Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 21.05.1999

OVG NRW (aufschiebende wirkung, öffentliche sicherheit, versammlung, stgb, versammlungsfreiheit, beschwerde, prognose, durchführung, auflage, kauf)

Oberverwaltungsgericht NRW, 23 B 978/99
Datum:
21.05.1999
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
23. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
23 B 978/99
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 20 L 1217/99
Tenor:
Die Beschwerde wird zugelassen.
Der angefochtene Beschluß wird geändert.
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen
die Verbotsverfügung des Antragsgegners vom 10. Mai 1999 wird
wiederhergestellt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 8.000,00 DM
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die Beschwerde ist wegen - mit dem Zulassungsantrag geltend gemachter - ernstlicher
Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Beschlusses zuzulassen (§ 146 Abs. 4
VwGO i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
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Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
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Das Verwaltungsgericht hat den Aussetzungsantrag der Antragstellerin im Ergebnis zu
Unrecht abgelehnt. Entgegen der Auffassung der ersten Instanz kann der Senat nicht
feststellen, daß vieles für die Rechtmäßigkeit der Verbotsverfügung des Antragsgegners
spricht. Vielmehr erweist sich diese Verfügung bei der im Rahmen des vorläufigen
Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung weder als
offensichtlich rechtmäßig noch als offensichtlich rechtswidrig, sie unterliegt vielmehr
Bedenken. Bedenken unterliegt die Verbotsverfügung zum einen deshalb, weil die
Antragstellerin als Störerin/Zweckveranlasserin in Anspruch genommen worden ist,
diese Annahme aber im wesentlichen auf die erwartete Teilnahme von der
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"Kameradschaft K. " zugehörigen Versammlungsteilnehmern gestützt worden ist.
Ungeachtet der - unten noch anzusprechenden - Frage, ob und inwieweit von diesem -
relativ kleinen - Teilnehmerkreis tatsächlich Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder
Ordnung bei Durchführung der Versammlung hinreichend konkret durch Tatsachen
belegt werden können, vermag der Senat den bislang vorliegenden Unterlagen nicht mit
der für einen Grundrechtseingriff nötigen Sicherheit konkrete, belegbare Anzeichen
dafür zu entnehmen, daß die Antragstellerin als Veranstalterin die aus dem Kreis der
"Kameradschaft K. " vom Antragsgegner erwarteten Störungen anstrebt oder zumindest
billigend in Kauf nimmt.
Vgl. Meyer/Köhler, Das neue Demonstrations- und Versammlungsrecht, 3. Auf-lage
1990, § 15 VersG Anm. 2 a) bb).
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Die Inanspruchnahme der Antragstellerin als Störerin/Zweckveranlasserin ist nicht
schon deshalb gerechtfertigt, wenn - so der angefochtene Beschluß - Zweifel daran
bestehen, ob die Antragstellerin etwaigen von Dritten ausgehenden Gefahren wirksam
entgegentreten will oder könnte.
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Die vorzunehmende Interessenabwägung fällt daher angesichts der hohen
Anforderungen, die an einen Eingriff in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zu
stellen sind, zugunsten der Antragstellerin aus.
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Vgl. etwa OVG NW, Beschluß vom 11. Sep-tember 1998 - 23 B 1953/98 -, S. 2 ff. des
Beschlußabdrucks m.w.N.
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Wenn die sofortige Vollziehbarkeit des Verbots der Demonstration bestehen bliebe,
wäre die Antragstellerin um die Möglichkeit, von dem ihr zustehenden Grundrecht auf
Versammlungsfreiheit in der gewünschten Weise Gebrauch zu machen, gebracht. Die
Demonstration wendet sich gegen die zur Zeit in K. gezeigte sogenannte
Wehrmachtsausstellung. Nach Schließung dieser Ausstellung würde eine spätere
Nachholung der Versammlung angesichts ihrer Zielsetzung nicht mehr ihren Zweck
erfüllen und die mit dem Verbot verbundenen Nachteile beseitigen können.
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Könnte demgegenüber die Versammlung wie geplant stattfinden, obwohl sich in einem
Hauptsacheverfahren die Rechtmäßigkeit der Verbotsverfügung erweisen würde, so
wäre die Versammlung durchgeführt worden, obwohl die Voraussetzungen für ein
Verbot vorlagen. Da die Voraussetzungen für das Verbot ihrerseits aber auf einer
Prognose beruhen, steht damit nicht fest, daß die für wahrscheinlich gehaltenen
Gefahren tatsächlich eingetreten wären. Unter diesen Umständen kann bei der
Folgenabwägung nicht gänzlich von der Art der befürchteten Gefahren und dem Grad an
Eintrittswahrscheinlichkeit, der der Prognose zugrunde liegt, abgesehen werden.
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Vgl. etwa BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats), Beschluß vom 25. Juli 1998 - 1 BvQ
11/98 -, NJW 1998, 3631 f.
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Der Antragsgegner befürchtet vorliegend die Gefahr der Begehung von Straftaten im
Sinne der §§ 86, 86a, 90b, 125, 130 und 303 StGB, und zwar vorwiegend wegen der
vermuteten Demonstrationsteilnahme von Mitgliedern der "Kameradschaft K. ". Es mag
einerseits zwar zutreffen, daß diese Vereinigung als Nachfolgeorganisation der
verbotenen FAP anzusehen ist und bei ihren Mitgliedern ein höheres Maß an
Gewaltbereitschaft besteht. Andererseits ergibt sich aus den Verwaltungsvorgängen des
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Antragsgegners zu strafrechtlich relevanten Aktivitäten der "Kameradschaft K. " lediglich
der Hinweis auf Verstöße gegen das Vereinsgesetz und gegen Bestimmungen der §§
86 und 86a StGB. Daß im übrigen die Antragstellerin Störungen aus diesem Kreis, der
angesichts der angekündigten Teilnehmerzahl von rund 1.000 Demonstranten nur eine
Kleine Minderheit der Versammlungsteilnehmer darstellen würde, billigend in Kauf
nehmen würde, ist nicht belegt.
Die weiteren Umstände, daß der als Versammlungsleiter benannte Herr Paul Breuer
wohl Mitglied dieser "Kameradschaft" ist, an einer ihrer Veranstaltungen teilgenommen
hat und gegen ihn wegen des Zeigens des "Hitler-Grußes" ein Verfahren nach § 86a
StGB eingeleitet worden ist, rechtfertigt allein noch nicht ein zu Lasten der
Antragstellerin gehendes vollständiges Versammlungsverbot. Insoweit wäre es
ausreichend gewesen, der Antragstellerin im Wege einer Auflage die Benennung eines
anderen Versammlungsleiters aufzugeben, was dem Antragsgegner immer noch
unbenommen ist.
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Vgl. in diesem Zusammenhang Ott, Versammlungsgesetz, Kommentar, 5. Aufl. (1987),
S. 87; Dietel/Ginzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, Kommentar,
11. Auflage (1994), § 7 VersG Rdnrn. 1 ff.
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Schließlich handelt es sich bei den vom Antragsgegner befürchteten Straftaten zwar
überwiegend um Delikte von nicht unerheblichem Gewicht. Mit Ausnahme der §§ 125
und 303 StGB, die Gewalttaten zum Gegenstand haben, beziehen sich die
Strafdrohungen jedoch auf Vorgänge, die ungeachtet ihrer Gemeinschädlichkeit
jedenfalls keinen unmittelbaren Schaden für Personen oder Sachen verursachen. Daß
diesen Gewalttaten nicht durch einen entsprechenden Einsatz von Ordnungskräften
entgegengewirkt werden könnte, ist weder vom Antragsgegner behauptet noch
ersichtlich. Denn auch und gerade bei den in der jüngsten Zeit durchgeführten
Versammlungen der Antragstellerin unter anderem in D. , K. , B. und S. sah die Polizei
nur in Einzelfällen Veranlassung, Versammlungsteilnehmer in polizeilichen Gewahrsam
zu nehmen; im übrigen hat es sich gezeigt, daß vorwiegend Gegendemonstranten
Anlaß zu strafrechtlichen Ermittlungen geboten haben.
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Unter diesen Umständen überwiegen diejenigen Nachteile, die bei einem Verbot der
Versammlung eintreten, die Gefahren, welche bei Durchführung der Versammlung als
möglich erscheinen, aber durch geeignete Gegenmittel begrenzt oder ausgeschaltet
werden können.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§
13 Abs. 1 Satz 2, 20 Abs. 3, 25 Abs. 2 Satz 2 GKG.
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Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).
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