Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 05.02.2004

OVG NRW: anpassung, rücknahme, rechtsgrundlage, steuerfestsetzung, vollstreckbarkeit, anwendungsbereich, datum

Oberverwaltungsgericht NRW, 14 A 243/02
Datum:
05.02.2004
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
14. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
14 A 243/02
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Minden, 2 K 4407/00
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
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Wegen des Tatbestandes bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichts wird auf die
zutreffende Darstellung im Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
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Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit dem angefochtenen, dem Beklagten am 14.
Dezember 2001 zugestellten Urteil stattgegeben und den streitigen
Gewerbesteuerbescheid aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, für eine
Änderung des Folgebescheides fehle eine Ermächtigungsgrundlage, nachdem bereits
mit dem Steuerbescheid vom 24. Mai 2000 der geänderte Grundlagenbescheid des
Finanzamtes zutreffend ausgewertet worden sei. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO komme
als Ermächtigungsgrundlage nicht in Betracht, da die weiteren Änderungen der
Steuerfestsetzung nicht aufgrund von Änderungen des Gewerbesteuermeßbescheides
erfolgt seien.
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Gegen dieses Urteil wendet sich der Beklagte mit der vom Senat zugelassenen
Berufung, zu deren Begründung er vorträgt: § 175 Abs. 1 Satz 1 AO bezwecke, die
materielle Richtigkeit des Folgebescheides unter Hintanstellung der Bestandskraft zu
gewährleisten. Das folge aus der Rechtsprechung des BFH, von der das angefochtene
Urteil abweiche. Nach dieser Rechtsprechung müsse § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO über
den Wortlaut hinaus erweiternd ausgelegt werden.
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Der Beklagte beantragt,
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das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie schließt sich dem angefochtenen Urteil an und führt ergänzend aus: Der Beklagte
zitiere die Rechtsprechung des BFH unzutreffend. Bei allen vom Beklagten angeführten
Entscheidungen sei es um Fälle gegangen, in denen der Grundlagenbescheid, anders
als vorliegend, durch den Folgebescheid noch nicht oder nur fehlerhaft ausgewertet
worden sei. Die Rechtsprechung des BFH gehe dahin, dass die Anpassung des
Folgebescheides erfolgen müsse, "solange" der Grundlagenbescheid durch einen
Folgebescheid noch nicht ausgewertet worden sei. Hier sei diese Auswertung jedoch
bereits vollständig im Gewerbesteuerbescheid vom 24. Mai 2000 erfolgt.
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht
stattgegeben. Für die streitige Änderung des Gewerbesteuerbescheides fehlt es an
einer Rechtsgrundlage.
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Gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO darf ein Steuerbescheid (abgesehen von Zöllen
und Verbrauchssteuern, für die die Sonderregelung der Nr. 1 gilt) nur in den dort
genannten Fällen aufgehoben oder geändert werden. Hier kommt, da die Buchstaben a)
bis c) der Vorschrift evident nicht einschlägig sind, allein die Regelung Buchstabe d) in
Betracht, nämlich ein Fall, in dem dies "gesetzlich zugelassen" ist.
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§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO, auf den der Beklagte sich stützt, kommt als Grundlage für
die erneute Anpassung der Gewerbesteuerfestsetzung an den geänderten
Messbescheid des Finanzamtes nicht in Betracht. Nach dieser Bestimmung ist ein
Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein für den
Steuerbescheid bindender Grundlagenbescheid erlassen, aufgehoben oder geändert
wird.
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Diese Vorschrift ist nach ihrem Wortlaut auf den vorliegenden Fall nicht anzuwenden:
zwischen dem letzten Steuerbescheid vor dem streitigen Steuerbescheid, dem
Änderungsbescheid vom 21. Juni 2000, und dem streitigen Bescheid vom 26. Oktober
2000 ist der Gewerbesteuermeßbescheid nicht geändert worden. Nach der
Rechtsprechung des BFH steht dieser Wortlaut der Vorschrift einer Anpassung eines
Folgebescheides an den Grundlagenbescheid nach einer zunächst fehlerhaften
Auswertung zwar nicht entgegen. Diese Rechtsprechung geht jedoch davon aus, dass,
auch wenn zwischen einer den Grundlagenbescheid fehlerhaft auswertenden
Festsetzung der Steuer und der den Folgebescheid an den Grundlagenbescheid
anpassenden Festsetzung keine weitere Änderung des Grundlagenbescheides erfolgt
ist, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO die Anpassung an den bindenden Grundlagenbescheid
erfordert.
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Vgl. die von den Beteiligten auch zitierten Urteile des BFH vom 6. November 1985 - II R
255/83 -, BStBl II 1986, 168; vom 9. September 1988 - III R 253/84 -, BFH/NV 1989, 138;
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vom 17. Februar 1993 - II R 15/91 -, BFH/NV 1994, 1; vom 4. September 1996 - XI R
50/96 -, BFHE 181, 388; Urteil vom 10. Juni 1999 - IV R 25/98 -, BFHE 188, 548.
Hinter der Regelung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO steht das Ziel, die Bindungskraft
des Grundlagenbescheides durch korrekte Umsetzung in den Steuerbescheid
durchzusetzen und deshalb eine Änderung vorhergehender Bescheide zuzulassen,
solange diese Umsetzung nicht geschehen ist.
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Vgl. auch Klein/Orlopp, AO, 5. Aufl., 1995, § 175, Anm. 4.
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Zutreffend weist die Klägerin darauf hin, dass gerade diese Voraussetzung der bis dahin
noch nicht geschehenen Anpassung an den Grundlagenbescheid hier nicht gegeben
ist: Es ging hier nicht mehr darum, eine unterbliebene oder fehlerhafte Auswertung des
Grundlagenbescheides durch eine Anpassung des Folgebescheides zu beheben. Der
Grundlagenbescheid war nämlich vollständig und korrekt bereits mit dem
Gewerbesteuerbescheid vom 24. Mai 2000 ausgewertet worden. Nach diesem
Bescheid war für eine Änderung auf der Grundlage des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO
kein Raum mehr. Der Zweck der Vorschrift war erfüllt.
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Der Änderungsbescheid vom 21. Juni 2000 hatte demgegenüber zum Inhalt, dass der
Beklagte - rechtswidrig und abweichend von den Festsetzungen des
Gewerbesteuermessbescheides - die Steuer fehlerhaft herabsetzte. Die hier streitige
weitere Änderung der Steuerfestsetzung, mit der diese fehlerhafte Herabsetzung wieder
rückgängig gemacht wurde, stellte sich deshalb nicht als Anpassung an einen bisher
nicht oder nur fehlerhaft ausgewerteten Grundlagenbescheid dar, sondern als die
Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes, mit dem die bereits erfolgte,
grundlagenbescheidskonforme Festsetzung abgeändert worden war. Eine solche
Rücknahme einer fehlerhaften Abänderung eines den Grundlagenbescheid zutreffend
umsetzenden Folgebescheides hat mit dem Anwendungsbereich des § 175 Abs. 1 Satz
1 Nr. 1 AO nichts mehr zu tun. Sie ist vielmehr als schlichte Rücknahme eines
fehlerhaften Steuerbescheides zu werten, für die es, da § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
Buchst. d) 2. Halbsatz AO die Anwendung des § 130 AO auf Steuerbescheide
ausdrücklich ausschließt, keine Rechtsgrundlage gibt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
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Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht vorliegen.
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