Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 24.06.2009

OVG NRW: bundesamt für migration, verbot der diskriminierung, de lege ferenda, unionsbürger, eugh, staatsangehörigkeit, diskriminierungsverbot, mitgliedstaat, gemeinschaftsrecht, beschränkung

Oberverwaltungsgericht NRW, 17 A 805/03
Datum:
24.06.2009
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
17. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
17 A 805/03
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 20 K 10510/00
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig
vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden,
wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher
Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
1
Der Kläger begehrt die Verpflichtung der Beklagten zur Löschung der im
Ausländerzentralregister über ihn gespeicherten Daten.
2
Der Kläger ist österreichischer Staatsangehöriger. Er ließ sich 1996 in Deutschland
nieder, um hier den Beruf eines selbständigen Versicherungsagenten auszuüben. In
dem bis Ende 2004 vom Bundesverwaltungsamt und seither vom Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge geführten Ausländerzentralregister sind in Bezug auf den
Kläger folgende Daten gespeichert:
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- Name, Vorname, Geburtsdatum und -ort, Staatsangehörigkeit, Familienstand,
Geschlecht;
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- Ersteinreise nach Deutschland, Melde- und Aufenthaltsstatus;
5
- Passangaben;
6
- historische Einträge zum Meldestatus einschließlich bisherige Zuzüge nach
Deutschland und Fortzüge ins Ausland;
7
- Geschäftszeichen des Bundesamts, Bezeichnung der Stellen, die Daten übermittelt
haben, und deren Geschäftszeichen.
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Der Kläger ist der Auffassung, die Speicherung personenbezogener Daten eines
ausländischen Unionsbürgers widerspreche den Diskriminierungsverboten gem. Art.12
und 49 EG sowie den Vorgaben der Artikel 6 Abs. 1 lit. b und 7 lit. e der Richtlinie
95/46/EG.
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Unter dem 22. Juli 2000 beantragte er die Löschung der über ihn gespeicherten Daten.
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Das seinerzeit zuständig gewesene Bundesverwaltungsamt lehnte den Antrag mit
Bescheid vom 29. September 2000 ab. Zur Begründung führte es aus: Das
Ausländerzentralregistergesetz sei auch auf Unionsbürger anwendbar. Die
gemeinschaftsrechtliche Freizügigkeit beinhalte nicht eine aufenthaltsrechtliche
Gleichstellung mit Inländern.
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Den Widerspruch des Klägers vom 7. Oktober 2000 wies das Bundesverwaltungsamt
mit Widerspruchsbescheid vom 20. November 2000 zurück. In der Begründung heißt es
ergänzend: Die Richtlinie 95/46/EG enthalte kein generelles Verbot der Speicherung
personenbezogener Daten von Unionsbürgern. Den Maßgaben von Art. 6 Abs. 1 lit. b
der Richtlinie sei genügt, da die Speicherung und Verwendung der Daten
ausschließlich innerhalb der gesetzlich definierten Zweckbestimmung erfolgten. Die
Datenverarbeitung sei auch erforderlich im Sinne von Art. 7 lit. e der Richtlinie. Denn die
Kenntnis der Daten von Unionsbürgern sei für die Aufgabenerfüllung einer Vielzahl
öffentlicher Stellen in Deutschland notwendig. Sie gewährleiste die unverzügliche
Kenntnisnahme aufenthaltsrechtlich relevanter Sachverhalte wie des Vorliegens der
Freizügigkeitsvoraussetzungen oder auch eines etwaigen Einreise- und
Aufenthaltsverbots.
12
Auf die vom Kläger am 16. Dezember 2000 erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht
mit am 19. Dezember 2002 verkündetem Urteil die Beklagte verpflichtet, die im
Ausländerzentralregister gespeicherten Daten des Klägers zu löschen. Zur Begründung
hat es im Wesentlichen ausgeführt:
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Dem Kläger stehe der geltend gemachte Löschungsanspruch gemäß § 36 Abs. 1 Satz 4
AZRG zu, da die Speicherung seiner Daten unzulässig sei. Sie stehe zwar im Einklang
mit §§ 2 und 3 AZRG; die Anwendung dieser Vorschriften auf den Kläger verstoße
jedoch gegen primäres und sekundäres Gemeinschaftsrecht. Sie verletze die ihm durch
Art. 49 und 50 EG gewährleistete Dienstleistungsfreiheit, indem sie ihn ungerechtfertigt
diskriminiere. Er werde durch die Eintragung im Ausländerzentralregister schärfer
überwacht als ein deutscher Staatsangehöriger. Dies könne ihn auch in seinem
beruflichen Bereich beeinträchtigen. Hinzu kämen die umfangreichen und schwer
eingrenzbaren Verarbeitungsmöglichkeiten der über ihn gespeicherten Daten. Die
Ungleichbehandlung lasse sich durch den unterschiedlichen Aufenthaltsstatus von
14
Deutschen und EU-Ausländern nicht rechtfertigen, da sie unverhältnismäßig sei.
Gesichtspunkte der Verwaltungsvereinfachung reichten für eine Einschränkung der Art.
49 und 50 EG nicht aus. Sonstige rechtfertigende Gründe, die sich an der Schranke der
öffentlichen Sicherheit und Ordnung gemäß Art. 55, 46 EG messen lassen müssten,
lägen nicht vor. Weder Gesichtspunkte des materiellen Ausländerrechts noch solche
des Melderechts, der Statistik oder der Kontrolle des Bezugs öffentlicher Leistungen
seien geeignet, die Speicherung der Daten des Klägers im Ausländerzentralregister zu
rechtfertigen. Zugleich liege ein Verstoß gegen das allgemeine Diskriminierungsverbot
nach Art. 12 und 18 EG vor. Die Datenspeicherung sei schließlich nicht vereinbar mit
Art. 6 Abs. 1 lit. b, 7 lit. e der Richtlinie 95/46/EG, die seit dem Ablauf der
Umsetzungsfrist am 24. Oktober 1998 unmittelbar anwendbar sei.
Mit ihrer vom Verwaltungsgericht zugelassenen und rechtzeitig eingelegten Berufung
hat die Beklagte zunächst vorgetragen:
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Auf den Kläger seien die Vorschriften über die Niederlassungsfreiheit (Art. 43 ff. EG)
anwendbar, da er dauerhaft in Deutschland lebe und arbeite. Die Speicherung seiner
Daten im Ausländerzentralregister verstoße nicht gegen das gemeinschaftsrechtliche
Diskriminierungsverbot. Dieses stehe einer Kontrolle des Aufenthalts ausländischer
Unionsbürger nicht entgegen. Die Mitgliedstaaten seien befugt, die hierfür benötigten
Daten zu sammeln. Ihre zentrale Speicherung sei erforderlich zur Unterstützung der
ausländerbehördlichen und polizeilichen Aufgabenerfüllung sowie zu statistischen
Zwecken. Die spezifische Funktion des Ausländerzentralregisters werde durch die
dezentralisierten Melderegister der Länder nicht gleichermaßen effektiv erfüllt, da sie
einen schnellen und praktikablen Zugriff auf die für den Aufenthaltsstatus eines
Ausländers relevanten Daten nicht zuließen. Die Speicherung der Daten eines
Unionsbürgers im Ausländerzentralregister verstoße auch nicht gegen Art. 6 und 7 der
Richtlinie 95/46/EG. Das Ausländerzentralregistergesetz werde den Vorgaben dieser
Bestimmungen in vollem Umfang gerecht, indem es präzise bestimme, welche
Datenspeicherungen erforderlich sind.
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Der Kläger tritt der Berufung entgegen. Zur Begründung hat er sich zunächst im
Wesentlichen die Erwägungen des angefochtenen Urteils zueigen gemacht.
17
Der Senat hat gemäß Art. 234 Abs. 1 und 2 EG eine Vorabentscheidung des
Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) zu folgenden Fragen eingeholt:
18
Ist die generelle Verarbeitung personenbezogener Daten ausländischer Unionsbürger
in einem zentralen Fremdenregister vereinbar mit
19
a) dem Verbot einer an die Staatsangehörigkeit anknüpfenden Diskriminierung von
Unionsbürgern, die ihr Recht ausüben, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu
bewegen und aufzuhalten (Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 17 und 18 Abs. 1 EG),
20
b) dem Verbot einer Beschränkung der freien Niederlassung von Staatsangehörigen
eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats (Art. 43 Abs. 1 EG),
21
c) dem Erforderlichkeitsgebot des Art. 7 lit. e der Richtlinie 95/46/EG ?
22
Mit Urteil vom 16. Dezember 2008 - C-524/06 -, NVwZ 2009, 379 hat der EuGH die
Vorlagefragen wie folgt beantwortet:
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1. Ein System zur Verarbeitung personenbezogener Daten von Unionsbürgern, die
keine Staatsangehörigen des betreffenden Mitgliedstaats sind, wie das System, das mit
dem Gesetz über das Ausländerzentralregister vom 2. September 1994 in der Fassung
des Gesetzes vom 21. Juni 2005 eingerichtet wurde und das die Unterstützung der mit
der Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften betrauten nationalen Behörden
bezweckt, entspricht nur dann dem im Licht des Verbots jeder Diskriminierung aus
Gründen der Staatsangehörigkeit ausgelegten Erforderlichkeitsgebot gemäß Art. 7 lit. e
der Richtlinie 95/46/EG, wenn
24
- es nur die Daten enthält, die für die Anwendung der entsprechenden Vorschriften
durch die genannten Behörden erforderlich sind, und
25
- sein zentralisierter Charakter eine effizientere Anwendung dieser Vorschriften in Bezug
auf das Aufenthaltsrecht von Unionsbürgern erlaubt, die keine Staatsangehörigen
dieses Mitgliedstaats sind.
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Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, diese Umstände im Ausgangsverfahren zu
prüfen.
27
Jedenfalls lassen sich die Speicherung und Verarbeitung von namentlich genannte
Personen betreffenden personenbezogenen Daten im Rahmen eines Registers wie des
Ausländerzentralregisters zu statistischen Zwecken nicht als erforderlich im Sinne von
Art. 7 lit. e der Richtlinie 95/46/EG ansehen.
28
2. Art. 12 Abs. 1 EG ist dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat verwehrt, zur
Bekämpfung der Kriminalität ein System zur Verarbeitung personenbezogener Daten zu
errichten, das nur Unionsbürger erfasst, die keine Staatsangehörigen dieses
Mitgliedstaats sind.
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Unter Bezugnahme auf dieses Urteil hat das Bundesministerium des Innern mit
Verfügung vom 12. Februar 2009 - M I 6 - 936 050/402 - das Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge und das Bundesverwaltungsamt angewiesen, mit den im
Ausländerzentralregister gespeicherten Daten des Klägers und anderer Unionsbürger
nach folgenden Maßgaben zu verfahren:
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„1. Im AZR gespeichert sein dürfen zukünftig diejenigen Daten (des Klägers), die für die
Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften durch die hierfür zuständigen deutschen
Behörden erforderlich sind. Zulässig ist danach insbesondere die Speicherung aller
Daten, die zur Umsetzung der in der Richtlinie 2004/38 (...) genannten Zwecke
erforderlich sind. (…)
31
2. Die Übermittlung dieser Daten ist nur an öffentliche Stellen zulässig, wenn sie zur
Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften oder zu statistischen Zwecken erfolgt.
Die Übermittlung von Daten (…) zu statistischen Zwecken darf nur in anonymisierter
Form erfolgen.
32
3. Ein Zugriff auf diese Daten ist bis auf weiteres nicht zulässig, wenn er allein zum
Zwecke der Kriminalitätsbekämpfung erfolgt. Insbesondere gilt dies für
Gruppenauskünfte nach § 12 AZRG."
33
Die Beklagte trägt vor:
34
Der vom Kläger geltend gemachte Löschungsanspruch sei nicht begründet. Die im
Ausländerzentralregister über ihn gespeicherten Daten seien für die Anwendung
ausländerrechtlicher Vorschriften erforderlich. Es handele sich ausschließlich um solche
Daten, die für die Feststellung und Überprüfung seines aufenthaltsrechtlichen Status
erforderlich seien. Ein Rückgriff auf die Datenbestände der kommunalen Melderegister
sei nicht gleichermaßen effizient. Eine Verwendung der personenbezogenen Daten des
Klägers zu anderen als ausländerrechtlichen Zwecken sei durch die Weisung des
Bundesministerium des Innern vom 12. Februar 2009 ausgeschlossen.
35
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
36
das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
37
Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
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die Berufung zurückzuweisen.
39
Er trägt vor:
40
Der Löschungsanspruch sei begründet. Seine personenbezogenen Daten seien unter
anderem auch zu statistischen Zwecken und zum Zwecke der Kriminalitätsbekämpfung
gespeichert. Die Nutzung der Daten zu diesen Zwecken verstoße gegen das
gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot.
41
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
42
Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten ihr
Einverständnis mit dieser Verfahrensweise erklärt haben, § 101 Abs. 2 VwGO.
43
Die Berufung ist begründet.
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Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Dem Kläger steht der
geltend gemachte Anspruch auf Löschung der im Ausländerzentralregister über ihn
gespeicherten Daten nicht zu.
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Nach § 36 Abs. 1 Satz 4 AZRG sind im Ausländerzentralregister gespeicherte Daten zu
löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig war. Entsprechendes gilt, wenn eine
ursprünglich zulässig gewesene Speicherung nachträglich unzulässig geworden ist.
Beides ist hier nicht der Fall. Die Speicherung der Daten des Klägers im
Ausländerzentralregister war und ist zulässig.
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1. Der in § 2 Abs. 1 AZRG vorausgesetzte Anlass der Speicherung liegt vor, da der
Kläger seinen Aufenthalt nicht nur vorübergehend in Deutschland hat. Gegenstand der
Speicherung sind Daten des in § 3 AZRG bezeichneten Inhalts.
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2. Die Anwendung der §§ 2 und 3 AZRG auf den Kläger verstößt nicht gegen
Gemeinschaftsrecht.
48
a) Aufgrund der vom Senat eingeholten Vorabentscheidung des EuGH vom 16.
49
Dezember 2008 - C-524/06 - steht fest, dass der Gebrauch eines Registers wie des
Ausländerzentralregisters zur Unterstützung der mit der Anwendung
aufenthaltsrechtlicher Vorschriften betrauten Behörden grundsätzlich legitim und
angesichts seiner Natur mit dem in Art. 12 Abs. 1 EG niedergelegten Verbot der
Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit vereinbar ist. Der EuGH
begründet dies mit der Notwendigkeit, dass ein Mitgliedstaat über einschlägige
Informationen und Dokumente verfügen muss, um in dem durch das anwendbare
Gemeinschaftsrecht festgelegten Rahmen zu überprüfen, ob ein Staatsangehöriger
eines anderen Mitgliedstaats ein Recht auf Aufenthalt in seinem Hoheitsgebiet hat und
keine Gründe vorliegen, die eine Beschränkung dieses Rechts rechtfertigen (Rn. 58).
Die hiernach grundsätzlich zulässige Speicherung personenbezogener Daten
ausländischer Unionsbürger zur Unterstützung der mit der Anwendung
aufenthaltsrechtlicher Vorschriften betrauten nationalen Behörden unterliegt allerdings
mit Blick auf das im Lichte des Diskriminierungsverbots auszulegende
Erforderlichkeitsgebot gemäß Art. 7 lit. e der Richtlinie 95/46/EG einer doppelten
Einschränkung: Zum einen darf das Register nur die Daten enthalten, die für die
Anwendung der entsprechenden Vorschriften durch die genannten Behörden
erforderlich sind. Zum anderen muss sein zentralisierter Charakter eine effizientere
Anwendung dieser Vorschriften in Bezug auf das Aufenthaltsrecht von Unionsbürgern
erlauben, die keine Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats sind (Rn. 66).
Beide Voraussetzungen liegen hier vor.
50
aa) In Bezug auf den Kläger sind ausschließlich solche personenbezogenen Daten
gespeichert, die für die Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften erforderlich sind.
51
Nach der Vorabentscheidung des EuGH vom 16. Dezember 2008 - C-524/06 - ist beim
gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts die Verarbeitung personenbezogener
Daten, die aus den in Art. 8 Abs. 3 und Art 27 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG
genannten Dokumenten hervorgehen, als zur Anwendung aufenthaltsrechtlicher
Vorschriften erforderlich im Sinne von Art. 7 lit. e der Richtlinie 95/46/EG anzusehen
(Rn. 59). Hierunter fallen unter anderem die Passdaten (Art des Passes, Passnummer,
ausstellender Staat) und die in dem Pass enthaltenen personenbezogenen Daten
(Name, Vorname, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit, Geschlecht).
52
Der zitierten Äußerung des EuGH ist in Ermangelung eines entsprechenden
einschränkenden Zusatzes („nur") nicht zu entnehmen, dass die Erforderlichkeit der
Verarbeitung personenbezogener Daten zur Anwendung aufenthaltsrechtlicher
Vorschriften auf die dort genannten Daten beschränkt wäre. Einzubeziehen sind
vielmehr sämtliche Daten, die unmittelbar für die Feststellung und Überprüfung des
aufenthaltsrechtlichen Status des Unionsbürgers erforderlich sind.
53
Hierzu gehört auch die Angabe des Familienstandes. Denn dieser ist gegebenenfalls
Anknüpfungspunkt für die Ableitung einer an die Eigenschaft als Familienangehöriger
anknüpfenden gemeinschaftsrechtlichen Rechtsposition (vgl. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie
2004/38/EG).
54
Für die Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften erforderlich sind darüber hinaus
auch die historischen Einträge zum Meldestatus. Die dort dokumentierten bisherigen
Zuzüge nach Deutschland und Fortzüge ins Ausland ermöglichen die Überprüfung der
Dauer des Aufenthalts, die unter verschiedenen gemeinschaftsrechtlichen
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Gesichtspunkten bedeutsam ist (vgl. etwa Art. 16 Abs. 1 und 4, 28 Abs. 3 lit. a der
Richtlinie 2004/38/EG). Im Übrigen lässt sich anhand dieser Einträge feststellen, welche
Ausländerbehörden während des bisherigen Inlandsaufenthalts aktenführend waren
und für etwa erforderlich werdende aufenthaltsbezogene Nachfragen zur Verfügung
stehen.
Schließlich sind auch die Speicherung des Geschäftszeichens der Registerbehörde
sowie der Bezeichnung und Geschäftszeichen der Stellen, die Daten übermittelt haben,
für die Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften erforderlich, so dass dahinstehen
kann, ob es sich insoweit überhaupt um personenbezogene Daten im Sinne von Art. 2
lit. a der Richtlinie 95/46/EG handelt. Denn diese Angaben ermöglichen eine
Rekonstruktion der Datengenese und somit die erforderliche Absicherung ihrer
formellen Authentizität.
56
bb) Der zentralisierte Charakter des Ausländerzentralregisters ermöglicht eine
effizientere Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften als ein alternativ in Betracht
kommender Rückgriff auf die dezentralisierten Melderegister der Länder.
57
Dies ergibt sich de lege lata bereits aus dem Umstand, dass die Melderegister der
Länder keine Daten zum aufenthaltsrechtlichen Status der dort verzeichneten Personen
enthalten (zu den von den Meldebehörden zu speichernden Daten vgl. § 2 MRRG).
58
Eine de lege ferenda grundsätzlich in Betracht kommende Einstellung derartiger Daten
von ausländischen Unionsbürgern in die Melderegister der Länder statt in das
Ausländerzentralregister ginge mit einem signifikanten Effizienzverlust bei der
Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften einher. Denn ohne die Möglichkeit eines
Zugriffs auf das Ausländerzentralregister müssten die Ausländerbehörden vor einer
Entscheidung, die den aufenthaltsrechtlichen Status eines Unionsbürgers betrifft,
sämtliche Melderegister der Länder daraufhin abfragen, ob womöglich ein Grund
vorliegt, der eine Beschränkung des Aufenthaltsrechts rechtfertigt. Dass dies in
Anbetracht einer Zahl von 5.283 Meldebehörden (Stand: 2. Februar 2007; Quelle:
Bundesministerium des Innern, IT-Projekte im Überblick, Bundesmelderegister,
http://www.deutschland-online.de) unpraktikabel und mit einem erhöhten Fehlerrisiko
verbunden ist, liegt auf der Hand.
59
Nicht minder unpraktikabel und damit ineffizient ist die ebenfalls theoretisch denkbare
Möglichkeit, diejenigen personenbezogenen Daten, die sowohl in den kommunalen
Melderegistern als auch im Ausländerzentralregister gespeichert sind, aus Letzterem zu
entfernen. Denn dies beträfe im Wesentlichen die Grund- und weiteren Personalien, § 3
Nrn. 4 und 5 AZRG, ohne die den übrigen im Ausländerzentralregister gespeicherten
Daten ein torsohafter Charakter zukäme.
60
Die demnach gegebene Zulässigkeit der Speicherung personenbezogener Daten
ausländischer Unionsbürger zur Unterstützung der mit der Anwendung
aufenthaltsrechtlicher Vorschriften betrauten nationalen Behörden impliziert zugleich,
dass die Speicherung mit Art. 6 lit. b Satz 1 Hs. 1 der Richtlinie 95/46/EG vereinbar ist,
wonach die Datenerhebung für festgelegte eindeutige und rechtmäßige Zwecke
erfolgen muss.
61
b) Nicht erforderlich im Sinne von Art. 7 lit. e der Richtlinie 95/46/EG ist nach der
Vorabentscheidung des EuGH die Speicherung und Verarbeitung von namentlich
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genannte Personen betreffenden personenbezogenen Daten im Rahmen eines
Registers wie des Ausländerzentralregisters zu statistischen Zwecken (Rn. 65). Darüber
hinaus ist es nach dieser Entscheidung einem Mitgliedstaat durch Art. 12 Abs. 1 EG
verwehrt, zur Bekämpfung der Kriminalität ein System zur Verarbeitung
personenbezogener Daten zu errichten, das nur Unionsbürger erfasst, die keine
Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats sind (Rn. 81).
Aus dieser Einschränkung zulässiger Nutzungszwecke erwächst dem Kläger allerdings
kein Löschungsanspruch. Denn die Speicherung seiner Daten dient - wie dargelegt -
dem in gemeinschaftsrechtlicher Hinsicht legitimen Anliegen, die mit der Anwendung
aufenthaltsrechtlicher Vorschriften betrauten nationalen Behörden zu unterstützen. Die
Unterbindung einer Datennutzung durch sonstige Behörden zu anderen als
ausländerrechtlichen Zwecken ist nicht durch eine Löschung der Daten, sondern durch
ein Verbot einer mit ihrer Zweckbestimmung nicht zu vereinbarenden
Weiterverarbeitung, vgl. Art. 6 Abs. 1 lit. b Satz 1 Hs. 2, 2 lit. b der Richtlinie 95/46/EG,
zu erreichen. Für einen hierauf gerichteten Verpflichtungsantrag, den der Kläger nicht
gestellt hat, dürfte allerdings das erforderliche Rechtsschutzinteresse fehlen. Denn
durch die Dienstanweisung des Bundesministeriums des Innern vom 12. Februar 2009
ist sichergestellt, dass eine Nutzung der Daten des Klägers zu statistischen Zwecken
nur in anonymisierter Form erfolgt und ein Zugriff auf sie zum Zwecke der
Kriminalitätsbekämpfung unterbleibt. Anhaltspunkte dafür, dass eine Beachtung dieser
Maßgaben nicht gewährleistet wäre, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 Abs. 2 VwGO,
708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht vorliegen.
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