Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 02.02.2010

OVG NRW (beurteilung, amt, bewertung, beratung, anordnung, stelle, bewerbung, antragsteller, leitung, erstellung)

Oberverwaltungsgericht NRW, 6 B 1621/09
Datum:
02.02.2010
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
6 B 1621/09
Schlagworte:
Stellenbesetzung Versetzungsbewerber Beförderungsbewerber
Leitsätze:
1. Erfolgreicher Antrag eines Sonderschullehrers auf Erlass einer
einstweiligen An-ordnung mit dem Ziel der Verpflichtung des
Dienstherrn, eine freie Planstelle der Besoldungsgruppe A 14 Fn. 2
LBesO vorläufig nicht mit der Beigeladenen zu beset-zen.
2. Zur Frage, ob im Rahmen einer aktuellen Anlassbeurteilung auf
Erkenntnisgrundlagen für eine frühere Anlassbeurteilung zurückgegriffen
werden darf.
3. Zu Plausibilitätsdefiziten, wenn die aktuelle Beurteilung in einem
höheren Statusamt zu einem besseren Gesamturteil gelangt als die
frühere Beurteilung im niedriger bewerteten Amt, sich aber in
wesentlichen Teilen nur auf die damaligen Erkenntnisgrundlagen stützt.
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der
Streitwertfestsetzung geändert.
Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung
aufgegeben, die ausgeschriebene Stelle eines
Sonderschulkonrektors/einer Sonderschulkonrektorin als ständiger
Vertreter des Leiters an der Q. -L. -Schule in G. nicht mit der
Beigeladenen zu besetzen, bis über die Bewerbung des Antragstellers
unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden
worden ist.
Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen mit Ausnahme der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt,
werden dem Antragsteller zu ¼ und dem Antragsgegner zu ¾ auferlegt.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,- EUR
festgesetzt.
Gründe:
1
Die zulässige Beschwerde ist nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang
begründet. Insoweit hat der Antragsteller einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht
(§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO). Die angegriffene
Auswahlentscheidung ist rechtswidrig. Ihr liegt unter anderem die dienstliche
Beurteilung der Beigeladenen vom 2. Juni 2009 zu Grunde, die fehlerhaft ist.
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Entgegen der Auffassung der Beschwerde ist allerdings nicht zu beanstanden, dass der
Antragsgegner die Einholung einer neuen dienstlichen Beurteilung der Beigeladenen
für erforderlich erachtet hat. Hierzu war er vielmehr gehalten, nachdem die Beigeladene
am 15. Juli 2008 zur Konrektorin (A 14 LBesO mit Amtszulage) befördert worden war
und sich infolgedessen ihr Aufgabenfeld namentlich im Hinblick auf die
wahrzunehmenden Leitungs- und Koordinationstätigkeiten verändert hatte.
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Der von Art. 33 Abs. 2 GG geforderte Qualifikationsvergleich ist in erster Linie anhand
von aktuellen aussagekräftigen dienstlichen Beurteilungen der Bewerber vorzunehmen,
die deren gegenwärtigen Leistungsstand wiedergeben.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 2002 2 C 31.01 , DÖD 2003, 200.
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Da sich die dienstlichen Anforderungen mit Blick auf das innegehabte Amt im
statusrechtlichen Sinne bestimmen und hiervon ausgehend in aller Regel steigen, wenn
der Beamte in ein höheres Statusamt befördert wird, ist eine dienstliche Beurteilung, die
dem Beamten in einem früheren Amt erteilt wurde, nicht geeignet, das Leistungs- und
Befähigungsbild im höherwertigen Amt widerzuspiegeln. Dies führt grundsätzlich dazu,
dass diese Beurteilung für den Vergleich der aktuellen Leistungen von Mitbewerbern
unbrauchbar ist. Dass die der Beigeladenen erteilte dienstliche Beurteilung vom 26.
April 2007 ein prognostisches Urteil über deren Eignung für das Amt einer Konrektorin
enthielt, ändert hieran nichts.
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Auf die Einholung einer aktuellen Beurteilung der Beigeladenen konnte auch nicht
deshalb verzichtet werden, weil die Beigeladene auf die streitige Stelle - anders als der
Antragsteller - nicht befördert, sondern versetzt werden soll. Die aus Art. 33 Abs. 2 GG
folgenden Vorgaben gelten auch für Versetzungsbewerber, wenn sich der Dienstherr
wie hier verbindlich darauf festgelegt hat, die Stelle auf der Grundlage eines
Auswahlverfahrens nach Maßgabe der Bestenauslesegrundsätze zu besetzen.
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Dem Dienstherrn kommt bei der Entscheidung, welchen Personenkreis er für eine
Stellenbesetzung in Betracht zieht, ein weitgefasster Spielraum zu. Es ist grundsätzlich
seinem freien - gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren - organisatorischen
Ermessen überlassen, ob er eine frei gewordene Stelle im Wege der Versetzung, der
Umsetzung, der Beförderung oder auf sonstige Weise neu besetzt. Entschließt sich der
Dienstherr jedoch, in das Auswahlverfahren neben Versetzungs- auch
8
Dienstherr jedoch, in das Auswahlverfahren neben Versetzungs- auch
Beförderungsbewerber einzubeziehen, so beschränkt er mit dieser Entscheidung seine
Organisationsfreiheit und ist aufgrund der hierdurch eingetretenen Selbstbindung
gehalten, die nachfolgende Auswahl auch dann an den Maßstäben des
Leistungsgrundsatzes zu messen, wenn die konkrete Maßnahme nicht mit einer
Statusveränderung verbunden ist und daher von dem Amtsbegriff des Art. 33 Abs. 2 GG
nicht erfasst wird.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. November 2004 - 2 C 17.03 -, ZBR 2005, 244.
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An der Einholung einer aktuellen, sich zum Leistungsstand im gegenwärtigen
statusrechtlichen Amt verhaltenden dienstlichen Beurteilung war der Antragsgegner
auch nicht deshalb gehindert, weil die in Nr. 3.1 der Richtlinien für die dienstliche
Beurteilung der Lehrkräfte sowie der Leiterinnen und Leiter an öffentlichen Schulen und
Studienseminaren (RdErl. des Ministeriums für Schule, Jugend und Kinder vom
2. Januar 2003, BASS 21-02 Nr. 2) besonders genannten Fälle, in denen die Erstellung
einer Beurteilung vorgeschrieben ist, hier nicht einschlägig sind. Jedenfalls war der
Antragsgegner nach Nr. 3.1.6 BRL verpflichtet, eine aktuelle dienstliche Beurteilung
einzuholen; denn die Entscheidung über die Bewerbung der Beigeladenen war
angesichts der vorerwähnten organisatorischen Dispositionen des Antragsgegners im
Sinne dieser Vorschrift eine sonstige dienstrechtliche Entscheidung, die nur auf der
Grundlage sicherer aktueller Kenntnis der dienstlichen Leistungen getroffen werden
durfte.
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Die über die Beigeladene erstellte dienstliche Beurteilung vom 2. Juni 2009 ist
rechtswidrig, weil der Beurteiler den zu Grunde zu legenden Maßstab nicht
durchgehend beachtet hat und - damit einhergehend - die Vergabe des Gesamturteils
unplausibel ist.
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Der Beurteiler hat bei der Erstellung der dienstlichen Beurteilung vom 2. Juni 2009
jedenfalls im Hinblick auf die Beurteilung der Fähigkeiten der Beigeladenen zur Leitung
von Konferenzen sowie zur Bewertung fremden Unterrichts und Beratung des
Unterrichtenden anders als von ihm angegeben ersichtlich nicht auf den
Leistungsbericht des Schulleiters vom 29. Mai 2009 abgestellt. Denn dieser enthält zur
Leitung von Konferenzen durch die Beigeladene überhaupt keine Aussage und
erschöpft sich im Weiteren in der bloßen Feststellung, dass die Beigeladene ihre
Kollegen berate, wobei selbst der Gegenstand der Beratung offen bleibt; der
erforderliche Bezug zur Bewertung fremden Unterrichts ist auch im weiteren Kontext
nicht erkennbar. Die Ausführungen in der dienstlichen Beurteilung zur Beratung und zur
Konferenzleitung beruhen vielmehr mangels anderer Grundlagen offensichtlich auf der
in der Beurteilung vom 26. April 2007 dargelegten Einschätzung der insoweit gezeigten
Leistungen der Beigeladenen.
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Diese Vorgehensweise bei der Erstellung der Beurteilung begegnet schon mit Blick
darauf Bedenken, dass sie mit den in Nrn. 2.3, 4.3 und 4.3.2 der Beurteilungsrichtlinien
enthaltenen Vorgaben und der auf diesen beruhenden Praxis nicht im Einklang steht.
Beurteilungsgrundlage sind danach neben dem Leistungsbericht des Schulleiters
regelmäßig die persönlichen Eindrücke des Beurteilers, die auf einem Besuch des
Unterrichts des zu Beurteilenden, dessen Beratung eines Kollegen, der Leitung einer
Konferenz sowie auf einem Kolloquium beruhen.
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Sieht man von diesen Bedenken ab, war eine Übernahme der in der Beurteilung vom
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26. April 2007 enthaltenen Bewertung in die aktuelle Beurteilung jedenfalls unter den
besonderen Umständen des Streitfalls rechtlich nicht mehr vertretbar. Zum einen lagen
die früher gezeigten Leistungen außerhalb des Beurteilungszeitraumes. Zum anderen
blieb unberücksichtigt, dass die Beigeladene zwischenzeitlich zur Konrektorin befördert
worden war und ihre Leistungen daher am Maßstab des höherwertigen Statusamtes zu
messen waren. Dass eine - hier in jeder Hinsicht fragwürdige - Neubewertung der
Leistungen vorgenommen wurde, ist auszuschließen. Denn zu diesem Zweck hätte dem
Beurteiler die Tatsachengrundlage bekannt sein müssen, die Basis für die vormals
getroffene Einschätzung war. Hierfür ist, ungeachtet der Frage, ob die zeitliche Ferne zu
den im Rahmen der Hospitation am 19. März 2007 gewonnenen Erkenntnissen ein
Rückgriff auf diese noch zuließe, schon deshalb nichts ersichtlich, weil die Beurteilung
vom 26. April 2007 durch einen anderen Schulaufsichtsbeamten erstellt worden war.
Die Übernahme der in der Beurteilung vom 26. April 2007 vorgenommenen
Bewertungen für die Leitung einer Konferenz und die Beratung eines Kollegen -
Entsprechendes dürfte aus den von dem Antragsteller dargelegten Gründen zudem für
die Bewertung des Unterrichts gelten - in die aktuelle dienstliche Beurteilung führt
überdies dazu, dass das vergebene Gesamturteil nicht plausibel ist. Dass Leistungen,
die im Statusamt A 13 zu einer Bewertung mit "übertreffen die Anforderungen" führten,
im Statusamt A 14 (mit Amtszulage) - wenn auch in der Zusammenschau mit den aktuell
bewerteten Leistungen namentlich im Bereich der Leitungs- und
Koordinationstätigkeiten - zu einer besseren Gesamtnote ("übertreffen die
Anforderungen in besonderem Maße") führen, ist aus sich heraus nicht nachvollziehbar.
Gründe, die diese Bewertung plausibel erscheinen ließen, hat der Antragsgegner nicht
angeführt und dürften auf der gegenwärtigen Erkenntnisgrundlage auch nicht angeführt
werden können.
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Soweit sich die einstweilige Anordnung über den in der Beschlussformel genannten
Zeitpunkt hinaus bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit der Auswahlentscheidung
erstrecken soll, bleibt der Antrag ohne Erfolg. Dem Rechtsschutzanspruch eines
Beamten, der gegen eine Auswahlentscheidung vorläufigen Rechtsschutz begehrt, ist in
aller Regel hinlänglich Rechnung getragen, wenn die Wirkungsdauer der einstweiligen
Anordnung nicht über die Neubescheidung seiner Bewerbung hinausreicht. Mehr als
eine solche Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts kann
er auch im Hauptsacheverfahren in aller Regel nicht erzielen. Die einstweilige
Anordnung darf aber über das dort Erreichbare auch in zeitlicher Dimension nicht
hinausgehen. Für eine bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Bewerbung
geltende Anordnung ist deshalb im Allgemeinen kein Raum.
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OVG NRW, Beschluss vom 28. Juni 2006 6 B 618/06 ZBR 2006, 390.
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Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 155 Abs. 1, 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung orientiert sich an den §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG,
wobei der sich daraus ergebende Wert im Hinblick auf den vorläufigen Charakter der
begehrten Entscheidung zu halbieren ist.
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Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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