Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 07.08.2001

OVG NRW: ausweisung, öffentliche sicherheit, amsterdamer vertrag, eugh, straftat, ausländer, emrk, bestrafung, aufenthalt, ausnahmefall

Oberverwaltungsgericht NRW, 18 A 2065/96
Datum:
07.08.2001
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
18. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
18 A 2065/96
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 24 K 7724/93
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 8.000,-- DM
festgesetzt.
G r ü n d e :
1
Der Senat kann über die Berufung des Klägers durch Beschluss gemäß § 130a VwGO
entscheiden, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung
nicht für erforderlich hält (§ 130a Satz 1 VwGO); die Beteiligten sind hierzu vorher gehört
worden (§ 130a Satz 2 iVm § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Die vom Senat nach den
gesetzlichen Vorgaben getroffene Ermessens-entscheidung bedarf insoweit auch mit
Blick auf die Schriftsätze des Klägers vom 19. Juni und 24. Juli 2001 keiner darüber
hinausgehenden Begründung.
2
Vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 3. Februar 1999 - 4 B 4.99 -, NVwZ 1999, 1109 =
Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 33.
3
Die Berufung des Klägers ist unbegründet.
4
Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
5
Soweit sich das Begehren des Klägers gegen die im Bescheid des Beklagten vom 8.
September 1992 verfügte Abschiebungsandrohung richtet, ist die Klage unzulässig.
Dem Kläger fehlt das Rechtsschutzinteresse an der gerichtlichen Aufhebung der
6
Abschiebungsandrohung, nachdem diese mit der Entlassung des Klägers aus der
Strafhaft im Jahre 1998 gegenstandslos geworden ist.
Vgl. Senatsbeschluss vom 29. September 1994 - 18 B 3241/93 -.
7
Darüber hinaus ist die Klage unbegründet.
8
Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 8. September 1992 ist in seiner durch
den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Düsseldorf vom 9. Juli 1993
gefundenen Gestalt (vgl. § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) rechtmäßig und verletzt den Kläger
daher nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
9
Rechtsgrundlage der Ausweisungsverfügung vom 8. September 1992 ist § 47 Abs. 1 Nr.
1 AuslG in der zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides - Juli 1993 -
geltenden Fassung. Denn die Rechtmäßigkeit einer Ausweisungsverfügung beurteilt
sich nach gefestigter Rechtsprechung anhand der im Zeitpunkt der letzten
Behördenentscheidung geltenden Sach- und Rechtslage.
10
Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 1999 - 1 C 13.99 -, DVBl 2000, 429 = DÖV 2000,
427 = InfAuslR 2000, 176 = NVwZ 2000, 688, ferner Beschluss vom 14. Juli 2000 - 1 B
40.00 -, Buchholz 402.240 § 8 AuslG Nr. 18; Senatsurteil vom 21. Dezember 1999 - 18 A
5101/96 -, EZAR 034 Nr. 7 = NJ 2000, 612 = NWVBl 2001, 29, und Senatsbeschluss
vom 7. März 1997 - 18 B 638/95 -.
11
Für türkische Staatsangehörige wie den Kläger ändern daran - im Falle ihrer
Anwendbarkeit - die Regelungen des Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum
Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der
Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der
Assoziation (Zusatz-protokoll) bzw. des Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des
Assoziationsrates EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) nichts.
12
In der Rechtsprechung des Senats
13
s. den Senatsbeschluss vom 29. Januar 2001 - 18 B 116/01 -, AuAS 2001, 137; vgl. im
Übrigen auch OVG NRW, Urteil vom 13. Juni 2001 - 17 A 5552/00 -
14
ist - u. a. auch in Würdigung des vom Kläger angeführten Urteils des Bayerischen
Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Juli 2000 - 10 B 99.1889 -, InfAuslR 2000, 425 -
bereits geklärt, dass weder Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls noch die nahezu
wortidentische Bestimmung des Art. 13 ARB 1/80 die Anwendung der Bestimmungen
über die Ist-Ausweisung generell sperren.
15
Die in den Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbare Regelung des Art. 13 ARB 1/80
16
vgl. EuGH, Urteile vom 20. September 1990 - C 192/89 (Sevince) -, NVwZ 1991, 255,
(256), und vom 11. Mai 2000 - C 37/98 (Savas) -, InfAuslR 2000, 326, = NVwZ-Beilage I
2001, 139; ebenso Gutmann in InfAuslR 2000, 318, (321),
17
steht nämlich unter dem in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 formulierten Vorbehalt der
Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit
gerechtfertigt sind. Aus letzterer Bestimmung hat der Senat bereits im Jahre 1993
18
vgl. Beschluss vom 29. April 1993 - 18 B 4386/92 -, DVBl 1993, 1023 = InfAuslR 1993,
288 = NVwZ 1993, 1227 = NWVBl 1994, 31,
19
den Schluss gezogen, dass die Ausweisung von Assoziationsberechtigten jedenfalls
dann nicht zu beanstanden ist, wenn sie nach den Grundsätzen erfolgt, die bei
Gemeinschaftsangehörigen gelten; d.h. die Ausweisung muss spezialpräventiv
begründet sein.
20
Vgl. zur Ausweisung Gemeinschaftsangehöriger: Senatsurteil vom 21. Dezember 1999 -
18 A 5101/96 -, a.a.O. und Senatsbeschluss vom 2. April 2001 - 18 A 1257/00 -.
21
Dies entspricht der Rechtsprechung des EuGH,
22
vgl. Urteil vom 10. Februar 2000 - C 340/97 (Nazli) -, InfAuslR 2000, 161, = NVwZ 2000,
1029 = DVBl 2000, 550 = BayVBl 2001,13; vgl. ferner BVerfG, Beschluss vom 1. März
2000 - 2 BvR 2120/99 -, DVBl 2000, 697 = NVwZ 2001, 67, und BVerwG, Beschluss
vom 19. September 2000 - 1 B 52.00 -,
23
nach der Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 den nationalen Behörden die Grenzen setzt, wie sie
für entsprechende Maßnahmen gegenüber einem Angehörigen eines Mitgliedstaates
gelten. Einem türkischen Staatsangehörigen können die ihm unmittelbar aus dem
Beschluss ARB 1/80 zustehenden Rechte im Wege der Ausweisung mithin nur dann
abgesprochen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen auf die
konkrete Gefahr von weiteren schweren Störungen der öffentlichen Ordnung bzw.
Sicherheit hindeutet. Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 sichert den Assoziationsberechtigten
demzufolge nur den gemeinschaftsrechtlichen Standard. Dieser soll auch bei der
Anwendung nationaler Ausweisungstatbestände Beachtung finden, die wie die mit dem
AuslG 1990 eingeführten Regelungen über die Ist- und die Regelausweisung
grundsätzlich keine general- bzw. spezialpräventiven Erwägungen zulassen und allein
auf Grund der Schwere der den Ausweisungsanlass bildenden Straftat - der Höhe des
Strafmaßes - die Ausweisung zwingend vorschreiben. Für eine darüber hinaus gehende
Besserstellung von Assoziationsberechtigten gegenüber Gemeinschaftsangehörigen
fehlt es an einem tragfähigen Anhalt.
24
Die die Rechtslage gegenüber dem AuslG 1965 - das nur Ermessensausweisungen
vorsah - im Grundsatz verschlechternden Regelungen über die Ist- oder auch
Regelausweisung sind mithin einschränkend in der Weise anzuwenden, dass die
Ausweisung eines Assoziationsberechtigten auch insoweit nur aus im konkreten Fall
gegebenen spezialpräventiven Erwägungen in Betracht kommt.
25
Vgl. hierzu auch Gutmann in InfAuslR 2000, 369 f.
26
Für selbstständig erwerbstätige türkische Staatsangehörige ergibt sich aus Art. 41 Abs.
1 des Zusatzprotokolls nichts anderes. Denn Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls
entspricht insoweit dem nahezu wortidentischen Art. 53 EWGV. Er knüpft damit auch an
den bereits auf der Vertragsebene - Art. 56 Abs. 1 EWGV = Art. 46 Abs. 1 EGV -
bestehenden und nahezu wortidentischen Vorbehalt der öffentlichen Ordnung und
Sicherheit an, der wiederum in der Richtlinie Nr. 64/221/EWG seine Ausformung
gefunden hat. Die genannte Richtlinie ist aber ihrerseits die Grundlage für das
AufenthG/EWG und damit für das auf die Ausweisung von Gemeinschaftsangehörigen
27
anzuwendende nationale Recht (§ 12 AufenthG/EWG).
Vgl. hierzu den Senatsbeschluss vom 29. April 1993 - 18 B 4386/92 - ,a.a.O.
28
Dementsprechend nimmt auch Art. 13 des Assoziierungsabkommens den Art. 56 Abs. 1
EWGV (Art. 46 Abs. 1 EGV) ausdrücklich in die im Rahmen der Assoziation zu
beachtenden Leitvorstellungen auf. Zudem darf der Türkei nach Art. 59 des
Zusatzprotokolls in den von diesem Protokoll erfassten Bereichen keine günstigere
Behandlung gewährt werden als diejenige, die sich die Mitgliedsstaaten untereinander
auf Grund des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft einräumen.
29
Vgl. VG Darmstadt, Beschluss vom 1. November 2000 - 8 G 2556/00(2), InfAuslR 2001,
111.
30
Nach dem - folglich im Falle des Klägers anwendbaren - § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG wird
ein Ausländer ausgewiesen, wenn er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher
Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt
worden ist. Diesen Ist-Ausweisungstatbestand hat der Kläger mit der Verurteilung durch
das Landgericht P. vom 7. Oktober 1991 ( Js ) zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren
wegen der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
verwirklicht.
31
Dass dem Kläger der besondere Ausweisungsschutz nach § 48 Abs. 1 Nrn. 1 und 2
AuslG zukommt, kann zu seinen Gunsten unterstellt werden. Denn die Ausweisung
genügt auch unter dieser Maßgabe den gesetzlichen Anforderungen. Der besondere
Ausweisungsschutz nach § 48 Abs. 1 AuslG bewirkt zunächst, dass der Kläger nur aus
schwer wiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen
werden kann. Solche schwer wiegende Gründe sind hier unter spezialpräventiven
Gesichtspunkten gegeben. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
32
vgl. Urteile vom 11. Juni 1996 - 1 C 24.94 -, InfAuslR 1997, 8 = DVBl 1997, 170 und vom
28. Januar 1997 - 1 C 17.94 -, InfAuslR 1997, 296 = NVwZ 1997, 1119 = Buchholz
402.240 § 48 AuslG 1990 Nr. 10 = EZAR 035 Nr. 20
33
zu der hier maßgeblichen Fassung des § 48 Abs. 1 AuslG liegen schwer wiegende
Gründe im Sinne des § 48 Abs. 1 AuslG vor, wenn das öffentliche Interesse an der
Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Vergleich zu dem vom Gesetz
bezweckten Schutz des Ausländers vor Ausweisungen ein deutliches Übergewicht hat.
Unter spezialpräventiven Gesichtspunkten ist dies unter zwei Voraussetzungen
gegeben: Zum einen muss dem Ausweisungsanlass ein besonderes Gewicht
zukommen, das sich bei Straftaten aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergibt. Zum
anderen müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine schwere Gefährdung der
öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft
droht und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht.
34
Beides liegt in der Regel bei Verwirklichung der Tatbestandsmerkmale des § 47 Abs. 1
AuslG - wie hier - vor, der Fälle schwerer und besonders schwerer Kriminalität betrifft.
35
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Januar 1995 - 1 B 153.94 -, InfAuslR 1995, 194 (196)
und Urteil vom 11. Juni 1996 - 1 C 24.94 -, a.a.O.; vgl. im Einzelnen auch Senatsurteil
vom 21. Dezember 1999 - 18 A 5101/96 - a.a.O.
36
Anhaltspunkte für eine Ausnahme von dieser Regel sind hier nicht gegeben.
37
Zum einen kommt dem Ausweisungsanlass, dem Rauschgiftdelikt des Klägers, ein
besonderes Gewicht zu. Das ergibt sich aus der vom Strafgericht in seinem Urteil vom 7.
Oktober 1991 festgestellten Art und Schwere der Straftat. So hat der Kläger eine Menge
von nahezu 13 kg der besonderes gefährlichen Droge Heroin mit einem Marktwert von
ca. 4 bis 5 Mio. DM in das Bundesgebiet eingeführt, aus der sich etwa 24.000 äußerst
gefährliche Konsumeinheiten a 50 mg hätten gewinnen lassen. Dass es sich dabei nicht
um einen zu bagatellisierenden Verstoß gegen die Bestimmungen des
Betäubungsmittelgesetzes handelt, wird nicht zuletzt an der Höhe der verhängten
Freiheitsstrafe (12 Jahre) deutlich, wobei das Strafgericht zu Gunsten des Klägers u. a.
davon ausgegangen ist, dass sich sein Vorsatz möglicherweise "nur" auf die Einfuhr
von 8 kg Heroin erstreckt hat.
38
Auch die für die Annahme eines schwer wiegenden Grundes im Sinne des § 48 Abs. 1
AuslG unter spezialpräventiven Gesichtspunkten erforderliche Wiederholungsgefahr
steht zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der letzten Behördenentscheidung
außer Frage. Es ist nicht erkennbar, dass sich der Kläger bis zu diesem Zeitpunkt von
den kriminellen Organisationsstrukturen gelöst haben könnte, in deren Rahmen der
abgeurteilte Herointransport erfolgte. Bezeichnenderweise hat sich der Kläger denn
auch erst im Jahre 1997 im Rahmen eines (Rest-)Strafaussetzungsverfahrens
ansatzweise zu der den Ausweisungsanlass bildenden Straftat bekannt. Dass vom
Kläger jedenfalls noch im Jahre 1993 die konkrete Gefahr der Verübung weiterer
schwerer Straftaten ausging, bestätigen schließlich die Wertungen der jeweils
zuständigen Strafvollstreckungskammern, die bis Dezember 1997 eine Strafaussetzung
zur Bewährung für unvertretbar hielten.
39
Der dem Kläger zugebilligte besondere Ausweisungsschutz nach § 48 Abs. 1 AuslG
bewirkt des Weiteren die Herabstufung des verwirklichten Ist-Ausweisungstatbestandes
zu einem Regel- Ausweisungstatbestand (§ 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG). Anhaltspunkte für
ein Absehen von der Regelausweisung sind aber nicht gegeben. Ein Absehen von der
Regelausweisung ist nur gerechtfertigt, wenn ein Fall atypische, vom Regelfall
abweichende Besonderheiten aufweist bzw. der Ausweisung auch unter
Berücksichtigung des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 48 Abs. 1 AuslG
höherrangiges Recht entgegensteht, die Ausweisung insbesondere nicht mit
verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen vereinbar ist.
40
Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 15. Januar 1997 - 1 B 256/96 -, Buchholz 402.240 § 47
AuslG 1990 Nr. 12, vom 5. Februar 1997 - 1 B 16/97 -, Buchholz 402.240 § 47 AuslG
1990 Nr. 13 und vom 27. Juni 1997 - 1 B 123/97 -, Buchholz 402.240 § 47 AuslG 1990
Nr. 15; Senatsbeschluss vom 17. Februar 2000 - 18 B 101/00 -, AuAS 2000, 134 =
NVwZ-RR 2000, 721 = InfAuslR 2000, 383.
41
Bei der Beurteilung, ob eine Ausnahme von der gesetzlich vorgegebenen Regel
gerechtfertigt ist, sind alle Umstände der strafgerichtlichen Verurteilung und die
sonstigen Verhältnisse des Betroffenen zu berücksichtigen, wie sie namentlich in § 45
Abs. 2 AuslG näher umschrieben werden. Auf (general- oder) spezialpräventive
Erwägungen kommt es hingegen in diesem Zusammenhang im Grundsatz nicht an,
denn bei einer Regelausweisung ist die Verhältnismäßigkeit der Ausweisung unter
präventiven Gesichtspunkten im Allgemeinen indiziert.
42
Vgl. hierzu nur Senatsbeschluss vom 13. März 1996 - 18 B 2485/94 -, m.w.N.
43
Hier ist die konkrete Gefahr der Wiederholung der den Ausweisungsanlass bildenden
schweren Straftat nach obigen Ausführungen zudem gesondert festgestellt.
44
Die den Ausweisungsanlass bildende Straftat weist von ihrer Begehungsweise her
keine auf einen Ausnahmefall deutenden Besonderheiten auf. Gleiches gilt für die
persönlichen Verhältnisse des Klägers. Sein langjähriger Aufenthalt im Bundesgebiet
mit der Folge des Nichtableistens des Wehrdienstes im Heimatland sowie die familiären
Beziehungen des Klägers in Deutschland führen unter Beachtung des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit weder für sich genommen, noch in ihrer Gesamtheit auf eine
Ausnahme vom Regelfall.
45
Vgl. hierzu BVerwG, Beschlüsse vom 15. Januar 1997 - 1 B 256/96 -, vom 5. Februar
1997 - 1 B 16/97 - und vom 27. Juni 1997 - 1 B 123/97 -, jeweils a.a.O.;
Senatsbeschlüsse vom 17. Februar 2000 - 18 B 101/00 -, a.a.O., und vom 2. April 2001 -
18 A 1257/00 - sowie vom 3. Juli 2001 - 18 B 182/01 -, jeweils m.w.N.
46
Es handelt sich vielmehr um Umstände, die bei einer Vielzahl von Ausländern der 2.
Generation - wie dem Kläger - anzutreffen sind. Zwar mag der Kläger in die hiesigen
Verhältnisse weitgehend integriert sein. Hinreichend vertraut ist er aber auch mit den
Verhältnissen in seinem Heimatland. Er hat das türkische Abitur erworben und spricht
die türkische Sprache. Zudem hat er über Jahre hinweg geschäftliche Beziehungen in
die Türkei unterhalten, sodass davon auszugehen ist, dass er sich ohne Weiteres eine
neue Existenzgrundlage in seiner Heimat wird schaffen können.
47
In Anbetracht der Schwere der den Ausweisungsanlass bildenden Straftaten und der
bestehenden Wiederholungsgefahr führen auch die von Art. 6 Abs. 1 GG geschützte
Beziehung des Klägers zu seiner - mittlerweile von ihm geschiedenen - Ehefrau und
den minderjährigen Kindern nicht zu dem erforderlichen Ausnahmefall.
48
Vgl. hierzu Senatsbeschlüsse vom 17. Februar 2000 - 18 B 101/00 -, a.a.O. und vom 14.
März 2001 - 18 B 824/00 - .
49
Soweit der Kläger geltend macht, im Falle der Ausweisung von seinen Eltern und
weiteren im Bundesgebiet lebenden Verwandten getrennt zu werden, ist schon eine
besondere Schutzwürdigkeit dieser familiären Beziehung nicht erkennbar.
50
Auch der vom Kläger angesprochene Gesichtspunkt einer Doppelbestrafung führt hier
nicht auf einen Ausnahmefall. Es ist davon auszugehen, dass ein derartiger Umstand
als solcher grundsätzlich nicht geeignet ist, das Gewicht der gesetzlichen Regel des §
47 Abs. 3 Satz 1 AuslG zu beseitigen. Dies folgt aus gesetzessystematischen Gründen
mit Blick auf die in § 53 Abs. 5 AuslG getroffene Regelung, wonach die allgemeine
Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung
drohen können, und die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen
Staates gesetzmäßigen Bestrafung, die nicht nach Maßgabe der - hier ersichtlich nicht
einschlägigen - Tatbestände des § 53 Abs. 1 bis 4 AuslG erheblich ist,
51
vgl. dazu Senatsbeschluss vom 25. September 1995 - 18 B 2949/94,
52
der Abschiebung nicht entgegenstehen und damit nicht einmal zu den gemäß § 45 Abs.
2 Nr. 3 AuslG bei der Entscheidung über eine Ermessens-Ausweisung zu
berücksichtigenden Duldungsgründen zählen würden.
53
Vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 20. Oktober 1993 - 18 B 2313/93 -.
54
Es kann vorliegend offen bleiben, ob anderes dann zu gelten hat, wenn im
maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt konkrete und ernsthafte Anhaltspunkte
55
vgl. zu diesem Erfordernis: BVerwG Urteil vom 1.12.1987 - 1 C 29.85 -, BVerwGE 78,
285 = DÖV 1988, 514 = DVBl 1988, 295 = InfAuslR 1988, 34 = Buchholz 402.24 § 10
AuslG Nr. 114 und Beschluss vom 28.5.1990 - 1 B 84.90 -, InfAuslR 1990, 298
56
dafür ersichtlich sind, dass dem Ausländer bei einer Rückkehr in seinen Heimatstaat
eine unter jedem denkbaren Gesichtspunkt unangemessen harte Bestrafung droht.
Denn dies war vorliegend bei Erlass der Widerspruchsentscheidung schon deswegen
nicht zu erwarten, weil zuvor im Jahre 1990 alle Todesstrafdrohungen im
Rauschgiftmittelbereich im Strafrecht der Türkei gestrichen worden waren und mit dem
Gesetz Nr. 3756 vom 6. Juni 1991 darüber hinaus eine Anrechnungsbestimmung für im
Ausland verbüßte Freiheitsstrafen eingeführt worden war, worauf bereits das
Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Urteil abgehoben hat. Der Kläger hat die vom
Verwaltungsgericht insoweit getroffenen Feststellungen mit seiner
Berufungsbegründung nicht substantiiert in Frage gestellt. Für den Senat besteht im
Übrigen kein Grund, die Richtigkeit der Aussagen des Verwaltungsgerichts dazu und zu
der einschlägigen Rechtspraxis in der Türkei in Zweifel zu ziehen.
57
Vgl. hierzu auch Yenisey in InfAuslR 1994, 9 ff. sowie Rumpf in InfAuslR 1994, 399 ff.
58
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass ein ausgewiesener Ausländer angesichts der
Systematik des Ausländergesetzes, die Belange des Ausländers sowohl bei der
Ausweisung als auch bei der Abschiebung zu berücksichtigen, nicht etwa
rechtsschutzlos bleibt, wenn sich zu einem späteren Zeitpunkt wider Erwarten
herausstellen sollte, dass im Falle einer Abschiebung in sein Heimatland dort für ihn
tatsächlich eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Denn
insoweit kann er gemäß § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG Abschiebungsschutz erlangen.
59
Der Senat kann dahinstehen lassen, ob der Kläger Assoziationsberechtigter im Sinne
der Art. 6 oder 7 ARB 1/80 ist. Denn seine Ausweisung genügt auch den
Anforderungen, die das gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 auf Assoziationsberechtigte
anwendbare Gemeinschaftsrecht
60
vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 10. Februar 2000 - Rs. C-340/97 (Nazli) -, a.a.O.;
Senatsbeschluss vom 29. April 1993 - 18 B 4386/92 -, a.a.O., m.w.N.
61
an die Ausweisung eines Gemeinschaftsangehörigen bzw. Assoziationsberechtigten
stellt. Die vom Gemeinschaftsrecht geforderte Rechtfertigung der Ausweisung aus
"Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit"
62
vgl. Art. 48 Abs. 3, 56 Abs. 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft in seiner ursprünglichen Fassung, Art. 39 Abs. 3, 46 Abs. 1 des
Vertrages in seiner durch den Amsterdamer Vertrag geänderten Fassung; Richtlinie Nr.
63
64/221 des Rats der EWG zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und
den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung und
Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind, vom 25. Februar 1964; § 12 Abs. 1
AufenthG/EWG
ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
64
vgl. Beschlüsse 4. Mai 1990 - 1 B 82.89 -, Buchholz 402.24 § 10 AuslG Nr. 124 = NVwZ-
RR 1990, 649 = EZAR 121 Nr. 6, vom 29. September 1993 - 1 B 62.93 - , Buchholz
402.240 § 48 AuslG 1990 Nr. 3 = InfAuslR 1994, 45 = EZAR 034 Nr. 4 und vom 15. Juli
1997 - 1 C 24.96 -, Buchholz 402.240 § 6 AuslG 1990 Nr. 11 = InfAuslR 1998, 4 = NVwZ
1998, 193;
65
und des Senats
66
vgl. Beschluss vom 2. November 1995 - 18 B 280/94 -, Urteil vom 21. Dezember 1999 -
18 A 5101/96 -, a.a.O. und Beschluss vom 2. April 2001 - 18 A 1257/00 -
67
bei der hier gegebenen Verwirklichung eines der in § 47 Abs. 1 AuslG geregelten
Ausweisungstatbestände, die der Abwendung einer im Einzelfall bestehenden Gefahr
für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dienen, stets gegeben, wenn zugleich
festgestellt wird, dass der weitere Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet zu einer
tatsächlichen und hinreichend schweren, das Grundinteresse der Gesellschaft
berührenden Gefährdung führt.
68
Vgl. EuGH, Urteile vom 18. Mai 1982 - Rs. 115 und 116/81 -, NJW 1983, 1250, vom 19.
Januar 1999 - Rs. C-348/96 (Calfa) -, InfAuslR 1999, 165 und vom 10. Februar 2000 -
Rs. C-340/97 (Nazli) -, a.a.O.
69
Letzteres ist hier der Fall, denn die Ausweisung des Klägers stützt sich nach obigen
Ausführungen nicht allein auf den Umstand einer strafrechtlichen Verurteilung (vgl. Art. 3
Abs. 2 der Richtlinie Nr. 64/221, § 12 Abs. 4 AufenthG/EWG), sondern sie fußt auf einer
konkreten Gefahr der Wiederholung schwerer Straftaten durch den Kläger (vgl. Art. 3
Abs. 1 der Richtlinie Nr. 64/221, § 12 Abs. 3 Satz 1 AufenthG/EWG).
70
Darüber hinaus verlangt das Gemeinschaftsrecht nicht die Einräumung eines
Ermessensspielraumes auf Seiten der Ausländerbehörde.
71
Vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 29. September 1993 - 1 B 62.93 -, a.a.O.;
Senatsbeschluss vom 2. April 2001 - 18 A 1257/00 -.
72
Gegen den mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in die von Art. 3 Abs. 1 und 3 ENA
geschützte Rechtsposition ist nichts zu erinnern. Insoweit kann auf die obigen
Ausführungen zum Vorliegen schwer wiegender Gründe im Sinne des § 48 Abs. 1
AuslG verwiesen werden.
73
Vgl. hierzu Senatsurteil vom 21. Dezember 1999 - 18 A 5101/96 -, a.a.O. und
Senatsbeschluss vom 16. Januar 2001 - 18 B 249/99 -, m.w.N.
74
Letztlich steht auch Art. 8 EMRK der Ausweisung des Klägers nicht entgegen.
Hinsichtlich der familiären Beziehung des Klägers zu seiner (Ex-)Ehefrau und seinen
75
Kindern gilt dies schon deshalb, weil der Schutz dieser Bestimmung insofern nicht
weiter geht als der des Art. 6 GG, wie er im Ausländergesetz seinen Niederschlag
gefunden hat.
Vgl. hierzu nur Senatsbeschlüsse vom 20. September 1994 - 18 A 2945/92 -, InfAuslR
1995, 99 = NVwZ-RR 1995, 353 und vom 5. Juli 2001 - 18 A 4487/99 -, m.w.N.
76
Soweit der Kläger auf die familiäre Beziehung zu seinen sonstigen, im Bundesgebiet
lebenden Verwandten hinweist, ist der mit seiner Ausweisung verbundene Eingriff in die
von Art. 8 Abs. 1 EMRK vermittelte Rechtsposition hier jedenfalls von der Regelung des
Art. 8 Abs. 2 EMRK gedeckt.
77
Vgl. zu den diesbezüglichen Anforderungen insbesondere EGMR (Kammer - Dritte
Sektion), Urteil vom 30. November 1999 - Beschwerde Nr. 34374/97 (Baghli ./.
Frankreich), NVwZ 2000, 1401 und EGMR (Kammer - Erste Sektion - ), Urteil vom 11.
Juli 2000 - Beschwerde Nr. 29192/95 (Ciliz ./. Niederlande), InfAuslR 2000, 473 = NVwZ
2001, 547; Senatsbeschlüsse vom 10. November 2000 - 18 B 1273/00 - und vom 5. Juli
2001 - 18 A 4487/99 -, jeweils m.w.N.
78
Der Eingriff ist gesetzlich vorgesehen und verfolgt als Maßnahme der Gefahrenabwehr
eines der in Art. 8 Abs. 2 EMRK aufgeführten legitimen Ziele. Des Weiteren entspricht
die Ausweisung des Klägers einem dringenden sozialen Bedürfnis und sie ist in
Anbetracht der festgestellten, vom Kläger ausgehenden Gefahr der erneuten Verübung
schwerer Straftaten und der fehlenden Anhaltspunkte für eine besondere
Schutzwürdigkeit der Beziehung des Klägers zu den weiteren, im Bundesgebiet
lebenden Verwandten auch verhältnismäßig. Es spricht nach obigen Ausführungen
ferner nichts dafür, dass sich der Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland trotz des
langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet unzumutbaren Integrationsschwierigkeiten
gegenübersähe.
79
Die vom Kläger mit Schriftsatz vom 19. Juni 2001 beantragte - dem Senat prinzipiell
mögliche - Vorlage an den EuGH kommt nicht in Betracht. Die erste vom Kläger
formulierte Frage wurde vom EuGH bereits bejaht
80
vgl. Urteil vom 16. März 2000 - Rs. C-329/97 (Ergat) -, Nrn. 38 bis 44, NVwZ 2000, 1277
(1278 f.)
81
und ist zudem nicht entscheidungserheblich, weil ein Recht aus Art. 7 ARB 1/80 den
Kläger - wie ausgeführt - nicht vor der Ausweisung schützen würde. Auch die weiteren
vom Kläger formulierten Rechtsfragen sind entweder nicht entscheidungserheblich,
bzw. sie beruhen auf unzutreffenden Annahmen - der Kläger hält sich nicht 25 Jahre in
Deutschland auf, es besteht eine konkrete Wiederholungsgefahr -.
82
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
83
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO iVm §§
708 Nr. 11, 713 ZPO.
84
Ein Grund für die Zulassung der Revision (§§ 132 Abs. 2, 137 Abs. 1 VwGO) liegt nicht
vor.
85
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 14 Abs. 1, 13 Abs. 1, 73 Abs. 1 Satz 2 des
Gerichtskostengesetzes.
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