Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 11.01.2008

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Oberverwaltungsgericht NRW, 10 A 1277/07
Datum:
11.01.2008
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
10 A 1277/07
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 4 K 2733/06
Tenor:
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil
des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 23. März 2007 wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Antragsverfahren auf 5000 Euro
festgesetzt.
G r ü n d e :
1
I.
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Die Klägerin ist Eigentümerin der Grundstücke E. Str. 24, Gemarkung E1. , Flur 41,
Flurstück 501, und S.-----gasse 15, Gemarkung E1. , Flur 41, Flurstück 467. Auf den
Grundstücken steht ein einheitlicher Baukörper mit Ausgängen zu beiden Straßen. Für
das Grundstück S.-----gasse 15 erteilte die Beklagte am 25. Januar 2001 eine
Baugenehmigung für die Errichtung von vier Wohneinheiten, für das Grundstück E. Str.
24 unter dem 19. April 2001 eine Baugenehmigung für den Umbau und eine
Erweiterung eines bestehenden Ladenlokals.
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Die Klägerin errichtete in der Folgezeit im Erdgeschoss zwei Ladenlokale mit einer
Breite von jeweils etwa 6-7m und einer Tiefe von ca. 40 m. Am 29. August 2001 stellte
sie hierzu einen Bauantrag. Unter dem 19. November 2001 erteilte die Beklagte
"Nachtragsgenehmigungen" für beide Bauvorhaben. Die Genehmigungen enthalten
unter anderem folgende Nebenbestimmungen:
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"Die Tür zur E. Straße des schon in Betrieb genommenen Ladenlokals ist während der
Betriebszeiten des Ladens in voller Breite offen zu halten.
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Durch geeignete Maßnahmen ist sicherzustellen, dass diese Tür von Kunden nicht
geschlossen werden kann.
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Diese Tür ist entsprechend der beigefügten Baupläne als Schiebetür oder als eine nach
außen aufschlagende Tür auszubilden.
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Die Notausgangstür zur S.-----gasse dieses Ladenlokals muss in Fluchtrichtung
aufschlagen. Diese Tür ist bis spätestens zum 10.01. 2002 durch eine nach außen
aufschlagende zu ersetzen."
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Die Klägerin legte gegen die Nebenbestimmungen erfolglos Widersprüche ein. Die
Klägerin hat die Klage bzgl. der Nebenbestimmungen zur Gestaltung bzw. Handhabung
der Tür zur E. Straße zurückgenommen. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht die
Klage abgewiesen.
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II.
10
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
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Die Antragsschrift zeigt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen
Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf.
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Die Klägerin wendet zu Unrecht ein, es handele sich nicht um Sonderbauten im Sinne
des § 54 BauO NRW.
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Sonderbauten sind nach der Legaldefinition des § 54 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW
bauliche Anlagen und Räume besonderer Art oder Nutzung. Den Anwendungsbereich
verdeutlicht Abs. 3 der Bestimmung. Danach zählen insbesondere die in § 68 Abs. 1
Satz 3 BauO NRW aufgeführten Vorhaben zu den Sonderbauten. Diese Sonderbauten
unterscheiden sich von dem "Normalfall" eines Wohnhauses geringer oder mittlerer
Höhe über rechteckigem Grundriss insbesondere durch Schwierigkeiten der
Brandbekämpfung, häufig wechselnden Benutzer- oder Besucherkreis, Besonderheiten
der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit von Benutzern oder Besuchern,
besonderes Gefahrenpotential, hoher Verschleiß der für die Standsicherheit
wesentlichen Bauteile, besondere Nutzungsformen oder die Größe des Vorhabens.
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Vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte, BauO NRW, Stand: 1. Oktober 2007, § 54 Rdnr. 21,
zur niedersächsischen Regelung: Nds. OVG, Urteil vom 18. September 2002 - 1 LB
2855/01 -, BRS 65 Nr. 138.
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Diese Besonderheiten können auf der Grundlage des § 54 BauO NRW über die
allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen zum Brandschutz (z.B. über Abstände,
Rettungswegführung sowie Bauteile und Baustoffe) hinaus gehende
Brandschutzanforderungen im Einzelfall erforderlich machen.
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Der Verweis des § 54 Abs. 3 BauO NRW auf die Sonderbauten im Sinne des § 68 Abs.
1 Satz 3 BauO NRW ist, wie schon aus dem Wort "insbesondere" folgt, nicht
abschließend gemeint, so dass insbesondere auch an Verkaufsstätten mit einer
Verkaufsfläche von bis zu 700 m² besondere Anforderungen im Einzelfall gestellt
werden können.
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Vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte, BauO NRW, Stand: 1. Oktober 2007, § 54 Rdnr 65;
Gädtke/Temme/Heintz, BauO NRW, 10. Auflage, § 54 Rdnr. 56.
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Dieses Verständnis wird durch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift bestätigt. Nach
§ 54 Abs. 3 Sat 1 Nr. 2 BauO NRW 1995 galten die § 54 Abs. 1 und 2 BauO NRW für
Verkaufsstätten ohne Begrenzung auf ein bestimmtes Flächenmaß. § 54 Abs. 3 BauO
NRW 2000 enthält demgegenüber nunmehr nur noch einen Verweis auf den Katalog
der "großen" Sonderbauten in § 68 BauO NRW. Eine sachliche Änderung war damit
nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers jedoch nicht verbunden. Nach der
Amtlichen Begründung (LT-Drs. 12/3738),
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abgedruckt bei: Boeddinghaus/Hahn/Schulte, a.a.O., § 54 vor Rdnr. 1,
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ist auch mit der Neuformulierung eine abschließende Aufzählung der Sonderbauten
nicht beabsichtigt.
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Auch eine sachliche Rechfertigung dafür, die Anwendung des § 54 BauO NRW auf
Verkaufsstätten von mehr als 700 m² zu beschränken, ist nicht ersichtlich. Vielmehr
muss die Bauaufsichtsbehörde im Einzelfall prüfen können, ob unter Berücksichtigung
der Größe der Verkaufsstätte, der Besonderheiten des Gebäudes, der Brandlasten und
der Zahl der Besucher die allgemeinen Anforderungen für Wohngebäude ausreichen
oder nicht.
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Ausgehend von diesen Grundsätzen handelt es sich bei dem Bauvorhaben der Klägerin
um einen Sonderbau im Sinne des § 54 Abs. 1 BauO NRW. Das Verwaltungsgericht hat
hierzu zutreffend insbesondere auf den außergewöhnlichen Zuschnitt der Ladenlokale
abgestellt. Die Tiefe des Ladenlokals von nahezu 40 m führt dazu, dass der Fluchtwege
trotz der geringen Verkaufsfläche ähnlich lang ist wie bei einer Verkaufsstätte mit über
700 m². Allein dieser Umstand rechtfertigt die Annahme eines Sonderbaus im Sinne des
§ 54 BauO NRW, so dass es auf die weiter vom Verwaltungsgericht angeführten
Gesichtspunkte, gegen die sich die Klägerin wendet, im vorliegenden Verfahren nicht
ankommt. Die Berücksichtigung der konkreten örtlichen Gegebenheiten
("Schlauchform") ist auch nicht, wie die Klägerin meint, willkürlich.
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Zu Unrecht verweist die Zulassungsbegründung auch darauf, dass zwischen einem
Ladenlokal geringer oder mittlerer Größe und einer Privatwohnung bei gleichem
Grundriss kein wesentlicher Unterschied bestehe. Denn ein für die Erforderlichkeit einer
besonderen Prüfung brandschutzrechtlicher Aspekte mit tragender Unterschied
zwischen einer Wohnung und einem Ladenlokal gleich welchen Zuschnitts besteht
darin, dass die eine Wohnung nutzenden Personen die Örtlichkeit in der Regel kennen,
während die Kunden eines Ladenlokals insbesondere mit den Flucht- und
Rettungswegen üblicherweise gerade nicht vertraut sind.
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Soweit die Klägerin darauf verweist, dass die Anordnung der Warentische geändert und
damit die Fluchtmöglichkeiten verbessert worden seien, hat das Verwaltungsgericht
bereits zutreffend ausgeführt, dass die erteilte Baugenehmigung keinerlei Vorgaben für
die Anordnung der Gänge oder Rettungswege enthält und deshalb sämtlichen
Nutzungen Rechnung zu tragen ist, die in der Bandbreite der zugelassenen Nutzung
liegen. Deshalb führt auch der von der Zulassungsschrift unter 6. angestellte Vergleich
zu nicht vom Genehmigungsumfang gedeckten Nutzungen nicht weiter. Auch zu
möglichen Verletzungsgefahren wegen der vorhandenen Treppenstufen sowie zur
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Ermessensüberprüfung hat das Verwaltungsgericht das Erforderliche bereits ausgeführt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.
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Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3
Satz 3 GKG).
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