Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 20.04.2009

OVG NRW: behinderung, fristlose kündigung, ordentliche kündigung, interessenabwägung, aufklärungspflicht, vollstreckung, arbeitsmarkt, ermessensfehler, nichterfüllung, quote

Oberverwaltungsgericht NRW, 12 A 2431/08
Datum:
20.04.2009
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
12 A 2431/08
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 19 K 2232/08
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Der Bescheid des Integrationsamtes beim Beklagten vom 28. März 2007
über die Erteilung der Zustimmung zur außerordentlichen fristlosen
Kündigung in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des
Widerspruchsausschusses des Integrationsamtes beim Beklagten vom
19. Februar 2008 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens
beider Instanzen. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind
nicht erstattungsfähig.
Der Beschluss ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig
vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden,
wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe
leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e :
1
I.
2
Der im Jahre 1957 geborene Kläger ist seit 1987 im öffentlichen Dienst beschäftigt, seit
dem Jahr 2000 im Bereich des Polizeipräsidiums E. . Das Versorgungsamt E. stellte mit
Bescheid vom 16. Dezember 2005 bei dem Kläger einen Grad der Behinderung von 50
fest, wobei es eine psychische Behinderung, eine Schulterluxation links und ein
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Wirbelsäulenleiden berücksichtigte.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts, des Verwaltungsverfahrens, des
erstinstanzlichen Klageverfahrens und des angefochtenen Urteils wird auf den Inhalt
von dessen Tenor, Tatbestand und Entscheidungsgründen Bezug genommen.
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Der beschließende Senat hat die Berufung mit Beschluss vom 2. Februar 2009, auf
dessen Begründung Bezug genommen wird, zugelassen.
5
Der Kläger, der zur Begründung seiner Berufung sein Vorbringen aus dem
erstinstanzlichen Verfahren und aus dem Zulassungsverfahren wiederholt und vertieft,
beantragt,
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das angefochtene Urteil zu ändern und den Bescheid des Integrationsamtes beim
Beklagten vom 28. März 2007 über die Erteilung der Zustimmung zur außerordentlichen
fristlosen Kündigung in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des
Widerspruchsausschusses des Integrationsamtes beim Beklagten vom 19. Februar
2008 aufzuheben.
7
Der Beklagte und der Beigeladene stellen keine Anträge.
8
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der
Beteiligten im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen
Verwaltungsvorgangs des Beklagten Bezug genommen.
9
II.
10
Über die Berufung kann gem. § 130a VwGO durch Beschluss entschieden werden, weil
der Senat die Berufung einstimmig für begründet und die Durchführung einer
mündlichen Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 130a Satz 1 VwGO). Die
Beteiligten sind hierzu nach § 130a Satz 2 VwGO i. V. m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO mit
gerichtlicher Verfügung vom 12. März 2009 angehört worden.
11
Die zulässige Berufung ist begründet.
12
Der Bescheid des Integrationsamtes beim Beklagten vom 28. März 2007 über die
Erteilung der Zustimmung zur außerordentlichen fristlosen Kündigung in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides des Widerspruchsausschusses des Integrationsamtes beim
Beklagten vom 19. Februar 2008 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen
Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
13
Das bei der Erteilung der Zustimmung zur Kündigung nach § 85 SGB IX bestehende
Ermessen ist fehlerhaft ausgeübt worden.
14
Das Ermessen des Integrationsamtes und des Widerspruchsausschusses bei der
Entscheidung über die Erteilung der Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung ist
nicht nach § 91 Abs. 4 SGB IX gebunden gewesen. Gemäß § 91 Abs. 4 SGB IX soll das
Integrationsamt die Zustimmung (zur außerordentlichen Kündigung) erteilen, wenn die
Kündigung aus einem Grund erfolgt, der nicht im Zusammenhang mit der Behinderung
steht; die Entscheidung, ob der Kündigungsgrund im Zusammenhang mit der
Behinderung steht, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf
15
der Grundlage des vom Arbeitgeber angegebenen, nur im arbeitsgerichtlichen
Verfahren zu überprüfenden Kündigungsgrundes zu treffen.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. September 1996
16
- 5 B 109/96 -, Buchholz 436.61 § 21 SchwbG Nr. 8; Urteil vom 2. Juli 1992 - 5 C 39.90 -,
BVerwGE 90, 275 ff. jeweils zu der wortgleichen Vorgängerregelung des § 21 Abs. 4
SchwbG; OVG NRW, Beschluss vom 23. Mai 2008 - 12 A 3176/07 -.
17
Besteht danach kein Zusammenhang zwischen dem Kündigungsgrund und der
Behinderung, ist das freie Ermessen nach § 85 SGB IX durch § 91 Abs. 4 SGB IX
dahingehend eingeschränkt, dass das Integrationsamt im Regelfall die Zustimmung zu
erteilen hat. Nur bei Vorliegen von Umständen, die den Fall als atypisch erscheinen
lassen, darf das Integrationsamt nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden.
18
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. September 1996
19
- 5 B 109/96 -, a.a.O.; Urteil vom 2. Juli 1992
20
- 5 C 39.90 -, a.a.O.; OVG NRW, Beschlüsse vom 22. Januar 2009 - 12 A 2094/08 -, vom
23. Mai 2008 - 12 A 3176/07 - und vom 31. Oktober 2006
21
- 12 A 3554/06 -; die gegen den letztgenannten Beschluss eingelegte
Verfassungsbeschwerde hat die 1. Kammer des Ersten Senats des
Bundesverfassungsgerichts mit Beschluss vom 20. Februar 2007
22
- 1 BvR 3222/06 - zurückgewiesen.
23
Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass ein Zusammenhang zwischen dem als
Kündigungsgrund geltend gemachten Verhalten des Klägers am 5. März 2007 und
seiner Behinderung besteht.
24
Vgl. die Begründung des Widerspruchsbescheides vom 19. Februar 2008:
25
"... Hier stehen Kündigungsgrund und anerkannte Schwerbehinderung jedoch in
unmittelbarem Zusammenhang, da gerade die manische Depression, die auch die
Schwerbehinderteneigenschaft begründet, die Zusammenarbeit mit Kollegen und
Vorgesetzten massiv einschränkt bzw. unmöglich macht.
26
... Der Widerspruchsausschuss schließt sich der Auffassung des
Integrationsfachdienstes an, und sieht in dem Verhalten des Widerspruchsführers
Auswirkungen einer manischen Phase. Auf allen bisherigen Arbeitsplätzen des
Widerspruchsführers ist es nach einiger Zeit zu ähnlichen verhaltensbedingten
Schwierigkeiten gekommen. Der Widerspruchsführer fühlt sich nach einer euphorischen
Anfangsphase später von den Vorgesetzten böswillig kontrolliert und gemobbt. ... Die
Beeinträchtigungen der Beteiligten sind nach Auffassung des
Widerspruchsausschusses so erheblich, dass eine Weiterbeschäftigung nicht möglich
ist. Alle Wiedereingliederungsversuche in das Arbeitsleben sind letztlich gescheitert.
Der Widerspruchsführer konnte trotz verschiedener Hilfestellungen nicht dauerhaft
psychisch stabil ins Arbeitsleben integriert werden. ... "
27
Angesichts des danach anerkannten unmittelbaren Zusammenhangs zwischen den
psychisch bedingten Defiziten des Klägers in der Verhaltenssteuerung und dem als
Kündigungsgrund angeführten Verhalten des Klägers am 5. März 2007 war die
Ermessensbindung nach § 91 Abs. 4 SGB IX entfallen. Da sich insoweit aus § 91 Abs. 4
SGB IX nichts Abweichendes mehr ergab, galten kraft gesetzlicher Anordnung nach §
91 Abs. 1 SGB IX - mit Ausnahme des hier nicht interessierenden § 86 SGB IX - die
Vorschriften des vierten Kapitels über den Kündigungsschutz (§§ 85 bis 92 SGB IX)
auch bei außerordentlicher Kündigung (ob mit oder ohne sozialer Auslauffrist). Griff die
Ermessensbindung nach § 91 Abs. 4 SGB IX nicht, war dementsprechend über die
Erteilung der Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist im
Rahmen der allgemeinen, nicht gebundenen Ermessensentscheidung nach § 85 SGB
IX zu befinden.
28
Im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 85 SGB IX hat das Integrationsamt
nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anknüpfend an den
Antrag des Arbeitgebers und von ihm ausgehend all das zu ermitteln und zu
berücksichtigen, was erforderlich ist, um die gegensätzlichen Interessen des
Arbeitgebers und des schwerbehinderten Arbeitnehmers gegeneinander abwägen zu
können.
29
Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 1995 - 5 C 24.93 -, BVerwGE 99, 336 ff.; Beschluss
vom 6. Februar 1995 - 5 B 75.94 -, Buchholz 436.61 § 15 SchwbG Nr. 9; Urteil vom 2.
Juli 1992 - 5 C 51.90 -, BVerwGE 90, 287 ff.; Beschluss vom 11. Juni 1992
30
- 5 B 16.92 -, Buchholz 436.61 § 15 SchwbG 1986 Nr. 5; Beschluss vom 18. Mai 1988 -
5 B 135.87 -, Buchholz 436.61 § 15 SchwbG 1986 Nr. 1; Beschluss vom 12. Juni 1978 -
V B 97.77 -, Buchholz 436.6 § 14 SchwbG Nr. 9; Urteil vom 26. Oktober 1971 - V C
78.70 -, BVerwGE 39, 36 ff.; Urteil vom 28. Februar 1968 - V C 33.66 -, BVerwGE 29,
140 ff.; Urteil vom 28. November 1958 - V C 32.56 -, BVerwGE 8, 46 ff., jeweils zu den
Vorgängerregelungen des § 85 SGB IX; OVG NRW, Beschluss vom 23. Mai 2008 - 12 A
3176/07 -.
31
Der Schwerbehindertenschutz gewinnt dabei an Gewicht, wenn - wie hier - die
Kündigung des Arbeitsverhältnisses auf Gründe gestützt wird, die in der Behinderung
selbst ihre Ursache haben, so dass an die im Rahmen der interessenabwägenden
Ermessensentscheidung zu berücksichtigende Zumutbarkeitsgrenze für den
Arbeitgeber besonders hohe Anforderung zu stellen sind, um auch den im
Schwerbehindertenrecht zum Ausdruck gekommenen Schutzgedanken der
Rehabilitation verwirklichen zu können.
32
Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 1995
33
- 5 C 24.93 -, a.a.O. m.w.N.; Beschluss vom 18. September 1989 - 5 B 100.89 -,
Buchholz 436.61
34
§ 15 SchbG Nr. 2.; OVG NRW, Beschluss vom 23. Mai 2008 - 12 A 3176/07 - .
35
Die um den vom Gesetz auferlegten Schwerbehindertenschutz gesteigerte
Fürsorgepflicht des Arbeitgebers kann dazu führen, dass dessen Interesse an der
Vermeidung aller Störungen des betrieblichen Ablaufs in zumutbarer Weise
zurücktreten muss.
36
Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 1971
37
- V C 78.70 -, a.a.O.
38
In einem Fall, in dem - wie hier - die Kündigung des Arbeitsverhältnisses auf Gründe
gestützt wird, die in der Behinderung selbst ihre Ursache haben, reicht daher nicht jedes
als Kündigungsgrund geltend gemachte Verhalten des Schwerbehinderten aus, um die
Zumutbarkeitsgrenze für den Arbeitgeber, an die in einem derartigen Fall besonders
hohe Anforderungen zu stellen sind, zu überschreiten. Vielmehr bedingen die auf der
einen Seite zu Lasten des Arbeitgebers bestehenden besonders hohen Anforderungen
an dessen Zumutbarkeitsgrenze, dass auf der anderen Seite der Schwerbehinderte
durch sein Verhalten, das den Kündigungsgrund bildet, seine arbeitsvertraglichen
Pflichten nach Art und Umfang in besonders schwerem Maß verletzt haben muss, um im
Rahmen der Ermessensabwägung die besonders hohen Anforderungen an die für den
Arbeitgeber geltende besonders hohe Zumutbarkeitsgrenze signifikant überschreiten zu
können.
39
Vgl. das auch in diesem Zusammenhang zu beachtende Rangverhältnis zwischen
Abmahnung und Kündigung: OVG NRW, Urteil vom 22. November 2006 - 12 A 1474/05
-.
40
Die danach an die Schwere der Pflichtverletzung zu stellenden besonders hohen
Anforderungen sind umso mehr von zentraler Bedeutung, wenn sie nicht nur als Grund
für eine - hier aufgrund der Beschäftigungsdauer ausgeschlossene - ordentliche
Kündigung, sondern zum Anlass für eine außerordentliche, zudem fristlose Kündigung
genommen werden und zugunsten des Schwerbehinderten weitere
abwägungsrelevante Umstände streiten, wie sie hier im Rahmen der
Ermessensbetätigung bei dem Erlass des Widerspruchsbescheides Berücksichtigung
gefunden haben. Zu denken ist hier insoweit an das hohe Alter des Klägers (51 Jahre),
zwei Kinder, die schwere Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt und die Nichterfüllung
der Pflichtquote der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen von 5 % (§ 71 SGB IX)
durch die Besetzung von lediglich 75 der insgesamt 2.948 Arbeitsplätze im
Polizeipräsidium E. mit Schwerbehinderten (Quote: 2,5 %).
41
Soweit danach ein behinderungsbedingter Umstand materiellrechtlich für die gebotene
Interessenabwägung Bedeutung hat, unterliegt er der Aufklärungspflicht. Das
Integrationsamt ist dabei nicht der Pflicht enthoben, sich von der Richtigkeit der für seine
Entscheidung wesentlichen Behauptungen eine eigene Überzeugung zu verschaffen;
gründet es seine Entscheidung auf unrichtige Behauptungen, dann begeht es einen
Ermessensfehler. Die Aufklärungspflicht wird verletzt, wenn das Integrationsamt (oder
der zuständige Widerspruchsausschuss) sich damit begnügt, das Vorbringen des
Arbeitgebers, soweit es in der Interessenabwägung zu berücksichtigen ist, nur auf seine
Schlüssigkeit zu überprüfen.
42
Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 1995
43
- 5 C 24.93 -, a.a.O.; Beschluss vom 6. Februar 1995 - 5 B 75.94 -, a.a.O., jeweils zu der
Vorgängerregelung des § 85 SGB IX; OVG NRW, Beschlüsse vom 12. Februar 2009 -
12 A 3108/08 - und vom 23. Mai 2008 - 12 A 3176/07 -.
44
Hiervon unberührt bleibt die vom Integrationsamt nicht zu prüfende arbeitsrechtliche
bzw. kündigungsschutzrechtliche Wirksamkeit der Kündigung.
45
Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 1995
46
- 5 C 24.93 -, a.a.O.
47
Hieraus folgt, dass in einem Fall, in dem - wie hier - die Kündigung mit einem konkreten
Fehlverhalten begründet wird, das im Rahmen der Ermessensbetätigung zu gewichten
ist, die Feststellung dieses Fehlverhaltens und die Feststellung der für die Bewertung
der Schwere dieses Fehlverhaltens unerlässlichen Begleitumstände einschließlich
etwaiger Verantwortungsanteile des Arbeitgebers oder von Kollegen,
48
vgl. insoweit etwa BVerwG, Urteil vom 2. Juli 1992
49
- 5 C 51.90 -, a.a.O., Urteil vom 26. Oktober 1971
50
- V C 78.70 -, a.a.O.; OVG NRW, Beschluss vom 12. Februar 2009 - 12 A 3108/08 -,
Urteil vom 22. November 2006 - 12 A 1474/05 -,
51
erforderlich ist.
52
Wird seitens des Schwerbehinderten - wie hier aufgrund des dezidierten
Widerspruchsvorbringens des Klägers, das dieser ungeachtet des weitergehenden
Vorbringens einer "Herabwürdigung" in der Zulassungsbegründung wiederholt hat -
substantiiert geltend gemacht, das Fehlverhalten sei auf eine besondere psychische
Belastungssituation zurückzuführen, die (auch) auf dem von ihm auf seinem Arbeitsplatz
ohne Rücksicht auf seine Erkrankung geforderten Arbeitseinsatz beruhe, ist auch dieser
für die Bewertung der Schwere des Fehlverhaltens maßgebliche Umstand aufzuklären
und die nach dem die Ermessensbetätigung steuernden verfassungsrechtlichen
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebotene Feststellung erforderlich, ob der
Arbeitgeber die ihm nach § 84 Abs. 1 SGB IX obliegenden Präventionsmaßnahmen zur
Vermeidung einer Kündigung,
53
vgl. BAG, Urteil vom 23. April 2008
54
- 2 AZR 1012/06 -, Der Betrieb 2008, 2091,
55
vollständig ergriffen und dem Schwerbehinderten einen Arbeitsplatz zugewiesen hat,
der nach der Arbeitsplatzbeschreibung und der praktischen Ausgestaltung den
psychischen und/oder physischen Leiden des Schwerbehinderten (hier nach dem
Bescheid des Versorgungsamtes E. vom 16. Dezember 2005: psychische Behinderung,
Schulterluxation links, degeneratives Wirbelsäulensyndrom, Bandscheibenvorwölbung,
Wirbelsäulenfehlhaltung) angemessen ist.
56
Gemessen hieran erweist sich der Bescheid des Integrationsamtes beim Beklagten vom
28. März 2007 über die Erteilung der Zustimmung zur außerordentlichen fristlosen
Kündigung in der Gestalt des Widerspruchsausschusses des Integrationsamtes beim
Beklagten vom 19. Februar 2008 schon deshalb als ermessensfehlerhaft, weil die
Ermessensentscheidung, die durch den Widerspruchsbescheid ihre der gerichtlichen
Überprüfung unterliegende Gestalt erlangt hat, auf einem unzureichend ermittelten und
57
damit unvollständigen Sachverhalt beruht und dieses Sachverhaltsdefizit gerade das
entscheidende Geschehen vom 5. März 2007 sowie die "laut Meldungen vom
08.02.2007 und 06.03.2007" behaupteten weiteren Verstöße des Klägers gegen seine
arbeitsvertraglichen Pflichten betrifft.
Denn der Widerspruchsausschuss hat bei seiner Ermessensbetätigung unter
Verkennung des zutreffenden rechtlichen Maßstabes von der Feststellung des dem
Kläger vorgeworfenen Fehlverhaltens ausdrücklich und vollständig abgesehen.
58
Vgl. S. 6, 7. Absatz, der Begründung des Widerspruchsbescheides: "Ob das
Fehlverhalten tatsächlich stattgefunden hat, ist allein von den Arbeitsgerichten zu
klären".
59
Das Verhalten des Klägers am 5. März 2007 und die unmittelbaren
abwägungsrelevanten Begleitumstände, wie etwa das Verhalten der Zeugin C. - T.
während der Fahrt nach F. sowie die Tatsache, dass die Zeugin nach der verbalen
Aggression des Klägers zu diesem wieder in das Fahrzeug eingestiegen ist, auf dem
Beifahrersitz Platz genommen hat und mit dem Kläger zurückgefahren ist - was die
Annahme, diese habe die verbale Aggression gar nicht als reale Bedrohung
angesehen, jedenfalls nicht ohne weiteres als fernliegend erscheinen lässt -, sowie der
Umstand, dass die Überführung eines Fahrzeuges nach der Arbeitsplatzbeschreibung
nicht zum Aufgabenkreis des Klägers gehört hat und ihm möglicherweise mit Blick auf
die bestehenden psychischen Belastungen auch gar nicht hätte zugemutet werden
dürfen, bleiben danach ebenso unaufgeklärt wie das schon gar nicht hinreichend
konkretisierte angebliche weitere Fehlverhalten des Klägers "laut Meldungen vom
08.02.2007 und 06.03.2007".
60
Der Widerspruchsbescheid und die ihn tragende Ermessensbetätigung sind danach
offenkundig nur auf der Grundlage des von dem Beigeladenen als Arbeitgeber
vorgetragenen - streitigen - Kündigungsgrundes erfolgt. Eine Heilung dieses
Aufklärungsmangels kommt im gerichtlichen Verfahren regelmäßig nicht in Betracht.
61
Vgl. zum Ausschluss des Nachschiebens von Ermessenserwägungen, wenn der
Bescheid von einem Ausschuss erlassen worden ist, der - wie auch hier (vgl. §§ 118 f.
SGB IX) - nicht nur aus Bediensteten der betreffenden Behörde besteht, etwa: BVerwG,
Beschluss vom 25. Juni 1968 - V B 174.67 -, Buchholz 436.6 § 14 SchwbG Nr. 6; Urteil
vom 15. April 1959 - V C 162.56 -, Buchholz 436.6 § 14 SchwBG Nr. 3; OVG NRW,
Beschlüsse vom 23. Mai 2008
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- 12 A 3176/07 -, vom 25. September 2007 - 12 A 1243/07 - und vom 9. Oktober 2007 -
12 A 2269/07 -, Juris; letzterer zum Nachschieben von Ermessenserwägungen bei der
Entscheidung über Leistungen aus Mitteln der Ausgleichsabgabe.
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Auf die Ausführungen des Beigeladenen im Berufungsverfahren zur Bewertung des
Vorfalls am 5. Juli 2007 kommt es danach nicht an.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, Abs. 3 Halbsatz 1, 162 Abs. 3, 188
Satz 2 Halbsatz 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt
aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
66
nicht gegeben sind.
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