Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 14.05.2004

OVG NRW: bebauungsplan, ausschluss, stand der technik, öffentliche bekanntmachung, eigentümer, gewerbe, grundstück, wohngebäude, planungsziel, form

Oberverwaltungsgericht NRW, 10a D 2/02.NE
Datum:
14.05.2004
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
10a Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10a D 2/02.NE
Tenor:
Der Bebauungsplan Nr. 92 M "O. straße , I. -T. -Straße" der Stadt N. ist
nichtig.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Antragsteller sind als Mitglieder einer Erbengemeinschaft Eigentümer des in N.
gelegenen Grundstücks L. straße 76 (Gemarkung N. , Flur 11, Flurstücke 732 und 733).
Das Grundstück ist mit einem straßenrandnah errichteten Wohnhaus und im
rückwärtigen Grundstücksbereich mit einem gewerblich genutzten Gebäude einer
Elektronikfirma bebaut. Die Antragsteller wenden sich gegen den Bebauungsplan Nr. 92
M "O. straße , I. -T. -Straße" der Antragsgegnerin, der ihr Grundstück als Teil eines
allgemeinen Wohngebietes bzw. eines Gewerbegebietes festsetzt.
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Der etwa 6 ha umfassende räumliche Geltungsbereich des Bebauungsplans erfasst
einen zwischen der O. straße im Norden, der S. straße im Osten, der I. -T. -Straße im
Süden und der L. straße im Westen gelegenen bebauten Bereich. Die bauliche Nutzung
im Plangebiet besteht ausweislich einer von der Antragsgegnerin im
Planaufstellungsverfahren durchgeführten Bestandsaufnahme entlang der I. -T. -Straße
durchweg aus Wohnnutzung, die sich im straßenrandnahen Bereich entlang der L.
straße fortsetzt (L. straße 74, 76, 78 und 82) und zum Teil mit gewerblicher Nutzung
mischt (L. straße 80 (Zweiradhandel), L. straße 84 (Dach- und Fassadenbaufirma)). Die
hinteren (östlichen) Bereiche der Grundstücke L. straße 76 bis 84 weisen gewerbliche
Nutzungen auf (Elektronikfirmen, Kfz-Reparatur, Werkstatt, Garagen). Die Häuser O.
straße 4 bis12 im nordwestlichen Planbereich sind wohngenutzt, das Gebäude O.
straße 14 - 16 dient dem Wohnen sowie einer Computerfirma ("Computertechnik;
Chemtronic"). Im weiteren östlichen Verlauf schließen sich entlang der O. straße eine
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Gerüstbaufirma (O. straße 18) und - südöstlich davon, im Inneren des Plangebietes
gelegen und durch eine südlich von der O. straße abzweigende, als Sackgasse
ausgebildeten Stichstraße erschlossen - ein Baugeschäft sowie Wohnnutzung an (O.
straße 20 a/20 b). Das Gebäude O. straße 24 wird gewerblich genutzt ("Folien-GmbH"),
an das sich weiter östlich wiederum Wohnnutzung anschließt (O. straße 26 - 30).
Schließlich befinden sich im Osten des Plangebietes im Eckbereich O. straße /S. straße
gelegen weitere gewerbliche Nutzungen auf den Grundstücken O. straße 32 und 34
bzw. S. straße 16, die von einer "Ausstellungshalle" über ein Speditionsunternehmen
bis zu einer Firma für "Reformwarenvertrieb" reichen.
Nördlich des Planbereichs jenseits der O. straße schließt sich ein großflächiges
gewerblich genutztes Gebiet auf dem Gelände einer früheren Ölraffinerie an.
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Der Flächennutzungsplan der Antragsgegnerin stellt den südlichen Planbereich
nördlich entlang der I. -T. -Straße zwischen L. straße im Westen und S. straße im Osten
als Wohnbaufläche und das restliche Plangebiet als Teil eines sich nördlich der O.
straße fortsetzenden gewerblich zu nutzenden Bereichs dar.
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Ziel des Bebauungsplans ist ausweislich seiner Begründung, die Gewährleistung eines
konfliktarmen, städtebaulich geordneten Übergangs zwischen der im Süden
vorhandenen Wohnnutzung und den nördlich gelegenen "gewerblichen und
industriellen Flächen". Dabei wird vorrangig durch funktionale und räumliche
Gliederung des Plangebietes angestrebt, innerhalb der "vorhandenen Gemengelage"
eine "bewusste Trennung" von wohnlicher Nutzung in den südlichen und westlichen
Planbereichen und gewerblicher Nutzung "südlich der O. straße " zu erreichen. Durch
Einschränkungen der Nutzung für Einzelhandelsbetriebe soll dem Schutz der
Innenstadtentwicklung Rechnung getragen und die Ansiedlung von Gewerbetrieben
ermöglicht werden, die der Schaffung von Arbeitsplätzen im produzierenden Gewerbe
bzw. im "produktionsorientierten Dienstleistungssektor" dienen.
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Der Bebauungsplan setzt die wohngenutzten Bereiche entlang der Nordseite der I. -T. -
Straße (Im Westen unter Einschluss des Wohnhauses L. straße 74, im Osten bis
einschließlich der Reihenhausbebauung I. -T. -Straße 49 - 55) und den vorderen
(westlichen) Bereich des Grundstücks L. straße 76 als allgemeines Wohngebiet fest.
Nach der textlichen Festsetzung Nr. 1.1 sind dort die gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO
allgemein zulässigen Anlagen für kirchliche, kulturelle und sportliche Zwecke sowie die
gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 4 und Nr. 5 BauNVO ausnahmsweise zulässigen Nutzungen für
Gartenbaubetriebe und Tankstellen nicht zulässig. Der weitere westliche bzw.
nordwestliche und der östliche Planbereich werden jeweils als (gegliederte)
Mischgebiete (MI 1 und MI 2 bzw. MI 3 und MI 4) ausgewiesen: Im Westen bzw.
Nordwesten erfassen die Mischgebiete MI 3 und MI 4 den Bereich östlich entlang der L.
straße bzw. südlich der O. straße bis zu dem ins Innere des Plangebiets führenden
Erschließungsstich. Nach der textlichen Festsetzung Nr. 1.2.2 sind in dem als
Mischgebiet MI 4 ausgewiesenen Planbereich Wohngebäude nicht zulässig. Der Osten
des Plangebiets gliedert sich in das südlich der O. straße gelegene Mischgebiet MI 1
und das südlich davon gelegene und die Wohngrundstücke I. -T. -Straße 57 und 59
einschließende Mischgebiet MI 2. Im Mischgebiet MI 1 sind gemäß der textlichen
Festsetzung Nr. 1.2.2 ebenfalls Wohngebäude ausgeschlossen. In sämtlichen
Mischgebieten sind nach der textlichen Festsetzung Nr. 1.2.1 die allgemein bzw.
ausnahmsweise zulässigen Nutzungen (Anlagen für kirchliche, kulturelle und sportliche
Zwecke, Tankstellen und Vergnügungsstätten) nicht zulässig. Ferner enthält die
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textliche Festsetzung Nr. 1.2.1 folgende Regelung:
"In den Mischgebieten MI 1 - 4 sind die allgemein zulässigen Nutzungen gemäß § 6
Abs. 2 Nr. 3 (Einzelhandelsbetriebe) nicht zulässig (§ 1 Abs. 5 i. V. mit Abs. 9 BauNVO);
wenn es sich um Einzelhandelsbetriebe oder Handelsbetriebe, die im Hinblick auf den
Verkauf an letzte Endverbraucher Einzel- handelsbetrieben vergleichbar sind, handelt.
Ausnahmsweise sind Einzelhandelsbetriebe oder Handelsbetriebe zulässig, die
aufgrund ihres Sortiments eine flächenintensive Verkaufs- u. Lagerfläche benötigen, z.
B. Möbelmärkte, Kfz- Handel."
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Das übrige Plangebiet ist als gegliedertes Gewerbegebiet (GE 1 bis 3) wie folgt
ausgewiesen: Nordwestlich entlang der Wohngebäude I. -T. -Straße 9 bis 39 schließt
sich - getrennt durch einen als Fläche zum Anpflanzen von Bäumen und Sträuchern
sowie einen als "private Grünfläche/Parkanlage" festgesetzten Streifen - ein als
Gewerbegebiet GE 3 ausgewiesener Bereich an, in dem nach der textlichen
Festsetzung Nr. 1.3.3 nur Gewerbebetriebe zulässig sind, die das Wohnen nicht
wesentlich stören und Betriebe nach den Abstandsklassen I bis VII der Abstandsliste
(Runderlass des Ministeriums für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft NRW vom
2. April 1998 - MBl. NRW Seite 744 - Abstandserlass -) ausgeschlossen sind. Im
weiteren Verlauf Richtung Nordosten zwischen dem östlich gelegenen Mischgebiet MI 1
und dem von der O. straße abzweigenden Erschließungsstich im Westen liegt ein als
GE 2 bezeichnetes Gewerbegebiet. An dieses schließt sich im Westen, begrenzt durch
das Gewerbegebiet GE 3 im Süden, das Mischgebiet MI 3 entlang der L. straße im
Westen und das Mischgebiet MI 4 im Norden, ein als GE 1 bezeichnetes weiteres
Gewerbegebiet an. Nach der textlichen Festsetzung Nr. 1.3.2 sind in den
Gewerbegebieten GE 1 und GE 2 die gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO ausnahmsweise
zulässigen Nutzungen (Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen und für
Betriebsinhaber bzw. -leiter) sowie Betriebe nach den Abstandsklassen I bis VI der
Abstandsliste ausgeschlossen. Nach der textlichen Festsetzung Nr. 1.3.1 gilt für alle
Gewerbegebiete der Ausschluss der gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 BauNVO bzw. §
8 Abs. 3 Nr. 2 und Nr. 3 BauNVO allgemein bzw. ausnahmsweise zulässigen
Nutzungen für Tankstellen, Anlagen für sportliche, kirchliche und kulturelle Zwecke
sowie Vergnügungsstätten. Weiter enthält die genannte textliche Festsetzung eine den
Einzelhandel betreffende Regelung, die der oben zitierten für die Mischgebiete geltende
Festsetzung in Nr. 1.2.1 entspricht. Ferner schränkt Nr. 1.3.1 der textlichen Festsetzung
die Zulässigkeit von Betrieben in den Gewerbegebieten GE 1 bis GE 3 wie folgt ein:
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"In dem Gewerbegebiet GE 1 - GE 3 sind mit Ausnahme von untergeordneten Anlagen
Betriebe und Anlagen, die der Genehmigung nach § 4 BimSchG
(Bundesimmissionsschutz- gesetz) bedürfen, nicht zulässig. Genehmigungsbedürftige
Anlagen können dann zugelassen werden, wenn die Anlagenteile, die die
Genehmigungsbedürftigkeit auslösen, Teile eines im Gewerbegebiet sonst zulässigen
Vorhabens sind und sie in Grundfläche und Baumasse geringfügig sind und wenn sie
im Hinblick auf den Immissionsschutz unbedenklich sind. Unbedenklich in bezug auf
den Immissionsschutz ist ein Vorhaben dann, wenn über den Stand der Technik
hinausgehende Maß- nahmen zum Immissionsschutz getroffen werden oder eine
atypische dem Immissionsschutz entgegenkommende Betriebs- weise ausgeübt wird."
10
Der Bebauungsplan setzt die überbaubaren Grundstücksflächen mittels Baugrenzen
fest und enthält weitere Bestimmungen zur maximal zulässigen Trauf- bzw. Firsthöhe
baulicher Anlagen, zur zulässigen Grundflächenzahl und zur Bauweise und - nur für das
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Mischgebiet MI 3 - zur maximal zulässigen Zahl der Vollgeschosse. Nach der textlichen
Festsetzung Nr. 3 sind die im Bebauungsplan als Flächen zum Anpflanzen von Bäumen
und Sträuchern ausgewiesenen Bereiche mit "heimischen und standortgerechten
Bäumen und Sträuchern geschlossen zu bepflanzen", wobei 10 % der Flächen mit
"Bäumen in II. Ordnung" zu bepflanzen sind. Die genannten das Plangebiet
begrenzenden Straßen und der beschriebene von der O. straße südlich abzweigende
Erschließungsstich werden als öffentliche Verkehrsflächen festgesetzt.
Das Verfahren zur Aufstellung des Bebauungsplans nahm im Wesentlichen folgenden
Verlauf:
12
Am 7. November 1996 fasste der Rat der Antragsgegnerin den Aufstellungsbeschluss,
der am 12. November 1996 öffentlich bekannt gemacht wurde. Die frühzeitige
Bürgerbeteiligung wurde durchgeführt, die Träger öffentlicher Belange wurden mit
Schreiben vom 27. April 1999 erstmals beteiligt. Am 12. Mai 1999 beschloss der Rat der
Antragsgegnerin, den Plan öffentlich auszulegen, was zunächst in der Zeit vom 10.
August bis zum 7. September 1999 und erneut in der Zeit vom 10. November bis zum
10. Dezember 1999 erfolgte; Ort und Dauer der ersten Auslegung wurden am 12. Juli
1999 öffentlich bekannt gemacht. Die Träger öffentlicher Belange wurden mit Schreiben
vom 29. Juli 1999 und 9. November 1999 von der öffentlichen Auslegung benachrichtigt.
Während der Auslegungsdauer wurden u. a. von den Antragstellern Anregungen
vorgetragen. In seiner Stellungnahme vom 6. September 1999 regte der
Oberkreisdirektor des Kreises N. Aussagen in der Planbegründung zur bestehenden
Lärmsituation im Hinblick auf die nach der Planung zulässige Wohnnutzung und ggf.
Angaben über festzusetzende Schallschutzmaßnahmen an. Die Industrie- und
Handelskammer Düsseldorf schlug im Schreiben vom 19. August 1999 einen
ausnahmslosen Ausschluss von Einzelhandelsbetrieben im Plangebiet vor.
13
In seiner Sitzung vom 22. Dezember 1999 beschloss der Rat der Antragsgegnerin über
die während der Offenlage vorgebrachten Anregungen und Stellungnahmen und den
Bebauungsplan, zu dem eine Begründung gehört, als Satzung. Der Beschluss wurde
am 13. Januar 2000 öffentlich bekannt gemacht. Die öffentliche Bekanntmachung
enthielt zur Identifizierung des Bebauungsplans lediglich die Angabe seiner Nummer
("Bebauungsplan Nr. 92 M"). Der auf die Planurkunde gesetzte Ausfertigungsvermerk
trägt das Datum "24.01.2000".
14
Die Antragsteller haben am 10. Januar 2001 den Normenkontrollantrag gestellt. Zur
Begründung führen sie aus, dem angestrebten Planungsziel eines konfliktarmen
Übergangs zur Wohnbebauung und den sich nördlich an das Plangebiet
anschließenden gewerblich und industriell genutzten Flächen werde die planerische
Konzeption nicht gerecht. Dies werde besonders im westlichen Planbereich deutlich.
Die Abfolge von allgemeinem Wohngebiet über Gewerbegebiete (GE 3 und GE 1) bis
zum Mischgebiet MI 4 stelle keinen städtebaulich sinnvollen Übergang zur nördlich
anschließenden gewerblich-industriellen Nutzung dar. Es spreche alles dafür, dass die
Planung in erster Linie der Erhaltung der bestehenden gewerblichen Strukturen in den
Gewerbegebieten GE 1 und GE 3 diene. Die Antragsgegnerin sei schlichtweg darüber
hinweggegangen, dass die Antragsteller und weitere Eigentümer von Grundstücken in
diesen Gewerbegebieten kein Interesse an diesen Festsetzungen hätten. Noch
gravierender sei, dass auch noch die tatsächlichen Nutzungsmöglichkeiten in den
Gewerbegebieten auf ein Minimum reduziert würden. Mit dem grundsätzlichen
Ausschluss immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftiger Anlagen werde die
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allgemeine Zweckbestimmung eines Gewerbegebietes nicht mehr gewahrt. Die für das
Gewerbegebiet GE 3 geltende Regelung der Zulässigkeit nur solcher Gewerbebetriebe,
die das Wohnen nicht wesentlich störten, stehe im unlösbaren Widerspruch zu der
Festsetzung über die ausnahmsweise Zulässigkeit von (untergeordneten)
immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlagen. Es erscheine nicht
vorstellbar, dass eine dem Regime des Immissionsschutzrechts unterliegende Anlage
das Wohnen nicht wesentlich störe. Die Regelung über die Zulässigkeit von das
Wohnen nicht störenden Gewerbebetrieben im Gewerbegebiet GE 3 stelle einen sog.
"Etikettenschwindel" dar, mit dem aus einem Gewerbegebiet in Wirklichkeit ein
Mischgebiet gemacht werde.
Die Regelung in Nr. 1.3.1 der textlichen Festsetzung des Plans mit den dort bestimmten
Merkmalen von "untergeordneten Anlagen", in "Grundfläche und Baumasse
geringfügig" sowie "im Hinblick auf den Immissionsschutz unbedenklich" sei zu
unbestimmt. Dies gelte auch für den in der textlichen Festsetzung Nr. 3 gebrauchten
Begriff "Bäume II. Ordnung".
16
Der Ausschluss von Wohnnutzung in den Mischgebieten MI 1 und MI 4 lasse sich mit
der Funktion eines Mischgebietes nicht vereinbaren und sei städtebaulich eben so
wenig zu rechtfertigen wie der Ausschluss von Wohnungen für Aufsichts- und
Bereitschaftspersonen bzw. für Betriebsleiter oder -inhaber in den Gewerbegebieten GE
1 und GE 2.
17
Maßnahmen zur Vermeidung und zum Ausgleich des mit der Planung verbundenen
Eingriffs in Natur und Landschaft seien in Verkennung der Voraussetzungen der
Vorschrift des § 1 a Abs. 3 Satz 4 BauGB abwägungsfehlerhaft nicht festgesetzt worden.
Die Antragsgegnerin habe übersehen, dass der Bebauungsplan für die
Reihenhausbebauung I. -T. -Straße 25 bis 65 durch die Erweiterung überbaubarer
Flächen mittels der festgesetzten Baugrenzen Baurechte geschaffen habe, für die der
bisher anwendbare § 34 BauGB keine ausreichende rechtliche Grundlage geboten
habe. Dasselbe gelte im Hinblick auf die ausgewiesenen Baugrenzen auf den
Grundstücken I. -T. -Straße 7 bis 23 und den Wohngrundstücken entlang der L. straße
sowie der O. straße .
18
Die Antragsteller beantragen,
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den Bebauungsplan Nr. 92 M "O. straße , I. -T. -Straße" der Antragsgegnerin für nichtig
zu erklären.
20
Die Antragsgegnerin beantragt,
21
den Antrag abzulehnen.
22
Sie führt im Wesentlichen aus, das mit der Planung verfolgte Ziel eines konfliktarmen
Übergangs von Wohnbebauung zu gewerblicher bzw. industrieller Nutzung werde mit
den im Plan enthaltenen Gebietsfestsetzungen erreicht. Die Abfolge der Festsetzungen
von Baugebieten mit dem Mischgebiet MI 3 im Nordwesten über das in Richtung Osten
benachbarte Mischgebiet MI 4 bis zu den Gewerbegebieten GE 1 und GE 3 sowie GE 2
entspreche städtebaulichen Grundsätzen.
23
Die für die Gewerbegebiete geltenden Nutzungsausschlüsse seien mit Rücksicht auf
24
benachbarte Wohnbereiche erfolgt. Die Zweckbestimmung der festgesetzten
Gewerbegebiete werde auch nach Ausschluss immissionsschutzrechtlich
genehmigungsbedürftiger Anlagen gewahrt, da diese in Gewerbegebieten ohnehin
regelmäßig unzulässig seien. Die textliche Festsetzung Nr. 1.3.1 betreffend die
ausnahmsweise Zulässigkeit immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftiger
Anlagen sei hinreichend bestimmt. Dies gelte für das Merkmal der "Geringfügigkeit" von
Grundfläche und Baumasse ebenso wie für das Merkmal "im Hinblick auf den
Immissionsschutz unbedenklich". Letzteres werde im Folgesatz der textlichen
Festsetzung eindeutig definiert. Schließlich genüge auch die Regelung über die
Anpflanzung von Bäumen II. Ordnung dem Bestimmtheitsgebot. Unter diesen
Fachbegriff fielen Bäume wie Hainbuche, Vogelbeere, Wildbirne, Feldahorn oder
Elsbeere, die nicht so hoch wüchsen wie Bäume I. Ordnung. Der von den Antragstellern
gerügte Abwägungsmangel hinsichtlich der fehlenden naturschutzrechtlichen
Ausgleichsregelungen sei - selbst wenn er vorläge - jedenfalls gemäß § 214 Abs. 3 Satz
2 BauGB unerheblich, da er als Mangel im Abwägungsvorgang nicht offensichtlich
gewesen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der von der Antragsgegnerin vorgelegten Planaufstellungsvorgänge
und Pläne Bezug genommen.
25
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
26
Der Normenkontrollantrag hat Erfolg.
27
Der Antrag ist zulässig. Die Antragsteller sind antragsbefugt. Die Antragsbefugnis im
Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist regelmäßig gegeben, wenn sich - wie hier -
Eigentümer eines Grundstücks, das im Plangebiet liegt, gegen eine bauplanerische
Festsetzung wenden, die unmittelbar ihr Grundstück betrifft und im Sinne von Art. 14
Abs. 1 Satz 2 GG den Inhalt des Grundeigentums bestimmt.
28
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. März 1998 - 4 CN 6.97 -, BRS 60 Nr. 44.
29
Der Antrag ist auch begründet.
30
Der streitige Bebauungsplan weist bereits in formeller Hinsicht Mängel auf. Die am 13.
Januar 2000 erfolgte Bekanntmachung des Satzungsbeschlusses gemäß § 10 Abs. 3
Satz 1 BauGB genügt nicht den an sie zu stellenden Anforderungen. Mit dieser sog.
Schlussbekanntmachung musste der mit der Bekanntmachung verfolgte Hinweiszweck
(vgl. § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB) erreicht werden. Dieser erfordert, dass sich die
Veröffentlichung der Satzung auf einen bestimmten Bebauungsplan beziehen muss, der
mittels einer zumindest schlagwortartigen Kennzeichnung einen Hinweis auf den
räumlichen Geltungsbereich des Bebauungsplans gibt und dass dieser Hinweis den
Plan identifiziert.
31
Vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1984 - 4 C 28.83 -, BRS 42 Nr. 26 und Urteil vom 10.
August 2000 - 4 CN 2.99 -, BRS 63 Nr. 42 m.w.N.
32
Diesen Maßgaben wird die Bekanntmachung vom 13. Januar 2000 nicht gerecht. Sie
enthält zur Kennzeichnung des Bebauungsplans lediglich dessen Nummer
("Bebauungsplan Nr. 92 M"). Dies genügt nicht. Die bloße Angabe einer Nummer lässt
33
keinerlei Rückschlüsse auf die räumliche Belegenheit eines Plans zu und kann den
Normadressaten demgemäß auch keinerlei Erkenntnisse darüber vermitteln, in
welchem Teil der Gemeinde neues Baurecht gilt.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. August 2000 - 4 CN 2.99 -, a.a.O.
34
Der angefochtene Bebauungsplan ist ferner insoweit mangelhaft, als er nicht
ordnungsgemäß ausgefertigt ist. Durch die Ausfertigung des als Satzung und damit als
Rechtsnorm beschlossenen Bebauungsplans soll sichergestellt werden, dass der Inhalt
des Plans mit dem Willen des gemeindlichen Beschlussorgans übereinstimmt,
35
vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Mai 1996 - 4 B 60.96 -, BRS 58 Nr. 41,
36
wobei die Ausfertigung in zeitlicher Hinsicht aus rechtsstaatlichen Gründen der
ortsüblichen Bekanntmachung des Satzungsbeschlusses vorausgehen muss.
37
Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 9. Mai 1996 - 4 B 60.96 -, a.a.O. und vom 27. Januar
1999 - 4 B 129.98 -, BRS 62 Nr. 29.
38
Hier wurde der Satzungsbeschluss am 13. Januar 2000 öffentlich bekannt gemacht, der
Bebauungsplan jedoch erst am 24. Januar 2000 ausgefertigt.
39
Weitere Form- oder Verfahrensfehler, die nach §§ 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 215 Abs. 1
Nr. 1 BauGB auch ohne Rüge beachtlich sind, liegen nicht vor. Andere gemäß §§ 214
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2, 215 Abs. 1 Nr. 1 BauGB nur auf Rüge beachtliche Form- oder
Verfahrensmängel sind nicht geltend gemacht worden.
40
Der streitige Bebauungsplan ist auch materiell fehlerhaft. Allerdings ist die Planung als
solche städtebaulich gerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB. Dies folgt
unmittelbar aus dem in der Planbegründung angeführten Planungsziel (vgl.
insbesondere Seite 12 unter 4., Seite 13 unter 5.1 und Seite 17 unter 9.; vgl. auch die
Ausführungen auf Blatt 170 der Beiakte Heft 4, mit denen die Anregungen u. a. der
Antragsteller zurückgewiesen worden sind). Danach soll die Planung anlässlich des
Vordringens von Wohnnutzung nach Aufgabe von Gewerbestandorten in der
vorhandenen Gemengelage den bestehenden Gewerbestandort vorrangig sichern und
potenzielle Konflikte mit der benachbarten Wohnbebauung durch kleinräumige
Gliederung des Gebietes minimieren. Dabei soll zugleich ein "konfliktarmer Übergang"
geschaffen werden zwischen der Wohnbebauung im Süden und dem nördlich des
Plans angrenzenden gewerblich bzw. industriell genutzten Bereich. Außerdem soll
durch Einschränkungen von Einzelhandelsnutzungen die Innenstadtentwicklung
geschützt und die Ansiedlung produzierenden Gewerbes bzw. "produktionsorientierter"
Dienstleistungen gefördert werden. Damit verfolgt die Antragsgegnerin innerhalb ihres
weiten Planungsermessens insgesamt zulässige Zielsetzungen für eine verbindliche
Bauleitplanung.
41
Nicht entscheidungserheblich ist hier, ob der Bebauungsplan aus dem
Flächennutzungsplan entwickelt worden ist (§ 8 Abs. 2 Satz 1 BauGB). Der
Flächennutzungsplan enthält für den Geltungsbereich des streitigen Bebauungsplans
die Darstellung von Wohnbauflächen nördlich entlang der I. -T. -Straße im Bereich der
bestehenden Wohnbebauung und daran anschließend die Darstellung "GE". Ob der
Bebauungsplan mit seinen Festsetzungen über die Art baulicher Nutzung diesen
42
Darstellungen des Flächennutzungsplans entspricht, kann letztlich eben so
unentschieden bleiben wie die Frage, ob eine Abweichung von den Darstellungen -
sollte diese vorliegen - im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,
vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Februar 1975 - IV C 74.72 -, BRS 29 Nr. 8 und Beschluss
vom 12. Februar 2003 - 4 BN 9.03 -, UPR 2003, 230 m.w.N.,
43
noch vom Begriff des Entwickelns gedeckt oder - verneinendenfalls - ein Verstoß gegen
das Entwicklungsgebot im Hinblick auf § 214 Abs. 2 Nr. 2 BauGB unbeachtlich wäre,
weil die sich aus dem Flächennutzungsplan ergebende geordnete städtebauliche
Entwicklung durch die Abweichung nicht beeinträchtigt wird.
44
Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Februar 1999 - 4 CN 6.98 -, BRS 62 Nr. 48.
45
Abgesehen von diesen Zweifeln an der Wirksamkeit des Bebauungsplans weist er
jedenfalls folgende materielle Mängel auf:
46
Der in Nr. 1.2.1 bzw. 1.3.1 (jeweils 2. Spiegelstrich) der textlichen Planfestsetzungen
enthaltenen Regelung für die festgesetzten Misch- bzw. Gewerbegebiete über die
ausnahmsweise Zulässigkeit von Einzelhandelsbetrieben bzw. "Handelsbetrieben" mit
flächenintensiver Verkehrskaufs- und Lagerfläche fehlt die städtebauliche
Rechtfertigung. Diese auf § 1 Abs. 9 BauNVO basierende Regelung steht in engem
Zusammenhang mit dem für die genannten Gebiete im Grundsatz gemäß § 1 Abs. 5
BauNVO festgesetzten Ausschluss von Einzelhandelsbetrieben sowie
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- so dürfte bei sachgerechter Auslegung die sprachlich missglückte Formulierung
"Handelsbetriebe" in den zitierten textlichen Festsetzungen zu verstehen sein -
48
Großhandelsbetrieben, die im Hinblick auf den Verkauf an letzte Endverbraucher
Einzelhandelsbetrieben vergleichbar sind. Dieser vollständige Ausschluss der
genannten Nutzungsarten kann - jedenfalls im Hinblick auf Gewerbegebiete -
grundsätzlich mit den von der Antragsgegnerin u.a. angeführten (vgl. die
Planbegründung S. 17 unter 9.) Gründen, namentlich der Ermöglichung der Ansiedlung
von (arbeitsplatzintensiverem) produzierendem Gewerbe bzw. von Betrieben aus dem
"produktionsorientierten Dienstleistungssektor" gerechtfertigt werden.
49
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Mai 1999 - 4 NB 15.99 -, BRS 62 Nr. 19 und
Beschluss vom 8. September 1999 - 4 BN 14.99 -, BRS 62 Nr. 2.
50
Nicht unbedenklich ist allerdings, ob diese Begründung auch den fraglichen
Nutzungsausschluss in Mischgebieten trägt, weil zweifelhaft ist, ob Mischgebiete
regelmäßig der Unterbringung arbeitsplatzintensiver produzierender bzw.
"produktionsorientierter" Betriebe dienen. Ob der an anderer Stelle der Planbegründung
zu findende weitere Rechtfertigungsgrund, nämlich der Schutz der innerstädtischen
Entwicklung vor Einzelhandelsbetrieben mit zentrenschädlichen Sortimenten (vgl. S. 17
unten und S. 15 oben) den fraglichen Nutzungsausschluss trägt, kann offen bleiben.
Hierauf kommt es letztendlich nicht an. Entscheidungserheblich ist vielmehr, dass die
fragliche Ausnahmeregelung über die Zulässigkeit solcher Betriebe, die
"flächenintensive Verkaufs- und Lagerfläche benötigen", erkennbar ungeeignet ist, das
u.a. zugedachte städtebauliche Steuerungsziel der Ermöglichung der Ansiedlung von
Betrieben des produzierenden Gewerbes bzw. solchen aus dem
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"produktionsorientierten Dienstleistungssektor" zu erreichen. Abgesehen davon, dass
etwa das als MI 3 ausgewiesene Mischgebiet aufgrund der vorhandenen ganz
überwiegend aus Wohngebäuden bestehenden Nutzungs- und Baustruktur und der
konkreten Dimensionierung der festgesetzten Baugrenzen für derartige Betriebe nicht in
Betracht kommen dürfte, würde eine Ansiedlung von nach der hier fraglichen textlichen
Festsetzung ausnahmsweise zulässigen flächenintensiven Handelsbetrieben die
Verwirklichung der nach der Planbegründung in erster Linie zu fördernden Betriebe des
produzierenden bzw. "produktionsorientierten" Sektors weitgehend räumlich
einschränken. Im Hinblick auf die vergleichsweise geringe Ausdehnung der im ohnehin
nur ca. 6 ha großen Geltungsbereich des Bebauungsplans ausgewiesenen Misch- bzw.
Gewerbeflächen würden bereits wenige (flächenintensive) Einzel- oder
Großhandelsbetriebe einen überwiegenden Teil der nach der Planung vorrangig für
andere Betriebsarten vorgesehenen Bereiche einnehmen. Der Aussage, die gewerblich
nutzbaren Flächen im Plangebiet produzierendem Gewerbe bzw. dem
produktionsorientierten Dienstleistungssektor vorbehalten zu wollen, liegt damit
insgesamt kein schlüssiges Plankonzept zugrunde. Als nicht hinreichend städtebaulich
gerechtfertigt erweist sich auch der in Nr. 1.3.2, 1. Spiegelstrich der textlichen
Festsetzung auf der Grundlage des § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauNVO enthaltene Ausschluss
von Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonal bzw. für Betriebsinhaber oder -
leiter in den festgesetzten Gewerbegebieten GE 1 und GE 2. Die dafür gegebene wenig
aussagekräftige Begründung (vgl. S. 14 unter 5.2.1 der Planbegründung), den
ausschließlich gewerblichen Charakter der Gewerbegebiete GE 1 und GE 2 besonders
herausstellen zu wollen, reicht nicht aus. Auch bei ausnahmsweiser Zulässigkeit von
betriebsgebundener Wohnnutzung in Gewerbegebieten kann der gewerbliche
Charakter dieser gemäß § 8 Abs. 1 BauNVO vorwiegend (nicht erheblich
belästigenden) Gewerbebetrieben dienenden Gebiete nicht zweifelhaft sein und bedarf
regelmäßig keiner "besonderen" Betonung. Spezielle städtebaulich motivierte Gründe
für einen Ausschluss von Wohnungen in den Gewerbegebieten, die ihrer auch nur
ausnahmsweisen Zulässigkeit entgegenstehen, werden mit der zitierten Begründung
nicht aufgezeigt.
Einen weiteren materiellen Mangel enthält die Planung in ihrer Nr. 1.3.1, 3. Spiegelstrich
der textlichen Festsetzungen. Ungeachtet dessen, ob diese Festsetzung sämtliche von
den Antragstellern vorgetragenen Bestimmtheitsmängeln aufweist, ist jedenfalls die
Umschreibung der fraglichen Anlagenteile als "in Grundfläche und Baumasse
geringfügig" zu unbestimmt. Der genaue Inhalt dieser Bestimmung ist weder den
einzelnen Passagen dieser textlichen Festsetzung noch der Planbegründung zu
entnehmen, die dazu keinerlei Aussagen treffen. Auch im Übrigen lässt sich ein
Maßstab, der das Merkmal der "Geringfügigkeit" hinreichend verlässlich einzugrenzen
vermag, nicht finden.
52
Der Bebauungsplan weist auch Abwägungsmängel auf.
53
Nach § 1 Abs. 6 BauGB sind bei der Aufstellung von Bebauungsplänen die öffentlichen
und privaten Belange gegen- und untereinander gerecht abzuwägen. Das so normierte
Abwägungsgebot ist verletzt, wenn eine sachgerechte Abwägung überhaupt nicht
stattfindet, wenn in die Abwägung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach Lage
der Dinge in sie eingestellt werden muss, wenn die Bedeutung der betroffenen Belange
verkannt oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten Belangen
in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange
außer Verhältnis steht. Innerhalb des so gezogenen Rahmens ist dem
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Abwägungserfordernis jedoch genügt, wenn sich die zur Planung berufene Gemeinde
im Widerstreit verschiedener Belange für die Bevorzugung des einen und damit
notwendigerweise für die Zurückstellung des anderen Belangs entscheidet. Diesen
Kriterien wird die dem Bebauungsplan zu Grunde liegende Abwägung nicht gerecht.
Die Antragsgegnerin hat bereits den maßgeblichen Sachverhalt als Grundlage der zu
treffenden Abwägungsentscheidung nicht ausreichend ermittelt. Die Ermittlung aller
abwägungsrelevanten Gesichtspunkte erfordert bei der Überplanung eines bebauten
Gebietes eine erkennbare Bestandsaufnahme. Dies gilt insbesondere dann, wenn - wie
hier - eine vorhandene Gemengelange, in der verschiedene gewerbliche Nutzungen
und Wohnnutzung unmittelbar aufeinander treffen, überplant wird. Vor allem die hier
vorgenommene Aufteilung des Plangebietes in ein allgemeines Wohngebiet und in sich
gegliederte Misch- bzw. Gewerbegebiete sowie die Nachbarschaft des Plangebietes zur
nördlich angrenzenden gewerblichen bzw. industriellen Nutzungen machten eine
sorgfältige Bestandsanalyse erforderlich, die Einzelheiten vor allem hinsichtlich des im
Plangebiet vorhandenen und auch des auf das Plangebiet einwirkenden betrieblichen
Emissionsgeschehens zu umfassen hatte.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 8. März 1993 - 11a NE 53/89 -, BRS 55 Nr. 12.
56
Daran fehlt es hier. Der in den Planaufstellungsunterlagen vorhandene Plan über die
von der Antragsgegnerin durchgeführte Bestandsaufnahme unterscheidet mittels
farblicher Kennzeichnung nur grob zwischen störendem bzw. nicht störendem Gewerbe
und sonstigen Gewerbebetrieben. Eine nähere Betrachtung etwa des
Emissionsverhaltens und auch des Entwicklungspotentials des im ausgewiesenen
Mischgebiet MI 1 im Eckbereich O. straße /S. straße liegenden Speditionsunternehmens
ist unterblieben. Dazu bestand auch ohne individuelle Geltendmachung des von der
fraglichen Festsetzung Betroffenen schon deshalb Anlass, weil bei typisierender
Betrachtungsweise ein Speditionsbetrieb im Mischgebiet regelmäßig unzulässig ist.
Ebenso fehlt es an jeglicher Aufklärung über Einzelheiten der sich nördlich der O. straße
außerhalb des Plangebietes anschließenden gewerblichen bzw. industriellen
Nutzungen. Nach Angaben des Vertreters der Antragsgegnerin in der mündlichen
Verhandlung wird das Grundstück O. straße 5/5 a durch ein im 24-Stunden-Betrieb
arbeitendes Speditionsunternehmen genutzt. Diese Nutzung dürfte erheblich auf die im
festgesetzten Mischgebiet MI 3 südlich entlang der O. straße liegende Wohnbebauung
(O. straße 4 - 12) einwirken. Deshalb drängten sich Ermittlungen darüber auf, ob die
bestehende Lärmsituation ein mischgebietsverträgliches Wohnen noch zuließ. Daneben
hatte bereits der Oberkreisdirektor des Kreises N. im Schreiben vom 6. September 1999
auf die Lärmbelastung für die Wohnbebauung durch den Verkehr auf der Nieder- und
der L. straße sowie durch die bestehende gewerbliche Nutzung im Plangebiet sowie auf
Grund dessen möglicherweise erforderlich werdende Schallschutzmaßnahmen
hingewiesen.
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Daneben hat der Rat der Antragsgegnerin die von der Planung betroffenen
Eigentümerinteressen nicht oder nicht mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die
Abwägungen eingestellt. Dies gilt insbesondere für das von der Planung nachhaltig
betroffene Interesse der Eigentümer der im Mischgebiet MI 1 gelegenen Grundstücke O.
straße 26 und 30, in der vorhandenen Wohnnutzung zukünftig nicht beschränkt zu sein.
Durch den nunmehr dort festgesetzten Ausschluss von Wohngebäuden sind die
fraglichen Nutzungen auf den Bestandsschutz gesetzt worden. Den Bestandsschutz
überschreitende Umbauten oder Erweiterungen der Wohngebäude sind nach der
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strittigen Planung baurechtlich nicht genehmigungsfähig. Den Aufstellungsvorgängen
zum streitigen Bebauungsplan ist an keiner Stelle zu entnehmen, dass der Rat der
Antragsgegnerin diese Betroffenheiten mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die
Abwägung eingestellt hat. Allerdings gehören die Interessen der
Grundstückseigentümer selbstverständlich und in hervorragender Weise zu den
abwägungserheblichen Belangen im Rahmen öffentlich-rechtlicher
Planungsentscheidungen.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. Oktober 1992 - 4 NB 36.92 -, BRS 54 Nr. 57 m.w.N.
59
Bebauungspläne bestimmen gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG Inhalt und Schranken des
Eigentums. Der Satzungsgeber muss ebenso wie der Gesetzgeber bei der Bestimmung
von Inhalt und Schranken des Eigentums die schutzwürdigen Interessen des
Eigentümers und die Belange des Gemeinwohls in einen gerechten Ausgleich und ein
ausgewogenes Verhältnis bringen. Dabei ist er an den verfassungsrechtlichen
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG
gebunden. Der Kernbereich der Eigentumsgarantie darf nicht ausgehöhlt werden. Zu
diesem Kernbereich gehört sowohl die Privatnützigkeit als auch die grundsätzliche
Verfügungsbefugnis über den Eigentumsgegenstand. Für die Beantwortung der Frage,
ob sich die Planungsentscheidung in den verfassungsrechtlich vorgezeichneten
Grenzen hält, kommt es maßgeblich darauf an, dass der erhebliche Sachverhalt
zutreffend und vollständig ermittelt und der Plangeber anhand dieses Sachverhalts alle
sachlich beteiligten Belange und Interessen der Entscheidung zu Grunde gelegt sowie
umfassend und in nachvollziehbarer Weise abgewogen hat. Die Bestandsgarantie des
Artikels 14 Abs. 1 Satz 1 GG fordert, dass Vorkehrungen getroffen werden, die eine
unverhältnismäßige Belastung des Eigentümers verhindern und dass das Willkürverbot
beachtet wird.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2002 - 1 BvR 1402/01 -, BRS 65 Nr. 6.
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Diesen Maßstäben genügt die Abwägungsentscheidung des Rates der Antragsgegnerin
schon deshalb nicht, weil konkrete städtebaulich nachvollziehbare und gewichtige
Allgemeinwohlbelange für den fraglichen Ausschluss von Wohnnutzungen nicht
benannt werden. Die dieser Regelung nach der Planbegründung (vgl. S. 15 oben) zu
Grunde liegende Erwägung, den gewerblichen Charakter der Mischgebiete
herauszustellen, wobei Wohnungen in den jeweils benachbarten Mischgebieten MI 2
und MI 3 errichtet werden könnten, stellt keine plausible städtebauliche Antwort gerade
auf die insoweit entscheidende Frage dar, warum die fraglichen Teile der Mischgebiete
abweichend von der grundsätzlichen Regelung in § 6 Abs. 1 BauNVO, wonach
Mischgebiete typischerweise der Unterbringung von Wohnen und nicht wesentlich
störenden Gewerbebetrieben dienen, ausschließlich durch gewerbliche Nutzung
geprägt werden sollen. Sie lässt darüber hinaus nicht erkennen, dass der Rat die
Interessen der Grundstückseigentümer an einer planungsrechtlichen Absicherung der
vorhandenen Wohnnutzung überhaupt in seine Entscheidung einbezogen hat. Auch
sonst sind den Planaufstellungsvorgängen entsprechende Erwägungen nicht zu
entnehmen. Nimmt man demgegenüber in den Blick, dass der Plangeber die auf den
Grundstücken O. straße 4 bis 12 bzw. O. straße 28 vorhandene Wohnbebauung auch
zukünftig planungsrechtlich abgesichert hat, sind sachgerechte Gründe für diese
unterschiedliche Behandlung weder ausdrücklich benannt worden noch liegen solche
so klar auf der Hand, dass es einer ausdrücklichen Benennung nicht bedurfte.
62
Die aufgezählten Mängel im Abwägungsvorgang sind im Sinne des § 214 Abs. 3 Satz 2
BauGB offensichtlich, denn sie ergeben sich ohne weiteres aus den
Aufstellungsvorgängen. Sie sind auch für das Abwägungsergebnis von Einfluss
gewesen. Es besteht die konkrete Möglichkeit, dass der Rat der Antragsgegnerin den
Bebauungsplan bei ausreichender Sachverhaltsaufklärung und bei genügender
Berücksichtigung der Interessen der betroffenen Eigentümer der fraglichen
Wohngrundstücke nicht in der vorliegenden Form beschlossen hätte.
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Ob jeder der vorstehend aufgezeigten Mängel die Gesamtnichtigkeit des
Bebauungsplans zur Folge hätte, braucht nicht im Einzelnen entschieden zu werden.
Jedenfalls die festgestellten Mängel der Abwägung führen zur Nichtigkeit der
angegriffenen Planung insgesamt. Eine Behebung dieses Fehlers durch ein
ergänzendes Verfahren kommt nicht in Betracht, da er die Grundzüge der Planung
berührt.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. November 1998 - 4 BN 45.98 -, BRS 60 Nr. 53.
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Der Mangel betrifft die vom Rat der Antragsgegnerin verfolgte Gesamtkonzeption der
Planung. Dessen Ziel war es, durch Gliederung von Baugebieten einen städtebaulich
geordneten Übergang zwischen Wohnnutzung und gewerblicher Nutzung -
insbesondere solcher im Nordosten des Plangebietes - zu gewährleisten. Die
aufgezeigten Defizite bei der Ermittlung bzw. Gewichtung abwägungsrelevanter
Belange stellen die vorgenommene Gliederung des Plangebietes und damit zugleich
das Planungsziel insgesamt in Frage. Sie sind durch bloß punktuelle Änderungen nicht
zu beheben.
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In Anbetracht der dargelegten zur Gesamtnichtigkeit des Bebauungsplans führenden
Mängel kann offen bleiben, ob der Plan an weiteren, seine Unwirksamkeit oder
Nichtigkeit nach sich ziehenden Fehlern leidet. Dies gilt etwa für die Frage, ob die für
die jeweiligen Baugebiete festgesetzten übrigen Ausschlüsse von nach der BauNVO
dort regelmäßig oder ausnahmsweise zulässigen Nutzungen jeweils von einer
hinreichenden städtebaulichen Begründung getragen sind. So ist etwa zweifelhaft, ob
der nach der textlichen Festsetzung Nr. 1.1 erfolgte Ausschluss von Anlagen für
kirchliche, kulturelle und sportliche Zwecke sowie von Gartenbaubetrieben und
Tankstellen in dem festgesetzten allgemeinen Wohngebiet damit gerechtfertigt werden
kann, die fraglichen Nutzungen hätten ein hohes gebietsfremdes Verkehrsaufkommen
zur Folge, für das die geplanten Erschließungsanlagen nicht ausreichten. Wieso diese
nach § 4 BauNVO in allgemeinen Wohngebieten allgemein oder jedenfalls
ausnahmsweise zulässigen Anlagen ein "gebietsfremdes" Verkehrsaufkommen zur
Folge haben und warum die Erschließungsanlagen dafür unzureichend sein sollen -
was zumindest für die L. straße nicht nachvollziehbar erscheint -, wird nicht dargelegt.
Immerhin geht der Verordnungsgeber davon aus, dass Nutzungen der genannten Art bei
typisierender Betrachtungsweise trotz ihres ihnen regelmäßig anhaftenden
Störpotenzials in allgemeinen Wohngebieten zulässig sind bzw. zugelassen werden
können. Als Korrektiv stünde zudem § 15 BauNVO zur Verfügung, der im Einzelfall eine
Nachsteuerung im Baugenehmigungsverfahren ermöglicht. Ob die vom Plangeber
vorgenommene Gliederung der ausgewiesenen Misch- bzw. Gewerbegebiete mit den
im Tatbestand im Einzelnen wiedergegebenen Nutzungsausschlüssen insgesamt
hinreichend städtebaulich gerechtfertigt ist, braucht ebenfalls nicht entschieden zu
werden.
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Nicht entschieden zu werden braucht, ob die streitige Planung die mit dem im
Plangebiet vorhandenen städtebaulich unbefriedigenden Nebeneinander von
Wohnnutzung und gewerblicher Nutzung verbundenen Konflikte einer sachgerechten
Lösung zuführt oder - wie die Antragsteller meinen und wofür Einiges spricht - die
bestehenden Strukturen schlicht festschreibt. Ob der angefochtene Plan
abwägungsfehlerhaft sogar zu einer Verschärfung der bestehenden Immissionskonflikte
beiträgt, indem er durch die Ausweisung eines allgemeinen Wohngebietes der dort
vorhandenen Wohnnutzung einen entsprechenden Schutzanspruch gegenüber der
benachbarten gewerblichen Nutzung vermittelt, den jene zuvor nicht besaß, braucht
ebenfalls nicht geklärt zu werden.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. §§
708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
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Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht gegeben sind.
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