Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 02.01.1997

OVG NRW (arzneimittel, medizinische indikation, aufschiebende wirkung, gutachten, erzeugnis, lebensmittel, produkt, funktion, zustand, körper)

Oberverwaltungsgericht NRW, 13 B 2280/96
Datum:
02.01.1997
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 B 2280/96
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 16 L 2892/96
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens, mit
Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser
selbst trägt.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 50.000,-- DM
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die Beschwerde der Antragstellerin mit dem Antrag,
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den angefochtenen Beschluß zu ändern und die aufschiebende Wirkung ihres
Widerspruchs und einer noch zu erhebenden Klage gegen die Ordnungsverfügung der
Antragsgegnerin vom 25. Juli 1996 wiederherzustellen,
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hat keinen Erfolg.
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Nach Auffassung des Senats ist die fragliche - ein Verkehrsverbot beinhaltende -
Ordnungsverfügung gegen die Antragstellerin, die aufgrund Vertrages mit dem
beigeladenen Hersteller "..." allein vertreiben darf, mit so hoher Wahrscheinlichkeit
rechtmäßig, daß das öffentliche - gem. § 80 Abs. 3 VwGO hinreichend begründete -
Interesse an dem Fortbestand ihrer sofortigen Vollziehung bei der Interessenabwägung
nach § 80 Abs. 5 VwGO gegenüber den im wesentlichen wirtschaftlichen Interessen der
Antragstellerin überwiegt. Dies gilt auch im Hinblick auf die Interessen des
Beigeladenen, der sich dem Antrag der Antragstellerin angeschlossen hat. Die
Interessen des Beigeladenen sind zur Zeit dadurch gekennzeichnet, daß ihm die
Herstellung und das Inverkehrbringen der in Rede stehenden Sättigungskapseln von
der für ihn örtlich zuständigen Behörde vollziehbar untersagt worden sind und das
Verwaltungsgericht S. den Aussetzungsantrag des Beigeladenen durch Beschluß vom
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15. Oktober 1996 - 9 B 109/96 - abgelehnt hat, so daß in dem vorliegenden Verfahren
nur das nach der bestehenden rechtlichen Situation in bezug auf die an die
Antragstellerin gerichtete Ordnungsverfügung gegebene Interesse
berücksichtigungsfähig ist.
Der Rechtmäßigkeit der gegen die Antragstellerin erlassenen, auf § 69 Abs. 1 Ziffer 1
AMG gestützten Ordnungsverfügung steht nicht entgegen, daß die Sättigungskapseln
nach den Vertreiberangaben ein Nahrungsergänzungsmittel und damit ein Lebensmittel
sein sollen. Dieser Einordnung vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Nach § 1
Abs. 1 LMBG sind Lebensmittel Stoffe, die dazu bestimmt sind, in unveränderten,
zubereiteten oder verarbeiteten Zustand vom Menschen verzehrt zu werden;
ausgenommen sind Stoffe, die überwiegend dazu bestimmt sind, zu anderen Zwecken
als zur Ernährung oder zum Genuß verzehrt zu werden. Die Sättigungskapseln werden
weder zum Genuß noch zur Ernährung verzehrt. Dies entspricht der allgemeinen
Beurteilung
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- vgl. die Zitate in dem den Beteiligten bekannten Gutachten Redeker von 19. November
1996, S. 13 sowie KG, Urteil vom 30. September 1993 - 25 U 1791/93 -, LRE Bd. 29 S.
218 m. w. N., OLG Koblenz, Urteil vom 28. Mai 1996 - 4U 146/96 -, ZLR 1996, 541 (zu
Sättigungskautabletten) -
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und gilt auch für das vorliegende Präparat.
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Zunächst ist mit dem genannten Gutachten davon auszugehen, daß die Zufuhr an
Vitaminen und Mineralien eine so untergeordnete Rolle spielt, daß hieraus ein
Nährzweck oder eine Nahrungsergänzungsfunktion nicht abgeleitet werden kann. Auch
soweit die Kapseln Eiweiß enthalten, dient dieses gerade nicht der Ernährung, sondern
wird unverbraucht ausgeschieden. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob das
Collagen-Eiweiß und der Weizenfaserstoff, die zusammen einen Gewichtsanteil von
knapp 84 % ausmachen sollen, wie z. B. Weizenkleie als Ballaststoffe angesehen
werden könnten, die das Gutachten der Ernährung zurechnet, weil auch bei der
Versorgung des Körpers mit Nährstoffen gewisse Randbedingungen erfüllt werden
müßten, um seine energetischen und stofflichen Bedürfnisse decken zu können. Selbst
wenn man solche Ballaststoffe trotz ihres fehlenden Nähr- und Genußwertes den
Lebensmitteln (Nahrungsergänzungsmitteln) zurechnen könnte, was der Senat offen
läßt, so würde dies nicht zu Gunsten des Präparats der Antragstellerin berücksichtigt
werden können. Weder hat dieses Erzeugnis nach seiner Zweckbestimmung die
Funktion, die Darmbewegung anzuregen und den Transport des Darminhaltes zu
fördern, noch wird es wegen dieses möglichen Nebenzweckes gekauft. Der hier allein
ausschlaggebende Sättigungszweck ist unabhängig davon, ob die Kapseln zugleich
auch aus Ballaststoffen bestehen, mag in der Aufmachung auch der Begriff
"angereichertes Ballaststoffkonzentrat" benutzt werden. Gleiches gilt für die im
Erzeugnis der Antragstellerin enthaltene Gelatine, mag diese auch von der
herrschenden Meinung als Lebensmittel eingestuft werden. Angesichts der subjektiven
und objektiven Zweckbestimmung gegen den Hunger sind die Kapseln keine
Lebensmittel. In dem Gutachten wird deswegen zu Recht die Frage aufgeworfen, ob
nicht von einem "Anti-Ernährungsmittel" gesprochen werden müsse.
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Ob die Sättigungskapseln Arzneimittel oder Medizinprodukte nach dem in seinen
wesentlichen Teilen am 1. Oktober 1995 in Kraft getretenen Gesetz über
Medizinprodukte vom 2. August 1994 (BGBl I 1963 - Medizinproduktegesetz (MPG) -)
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sind, kann für die vorliegende Eilentscheidung offen bleiben, da in jedem Falle die
Vorschriften des AMG anzuwenden sind, auf die die Antragsgegnerin ihre Verfügung
gestützt hat.
Jedenfalls unter Zugrundelegung der bis zum Inkrafttreten des MPG geltenden
Rechtslage handelt es sich - wie von der Antragsgegnerin bei Anwendung von § 69
AMG zugrundegelegt und in Literatur und Rechtsprechung für vergleichbare Produkte
mehrfach dargelegt (vgl. die eingangs zitierten Fundstellen) - um ein Arzneimittel.
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Wenn in dem Gutachten hiergegen trotz Anerkennung gewisser Indizien für das
Vorliegen eines Arzneimittels eingewandt wird, es fehle die medizinische Indikation,
weil Hunger keine Krankheit sei, so ist dies nach deutschem Recht nicht der alleinige
Maßstab. Entscheidend ist danach zunächst, ob der Arzneimittelbegriff des § 2 AMG
erfüllt ist oder nicht. Die Sättigungskapseln der Antragstellerin erfüllen den
Arzneimittelbegriff des § 2 Abs. 1 Nr. 5 AMG, da sie trotz der Benennung als
Nahrungsergänzungsmittel objektiv dazu bestimmt sind, durch Anwendung im
menschlichen Körper den Zustand oder die Funktion des Körpers zu beeinflussen,
wobei offen gelassen werden kann, ob Hunger ein Zustand oder eine Funktion des
Körpers (die Packungsbeilage spricht selbst von Funktionsstörung des Hunger-
Sättigungs-Mechanismus) ist oder beides. Zugleich liegt ein Arzneimittel nach
Bezeichnung iSd Art. 1 Nr. 2 Abs. 1 der Richtlinie 65/65/EWG des Rates vom 26. Januar
1965, Abl. 369/76, geändert durch Richtlinie 89/341/EWG vom 3. Mai 1989, Abl. L
1427/11, (ArzneimittelRL) vor
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- vgl. zu der objektiven Zweckbestimmung und zu dem Begriff "Arzneimittel nach
Bezeichnung" BVerwG, Urteil vom 24. November 1994 - 3 C 2.93 -, BVerwGE 97, 132
m. w. N. -.
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Diese Einordnung steht auch im Einklang mit der bei der Auslegung des § 2 AMG zu
berücksichtigenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zu Art. 1 Nr. 2
ArzneimittelRL. Dieser hat aus Anlaß von u. a. den Hunger betreffenden Erzeugnissen
entschieden, die Frage, ob ein derartiges Erzeugnis letztlich als Lebensmittel oder als
Arzneimittel zu qualifizieren sei, sei von Fall zu Fall unter Berücksichtigung der beim
jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse feststehenden
pharmakologischen Eigenschaften des betreffenden Erzeugnisses zu beantworten.
Zustände oder Empfindungen wie Hunger seien als solche mehrdeutig; sie könnten
Symptom einer Krankheit sein und zusammen mit anderen klinischen Symptomen einen
pathologischen Zustand offenbaren oder auch, wie es bei einem Nahrungsbedürfnis der
Fall sei, könne ihm jede pathologische Bedeutung fehlen. Deshalb hätten die nationalen
Behörden - unter gerichtlicher Kontrolle - festzustellen, ob ein Erzeugnis, das in dieser
Weise - hier also als Sättigungskapseln - bezeichnet werde, unter Berücksichtigung
seiner Zusammensetzung, der Risiken, die mit seinem längeren Gebrauch verbunden
sein können, seiner Nebenwirkungen "und - allgemeiner gesagt - seiner sämtlichen
Merkmale" ein Arzneimittel darstelle
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- vgl. EuGH, Urteil vom 21. März 1991 - Rs. C-369/88 -, LRE Band 28, S. 3, 11, 12 -.
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Der Senat vermag bei Anlegung dieses Maßstabs die von der Antragsgegnerin
vorgenommene Bewertung nicht zu beanstanden. Zwar ist nicht zu verkennen, daß die
Sättigungskapseln keinen Wirkstoff, der vom Körper resorbiert würde, enthalten. Als rein
mechanisch läßt sich die Wirkungsweise allerdings auch nicht beschreiben. Es darf
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nicht übersehen werden, daß die Täuschung der "Hungersensoren" im Magen unstreitig
zu einer Reaktion im Gehirn führt, es also sehr wohl zu biochemischen Prozessen im
Körper kommt.
Auch mag nicht von vornherein ausgeschlossen sein, daß eine wiederholte Täuschung
des Körpers, es werde ihm auswertbare Nahrung zugeführt, die sich dann nicht als
solche erweist, zu irgendwelchen Reaktionen - jedenfalls bei längerem Gebrauch - führt.
Jedenfalls sind Nebenwirkungen wie Verstopfungen oder Magenübersäuerung eher
wahrscheinlich als unwahrscheinlich. Immerhin gibt es ausweislich der
Verwaltungsvorgänge - allerdings nicht näher substantiierte - Äußerungen im Vorfeld
der Ordnungsverfügung, die Sättigungskapseln könnten gesundheitlich bedenklich sein.
Jedoch hängt von diesen - evtl. in einem Hauptsacheverfahren zu vertiefenden -
Erwägungen die Entscheidung nicht ab: Auch wenn man von fehlenden
Nebenwirkungen und Langzeitwirkungen ausgeht, gibt es in der Art, wie das Mittel dem
Verbraucher gegenübertritt
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- vgl. zu diesem Maßstab BVerwG, a.a.O. -
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wesentliche Indizien dafür, daß es sich um ein Arzneimittel handelt; diese greifen in der
Gesamtschau, auf die auch der Europäische Gerichtshof (a.a.O.) zum Maßstab macht,
indem er auf "sämtliche Merkmale" abstellt, durch.
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Zunächst erweckt der auf die bei Arzneimitteln häufig vorzufindende Kapselform Bezug
nehmende Namensteil arzneiliche Assoziationen, die durch die tatsächlich auch
gegebene Darreichungsform als Kapseln ergänzt werden. Diese Gesichtspunkte allein
machen allerdings auch nach Auffassung des Senats ein Erzeugnis nicht zum
Arzneimittel. Jedoch haben sie indizielle Wirkung, die im Zusammenwirken mit anderen
Umständen durchaus Gewicht erlangen kann. Dies verkennt das OLG Stuttgart
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- vgl. Urteil vom 3. Mai 1996 - 2 K 8/96 -, WRP 1996, 941 -,
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dessen Aussage, daß die Kapselform § 1 Abs. 3 NährwertkennzeichenVO entspreche,
im übrigen nicht nachvollziehbar ist. Auch die übrigen Kriterien sind nur Bestandteile
eines sich ergänzenden Bewertungsgeflechts.
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Hinzu tritt die farblich neutrale und schlichte äußere Packungsgestaltung (so Gutachten
Redeker S. 25), wobei auch die Packungsgröße an ein Arzneimittel erinnert. Jedoch
ändert sich am Ergebnis nichts, wenn dieser Gesichtspunkt deshalb entfallen würde,
weil der Verkauf tatsächlich in - arzneimitteluntypischen - Dosen erfolgen sollte, wie die
Abbildung in der Grevenbroicher Lokal-Zeitung (BA 1, 16) und der Lizenzvertrag
nahelegen. Der erhebliche Preis von 89,50 DM für 25 Kapseln und der Verkauf in der
Apotheke nähren ebenfalls ganz erheblich die Vorstellung, es handele sich um ein
Arzneimittel
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- vgl. hierzu auch die zutreffenden Ausführungen des OLG Koblenz, a.a.O. -, a. A. OLG
Stuttgart, a.a.O. -.
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In diese Richtung wirkt ferner das Vorhandensein einer Packungsbeilage; eine solche
findet man regelmäßig bei Arzneimitteln. In ihr wird überdies u. a. von Fehlsteuerungen
der Nahrungsaufnahme gesprochen. Schon der Plural "Fehlsteuerungen" spricht
dagegen, hierin allein das allgemein bekannte Phänomen zu sehen, daß die modernen
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Lebensbedingungen und die menschliche Nahrungsaufnahme nicht richtig aufeinander
abgestimmt sind. Auch pathologische Fehlsteuerungen werden von der Formulierung
umfaßt. Soweit von einem "gesunden" Normalgewicht gesprochen wird, ist nicht
erkennbar, daß das Übergewicht, dem abgeholfen werden soll, nicht auch krankhaft
sein kann. Herr Prof. Dr. W. erklärt in seiner eidesstattlichen Versicherung -
krankheitsbezogen, zumindest aber gesundheitsbezogen -, das Mittel solle "beim
Extremrisiko 'Übergewicht' die Nahrungsaufnahme reduzieren", was zeigt, daß die
Formulierung "gesundes Normalgewicht" durchaus einen - lebensmitteluntypischen,
aber arzneimitteltypischen - Gesundheitsbezug hat. Für Arzneimittel typisch sind auch
Einnahmeempfehlungen, wie sie hier in der Packungsbeilage ausgesprochen werden.
Hinzu kommt, daß die Kapseln in arzneimitteltypischer Weise "einzunehmen" sind, auch
wenn dieser Vorgang einen Verzehr iSv. § 7 Abs. 1 LMBG darstellt.
Nicht ohne jede medizinisch-arzneiliche Assoziation ist auch die Beschreibung des
Ursprungs der zugrundeliegenden Idee in den Erfahrungen mit voroperativ im Magen
einzusetzenden Ballons. Sehr deutlich für ein Arzneimittel spricht der Vertrieb durch
einen Gesundheitsservice, wie ein Namensteil der Antragstellerin lautet, mag diese
diesen Namensteil im Zusammenhang mit ... Sättigungskapseln auch nicht immer
verwenden; z. B. in Reklame und einem anschließenden Antwortcoupon ist mehrfach
von "Gesundheitsdienst" die Rede. Auch werden "Gesundheits-Nachrichten" mit "Infos
rund um das Thema Gesundheit" versprochen. Berücksichtigt man weiter, daß dem
Nähr- oder Genußzweck keine Bedeutung zukommt, jedoch in eine körperliche Funktion
eingegriffen wird, so tritt das Erzeugnis dem Verbraucher - auch wenn es
widerstreitende Elemente wie das Fehlen eines pharmakologisch wirksamen Stoffes,
die Nichtangabe von Neben- und Langzeitwirkungen gibt - im Ergebnis als Arzneimittel
gegenüber.
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Zutreffend erörtert das Gutachten Redeker, daß jedenfalls das erste Presseecho auf das
hier fragliche Produkt - Beispiele hierzu finden sich auch in den Verwaltungsvorgängen
der Antragsgegnerin - von dem Eindruck bestimmt gewesen sei, es handele sich um ein
Arzneimittel, wobei etwa von der "Pille gegen den Hunger" gesprochen worden sei.
Dabei ist häufig hervorgehoben worden, daß der Erfinder Chefarzt und Professor für
Medizin sei. Einem solchem traut man die Erfindung eines Arzneimittels eher zu als die
eines Lebensmittels. Dies stützt und bestätigt zugleich die vorstehende Beurteilung.
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Dem in der Gesamtschau sich als Arzneimittel präsentierenden Produkt kann auch nicht
deswegen eine andere rechtliche Qualität zugesprochen werden, weil es sich um eine
Neuentwicklung handele und bei solchen den Herstellerbestimmungen besonderes
Gewicht zukäme. Vielmehr ist zu berücksichtigen, daß es bereits eine Anzahl von
Quellmitteln gibt, die von Behörden und Rechtsprechung als Arzneimittel eingeordnet
worden sind, was im übrigen der Verbraucherschaft nicht verborgen geblieben sein
dürfte. Es kommt daher nicht allein auf das hier streitige Produkt, sondern auch auf die
Beurteilung der Gattung an
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- vgl. BGH, Urteil vom 19. Januar 1995 - I ZR 209/92 -, Lindenmaier- Möhring, UWG § 1
Nr. 678 m.w.N. zu § 2 AMG iVm. § 1 LMBG und Urteil des Senats vom 21. Juni 1992 -
13 A 1362/94 -, LRE Band 32, 308 -.
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Entgegen dem Vorbringen des Beigeladenen fällt das hier zu beurteilende Produkt auch
nicht gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG aus dem Anwendungsbereich dieses Gesetzes.
Nach dieser Vorschrift sind Arzneimittel nicht Medizinprodukte im Sinne des § 3 des
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Medizinproduktegesetzes (MPG). Auch wenn gemäß § 3 Nr. 1 MPG Zubereitungen aus
Stoffen, die vom Hersteller zur Anwendung für Menschen mittels ihrer Funktionen zum
Zwecke der Veränderung eines physiologischen Vorgangs zu dienen bestimmt sind und
deren bestimmungsgemäße Hauptwirkung im menschlichen Körper weder durch
pharmakologisch noch immunologisch wirkende Mittel erfolgt, Medizinprodukte sind und
diese Alternative hier in Betracht zu ziehen sein mag, schließt dies die Anwendung der
Vorschriften des Arzneimittelgesetzes im hier zu entscheidenden Fall nicht aus. Aus §
48 Abs. 1 und 2 MPG ergibt sich, daß während der bis zum 13. Juni 1998 laufenden
Übergangsfrist die am 31. Dezember 1994 für das jeweilige Medizinprodukt geltenden
Vorschriften Anwendung finden, wenn das Produkt nicht "nach den Vorschriften dieses
Gesetzes" (d. h. des MPG) "in den Verkehr gebracht und in den Betrieb genommen
sowie zur klinischen Prüfung zur verfügung gestellt worden" ist (§ 48 Abs. 2 MPG).
§ 48 Abs. 1 MPG bestimmt darüber hinausgehend, daß Medizinprodukte während der
Übergangsfrist noch nach den bisherigen Bestimmungen - also gegebenenfalls auch
des AMG - in den Verkehr gebracht und in Betrieb genommen werden können, was
nach der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
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vgl BR-Drucksache 928/93 vom 24. Dezember 1993
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auch bedeutet, daß auf diese Weise in den Verkehr gebrachte Medizinprodukte nicht
den Vorschriften des Medizinproduktegesetzes unterliegen; die Begründung erwähnt in
diesem Zusammenhang als Beispiel ausdrücklich Einmalinstrumente nach § 2 Abs. 2
Nr. 1 a AMG.
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Den genannten Bestimmungen entnimmt der Senat das Ziel des Gesetzgebers,
Medizinprodukte während der Übergangszeit nur dann den Vorschriften des MPG zu
unterstellen, wenn sie nach den Vorschriften dieses Gesetzes in den Verkehr gebracht
worden sind. Auch wenn Sättigungskapseln daher ein Medizinprodukt im Sinne des § 3
MPG darstellen würden, wäre die Antragsgegnerin also zuständig und berechtigt
gewesen, wegen der fehlenden Zulassung als Arzneimittel und nach dem MPG gemäß
§ 69 Abs. 1 Nr. 1 iVm. § 21 AMG einzuschreiten, was sie ermessensfehlerfrei getan hat.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und 3 iVm. § 162 Abs. 3 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung entspricht § 13 Abs. 1 iVm. § 20 Abs. 3 GKG.
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