Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 25.05.2007

OVG NRW: dienstzeit, verwaltungsverfahren, datum, vergleich, erstellung, chancengleichheit, verwaltungsorganisation, billigkeit, verzug, ermessen

Oberverwaltungsgericht NRW, 6 B 366/07
Datum:
25.05.2007
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
6 B 366/07
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 1 L 21/07
Tenor:
Die Beschwerden der Beigeladenen zu 4, 5, 24, 30, 33, 34, 45, 51, 56
und 57 werden verworfen.
Auf die Beschwerden des Antragsgegners und der Beigeladenen zu 7,
12, 17 und 77 wird der angefochtene Beschluss geändert.
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens im ersten Rechtszug.
Die Antragstellerin trägt die im Beschwerdeverfahren entstandenen
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 7, 12, 17 und 77. Die
Antragstellerin und die Beigeladenen zu 4, 5, 24, 30, 33, 34, 45, 51, 56
und 57 tragen im Beschwerdeverfahren entstandenen Gerichtskosten zu
je 1/11 sowie ihre jeweiligen außergerichtlichen Kosten selbst. Die
außergerichtlichen Kosten der übrigen Beigeladenen haben diese selbst
zu tragen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 Euro
festgesetzt.
Gründe:
1
Die Beschwerden der Beigeladenen zu 4, 5, 24, 30, 33, 34, 45, 51, 56 und 57 waren
nach § 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO als unzulässig zu verwerfen, weil sie den
Darlegungserfordernissen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht genügen.
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Die im Übrigen zulässigen Beschwerden sind begründet.
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Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht (§§ 123
Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO).
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Ob der Antragsgegner die dienstlichen Beurteilungen der Beigeladenen zu 41, 60 und
73 seiner Auswahlentscheidung zugrunde legen durfte, obwohl die Beurteilungen zu
diesem Zeitpunkt älter als drei Jahre waren, muss der Senat nicht entscheiden. Selbst
wenn der Antragsgegner gegen das Aktualitätsgebot verstoßen hat, ist dieser Fehler für
das Auswahlergebnis im Hinblick auf die Antragstellerin nicht kausal gewesen und sie
hierdurch nicht in ihrem Recht auf ermessensfehlerfreie Auswahlentscheidung verletzt.
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Der Antragsgegner hat sich bei seiner Auswahlentscheidung zunächst nach der
Qualifikation und bei einem Qualifikationsgleichstand nach dem Hilfskriterium der
abgeleisteten Dienstzeit im Sinne von § 11 LVO NRW gerichtet. Diese Auswahlkriterien
sind bedenkenfrei und werden von den Beteiligten auch nicht in Frage gestellt.
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Wenn man zugunsten der Antragstellerin annimmt, dass die genannten Beigeladenen,
die besser als die Antragstellerin beurteilt waren, bei einer hinreichend aktuellen
Beurteilung schlechter qualifiziert gewesen wären als die Antragstellerin, hätte der
Antragsgegner drei weitere Beförderungsstellen nach dem Hilfskriterium der
abgeleisteten Dienstzeit vergeben.
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Aus den Verwaltungsakten ergibt sich, dass mindestens vier Bewerber, die mit dem
gleichen Ergebnis wie die Antragstellerin in hinreichend aktuellen Beurteilungen
bewertet worden sind, eine höhere Dienstzeit als sie aufweisen und daher vor ihr zum
Zuge gekommen wären. Die Dienstzeit der Antragstellerin beginnt mit ihrer Anstellung
am 18. August 1997. Ihre vorherige Tätigkeit an öffentlichen Schulen im
Angestelltenverhältnis war nach § 11 Abs. 2 Nr. 3 LVO nicht zu berücksichtigten, weil
sie bereits zur Verkürzung der Probezeit geführt hatte. Die Dienstzeiten von Herrn C. (4.
März 1984), Frau L. (1. April 1992), Frau I. (24. Februar 1994) und Frau T. (19. Februar
1997) haben bereits früher begonnen, so dass diese Bewerber vor der Antragstellerin
ausgewählt worden wären.
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Die Auswahlentscheidung ist auch nicht deshalb fehlerhaft, weil die ihr zugrunde
gelegten dienstlichen Beurteilungen teilweise vom schulfachlichen Dezernenten der
Bezirksregierung und teilweise vom jeweiligen Schulleiter erstellt worden sind.
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Die dienstliche Beurteilung soll den Vergleich mehrerer Beamter miteinander
ermöglichen und zu einer objektiven und gerechten Bewertung des einzelnen Beamten
führen. Dies verlangt die größtmögliche Vergleichbarkeit der erhobenen Daten. Die
Beurteilungsmaßstäbe müssen gleich sein und gleich angewendet werden.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2001 - 2 C 41/00 -, ZBR 2002, 211.
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Die Einhaltung dieser Anforderungen wird in erster Linie durch verbindliche
Beurteilungsrichtlinien sichergestellt. Einheitliche Beurteilungsrichtlinien geben
allgemein geltende Beurteilungsmaßstäbe vor und sichern - jedenfalls im Grundsatz -
deren gleichmäßige Anwendung. Ob die Beurteilungen vom selben Amtswalter oder
von Inhabern gleicher Funktionen erstellt worden sind, ist demgegenüber für die
Vergleichbarkeit regelmäßig nicht entscheidend, wenn die Beurteilungsrichtlinien nichts
anderes vorsehen.
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Vgl. OVG NRW Beschlüsse vom 27. Oktober 2004 - 6 B 2026/04 -; vom 19. April 2004 -
6 B 71/04 -; vom 18. Oktober 2004 - 6 B 1706/04 -.
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Vielfach stehen Beamte in Konkurrenz um ein Beförderungsamt, die von
unterschiedlichen Beurteilern in unterschiedlichen Funktionen bewertet worden sind.
Das ist jedoch für die Vergleichbarkeit der Beurteilungen unschädlich, wenn alle auf der
Grundlage gleicher Beurteilungsmaßstäbe erstellt worden sind. Die
Beurteilungsrichtlinien dienen gerade dem Zweck, trotz verschiedener Beurteiler
vergleichbare Bewertungen zu erhalten.
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Dass die allen Beurteilungen zugrunde liegenden Richtlinien für die dienstliche
Beurteilung der Lehrkräfte sowie der Leiterinnen und Leiter an öffentlichen Schulen und
Studienseminaren vom 2. Januar 2003 (ABl. NRW S. 7, - BRL 2003 -) ungleichmäßig
angewendet worden sind, ist nicht ersichtlich. Die Antragstellerin äußert lediglich die
Vermutung, sie sei im Vergleich zu schlecht bewertet worden, weil sie noch vom
schulfachlichen Dezernenten und nicht von ihrer Schulleiterin beurteilt worden sei. Dem
ist der Antragsgegner mit der Beschwerde entgegengetreten. Anhaltspunkte, welche die
Vermutung der Antragstellerin stützen könnten, finden sich weder in ihrem Vortrag noch
sonst in den Akten. Es gibt auch keinen Erfahrungssatz, wonach das Urteil eines
bezirksweit tätigen Aufsichtsbeamten, der den Beamten nicht aus dem täglichen Dienst
kennt, stets schlechter ausfällt als das eines Vorgesetzten, der mit dem Beamten
alltäglich umgeht.
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Das Beurteilungsverfahren hat sich zwar durch die Übertragung der
Beurteilungskompetenz auf den Schulleiter (§ 59 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 SchulG i.d.F. des 2.
Schulrechtsänderungsgesetzes) geändert. Die mit der Zuständigkeitsveränderung
zwangsläufig einhergehende Verfahrensanpassung fällt jedoch so geringfügig aus,
dass sie die Vergleichbarkeit der Beurteilungen nicht beeinträchtigt.
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Insbesondere ist die Einstufigkeit des Beurteilungsverfahrens beibehalten worden. Auch
vor der Rechtsänderung lag bei Bewerbungen um ein erstes Beförderungsamt die
Zuständigkeit für die Beurteilung nur bei einer Person, nämlich bei dem schulfachlichen
Schulaufsichtsbeamten (Nr. 2.2 BRL 2003). Der Schulleiter lieferte zwar mit seinem
Leistungsbericht eine wesentliche Beurteilungsgrundlage. Da ihm ein Gesamturteil
jedoch verwehrt blieb (Nr. 2.3 BRL 2003) und der Leistungsbericht ein rechtlich
unselbständiger Beurteilungsbeitrag war, handelte es sich nicht um ein mehrstufiges
Beurteilungssystem. Das 2. Schulrechtsänderungsgesetz tauscht innerhalb dieses
einstufigen Verfahrens lediglich den Beurteiler aus. Der Wegfall des Leistungsberichts
stellt nur die hieraus folgende Konsequenz im Verwaltungsverfahren dar. Eine
inhaltliche Einbuße ist damit nicht verbunden, weil dem für den früheren
Leistungsbericht verantwortlichen Funktionsträger nunmehr die Beurteilung insgesamt
übertragen ist.
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Der Grundsatz der Chancengleichheit verlangt nicht, Übergangsregelungen für alle zum
Stichtag laufenden Auswahlverfahren vorzusehen. Stichtagsregelungen wie die
Übertragung der Beurteilungskompetenz auf den Schulleiter zum 1. August 2006 (§ 59
Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 SchulG i.d.F. des 2. Schulrechtsänderungsgesetzes) sind vielmehr
verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig. Dem Gesetzgeber ist es durch Art. 3 Abs. 1
Satz 1 GG nicht verwehrt, zur Regelung bestimmter Lebenssachverhalte Stichtage
einzuführen, obwohl jeder Stichtag unvermeidlich gewisse Härten mit sich bringt.
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Voraussetzung ist allerdings, dass sich die Einführung des Stichtags überhaupt und die
Wahl des Zeitpunkts am gegebenen Sachverhalt orientieren und damit sachlich
vertretbar sind.
Vgl. BVerfG in ständiger Rechtsprechung, zuletzt Beschluss vom 27. Februar 2007 - 1
BvL 10/00 - unter Hinweis auf BVerfG, Urteil vom 23. November 1999 - 1 BvF 1/94 -,
BVerfGE 101, 239 (270).
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Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Die Einführung eines Stichtages bietet sich bei dem
zeitabschnittsweise in Schuljahre gegliederten Schulbetrieb ohne Weiteres an. Der 1.
August 2006 ist zudem sachgerecht gewählt, weil er sich am Beginn des neuen
Schuljahres orientiert und gleichsam das natürliche Datum für Änderungen im
Schulbereich darstellt. Da zu diesem Zeitpunkt verschiedene Aufgaben des
Dienstvorgesetzten auf den Schulleiter übergingen, war es nicht sachwidrig, für die
Erstellung dienstlicher Beurteilungen keine Sonderregelung zu schaffen.
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Der Gesetzgeber hat zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des 2.
Schulrechtsänderungsgesetzes laufende Bewerbungsverfahren um ein erstes
Beförderungsamt bewusst dem neuen Recht unterstellt. Er hat das ihm zukommende
Ermessen bei der Regelung der Verwaltungsorganisation durch Art. 7 Abs. 6
("Übergangsvorschriften") dieses Gesetzes dahingehend ausgeübt, dass lediglich
laufende Besetzungsverfahren für Schulleiterstellen nach altem Recht fortgeführt
werden, für andere Stellen aber sogleich das neue Recht gelten soll. Im Bereich der
dienstlichen Beurteilungen werden damit in nicht zu beanstandender Weise
Hauptanliegen des Änderungsgesetzes ohne Verzug umgesetzt, welche u. a. darin
liegen, Schulleitungen zu stärken, Schulaufsichtsbeamte zu entlasten und das
Verwaltungsverfahren zu straffen.
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Vgl. LT-Drs. 14/1572 S. 96.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, 3, i.V.m. §§ 159 Satz 1, 162 Abs. 3
VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladenen, die selbst kein Kostenrisiko
eingegangen sind, ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen. Die
Streitwertfestsetzung orientiert sich an den §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG, wobei der
sich daraus ergebende Wert im Hinblick auf den vorläufigen Charakter der begehrten
Entscheidung zu halbieren ist.
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Der Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO).
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