Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 29.01.2004

OVG NRW: tarif, wettbewerber, abschlag, genehmigung, rechtsverletzung, lokal, unterdeckung, verfügung, kritik, transit

Oberverwaltungsgericht NRW, 13 B 2621/03
Datum:
29.01.2004
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 B 2621/03
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 1 L 2789/03
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird geändert.
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens beider Instanzen einschließlich der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen trägt die Antragstellerin.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 50.000 EUR
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die zulässigen Beschwerden sind begründet.
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Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung
der Klage 1 K 6305/03 VG Köln zu Unrecht stattgegeben. Der Antrag ist abzulehnen.
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Zwar ist der Antrag zulässig. Die Antragstellerin ist insbesondere antragsbefugt, weil sie
sich auf eine Verletzung des § 24 Abs. 2 Nr. 2 TKG beruft, der nach dem Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Oktober 2002 - 6 C 8.01 -, DVBl. 2003, 403 (409),
im Rahmen der Entgeltgenehmigung das Interesse der Wettbewerber des regulierten
Unternehmens schützt, eine solche Rechtsverletzung möglich ist und sie zum Kreis der
Wettbewerber der Beigeladenen auf dem hier relevanten Markt zählt.
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Die im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung fällt
jedoch zu Lasten der Antragstellerin aus, weil die mit Bescheid der
Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post vom 2. September 2003 - BK 2a
03/011 - erteilte Genehmigung des Tarifs AktivPlus basis calltime 120 bei der in der
vorliegenden Verfahrensart nur möglichen Prüfungsdichte mit großer Wahrscheinlichkeit
einer Überprüfung im Hauptsacheverfahren standhalten wird und es deshalb bei der
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sofortigen Vollziehbarkeit nach § 80 Abs. 2 TKG verbleibt.
Einen Grund für die Versagung der von der Beigeladenen beantragten Genehmigung für
das Entgelt AktivPlus basis calltime 120 gibt es für den Senat gegenwärtig nicht. Dieser
Tarif sieht gegen ein Überlassungsentgelt von 3,63 EUR ein 120-minütiges
Freikontingent und ab der 121. Minute nutzungsdauertarifierte City- und
Deutschlandverbindungen nach dem Tarif AktivPlus basis vor. Dass das Freikontingent-
Element oder das nutzungsdauertarifierte Element des Tarifs AktivPlus basis calltime
120 gegen den Maßstab des § 24 Abs. 2 Nr. 2 TKG - nur diese Verbotsvorschrift hat
Wettbewerber schützende Wirkung und kommt für eine Rechtsverletzung der
Antragstellerin in Betracht - verstößt, ist nicht feststellbar.
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Der ab der 121. Verbindungsminute berechnete Tarif AktivPlus basis ist durch
bestandskräftigen Bescheid der Regulierungsbehörde vom 11. April 2003 - BK 2a
03/002 - genehmigt. Bereits hieraus folgt, dass nicht von einem gegen § 24 Abs. 2 Nr. 2
TKG verstoßenden Abschlag ausgegangen werden kann, jedenfalls soweit ein solcher
Abschlag nicht offensichtlich ist. Letzteres ist der Fall. Die Antragsgegnerin und die
Beigeladene haben nachvollziehbar dargelegt, dass die Dumpingpreisuntergrenze
unter Anwendung der nicht zu beanstandenden IC+25%-Regel bei 2,15 Ct./Min. (Kosten
für Zuführung und Terminierung nach Lokal-Tarif bzw. Double Transit-Tarif: 1,72 Ct/Min.
zzgl. 0,43 Ct/Min.) liegt, während der AktivPlus basis-Tarif ein Verbindungsentgelt von
3,2 Ct./Min. vorsieht. Dieses zwischen der Dumpingpreisgrenze und dem im Price-cap-
Verfahren entwickelten Standard-Verbindungsentgelt von 4,58 Ct./Min. liegende Entgelt
ist kostendeckend und wird nicht mit einem Teil des Überlassungsentgelts (2,16
EUR/Mon.) querfinanziert. Dasselbe gilt für das Verbindungsentgelt mit Blick auf das
Überlassungsentgelt von 3,63 EUR/Mon. für den Tarif AktivPlus basis calltime 120.
Soweit Wettbewerber der Beigeladenen die IC+25%-Regel angreifen, ist diese Kritik
nicht nachvollziehbar. Im Verfahren BK 2a 03/002 ist die Anwendung dieser Regel von
den Wettbewerbern nicht verwaltungsgerichtlich angegriffen worden; vielmehr haben sie
den Beschluss vom 11. April 2003 bestandskräftig werden lassen. Im Übrigen kann
davon ausgegangen werden, dass die Wettbewerber nach Ende der Markteintrittsphase
Kostensenkungspotentiale wie die Beigeladene ausnutzen und mit der
Nebenkostenpauschale (25%) auch bei gesunkenen Interconnectionentgelten (IC)
auskommen. Der Anschlusskostenbeitrag trifft die Wettbewerber nur für wenige Monate
der Tariflaufzeit und ist vernachlässigbar.
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Mit der obigen Feststellung entfällt zugleich die Prämisse für die Annahme des
Verwaltungsgerichts, das Überlassungsentgelt für den Tarif AktivPlus basis calltime 120
verstoße gegen § 24 Abs. 2 Nr. 2 TKG, das ab der 121. Minute angesetzte
Verbindungsentgelt des Tarifs AktivPlus basis sei nicht kostendeckend und müsse mit
dem Überlassungsentgelt querfinanziert sein, so dass für das Freikontingent des Tarifs
AktivPlus basis calltime 120 nur ein um das Überlassungsentgelt des Tarifs AktivPlus
basis reduzierter, dann nicht mehr kostendeckender Preis, also ein verbotswidriger
Dumpingpreis verbleibe. Unabhängig hiervon erweist sich die Ausgangsüberlegung des
Verwaltungsgerichts auch deshalb als bedenklich, weil das Verwaltungsgericht
annimmt, Kunden würden möglichst das Freikontingent ausschöpfen, aber keine oder
jedenfalls nur wenig Leistungen im nutzungsdauerabhängigen Tarif nachfragen. Dann
läge nämlich im nutzungsdauertarifierten Bereich keine oder nur eine geringe
Unterdeckung vor, so dass eine Finanzierung durch das Überlassungsentgelt nicht oder
allenfalls nur in geringem Umfang erforderlich wäre und das Überlassungsentgelt ganz
oder nahezu ganz zur Deckung des Freikontingents zur Verfügung stünde.
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Das somit voll zur Deckung des Freikontingents heranzuziehende Überlassungsentgelt
von 3,63 EUR/Mon. für den Tarif AktivPlus basis calltime 120 ist ebenfalls kein gegen §
24 Abs. 2 Nr. 2 TKG verstoßender Dumpingbetrag. Die insoweit kostenintensivste
Deutschlandverbindung in der Peak-Zeit berechnet sich nach der IC+25%-Formel auf
3,14 Ct./Min. (= 0,65 + 1,86 = 2,51; zzgl. 25 %), die bei durchschnittlich 108,3
Verbindungsminuten eines Kunden im Monat einen Mindest-Kostenbetrag von 3,40
ergeben und das o. a. Überlassungsentgelt nicht erreichen und selbst bei 120
Verbindungsminuten nur einen geringfügigen Kostenbetrag ergeben, was angesichts
der tatsächlichen Kosten noch gerechtfertigt ist und nicht wettbewerbsbeeinträchtigend
wirkt.
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Ein Verstoß gegen andere Rechtsvorschriften im Sinne des § 27 Abs. 3 TKG - als
solche kommen hier nur §§ 19 Abs. 4 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB in Betracht - ist bei
überschlägiger Betrachtung nicht feststellbar. Dabei berücksichtigt der Senat auch, dass
ein Rabattsystem wie das des Tarifs AktivPlus basis calltime 120 heute in vielen
Branchen üblich ist und nicht als missbräuchlich angesehen wird und dass auch
Wettbewerber der Beigeladenen zu ähnlichen Rabatten in der Lage sind oder sein
müssten sowie ein Wettbewerb allgemein nicht verhindert wird. Insoweit bietet dieser
Tarif keine - von einigen Wettbewerbern gesehene - Parallelen zur Problematik der
Tarife T-Net calltime 120 und T-Online calltime 120.
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