Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 26.05.2009

OVG NRW: amt, kollision, staatsprüfung, beendigung, sprachkurs, organisation, chancengleichheit, ausgabe, initiative, freiheit

Oberverwaltungsgericht NRW, 14 A 225/08
Datum:
26.05.2009
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
14. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
14 A 225/08
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 6 K 3436/07
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Zulassungsverfahren
auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe:
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Der Antrag hat keinen Erfolg.
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Die geltend gemachten Zulassungsgründe gemäß § 124 Abs. 2 Nrn. 1, 2 und 3 VwGO
sind nicht in einer dem Erfordernis des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise
dargelegt oder liegen nicht vor.
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1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, § 124 Abs. 2 Nr. 1
VwGO, liegen vor, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche
Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2000 - 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, 1163 = DVBl.
2000, 1458.
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Das Vorbringen des Klägers begründet solche Zweifel nicht.
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a) Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass das beklagte Amt die
Verbesserungsprüfung des Klägers im Sinne des § 18b JAG 1993, der gemäß § 66 Abs.
1 Satz 2 JAG 2003 für dessen Prüfung anwendbar ist, mit dem angefochtenen Bescheid
vom 16.5.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7.8.2007 gemäß § 10
Abs. 1 lit. b) JAO für nicht bestanden erklären durfte, weil er die häusliche Arbeit ohne
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genügende Entschuldigung nicht abgeliefert habe. § 10 Abs. 1 lit. b) JAO sei durch die
Verordnungsermächtigung des § 34 Abs. 1 Nr. 3 JAG 1993 gedeckt. Die
Verordnungsermächtigung genüge dem Grundsatz des Parlamentsvorbehalts, weil der
Gesetzgeber damit die Grundentscheidung getroffen habe, dass an die Nichterbringung
von Prüfungsleistungen negative Rechtsfolgen geknüpft werden dürfen. Dem
Verordnungsgeber bleibe es insoweit lediglich überlassen, den dadurch vorgegebenen
Rahmen konkretisierend auszufüllen. Der Verordnungsgeber habe mit § 10 Abs. 1 lit. b)
JAO diesen Rahmen nicht überschritten. § 34 Abs. 1 Nr. 3 JAG 1993 ermächtige nicht
lediglich zu einer Regelung der Rechtsfolgen eines Rücktritts von der gesamten
Prüfung. Diese seien in § 16 JAG 1993 umfassend geregelt. Demgegenüber betreffe die
Verordnungsermächtigung und ihre Ausfüllung diejenigen Fälle, in denen der Prüfling
einzelne Prüfungsleistungen nicht erbringt, ohne dass er zugleich von dem gesamten
Prüfungsverfahren mit gegebenenfalls bereits erbrachten Prüfungsleistungen Abstand
nehmen will. Die bei nicht genügend entschuldigter Nichtablieferung von im Einzelnen
bestimmter Prüfungsleistungen angeordnete Rechtsfolge, dass die gesamte Prüfung als
nicht bestanden gilt, sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, insbesondere
verhältnismäßig.
b) Die demgegenüber vom Kläger geltend gemachte wesentliche Änderung des
Sachverhalts ist nicht entscheidungserheblich. Prüfungsergebnisse, die er inzwischen
erzielt hat, weil das beklagte Amt gehalten war, die Prüfung wegen der aufschiebenden
Wirkung von Widerspruch und Klage gegen seinen Bescheid vom 16.5.2007
fortzusetzen, sind prüfungsrechtlich nur von Bedeutung, wenn seine Klage gegen
diesen Bescheid Erfolg hat. Dieser Erfolg kann aus Gründen der Logik nicht durch die
weiteren Prüfungsergebnisse herbei geführt werden.
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Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, an die Unvollständigkeit der Erledigung der
Prüfungsaufgaben anzuknüpfen, so dass die nicht genügend entschuldigte
Nichterbringung der häuslichen Arbeit gemäß § 10 Abs. 1 lit. b) JAO die Rechtsfolge
des Nichtbestehens der Prüfung zur Folge hat.
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Vgl. Senatsbeschluss vom 20.12.2005 - 14 E 1570/05 -.
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Bei der Entscheidung über diese Rechtsfolge besteht entgegen der Annahme des
Klägers weder aus verfassungsrechtlichen noch aus anderen Gründen ein Anlass, den
unbestimmten Rechtsbegriff der "genügenden Entschuldigung" im Sinne des § 10 Abs.
1 JAO weiter und weniger streng zu verstehen als den für den Rücktritt gemäß § 16 Abs.
2 Satz 2 JAG 1993 erforderlichen "wichtigen Grund". Der Kläger geht im Ausgangspunkt
zutreffend davon aus, dass die Verfahrensregeln dazu dienen, das sich aus Art. 3 Abs.
1, Art. 12 Abs. 1 GG ergebende Gebot der Chancengleichheit im Prüfungsrecht zu
verwirklichen. Seine daraus gezogene Schlussfolgerung, dass der vorgebrachte
Entschuldigungsgrund nach objektiven und subjektiven Kriterien zu bewerten sei und
deshalb seine berufsbezogene Sprachweiterbildung Vorrang vor der Fertigung der
häuslichen Arbeit genießen müsse, trägt jedoch nicht. Das Verwaltungsgericht ist
vielmehr zutreffend davon ausgegangen, dass einem Prüfling auch in Bezug auf
einzelne Prüfungsleistungen nicht ohne triftigen Grund eine zusätzliche Chance zu
deren Erbringung eingeräumt werden darf und dass sich dies nach dem Maßstab der
Zumutbarkeit beurteilt. Dieser Maßstab ist angesichts der Vielgestaltigkeit individueller
Planungen und Wünsche alternativlos. Es ist nicht die Aufgabe des beklagten Amtes,
außerhalb des Prüfungsverfahrens liegende Lebens- und Ausbildungsplanungen
wertend zu beurteilen.
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Vgl. dazu Senatsurteil vom 22.1.2009 - 14 A 2340/08 -, juris und NRWE.
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Das Verwaltungsgericht ist des weiteren zutreffend davon ausgegangen, dass ein
solcher triftiger Grund nicht vorliegt, wenn ein Prüfling die Wahl hat zwischen der
Durchführung der Prüfung und der Wahrnehmung eines kollidierenden Termins und
sich gegen die Prüfungsdurchführung entscheidet. Der Kläger hat nicht dargelegt, dass
die Teilnahme an dem konkreten Sprachkurs in Schweden eine einmalige, bei
Nichtwahrnehmung unwiederbringlich verloren gehende Chance für ihn war. Es war ihm
deshalb zumutbar darauf zu verzichten, um eine Kollision mit dem Termin für die
Fertigung der häuslichen Arbeit zu vermeiden. Selbst wenn aber von einer solchen
Unwiederbringlichkeit der Chance auszugehen wäre, läge der Grund für die dann
eingetretene Kollision in der engen Zeitplanung des Klägers, die letztlich keinen
"Ausrutscher" - wie seine zur zeitweisen Prüfungsunfähigkeit führende Verletzung im
Februar 2007 - in der Verbesserungsprüfung erlaubte, wenn der geplante
Sprachkursbesuch nicht gefährdet werden sollte. Eine straffe Organisation der
Ausbildung ist auch aus der Sicht des Gesetzgebers zwar grundsätzlich
anerkennenswert und wird durch die Regelungen zum Freiversuch unterstützt. Dennoch
beruht eine solche Organisation allein auf der Entscheidung des Prüflings.
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Vgl. Senatsbeschluss vom 30.11.2006 - 14 B 2390/06 -, NRWE.
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Den für die Verbesserungsprüfung durch § 18b Abs. 1 Satz 2 JAG NRW vorgegebenen
Zeitrahmen hätte er jedenfalls auch durch einen nach Abschluss des von ihm gewählten
Sprachkurses gestellten Antrag auf Zulassung einhalten können. Die Überlegung, dass
der Kläger nach dem heute geltenden Recht für die erste juristische Staatsprüfung den
"Verbesserungsversuch zusammen mit der sprachlichen Berufsfortbildung ohne
weiteres" hätte absolvieren können, weil eine häusliche Arbeit nicht mehr Prüfungsteil
ist, ist für die hier zu treffende Entscheidung unergiebig. Im übrigen hätte auch nach
neuem Recht durch die überlegte Stellung des Antrags auf Zulassung zur
Verbesserungsprüfung ausgeschlossen werden müssen, dass der vom Kläger besuchte
Sprachkurs in Schweden mit einzelnen Prüfungsteilen in gleicher Weise und mit
gleicher Rechtsfolge (§ 20 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 JAG 2003) kollidiert.
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2. Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Rechtssache keine besonderen
rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten aufweist, § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO.
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3. Die von der Klägerin als grundsätzlich aufgeworfenen Fragen rechtfertigen ebenfalls
nicht die Zulassung der Berufung, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
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a) Es ist in der Rechtsprechungspraxis des erkennenden Senats geklärt, dass § 10 Abs.
1 JAO eine wirksame Ermächtigungsgrundlage dafür ist, eine Prüfung wegen nicht
erbrachter Prüfungsleistungen für nicht bestanden zu erklären.
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Vgl. Senatsbeschlüsse vom 20.12.2005 - 14 E 1570/05 -, vom 17.12.2007 - 14 A
2936/07 -, NRWE, und vom 15.4.2008 - 14 A 1905/07 -, NRWE.
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b) Die Frage nach den Abwägungsbedürfnissen und -inhalten bei der Anwendung von
prüfungsverfahrensrechtlichen Vorschriften würde sich in einem Berufungsverfahren
allenfalls in der vom Kläger selbst konkretisierten Form stellen, ob es gerechtfertigt ist,
"jedwede 'freiwillige' Verschiebung eines Prüfungstermins als nicht genügend
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entschuldigt mit der Folge des Ausschlusses vom Prüfungsverfahren zu ahnden". Dabei
sei vorausgeschickt, dass die ungenügend entschuldigte Nichterbringung von
Prüfungsleistungen gemäß § 10 Abs. 1 JAO nicht etwa zum Ausschluss vom
Prüfungsverfahren führt, sondern zu dessen Beendigung durch Nichtbestehen.
Hinsichtlich des unbestimmten Rechtsbegriffs der genügenden Entschuldigung ergibt
sich allerdings unmittelbar aus dem hier maßgebenden Juristenausbildungsgesetz,
dass ein Prüfling während des Prüfungsverfahrens nicht die Freiheit hat,
Prüfungstermine nach eigenen Wünschen zu verschieben. Zwar liegt der Beginn eines
Prüfungsverfahrens zur ersten juristischen Staatsprüfung in der Hand des Prüflings.
Sowohl das Verfahren insgesamt als auch dasjenige des Verbesserungsversuchs wird
nämlich nur aufgrund seiner Initiative in Gang gesetzt, §§ 7 ff, 18b Abs. 1 Satz 2 JAG. Ist
es aber in Gang, hat das beklagte Amt das Verfahren von Amts wegen durchzuführen.
Für die Ausgabe der häuslichen Arbeit ist in § 10 Abs. 2 Satz 5 JAG konkret geregelt,
dass sie dem Prüfling unverzüglich nach Anfertigung der letzten Aufsichtsarbeit
zuzuteilen ist. Das verfassungsrechtliche Gebot der Chancengleichheit im
Prüfungsrecht, Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 GG, verbietet es, von dieser für alle Prüflinge
geltenden Strukturierung des Prüfungsablaufs abzuweichen, um individuellen
Wünschen zu entsprechen, wenn ein Verzicht auf deren Erfüllung zumutbar ist.
c) Die zuletzt aufgeworfene Frage, ob es "durch die einschlägige
Ermächtigungsgrundlage und ihre Anwendung gedeckt (ist), ein abgeschlossenes
Prüfungsverfahren wahrheitswidrig für nicht bestanden zu erklären", kann sich - wie
oben ausgeführt - in einem Berufungsverfahren aus Gründen verfahrensrechtlicher
Logik nicht stellen. Ist der Bescheid des beklagten Amtes vom 16.5.2007 in der Fassung
des Widerspruchsbescheides vom 7.8.2007 rechtmäßig, hat dessen uneingeschränktes
Wirksamwerden nach rechtskräftiger Beendigung der gerichtlichen Verfahren zur Folge,
dass das Prüfungsverfahren des Klägers zur Verbesserung der Gesamtnote gemäß §
18b JAG aus dem Grund, der den Bescheiden zugrunde liegt, beendet ist. Die während
der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage erbrachten
Prüfungsleistungen sind dann keine Prüfungsleistungen im Rahmen dieses
Verbesserungsversuchs und können auch keinem anderen Prüfungsverfahren
zugeordnet werden. Wie in allen derartigen Fällen geschieht die Erbringung von
weiteren Prüfungsleistungen während der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen
gegen Prüfungsentscheidungen "auf eigenes Risiko". Ergebnisse solcher
Prüfungsleistungen, wenn sie denn überhaupt verbindlich ermittelt werden, sind
grundsätzlich nicht geeignet, einer rechtmäßigen Prüfungsentscheidung nachträglich
die Grundlage zu entziehen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes
beruht auf § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG).
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Der Beschluss ist unanfechtbar.
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