. Denn auf der Grundlage des gesamten
Akteninhaltes fehlt es bereits an einem substantiierten Vorbringen, aus dem
geschlossen werden könnte, dass der Klägerin zu 1. innerfamiliär die deutsche Sprache
in einer für § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG ausreichenden Weise vermittelt worden wäre.
In einer von der im Verwaltungsverfahren bevollmächtigten Schwester der Klägerin zu
1., Frau N. E. , unter dem 22. September 1992 abgegebenen Erklärung findet sich
lediglich die Aussage, die Klägerin zu 1. habe als Kind im Elternhaus ab dem 2.
Lebensjahr mit dem Vater und der (Stief-)Mutter Deutsch gesprochen, daneben ab dem
vierten Lebensjahr auch Russisch. Die Klägerin zu 1. verstehe Deutsch wenig und
spreche nur einzelne Wörter. Im von Frau N. E. unter dem 23. August 1993 erhobenen
Widerspruch ist ausgeführt, dass sie und ihre Schwester zu Hause natürlich Deutsch
gelernt hätten. Als sie dann in die Schule gekommen seien, habe befürchtet werden
müssen, dass sie wegen ihrer deutschen Sprache sehr ernsthaft Nachteile zu erleiden
hätten. Und so habe das Lernen der russischen Sprache von dem Zeitpunkt an im
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Vordergrund gestanden. Um sich zu schützen hätten sie auch von zu Hause aus das
Deutsche zurückstellen müssen. Der Gebrauch der deutschen Muttersprache sei so mit
Angst benutzt worden. Automatisch habe die deutsche Sprachbeherrschung so
zurückgehen müssen. Im Rahmen ihrer Anhörung in der Botschaft der Bundesrepublik
Deutschland Moskau am 7. Juli 1995 hat die Klägerin zu 1. persönlich dazu ausweislich
des Protokolls erklärt, ihre deutschen Großeltern nicht mehr gekannt zu haben. Diese
seien schon vor ihrer Geburt verstorben. Ihre Mutter sei gestorben, als sie ein Jahr alt
gewesen sei. Ihr Vater habe gut Deutsch gesprochen, sei aber den ganzen Tag auf der
Arbeit gewesen. Zu Hause habe er mit ihr nur Russsisch gesprochen. Aus diesen
Angaben wird nicht ersichtlich, dass der Klägerin zu 1. innerfamiliär die deutsche
Sprache von klein auf bis zur Selbständigkeit in nennenswertem Umfang vermittelt
worden ist und die Klägerin zu 1. in ihrer Kinder- und Jugendzeit erworbene
Sprachkenntnisse später entsprechend vertieft hat. Allenfalls lassen sich die genannten
Ausführungen dahingehend interpretieren, dass die Klägerin zu 1. innerfamiliär einige
wenige, eher rudimentäre Kenntnisse der deutschen Sprache erworben hat, diese aber
schon früh zumindest teilweise wieder verloren hat. Dies genügt aber nicht, um die
Voraussetzungen des Merkmals Sprache im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG
anzunehmen.
Dem prozessualen Vorbringen ist keinerlei weitergehende Substantiierung zu
entnehmen. Das Vorbringen beschränkt sich vielmehr auf die bloße nicht weiter
konkretisierte Behauptung, die Klägerin zu 1. beherrsche die deutsche Sprache. Eine
inhaltliche Auseinandersetzung mit den in eine andere Richtung gehenden schriftlichen
Angaben der Schwester der Klägerin zu 1. und den persönlichen Erklärungen der
Klägerin zu 1. findet sich nicht. In der mündlichen Verhandlung ist seitens des
Prozessbevollmächtigten angegeben worden, die Schwester der Klägerin zu 1. habe
erklärt, dass die Sprachbeherrschung der Klägerin zu 1. doch durchaus weit größer
gewesen sei, als dies in dem Sprachtest dokumentiert wurde. Eine nähere Erläuterung
dazu findet sich aber nicht, auch nicht in der Zulassungsschrift. Vor diesem Hintergrund
bestand für das Verwaltungsgericht kein Anlass zur Durchführung einer
Beweisaufnahme. Der insoweit in der Zulassungsschrift geltendgemachte
Verfahrensmangel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) liegt nicht vor. Das Verwaltungsgericht ist
weiter davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Satz 2 erster
Halbsatz BVFG im Fall der Klägerin zu 1) nicht vorliegen. Die hiergegen gerichteten
Einwände in der Zulassungsschrift werfen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit
des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) auf. Dass eine Vermittlung der
deutschen Sprache in den fünfziger und sechziger Jahren in der ehemaligen
Sowjetunion grundsätzlich möglich war, ist in der Rechtsprechung geklärt. Der Senat
geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die deutsche Sprache in der
ehemaligen Sowjetunion seit dem 2. Weltkrieg zumindest in den Familien auch in
Bereichen ungehindert gesprochen werden konnte, in denen sich nur wenige
Angehörige der deutschen Volksgruppe aufhielten.
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Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10.
Dezember 1997 - 2 A 4244/94 -.
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Diese auf umfangreiche Gutachten und Stellungnahmen gestützte Rechtsprechung zur
Frage der Möglichkeit der Vermittlung der deutschen Sprache als Bestätigungsmerkmal
im Aussiedlungsgebiet der ehemaligen Sowjetunion außer Estland, Lettland und
Litauen - von der auch das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung
ausgeht - wird auch bestätigt durch die Tatsache, dass zahlreichen Deutschen in der
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Familie die deutsche Sprache tatsächlich vermittelt worden ist. Die Ausführungen in der
Zulassungsschrift geben keinen Anlass zu einer erneuten Überprüfung dieser
Rechtsprechung in einem Berufungsverfahren.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 1 VwGO, 100 Abs. 1
ZPO.
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Die Festsetzung des Streitwerts ergeht gemäß den §§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 und 3 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 25 Abs. 3 Satz 2 GKG). Das
Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 124 a Abs. 2 Satz 3 VwGO).
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