Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 02.12.2010

OVG NRW (arbeitszeit, uniform, kläger, dienstkleidung, land, erlass, dienstzeit, ige, teil, polizei)

Oberverwaltungsgericht NRW, 6 A 1546/10
Datum:
02.12.2010
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 A 1546/10
Schlagworte:
Uniform Dienstkleidung Ausrüstungsgegenstände Arbeitszeit
Beamtenverhältnis Dienst- und Treueverhältnis
Leitsätze:
Die Zeit, die für das An- und Ablegen der Polizeiuniform in der
Dienststelle erforderlich ist, ist keine Arbeitszeit i.S.v. § 1 AZVOPol.
Die für die Übernahme der unter Ziffer 3. des Erlasses des
Innenministeriums vom 18. März 2010 (41 – 60.04.02) aufgezählten
Gegenstände (Pistole mit Holster, Reservemagazin mit Tasche,
Handfessel Stahl mit Tragevorrichtung, RSG (50 ml) mit
Tragevorrichtung sowie Tragevorrichtung für Einsatzmehrzweckstock)
erforderliche Zeit ist dagegen Arbeitszeit i.S.v. § 1 AZVOPol.
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird teilweise geändert.
Die Klage wird auch insoweit abgewiesen, als mit ihr die Feststellung
begehrt wird, dass die für das An- und Ablegen der Polizeiuniform
erforderliche Zeit Arbeitszeit im Sinne von § 1 AZVOPol ist.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Der Kläger und das beklagte Land tragen die Kosten des
Berufungsverfahrens je zur Hälfte. Die Kosten des erstinstanzlichen
Verfahrens tragen der Kläger zu zwei Dritteln und das beklagte Land zu
einem Drittel.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige
Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages
abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Der Kläger steht als Polizeioberkommissar im Dienst des beklagten Landes. Er ist beim
Polizeipräsidium N. als Streifenbeamter im Wach- und Wechseldienst eingesetzt und
begehrt die Feststellung, dass die für das An- und Ablegen der Uniform sowie
verschiedener persönlicher Ausrüstungsgegenstände benötigte Zeit Arbeitszeit ist.
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Nachdem zu Beginn des Jahres 2004 die regelmäßige Arbeitszeit für
Polizeivollzugsbeamte, die ihr 55. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, auf 41
Stunden in der Woche erhöht worden war (vgl. § 1 Abs. 1 1. Halbsatz der Verordnung
über die Arbeitszeit der Polizeivollzugsbeamten des Landes Nordrhein-Westfalen,
AZVOPol, GV. NRW. S. 814), 814), gab das Innenministerium des beklagten Landes
den Polizeibehörden und -einrichtungen mit Erlass vom 31. März 2004 (41.2 - 3025)
folgende Anweisungen:
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"1. Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt seit dem Inkrafttreten der geänderten
AZVO/AZVOPol 41 Stunden pro Woche. Aufgrund der für die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter des Wachdienstes abzusehenden Auswirkungen dieser Regelung habe
ich frühzeitig Möglichkeiten aufgezeigt, wie die zusätzliche Arbeitszeit sinnvoll zur
Bewältigung polizeilich relevanter Aufgabenstellungen genutzt werden kann.
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2. Für die Dienstplanungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Wachdienstes
bitte ich, nachfolgende Rahmenbedingungen zu beachten:
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Die Umsetzung der 41-Stunden-Woche erfordert sowohl von den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern als auch von den Polizeibehörden weitgehende Flexibilität bei
der Gestaltung der Arbeitszeit.
Die zusätzlichen Stundenpotenziale sind konstruktiv zu nutzen.
Das Abweichen von der 5-Tage-Woche ist nicht erforderlich.
Die Vorplanung zusätzlicher Dienstschichten erscheint - in Abhängigkeit vom
gewählten Schichtmodell - grundsätzlich nicht erforderlich.
Führt die zusätzlich verfügbare Wochenarbeitszeit zur Verlängerung von
Dienstschichten, liegt die untere Grenze einer effektiven Nutzung dieser
Stundenpotenziale bei einer halben Stunde. Die Höchstdauer der Dienstschichten
bleibt unberührt.
6
7
3. Darüber hinaus gebe ich folgende Hinweise:
8
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Die Vorbereitung auf den Dienst, etwa das Anlegen der Dienstkleidung, ist keine
Dienstzeit.
Sog. ‚Übergabe-/Rüstzeiten‘, die die Einsatzbereitschaft im Wachdienst herstellen
sowie eine sachgerechte Übernahme der Dienstgeschäfte gewährleisten, sind wie
bisher Teil der Dienstzeit. Die planmäßige Schichtdauer wird dadurch nicht
verlängert. Eine pauschale Anrechnung der durch die Verlängerung der
wöchentlichen Arbeitszeit zur Verfügung stehenden zusätzlichen
Stundenpotenziale auf Übergabezeiten ist nicht zulässig.
Zur Gewährleistung der durchgängigen Präsenz im Außendienst sind wie bisher
ggf. für einen Teil der Streifenbeamtinnen und -beamten abweichende
Dienstzeiten zur Besetzung sogenannter ‚Lapperfahrzeuge/Frühwagen‘
einzuplanen."
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Die unter Ziffer 3. gegebenen Hinweise wurden nochmals bestätigt durch Erlass vom
13. Dezember 2007 (41 – 60.01.10).
11
Das Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen gab mit Schreiben vom 24.
November 2005 (41 - 60.10.01 (3025)), das an die Bezirksregierung E. adressiert
war und nachrichtlich den anderen Bezirksregierungen übersandt wurde, weitere
Erläuterungen zum genannten Erlass vom 31. März 2004. Es führte u.a. aus:
12
"Das An- und Ablegen der Uniform im Wachdienst ist nach hiesiger Auffassung eine
Vorbereitungshandlung auf den Dienst und nicht der Arbeitszeit zuzurechnen. Die
Beamtinnen und Beamten im Wachdienst versehen ihren Dienst im Rahmen einer
zeitlich festgelegten Schicht, die Teil einer 24-stündigen Einsatzbereitschaft der
Polizei ist. Mit Schichtbeginn müssen die Beamtinnen und Beamten in der Lage
sein, den Dienst uneingeschränkt aufzunehmen. Dabei ist ihnen grundsätzlich
freigestellt, wo sie ihre Dienstkleidung anlegen. Eine Möglichkeit zur Lagerung der
Dienstkleidung und der persönlich zugewiesenen Ausrüstungsgegenstände wird
den im Wachdienst eingesetzten Beamtinnen und Beamten zur Verfügung gestellt.
13
Die sogenannten ‚Übergabe-/Rüstzeiten‘ dienen dazu, die Einsatzbereitschaft im
Wachdienst herzustellen und sind Teil der Dienstzeit.
14
Hierzu zählen u.a. nachfolgende Tätigkeiten, die in den Diensträumen durchgeführt
werden:
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Prüfen und Anlegen und Ablegen der Dienstpistole (bei Lagerung auf der
Dienststelle)
Übernahme und Übergabe bestimmter Einsatzmittel (Funkstreifenwagen, ggf.
Handsprechfunkgeräte, Atemalkoholmessgerät, usw.).
Informationsaustausch über für die Übernahme des Dienstes relevante Ereignisse.
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(...) Handlungen, die von den Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten
zwangsläufig in den Diensträumen vorgenommen werden müssen und die der
Herstellung der Einsatzbereitschaft dienen, zählen zur Dienstzeit."
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Mit Schreiben vom 18. Januar 2008 beantragte der Kläger, ihm die bisher geleisteten
"Rüstzeiten" zu Dienstbeginn (vor Schichtbeginn) sowie die "Abrüstzeiten" nach
Dienstende (nach Schichtende) als Dienstzeiten anzuerkennen.
19
Das Polizeipräsidium N. lehnte den Antrag mit Bescheid vom 2. Juli 2008 unter
Hinweis auf die o.g. Erlasse ab und führte aus, dass der Beamte mit Schichtbeginn in
der Lage sein müsse, seinen Dienst uneingeschränkt aufzunehmen. Diese
Dienstbereitschaft werde durch die erforderlichen Vorbereitungshandlungen wie das
Anlegen der Uniform erreicht. Es stehe den Polizeivollzugsbeamten frei, die Uniform
und die persönlichen Ausrüstungsgegenstände mit nach Hause zu nehmen und den
Weg zum und vom Dienst in Uniform zurückzulegen. Von der Dienstbereitschaft zu
unterscheiden sei die Einsatzbereitschaft, zu deren Herstellung die sogenannten
Übergabe- und Rüstzeiten zählten, die die Schichtdauer nicht verlängerten. Diese
Handlungen, wie das An- und Ablegen einer auf der Dienststelle gelagerten
Dienstpistole sowie die Übergabe bestimmter Einsatzmittel, wie Funkstreifenwagen,
Handsprechfunkgeräte oder Atemalkoholmessgeräte, müssten zwangsläufig in den
Diensträumen vorgenommen werden. Der Informationsaustausch über für die
Übernahme des Dienstes relevante Ereignisse (Übergabezeiten) werde beim
Polizeipräsidium N. lediglich für die Dienstgruppenleiter und Wachdienstführer pro
geleisteter Schicht mit 15 Minuten eingeplant.
20
Der Kläger hat am 30. Juli 2008 Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, das
Innenministerium sei nicht berechtigt festzulegen, dass das An- und Ablegen der
Dienstkleidung bzw. kurze notwendige Übergabegespräche nicht zur Dienstverrichtung
eines Polizeivollzugsbeamten gehörten. Die Regelungsbefugnis beziehe sich nur auf
die inhaltliche Ausgestaltung des Dienstes, nicht aber auf die Definition von mit dem
Dienst verbundenen Verrichtungen als fremdnützig oder eigennützig. Der unbestimmte
Rechtsbegriff "Dienst" sei im Streitfall durch die Gerichte auszulegen. Die Polizeiuniform
sei eine besondere Dienstkleidung, ohne die der Polizeivollzugsbeamte, wie aus Nr. 1.1
der Dienstkleidungsordnung der Polizei des Landes NRW folge, nicht zum Dienstantritt
berechtigt sei. Die für das Umkleiden benötigte Zeit sei daher Arbeitszeit i.S.d. § 1 der
Verordnung über die Arbeitszeit der Polizeivollzugsbeamten des Landes NRW
(AZVOPol).
21
In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat der Vertreter des
beklagten Landes auf Frage des Gerichts u.a. erklärt, dass die Übernahme der
Dienstwaffe der Dienstbereitschaft zugeschrieben und nicht als Arbeitszeit gewertet
werde. Darüber hinaus hat er einen Abdruck des Erlasses des Innenministeriums des
beklagten Landes vom 18. März 2010 (41 – 60.04.02) vorgelegt, in dessen Ziffer 3. u.a.
ausgeführt wird:
22
"Polizeibeamtinnen und –beamte im Wachdienst haben während des Dienstes
mindestens folgende Führungs- und Einsatzmittel ständig mitzuführen:
23
24
Pistole mit Holster
Reservemagazin mit Tasche
Handfessel Stahl mit Tragevorrichtung
RSG (50 ml) mit Tragevorrichtung
Tragevorrichtung für den Einsatzmehrzweckstock – außer Kradstreifen (nach
Einführung)
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Der Kläger hat beantragt,
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festzustellen, dass er beim Polizeipräsidium N. in der Polizeiwache Q.----
----straße in der Zeit ab dem 18. Januar 2008 durch das Aufrüsten vor
Schichtbeginn (Anlegen der Uniform und Übernahme der Gegenstände, die
unter Ziffer 3. des Erlasses des Innenministeriums NRW vom 18. März 2010
aufgeführt sind) und durch das entsprechende Abrüsten nach Schichtende
sowie durch notwendige kurze Übergabegespräche zwischen den
Bediensteten der aufeinanderfolgenden Dienstschichten Arbeitszeit im
Sinne des § 1 Abs. 1 und 3 der Verordnung über die Arbeitszeit der
Polizeivollzugsbeamten des Landes NRW erbracht hat.
27
Das beklagte Land hat beantragt,
28
die Klage abzuweisen.
29
Es hat ausgeführt, dass es für die Abgrenzung zwischen Vorbereitungshandlungen und
Dienst auf die Verhältnisse im Einzelfall ankomme. Maßgeblich seien die
organisatorischen Gegebenheiten und die konkreten Anforderungen des Dienstherrn an
die Beschäftigten. Da danach das An- und Ablegen der Dienstwaffe und der
Dienstkleidung nicht in den Diensträumen erfolgen müsse, sondern auch zu Hause
erfolgen könne, sei dies nicht der Dienstzeit zuzurechnen. Die Uniform sei auch nicht
mit einer besonderen, aus arbeitsschutzrechtlichen Gründen anzulegenden Schutz-
oder Sicherheitskleidung vergleichbar.
30
Das Verwaltungsgericht hat der Klage durch Urteil vom 1. Juli 2010 teilweise
stattgegeben. Der Kläger habe einen Anspruch auf Feststellung, dass er durch das
Anlegen der Uniform und die Übernahme der im Erlass des Innenministeriums vom 18.
März 2010 aufgezählten Gegenstände vor Schichtbeginn sowie das Ablegen nach
Schichtende Arbeitszeit im Sinne des § 1 AZVOPol erbracht habe. Denn nach Ziffer 1.1
der Dienstkleidungsordnung und Ziffer 4.3 der Wachdienstordnung sei er dienstlich
verpflichtet, zum festgesetzten Schichtbeginn seinen Dienst in Uniform und mit den
zugehörigen Ausrüstungsgegenständen anzutreten. Auch sei die Uniform eines
Polizeivollzugsbeamten keine dem Privatbereich zuzuordnende Kleidung, sondern -
vergleichbar einer aus arbeitsschutzrechtlichen Gründen anzulegenden
Sicherheitskleidung - allein auf Schutz und Sicherheit ausgerichtet. Die in dem Erlass
benannten Ausrüstungsgegenstände dienten ausschließlich der Gefahrenabwehr und
erfüllten keinerlei Bekleidungsfunktion. Nichts anderes folge daraus, dass es den
Beamten gestattet sei, die Dienstkleidung und Ausrüstungsgegenstände mit nach
Hause zu nehmen und den Weg zur und von der Dienststelle aufgerüstet
zurückzulegen. Denn die Beamten seien ebenso berechtigt, die Uniform erst in den
31
Diensträumen anzulegen. Keine andere Wertung rechtfertige die Anordnung des
Innenministeriums, dass die für das Umkleiden notwendige Zeit als "Vorbereitung" auf
den Dienst nicht als Dienstzeit anzusehen sei. Das Innenministerium sei nicht
berechtigt, durch Erlass mit dem Dienst unmittelbar zusammenhängende Verrichtungen
als fremdnützig oder eigennützig zu definieren. Diese Unterscheidung entbehre einer
gesetzlichen Grundlage und sei beliebig. Das zeige sich auch daran, dass er das
Anlegen der Dienstwaffe im Bescheid der "Einsatzbereitschaft" zugeordnet habe und im
gerichtlichen Verfahren der "Dienstbereitschaft". Im Übrigen schreibe Ziffer 4.3 der
Wachdienstverordnung bereits "bei der Ablösung" die Einsatzbereitschaft und nicht
lediglich die Dienstbereitschaft vor. Nur dieses Verständnis des Arbeitszeitbeginns und -
endes trage dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG Rechnung. Bei den
Beamten des Innendienstes beginne die Arbeitszeit bereits mit dem Betreten des
Dienstgebäudes. Auch dürften die Polizeivollzugsbeamten, die ihren Dienst als Krad-
Fahrer oder Fahrradstreife versähen, ihre Motorrad- bzw. Fahrrad-Kombi erst nach
Dienstantritt anlegen.
Der Kläger habe hingegen keinen Anspruch auf Feststellung, dass er durch "kurze
Übergabegespräche" mit Bediensteten der vorangegangenen bzw. nachfolgenden
Schicht Arbeitszeit erbracht habe. Eine arbeitszeitrechtlich relevante Notwendigkeit
bestehe für Streifenbeamte unterhalb der Vorgesetztenebene nicht. Es obliege den
Wachdienstführern und Dienstgruppenleitern, bei Schichtwechsel für den
Informationsaustausch zu sorgen.
32
Das beklagte Land hat gegen das ihm am 9. Juli 2010 zugestellte Urteil am 14. Juli
2010 die Zulassung der Berufung beantragt und seinen Antrag am 20. August 2010
begründet.
33
Mit Beschluss vom 6. Oktober 2010, zugestellt am 11. Oktober 2010, hat der Senat die
Berufung zugelassen.
34
Das beklagte Land trägt mit der am 8. November 2010 eingegangenen
Berufungsbegründung vor, dass das Umkleiden und das Anlegen der persönlich
zugewiesenen Ausrüstungsgegenstände lediglich eine Vorbereitungshandlung auf den
Dienst darstelle. Mit Schichtbeginn müssten die Beamten in der Lage sein,
uneingeschränkt ihren Dienst aufzunehmen. Sie seien in ihrer Entscheidung frei, ob sie
die Dienstkleidung zu Hause an- bzw. ablegten oder in den Räumlichkeiten der
Dienststellen. Darin unterschieden sich die Vorbereitungshandlungen von den sog.
Rüst- und Übergabehandlungen, die notwendigerweise in der Behörde vorzunehmen
und der Dienstzeit zuzurechnen seien, wie Übergabe und Übernahme bestimmter
Einsatzmittel. Es sei den Beamten auch zumutbar, den Weg zu und von der Dienststelle
in Uniform zurückzulegen. Im Übrigen mache das Anlegen der Uniform zu Hause
sonstige Ankleideerfordernisse überflüssig und korrespondiere daher mit den Interessen
der Beamten. Der Eigennutz zeige sich auch darin, dass Polizeivollzugsbeamte in
Uniform für den Weg zum Dienst den öffentlichen Personennahverkehr unentgeltlich in
Anspruch nehmen könnten. Hinsichtlich des Prüfens und Anlegens der Dienstwaffe - bei
Lagerung auf der Dienststelle - sei schon im Ausgangsbescheid anerkannt worden,
dass es sich um Dienstzeit handele. Das Anlegen des Holsters sowie der übrigen im
Erlass vom 18. März 2010 genannten Gegenstände dürfte zwar der Herstellung der
Einsatzbereitschaft dienen, sei jedoch mit einem Zeitaufwand von weniger als einer
Minute verbunden. Ähnliches gelte für das Prüfen und Anlegen der Dienstwaffe, die bei
Lagerung in der Wache bei Dienstbeginn "im Vorbeigehen" mitgenommen werden
35
könne. Nach § 61 Abs. 1 LBG NRW habe der Beamte ohnehin bis zu fünf Stunden im
Monat Arbeitszeit ohne Ausgleich zusätzlich zu leisten. Eine Ungleichbehandlung
gegenüber Beamten der Kriminalkommissariate liege mangels Vergleichbarkeit, etwa
wegen unterschiedlicher Arbeitszeitregelungen, nicht vor. Davon abgesehen sei das
Anlegen der Uniform der Polizei nicht in dem Sinne wesensmäßig zuzuordnen, dass ein
polizeiliches Tätigwerden ohne Uniform unmöglich wäre. Polizeivollzugsbeamte seien
auch zum Einschreiten in ziviler Kleidung befugt. Die im Wachdienst zu tragende
Uniform diene überwiegend der Erkennbarkeit für den Bürger. Die möglicherweise eine
Schutzfunktion beinhaltenden Details, wie etwa reflektierende Applikationen und Nähte,
zählten auch in weiten Bereichen privater Kleidung zum Standard und könnten daher
die Uniform nicht als Schutzkleidung qualifizieren. Echte Schutzfunktion komme
hingegen der Sicherheitskleidung für Polizeitaucher, Polizeireiter und Kradfahrer zu,
deren Anlegen zwingend erforderlich sei und auf die Arbeitszeit angerechnet werde.
Das beklagte Land beantragt,
36
das angefochtene Urteil teilweise zu ändern und die Klage auch insoweit
abzuweisen, als mit ihr die Feststellung begehrt wird, dass die für das An-
und Ablegen der Polizeiuniform und die Übernahme der unter Ziffer 3. des
Erlasses des Innenministeriums NRW vom 18. März 2010 aufgezählten
Gegenstände erforderliche Zeit Arbeitszeit im Sinne von § 1 AZVOPol ist.
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Der Kläger beantragt,
38
die Berufung zurückzuweisen.
39
Er weist darauf hin, dass der Beamte verpflichtet sei, zum festgesetzten Schichtbeginn
seinen Dienst in Uniform mit den zugehörigen Ausrüstungsgegenständen anzutreten,
und ein Nichtbeachten eine Dienstpflichtverletzung darstelle. Auch Ziffer 4.3 der
Wachdienstverordnung schreibe die Gewährleistung der Einsatzbereitschaft bei der
Ablösung vor. Das An- und Ablegen der Uniform erfolge demnach im Interesse des
Dienstherrn, unabhängig davon, dass der Beamte die Wahl habe, sich zu Hause oder in
der Dienststelle umzukleiden. Die Uniform sowie die Ausrüstungsgenstände seien
zudem allein auf Gewährleistung von Schutz und Sicherheit ausgerichtet und daher
nicht dem Privatbereich zuzuordnen. Schließlich sei eine Vergleichbarkeit mit
Kradfahrern oder Beamten der Fahrradstreife anzunehmen. Das Anlegen von
Lederkleidung sei dort nicht vorgeschrieben, werde aber gleichwohl als Arbeitszeit
berücksichtigt. Eine Ungleichbehandlung liege auch gegenüber den Beamten des
Innendienstes vor, die ohne "aufzurüsten" direkt mit ihrer Arbeit beginnen könnten.
40
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
41
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
42
Die zulässige Berufung ist zum Teil begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage
zu Unrecht stattgegeben, als mit ihr die Feststellung begehrt wird, dass die für das An-
und Ablegen der Polizeiuniform erforderliche Zeit Arbeitszeit im Sinne von § 1 AZVOPol
ist. Insoweit ist die dem Urteil zu Grunde liegende Feststellungsklage zwar zulässig,
aber unbegründet. Die weitergehende Berufung ist unbegründet. Die Klage ist
begründet, als mit ihr die Feststellung begehrt wird, dass die für die Übernahme der
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unter Ziffer 3. des Erlasses des Innenministeriums vom 18. März 2010 aufgezählten
Gegenstände erforderliche Zeit Arbeitszeit im Sinne von § 1 AZVOPol ist.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung, dass die Zeit, die für das An- und
Ablegen der Polizeiuniform - d.h. der einheitlichen Dienstkleidung - in der Dienststelle
erforderlich ist, Arbeitszeit i.S.v. § 1 AZVOPol ist. Der im Wach- und Wechseldienst
eingesetzte Kläger ist verpflichtet, seine Uniform vor der zeitlich festgelegten Schicht
(Früh-, Spät- bzw. Nachtschicht) an- und erst nach Schichtende abzulegen. Zur Uniform
bzw. einheitlichen Dienstkleidung zählen nach dem herkömmlichen Begriffsverständnis
ausschließlich Kleidungsstücke. Dementsprechend bestimmt Nr. 1.1 der
Dienstkleidungsordnung der Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen, Erlass des
Ministeriums für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 27.
Juli 2010 - 44 / 43.2 - 63.01.01 -, dass die Dienstkleidung i.S.d. Erlasses alle
Kleidungsstücke umfasst, die den Angehörigen der Polizei des Landes Nordrhein-
Westfalen vom Dienstherrn unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden. Nicht zur
Polizeiuniform zählen die persönlich zugewiesenen Ausrüstungsgegenstände, u.a. die
Pistole, sowie die zur Grundausstattung gehörende ballistische Unterziehschutzweste
(vgl. Anlage 1 des genannten Erlasses).
44
Unmittelbare normative Anknüpfungspunkte für die Beantwortung der Frage, ob die Zeit,
die für das An- und Ablegen der Polizeiuniform in der Dienststelle erforderlich ist,
Arbeitszeit i.S.v. § 1 AZVOPol ist, fehlen. Das Beamtengesetz für das Land Nordrhein-
Westfalen (vgl. §§ 78, 187 LBG NRW a.F. bzw. §§ 60, 111 LBG NRW) regelt diese
Frage nicht. Die AZVOPol sieht lediglich vor, dass die Dauer der regelmäßigen
Arbeitszeit grundsätzlich 41 Stunden in der Woche beträgt (vgl. § 1 Abs. 1 Halbsatz 1
AZVOPol).
45
Das Arbeitszeitgesetz trifft wie die AZVOPol zwar unter dem Gesichtspunkt des
Arbeitsschutzes (vgl. § 1 ArbZG) Regelungen zur Arbeitszeit. Beamte werden jedoch
nicht vom personellen Geltungsbereich dieses Gesetzes erfasst (vgl. § 2 Abs. 2 ArbZG).
Im Übrigen bestimmt auch das ArbZG lediglich, dass Arbeitszeit im Sinne dieses
Gesetzes die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne die Ruhepausen ist (vgl. §
2 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1). Was "Arbeit" im Sinne dieser Bestimmung ist, definiert es
hingegen nicht.
46
Die Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom
4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. L 299 vom
18. November 2003, S. 9) enthält lediglich Mindestvorschriften für die Sicherheit und
den Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung (vgl. Art. 1 Abs. 1). Nach Art. 2 Nr.
1 dieser Richtlinie ist Arbeitszeit jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer - zu
denen auch Beamte zählen (vgl. Art. 1 Abs. 3 Satz 1) - gemäß den einzelstaatlichen
Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber - bzw. dem
Dienstherrn - zur Verfügung steht und seine Tätigkeiten ausübt oder Aufgaben
wahrnimmt. Diese Definition lässt Spielräume für die Festlegung, unter welchen
Voraussetzungen eine Inanspruchnahme des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber als
Arbeitszeit zu werten ist. Sie verzichtet darauf, konkret vorzugeben, wann die Arbeitszeit
beginnt und endet. Insbesondere trifft sie keine Regelung zu der Frage, ob die
Arbeitszeit bereits mit dem Anlegen der Arbeitskleidung im Betriebsgebäude beginnt
bzw. erst mit dem Ablegen der Arbeitskleidung im Betriebsgebäude endet.
47
Mangels spezialgesetzlicher Regelung ist das beamtenrechtliche Dienst- und
48
Treueverhältnis rechtlicher Ausgangspunkt für die Beantwortung der hier streitigen
Frage. Das Beamtenverhältnis ist dadurch geprägt, dass es als ein öffentlich-rechtliches
Dienst- und Treueverhältnis (vgl. Art. 33 Abs. 4 und 5 GG) die Beteiligten wechselseitig
und umfassend in Anspruch nimmt.
Angesichts der rechtlichen Besonderheiten des Beamtenverhältnisses ist es im
vorliegenden Zusammenhang unerheblich, ob und in welchen Fällen die für das An-
und Ablegen der Arbeitskleidung aufgewendete Zeit nach arbeitsvertraglichen oder
tariflichen Bestimmungen eine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung darstellt bzw. als
vergütungspflichtige Arbeitszeit anzuerkennen ist. Das Beamtenrecht und das Arbeits-
bzw. Tarifrecht sind unterschiedlich ausgestaltet. Die strukturellen Unterschiede sind
auch durch die im Laufe der Zeit veränderten Vorschriften über die Arbeitszeit und ihre
weitgehende Angleichung nicht aufgehoben worden.
49
Die Pflichtenbindung, in der der Beamte im Verhältnis zum Dienstherrn steht, ist
umfassend. Die aus ihr erwachsenden Einzelverpflichtungen werden grundsätzlich
durch die Dienstbezüge abgegolten.
50
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Januar 2008 – 2 B 59.07 -, juris, und Urteil
vom 12. Dezember 1979 - 6 C 86.79 -, Buchholz 232 § 72 BBG Nr. 17.
51
In (arbeits-)zeitlicher Hinsicht beinhaltet die umfassende Pflichtenbindung des Beamten
innerhalb des Beamtenverhältnisses unter anderem, dass der Beamte verpflichtet ist,
ohne Entschädigung über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus Dienst zu tun, wenn
zwingende dienstliche Verhältnisse es erfordern, und er erst dann einen Ausgleich in
Form einer Dienstbefreiung bzw. Mehrarbeitsvergütung beanspruchen kann, wenn er
durch eine dienstlich angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit mehr als fünf Stunden
im Monat über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus in Anspruch genommen worden ist
(vgl. § 61 LBG NRW).
52
Im Gegensatz dazu wird das Arbeitsverhältnis als privatrechtliche Vertragsbeziehung
bis in die Einzelheiten seiner Ausgestaltung durch den Austausch von Leistung und
Gegenleistung geprägt. Dass die Arbeitsgerichtsbarkeit als Folge dessen einem
Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen für die Zeit des An- und Ablegens von
Arbeitskleidung einen Vergütungsanspruch zuspricht bzw. Um-kleidezeiten als zur
vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung gehörend ansieht,
53
vgl. hierzu etwa BAG, Beschluss vom 10. November 2009 - 1 ABR 54/08 -,
DB 2010, 454, Urteile vom 11. Oktober 2000 - 5 AZR 122/99 -, DB 2001,
543, vom 22. März 1995 - 5 AZR 934/93 -, BAGE 79, 312, sowie vom 28.
Juli 1994 - 6 AZR 200/94 -, BAGE 77, 285, und 6 AZR 221/94 -, juris,
54
lässt folglich nicht darauf schließen, ob gegebenenfalls auch einem Beamten für das
An- und Ablegen von Dienstkleidung ein (zusätzlicher) Vergütungsanspruch zusteht
bzw. die hierfür erforderliche Zeit als Arbeitszeit anzuerkennen ist.
55
Ist, wie hier, der Grenz- bzw. Überschneidungsbereich zwischen der Dienstausübung
und der Freizeit des Beamten betroffen, bedarf es einer differenzierten Bewertung der
Interessen des Beamten und des Dienstherrn, die sich an dem wechselseitig bindenden
Dienst- und Treueverhältnis und den dort bestehenden Rücksichtnahmepflichten
orientiert. Sie führt zu dem Ergebnis, dass das beklagte Land die Zeit, die für das An-
56
und Ablegen der Polizeiuniform erforderlich ist, nicht als Arbeitszeit i.S.v. § 1 AZVOPol
anzuerkennen hat.
Anhaltspunkte für den Rahmen einer solchen Interessenbewertung und die dabei
einzustellenden Erwägungen ergeben sich mit Blick auf andere vom Normgeber bereits
geregelte Grenz- bzw. Überschneidungsbereiche zwischen der Dienstausübung und
der Freizeit des Beamten. So zählt zur Arbeitszeit grundsätzlich nicht die Zeit, die der
Beamte für die Fahrten von seiner Wohnung zur Dienststelle und zurück benötigt und
zwar auch dann nicht, wenn der Weg beispielsweise durch eine Verlegung der
Beschäftigungsbehörde oder durch eine Abordnung oder Versetzung aus dienstlichen
Gründen verlängert worden ist. Dies wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass es auch
im Interesse des Dienstherrn liegt, dass der Beamte den Weg zur Dienststelle
zurücklegt, um dort seinen Dienst zu verrichten. Das Interesse des Dienstherrn wird
dadurch abgegolten, dass er Dienstunfallschutz (vgl. § 31 Abs. 2 BeamtVG) sowie unter
bestimmten Voraussetzungen eine Trennungsentschädigung (vgl.
Trennungsentschädigungsverordnung) gewährt. Auch Reisezeiten bei Dienstreisen
außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit werden grundsätzlich nicht auf die Arbeitszeit
angerechnet. Die Kompensation des Interesses des Dienstherrn erfolgt insoweit
ebenfalls durch die Gewährung von Dienstunfallschutz sowie einer
Reisekostenvergütung (vgl. Landesreisekostengesetz).
57
Diese Beispiele machen zugleich deutlich, dass nicht bereits aufgrund des Umstandes,
dass der Kläger verpflichtet ist, seine Uniform während des Dienstes zu tragen, zu
schließen ist, dass die für deren An- und Ablegen erforderliche Zeit als Arbeitszeit i.S.v.
§ 1 AZVOPol anzuerkennen ist, und auf eine Interessenbewertung verzichtet werden
kann.
58
Das Erfordernis einer Interessenbewertung kommt im Kern auch in der Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts, etwa zur Rufbereitschaft zum Ausdruck. Hiernach
leistet ein Beamter Dienst, der auf die Arbeitszeit anzurechnen ist, wenn er Aufgaben
des ihm übertragenen Amtes im konkret-funktionellen Sinne erfüllt oder eine ihm
vorgegebene Tätigkeit verrichtet, die im Zusammenhang mit diesen Aufgaben steht und
ihn in seiner Aufmerksamkeit und Dispositionsfreiheit so erheblich in Anspruch nimmt,
dass sie der Erfüllung dieser Aufgaben gleich zu achten ist.
59
Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1979 – 6 C 86.79 -, Buchholz 232 §
72 BBG Nr. 17,
60
ferner Beschluss vom 11. September 2009 - 2 B 29.09 -, juris, sowie Urteile
vom 29. Januar 1987 - 2 C 14.85 -, ZBR 1987, 275, vom 27. Mai 1982
61
- 2 C 49.80 -, ZBR 1983, 126, und vom 11. Februar 1982 - 2 C 26.79 -, ZBR
1982, 247.
62
Für die nach diesen Maßgaben hier vorzunehmende Interessenbewertung sind
insbesondere folgende Aspekte von Relevanz:
63
Das An- und Ablegen der Polizeiuniform ist nicht nur der Interessensphäre des
Dienstherrn, sondern auch der Interessensphäre des Beamten zuzuordnen. Er hat die
Möglichkeit, die Uniform bereits zu Hause anzulegen und auf dem Weg zur Dienststelle
zu tragen. Der Uniform tragende Beamte ist auch nicht verpflichtet, auf dem Weg zu bzw.
64
von der Dienststelle die Pistole mitzuführen. Macht der Beamte von der Möglichkeit, die
Uniform bereits zu Hause anzulegen, Gebrauch, erspart er sich das Anlegen der
ansonsten üblichen Zivilbekleidung und damit eine Handlung, die allein seiner
Interessensphäre zuzurechnen ist.
Diese Option verliert im Rahmen der Interessenbewertung nicht an Gewicht, weil der
Dienstherr das Tragen der Uniform auf dem Weg zu und von der Dienststelle mit Blick
darauf befürwortet, dass die Anzahl von uniformierten Beamten in der Öffentlichkeit und
damit das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung steigt. Im Übrigen ist in diesem
Zusammenhang in Rechnung zu stellen, dass uniformierte Polizeivollzugsbeamte
öffentliche Verkehrsmittel kostenfrei nutzen können.
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Es ist den Beamten auch nicht unzumutbar, auf dem Weg zu und von der Dienststelle
die Polizeiuniform zu tragen. Soweit der uniformierte Beamte, wenn er den Weg zu und
von der Dienststelle mittels öffentlicher Verkehrsmittel zurücklegt, dort von Mitreisenden
um Hilfe gebeten wird oder u.U. in Einsatzsituationen gerät, handelt es sich um
Anforderungen, deren Erfüllung von einem Polizeivollzugsbeamten im Rahmen seines
umfassenden Dienst- und Treueverhältnisses auch außerhalb der regelmäßigen
Arbeitszeit erwartet werden kann.
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Zudem greift das An- und Ablegen der Polizeiuniform vor Schichtbeginn bzw. nach
Schichtende nur geringfügig in die individuelle Lebensführung des Beamten ein. Das
alltägliche und gewohnheitsmäßige An- und Ablegen der Uniform beansprucht ihn nicht
mehr als das An- und Ablegen von Zivilbekleidung und damit nur in geringem Maße.
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Hat das beklagte Land die Zeit, die für das An- und Ablegen der Polizeiuniform
erforderlich ist, nach dieser Interessenbewertung nicht als Arbeitszeit i.S.v. § 1 AZVOPol
anzuerkennen, gilt dies auch dann, wenn der Beamte es vorzieht, die Uniform nicht zu
Hause, sondern in der Dienststelle an- und abzulegen.
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Dieses Ergebnis ist auch mit dem Gebot der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG)
vereinbar. Dass das beklagte Land etwa Beamten, die im Rahmen ihres Wach- und
Wechseldienstes Krad- oder Fahrradstreifen durchführen, zubilligt, die hierfür
erforderliche Kleidung während der jeweiligen Schicht an- und abzulegen, steht dem
nicht entgegen, weil es sich um Sachverhalte handelt, die mit dem diesem
Klageverfahren zu Grunde liegenden Sachverhalt nicht vergleichbar sind. Für die
Durchführung von Krad- und Fahrradstreifen ist es notwendig, anstelle der üblichen
Polizeiuniform eine besondere Sicherheits- und Schutzkleidung anzulegen, die wegen
ihrer spezifischen Funktionalität im Gegensatz zur Polizeiuniform für anderweitige
Verrichtungen - nicht zuletzt für den Dienst in der Wache - im Wesentlichen ungeeignet
ist.
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Mangels Vergleichbarkeit der Sachverhalte ist es auch unerheblich, dass der Dienst
eines nicht im Wach- und Wechseldienst tätigen Polizeivollzugsbeamten mit dem
Betätigen des Zeiterfassungsgeräts beim Betreten bzw. Verlassen des Dienstgebäudes
beginnt bzw. endet und das beklagte Land ihm zugesteht, die Uniform während des
Dienstes an- und abzulegen. Die nicht im Wechseldienst tätigen
Polizeivollzugsbeamten unterliegen anderen Arbeitszeitregelungen. U.a. ist ihre
tägliche Arbeitszeit durch eine Pause von wenigstens einer halben Stunde zu
unterbrechen. Diese Pause wird nicht auf die Arbeitszeit angerechnet (vgl. § 7
AZVOPol). Hingegen werden den Polizeivollzugsbeamten im Wach- und Wechseldienst
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Pausenzeiten während der Schicht zugebilligt, die bei der Ermittlung der geleisteten
bzw. zu leistenden Arbeitszeit zu ihren Gunsten unberücksichtigt bleiben. Dahinstehen
kann vor diesem Hintergrund, ob das beklagte Land verpflichtet ist, den nicht im
Wechseldienst tätigen Beamten zu gestatten, die Uniform während des Dienstes an-
und abzulegen.
Der Kläger hat hingegen einen Anspruch auf die Feststellung, dass die Zeit, die für die
Übernahme der unter Ziffer 3. des Erlasses des Innenministeriums vom 18. März 2010
(41 – 60.04.02) aufgezählten Gegenstände erforderlich ist, Arbeitszeit im Sinne von § 1
AZVOPol ist. Bei der nach den oben dargestellten Maßgaben vorzunehmen
Interessenbewertung stehen hier die Interessen des Dienstherrn gegenüber denen des
Beamten in einer Weise im Vordergrund, dass das Anlegen dieser Gegenstände als
Arbeitszeit einzustufen ist. Das Tragen der dem Beamten persönlich zugeordneten
Gegenstände wie die Pistole mit Holster, das Reservemagazin mit Tasche, die
Handfessel Stahl mit Tragevorrichtung, das RSG (50 ml) mit Tragevorrichtung sowie die
Tragevorrichtung für den Einsatzmehrzweckstock (vgl. Ziffer 3. des Erlasses) dient
ausschließlich dem Zweck einer ordnungsgemäßen und wirksamen Diensterfüllung. Mit
ihrer spezifischen Funktionalität, die auf die Ausübung unmittelbaren Zwangs
ausgerichtet ist, weisen die genannten Gegenstände einen besonderen Bezug zur
Diensterfüllung auf und sind im Gegensatz zur Polizeiuniform gerade nicht geeignet, der
persönlichen Interessensphäre des Beamten zuzuordnende Funktionen zu erfüllen.
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Der Umstand, dass das An- und Ablegen der fraglichen Gegenstände nur wenig Zeit in
Anspruch nimmt, ist ohne das Hinzutreten weiterer der privaten Interessensphäre
zuzuordnender Gesichtspunkte – wie hier – nicht geeignet, eine anderweitige
Interessenbewertung zu begründen. Denn trifft dies für eine Vielzahl von
Diensthandlungen bei deren isolierter Betrachtung zu.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§
708 Nr. 10 und 711 ZPO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
und des § 127 BRRG nicht vorliegen.
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