Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 07.03.2003

OVG NRW: neues recht, nationalität, vollstreckung, gespräch, aussiedlung, erwerb, osteuropa, vollstreckbarkeit, heimatort, hierarchie

Oberverwaltungsgericht NRW, 2 A 740/99
Datum:
07.03.2003
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 A 740/99
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 19 K 202/94
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der
außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen in beiden Rechtszügen zu
jeweils einem Viertel.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger
dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in
Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte
oder der Beigeladene vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe
leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird für das vor dem 1. Januar 2002 anhängig gewordene
Berufungsverfahren auf 16.361,34 EUR (= 32.000,- DM) festgesetzt.
G r ü n d e:
1
Die Berufung der Beklagten und des Beigeladenen, über die der Senat nach Anhörung
der Beteiligten gemäß § 130 a VwGO durch Beschluss entscheidet, mit dem
(sinngemäßen) Antrag,
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das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen,
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ist zulässig und begründet. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Erteilung von
Aufnahmebescheiden.
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Als Rechtsgrundlage für den von der Klägerin zu 2. geltend gemachten Anspruch auf
Erteilung eines Aufnahmebescheides kommen nur die §§ 26, 27 Abs. 1 Satz 1 des
Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge
(Bundesvertriebenengesetz - BVFG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni
1993, BGBl I S. 829, zuletzt geändert durch das Gesetz zur Klarstellung des
Spätaussiedlerstatus (Spätaussiedlerstatusgesetz-SpStatG) vom 30. August 2001, BGBl
I S. 2266, in Betracht. Für die Beurteilung des Anspruchs ist insgesamt neues Recht
maßgebend, denn die Klägerin zu 2. lebt - ebenso wie die anderen Kläger - noch heute
in der Russischen Föderation. Eine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung liegt
darin nicht.
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Vgl. zu Rechtsänderungen während eines laufenden vertriebenenrechtlichen
Verfahrens: BVerwG, Urteile vom 29. August 1995 - 9 C 391.94 -, amtliche Sammlung
des Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht (BVerwGE) 99, 133, vom 29. März
2001 - 5 C 17.00 -, Deutsches Verwaltungsblatt (DVBl) 2001, 1158, sowie vom 12. März
2002 - 5 C 2.01 - Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht - Rechtsprechungsreport (NVwZ-
RR) 2002, 697, und - 5 C 45.01 -, NVwZ 2003, 65.
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Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG wird der Aufnahmebescheid auf Antrag Personen mit
Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten erteilt, die nach Verlassen dieser Gebiete die
Voraussetzungen als Spätaussiedler erfüllen. Spätaussiedler aus dem hier in Rede
stehenden Aussiedlungsgebiet der ehemaligen Sowjetunion kann nach § 4 Abs. 1
BVFG nur sein, wer deutscher Volkszugehöriger ist. Da die Klägerin zu 2. nach dem 31.
Dezember 1923 geboren ist, ist sie nach § 6 Abs. 2 BVFG deutsche Volkszugehörige,
wenn sie von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen
abstammt und sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete durch eine
entsprechende Nationalitätenerklärung oder auf vergleichbare Weise nur zum
deutschen Volkstum bekannt oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen
Nationalität gehört hat (§ 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG). Das Bekenntnis zum deutschen
Volkstum oder die rechtliche Zuordnung zur deutschen Nationalität muss bestätigt
werden durch die familiäre Vermittlung der deutschen Sprache (§ 6 Abs. 2 Satz 2
BVFG). Diese ist nur festgestellt, wenn jemand im Zeitpunkt der Aussiedlung aufgrund
dieser Vermittlung zumindest ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen kann (§ 6 Abs.
2 Satz 3 BVFG).
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Es kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin zu 2. diese Voraussetzungen erfüllt, denn
dem Erwerb der Spätaussiedlereigenschaft steht § 5 Nr. 2 b) BVFG in der ab 1. Januar
2000 geltenden Fassung entgegen. Diese Vorschrift gilt mangels Überleitungsvorschrift
auch für noch nicht abgeschlossene Aufnahmeverfahren. Nach § 5 Nr. 2 b) BVFG
erwirbt die Rechtsstellung nach § 4 Abs. 1 oder 2 BVFG nicht, wer in den
Aussiedlungsgebieten eine Funktion ausgeübt hat, die für die Aufrechterhaltung des
kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam galt oder aufgrund der
Umstände des Einzelfalles war. Insoweit ist in der Rechtsprechung geklärt, dass
jedenfalls eine Tätigkeit als hauptamtlicher Parteifunktionär der KPdSU - unabhängig
davon, auf welcher Ebene der Parteihierarchie die innegehabte Funktion angesiedelt
war - unter den Ausschlusstatbestand des § 5 Nr. 2 b) BVFG fällt.
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Vgl. BVerwG, Urteile vom 29. März 2001 - 5 C 17.00 -, DVBl 2001, 1156, und - 5 C 26.00
-; Urteil des Senats vom 23. August 2002 - 2 A 4618/99 - .
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Eine solche Tätigkeit hat die Klägerin zu 2. ausgeübt. Ausweislich ihres Arbeitsbuches
war sie nach ihrer am 10. August erfolgten "Entlassung im Zusammenhang mit dem
Übergang auf Parteiarbeit" vom 11. August 1979 bis zum 10. März 1985 hauptamtlich für
die Partei tätig, und zwar als Leiterin des Kabinetts für politische Schulung beim
Parteikomitee des Radioapparaturenwerks in T. . Nach der Beweiserhebung im ersten
Rechtszuge war es Aufgabe der Kabinette der Politischen Bildung, den Propagandisten,
Lektoren, den Leitern der Agitationskollektive sowie Kommunisten und Parteilosen,
welche die marxistisch- leninistische Theorie studierten, theoretische und praktische
Hilfe zu leisten. In den Kabinetten der politischen Bildung wurden Seminare,
Vorlesungen, Vorträge, theoretische und methodische Konferenzen und
Erfahrungsaustausche organisiert.
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Vgl. Gutachten des Osteuropa-Instituts München, Historische Abteilung - Benedikt
Praxenthaler - vom 22. Oktober 1998, S. 9 (GA Bl. 99).
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Die Arbeit der Kabinette für politische Schulung war danach ein Teil der politischen
Arbeit der Partei auf der Ebene der Stadtbezirke und Betriebe. Als hauptamtlich für die
Partei tätige Leiterin war die Klägerin zu 2. dafür verantwortlich, dass die dem Kabinett
für politische Schulung obliegenden Aufgaben im Sinne der Partei umfassend und
ordnungsgemäß erfüllt wurden. Ihre Tätigkeit diente insoweit der unmittelbaren
Umsetzung des Willens und der Aufgaben der Partei. Dass die Klägerin zu 2. während
ihrer Tätigkeit als Leiterin des Kabinetts für politische Bildung in erheblichem Umfang
wohl auch bibliothekarische Tätigkeiten ausgeübt hat,
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vgl. Gutachten des Instituts für Ostrecht München e.V. - Dr. E. Gralla, Dr. St. Solotych -
vom 14. Mai 1998, GA Bl. 78.
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ist im Rahmen von § 5 Nr. 2 b) BVFG unerheblich, weil von dem Ausschlusstatbestand
nicht nur die Tätigkeiten im Rahmen der eigentlichen Propagandaarbeit erfasst werden,
sondern auch sonstige hauptamtliche die Parteiarbeit allgemein unterstützende
Tätigkeiten, weil erst durch solche Tätigkeiten gewährleistet war, dass der Wille und die
Vorstellungen der Partei auf allen Ebenen möglichst wirksam durchgesetzt werden
konnten. Dass die Klägerin zu 2. während ihrer Tätigkeit als Leiterin eines Kabinetts für
politische Bildung nicht in die allgemeine Parteiarbeit eingebunden war und dem
allgemeinen Auftrag entsprechen musste, ist weder von den Klägern vorgetragen
worden noch sonst ersichtlich.
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Unerheblich ist, dass die Klägerin zu 2. nur auf der untersten Ebene der Hierarchie des
politischen Apparates in ihrem Heimatort tätig gewesen ist. Auch eine hauptberufliche
Parteitätigkeit auf lokaler Ebene fällt unter den Ausschlusstatbestand des § 5 Nr. 2 b)
BVFG. Die Dauer ihrer Tätigkeiten als Parteifunktionärin von insgesamt mehr als
fünfeinhalb Jahren gibt keinen Anlass zu einer näheren Prüfung, ob mit Blick auf § 5 Nr.
2 b) BVFG eine unter teleologischen Gesichtspunkten möglicherweise unbedeutende
kurzfristige Funktionsausübung vorgelegen haben könnte.
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Da die Klägerin zu 2. keinen Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides gemäß
§ 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG hat, fehlt es für einen Anspruch der Kläger zu 1., 3. und 4. auf
Einbeziehung gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG, der insoweit nur noch Streitgegenstand
im Berufungsverfahren ist, an der erforderlichen Grundlage.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, 159 Satz 1, 162 Abs. 3 VwGO, 100 Abs.
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1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 167 VwGO,
708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen de § 132 Abs. 2 VwGO
nicht vorliegen.
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Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß §§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 1, 73 GKG.
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