Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 30.10.2009

OVG NRW (berufliches fortkommen, antragsteller, aufschiebende wirkung, erlöschen, mitgliedschaft, beförderung, benachteiligung, verwaltungsgericht, antrag, anschlussbeschwerde)

Oberverwaltungsgericht NRW, 6 B 1496/09
Datum:
30.10.2009
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
6 B 1496/09
Schlagworte:
Personalrat Mandat Erlöschen Beförderung Aufstiegsbeamter Erprobung
Laufbahnwechsel Laufbahnnachzeichnung
Leitsätze:
1. Bei der Abordnung eines Beamten zum Zwecke der Erprobung nach §
40 Satz 2 Nr. 3 LVO NRW bedarf es keiner Ermessenserwägungen über
eine Gestaltung der Erprobung, die dem Beamten ab¬weichend von §
26 Abs. 2 LPVG NRW seine Mit-gliedschaft im Personalrat der
abordnenden Behörde erhält.
2. Auch eine Erprobung, die einen Wechsel in die Laufbahn des
höheren Dienstes und die Verleihung eines entsprechenden
Beförderungsamtes vorbereiten soll, ist bei einem an der tatsächlichen
Durchführung der Erprobung gehinderten Mitglied eines Personalrats
einer fiktiven Laufbahnnach¬zeichnung zugänglich.
Tenor:
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der angefochtene
Beschluss mit Ausnahme der Streit-wertfestsetzung geändert.
Die Anschlussbeschwerde des Antragstellers wird zurückgewiesen.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechts-schut¬zes wird in vollem
Umfang abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden
Rechtszügen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfah-ren auf 5000 Euro
festgesetzt.
G r ü n d e :
1
I.
2
Der Antragsteller, ein Oberamtsrat (Besoldungsgruppe A 12) im Innenministerium des
Landes Nordrhein-Westfalen (IM NRW) und Vorsitzender des dortigen Personalrats,
wendet sich gegen seine Abordnung zum Ministerium für Generationen, Familie, Frauen
und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen, die das IM NRW für die Dauer von fünf
Monaten zwecks Einführung des Antragstellers in die Aufgaben des höheren
Verwaltungsdienstes verfügt hat. Sie soll sich nahtlos an eine zur Zeit laufende
fünfmonatige Abordnung zur Bezirksregierung E. anschließen und die
zehnmonatige Erprobung auf einem Dienstposten des höheren Dienstes (§ 40 Satz 2
Nr. 3 LVO NRW) zum Abschluss bringen, die dem Aufstieg in die Laufbahn des höheren
Dienstes und der Verleihung eines entsprechenden Beförderungsamtes vorausgeht.
Der Antragsteller hat im Dezember 2008 seine Teilnahme am Aufstiegsverfahren
beantragt, ist sodann zum Auswahlverfahren zugelassen worden, hat daran mit Erfolg
teilgenommen und sein grundsätzliches Einverständnis mit der Abordnung erteilt, in
diesem Zusammenhang aber seine Auffassung bekräftigt, dass sein
Personalratsmandat fortbestehe bzw. ihm erhalten bleiben müsse. Im zugehörigen
Klageverfahren (VG Düsseldorf 13 K 5795/09) macht er geltend, die angefochtene
Abordnungsverfügung verstoße gegen § 7 Abs. 1 LPVG NRW. Sie führe nach der von
dem Antragsgegner inzwischen vertretenen Rechtsauffassung gemäß § 26 Abs. 2
LPVG NRW zu einem Erlöschen seiner Mitgliedschaft im Personalrat, stelle ihn also vor
die Alternative, auf sein Personalratsmandat oder auf die Erprobung zu verzichten, und
sei deshalb eine nach § 7 Abs. 1 LPVG NRW verbotene Benachteiligung. Das
Verwaltungsgericht hat dem Antrag zu 1.,
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die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abordnungsverfügung vom
August 2009 anzuordnen,
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stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners. Den Antrag
zu 2.,
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dem Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung vorläufig bis zur
Entscheidung in der Hauptsache aufzugeben, die Ausbildung für die
Laufbahn des höheren Dienstes ab dem 1. November 2009 unter
Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts so zu gestalten, dass der
Antragsteller sein Mandat im Personalrat nicht verliert,
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hat es abgelehnt. Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner am 29. Oktober
2009 eingereichten Anschlussbeschwerde.
7
II.
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Die Beschwerde des Antragsgegners, deren Zulässigkeit außer Zweifel steht, hat Erfolg.
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1. Das Verwaltungsgericht hält die streitbefangene Abordnungsverfügung für
offensichtlich rechtswidrig. Das IM NRW habe das ihm nach § 24 Abs. 1 LBG NRW
eingeräumte Ermessen rechtsfehlerhaft nicht ausgeübt. Es hätte zumindest erwägen
müssen, ob unter Berücksichtigung des Benachteiligungsverbots nach § 7 Abs. 1 LPVG
NRW nicht eine andere Abordnung in Betracht gekommen wäre, durch die ein
Erlöschen der Mitgliedschaft im Personalrat vermieden werde. Die ständige
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Verwaltungspraxis des IM NRW, Erprobungen immer in einer anderen obersten
Landesbehörde durchzuführen, werde der atypischen Situation des Antragstellers als
Mitglied des Personalrats nicht gerecht. Auch die im gerichtlichen Verfahren
angeführten Überlegungen des Antragsgegners insbesondere zu den im Rahmen der
Erprobung zu berücksichtigenden Grundsätzen des Art. 33 Abs. 2 GG seien nicht
tragfähig.
Der Senat vermag diesen Erwägungen, die der Antragsgegner in einer den
Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO genügenden Weise in Frage gestellt hat,
nicht beizutreten.
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2. Der Senat unterstellt zugunsten des Antragstellers, dass seine an die laufende
Abordnung unmittelbar anschließende weitere Abordnung, nunmehr zu einer anderen
obersten Landesbehörde, den Tatbestand des § 26 Abs. 2 LPVG NRW erfüllt und wie
der Antragsgegner annimmt zum Erlöschen der Mitgliedschaft im Personalrat führt.
Wäre mit dem Antragsteller vom Gegenteil auszugehen, würde sich dies im
vorliegenden Rechtsstreit zu seinen Lasten auswirken. Denn dann hätte es für den
Antragsgegner schon im Ansatz keinen Grund gegeben, die vom Verwaltungsgericht
vermissten Erwägungen anzustellen, um ein Erlöschen der Mitgliedschaft zu vermeiden.
Dies vorausgeschickt ist von Folgendem auszugehen:
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Das Erlöschen der Mitgliedschaft im Personalrat bei einer mehr als sechsmonatigen
Abordnung hat seinen Rechtsgrund nicht in der Abordnungsverfügung, sondern
unmittelbar in der gesetzlichen Bestimmung des § 26 Abs. 2 LPVG NRW. Das
Erlöschen der Mitgliedschaft ist also mit anderen Worten nicht Bestandteil der mit der
Abordnung getroffenen Einzelfallregelung, sondern eine an den Tatbestand der
Abordnung anknüpfende gesetzliche Rechtsfolge. Von daher ist schon fraglich, ob
hierin überhaupt eine Benachteiligung i.S.d. § 7 Abs. 1 LPVG NRW liegen kann; denn
eine Rechtsfolge, die nach einer speziellen Vorschrift des Gesetzes (hier § 26 Abs. 2
LPVG NRW) ausdrücklich angeordnet wird, kann nicht zugleich als verboten im Sinne
einer allgemeinen Bestimmung desselben Gesetzes (hier § 7 Abs. 1 LPVG NRW)
angesehen werden.
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Jedenfalls fehlt es aber an der für eine Benachteiligung im Sinne des Gesetzes
erforderlichen Finalität der angegriffenen Maßnahme. § 7 Abs. 1 LPVG NRW verbietet
eine Benachteiligung des Personalratsmitglieds nur "wegen seiner Tätigkeit". Das setzt
- anders als bei dem in der Vorschrift außerdem enthaltenen Behinderungsverbot eine
entsprechende Absicht desjenigen voraus, dem die Benachteiligung zur Last gelegt
wird.
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Vgl. Lorenzen/Etzel/Gerhold/Schlatmann/Rehak/
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Faber, Bundespersonalvertretungsgesetz, Kommentar, § 8 Rdnr. 31 zu der
gleichlautenden Bestimmung in § 8 BPersVG m.w.N.
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Für eine solche Absicht gibt es im Streitfall keinen Anhaltspunkt. Die weitere Abordnung
des Antragstellers dient seiner beruflichen Förderung, nämlich seiner Erprobung und
der bei entsprechender Bewährung damit verbundenen Ermöglichung seines
beruflichen Aufstiegs in ein Amt des höheren Dienstes. Sie zielt nicht auch nicht
indirekt darauf ab, die Rechtsfolge des § 26 Abs. 2 LPVG NRW herbeizuführen.
Jedenfalls gibt es für die dahingehenden Mutmaßungen des Verwaltungsgerichts
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keinen greifbaren Anhaltspunkt in den dem Senat vorliegenden Akten. Das gilt auch für
den Vortrag des Antragstellers in seiner Beschwerdeerwiderung vom 29. Oktober 2009.
Zusammenfassend lässt sich ihr entnehmen, dass der Antragsgegner nachhaltig auf
den Antragsteller eingewirkt haben soll, seine Personalratstätigkeit nach dem
angestrebten Aufstieg in den höheren Dienst nicht fortzuführen bzw. nicht
wiederaufzunehmen. Dem will der Antragsteller ebenso nachdrücklich
entgegengetreten sein. Dieses Vorbringen kann als richtig unterstellt werden. Für einen
möglichen Rechtsfehler der hier streitbefangenen Abordnungsverfügung lässt sich nach
Auffassung des Senats daraus nichts herleiten. Im Gegenteil ist festzustellen, dass der
Antragsgegner aus der Weigerung des Antragstellers, dem an ihn herangetragenen
Ansinnen für die Zeit nach der künftigen Beförderung nachzukommen, keine
Konsequenzen gezogen hat, die für sein berufliches Fortkommen abträglich hätten sein
können. Insbesondere ist es zu dem nach dem Vorbringen des Antragstellers in den
Raum gestellten Widerruf seiner Zulassung zum Aufstiegsverfahren, der in der Tat
rechtswidrig gewesen wäre, nach der Vorsprache des Antragstellers bei Staatssekretär
C. nicht gekommen.
Vor diesem rechtlichen Hintergrund kann der Antragsgegner nicht verpflichtet sein, den
Eintritt der in § 26 Abs. 2 LPVG NRW vorgesehenen Rechtsfolge durch eine andere
Gestaltung der Erprobung nach Möglichkeit zu vermeiden oder dies wenigstens in
Erwägung zu ziehen. Der gegenteiligen Betrachtungsweise des Verwaltungsgerichts
hält der Antragsgegner mit Recht entgegen, dass eine anderweitige Durchführung der
Erprobung, namentlich im Innenministerium selbst, dem Antragsteller bei seiner
Erprobung eine Sonderbehandlung zuteil werden ließe. Diese würde von der sonstigen
Verwaltungspraxis des Antragsgegners abweichen und damit das Prinzip der
Chancengleichheit und in der Folge auch den Grundsatz der Bestenauslese (Art. 33
Abs. 2 GG) verletzen. Darüber hinaus wäre eine solche Besserstellung mit dem in § 7
Abs. 1 LPVG NRW außerdem vorgesehenen Begünstigungsverbot unvereinbar. Zu
dahingehenden Erwägungen bestand demnach im Rahmen der Entscheidung über die
weitere Abordnung des Antragstellers entgegen der Auffassung des
Verwaltungsgerichts kein Anlass.
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3. Davon abgesehen trifft auch der rechtliche Ausgangspunkt des Antragstellers, den
sich unausgesprochen auch das Verwaltungsgericht zu eigen gemacht hat, nicht zu,
dass er durch die angefochtene Abordnungsverfügung vor die Alternative gestellt werde,
entweder auf sein weiteres berufliches Fortkommen oder auf sein Personalratsmandat
verzichten zu müssen. Allerdings geht der Antragsgegner davon aus, dass eine
Erprobung des Antragstellers vor der Verleihung eines Beförderungsamtes in der
Laufbahn des höheren Dienstes unverzichtbar sei. Diese im Einklang mit früherer
Rechtsprechung,
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vgl. OVG NRW, Urteil vom 24. Juni 1980 6 A 292/78 -, PersV 1982, 75;
Beschluss vom 25. August 2003 1 A 2351/02 -, PersR 2004, 38; OVG RP,
Urteil vom 8. November 2004 2 A 10994/04.OVG , ZfPR 2005, 8,
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stehende Annahme lässt sich nach der neueren Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts,
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vgl. dessen Urteil vom 21. September 2006 2 C 13.05 -, BVerwGE 126,
333,
22
nicht aufrechterhalten. Nach dieser Rechtsprechung kann auch eine nach den
laufbahnrechtlichen Vorschriften vor einer Beförderung notwendige Erprobung im Wege
fiktiver Laufbahnnachzeichnung ersetzt werden, wenn der Beamte wegen seiner
Personalratstätigkeit an der tatsächlichen Durchführung der Erprobung gehindert ist.
Das gilt auch für den hier vorliegenden Fall, dass die angestrebte Beförderung zugleich
mit einem Laufbahnwechsel in den höheren Dienst verbunden ist. Dass in einem
solchen Fall dem Beamten möglicherweise weitere Beförderungsämter offenstehen, ist
entgegen der Annahme des Antragsgegners keine Besonderheit, die eine andere
Betrachtung rechtfertigen würde; denn auch bei Beförderungen ohne einen solchen
Laufbahnwechsel ist die Möglichkeit weiterer Beförderungen nicht ausgeschlossen,
sondern in vielen Fällen die Regel.
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Voraussetzung für eine fiktive Laufbahnnachzeichnung ist freilich, dass nach den
Gesamtumständen, die alle verfügbaren Erkenntnisse einschließen muss, die
Feststellung getroffen werden kann, ob der Beamte den Anforderungen der Erprobung
aller Voraussicht nach gerecht werden würde. Anhaltspunkte dafür, dass dies im
Streitfall nicht möglich und aus diesem Grund die weitere Erprobung vor einer
Beförderung des Antragstellers unerlässlich sein könnte, liegen nicht vor.
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Der Antragsteller hätte es mithin in der Hand, sich um sein weiteres berufliches
Fortkommen auf dieser Basis zu bemühen. Die Mitgliedschaft in der Personalvertretung
bliebe ihm unter dieser Voraussetzung erhalten. Stattdessen hat er den Weg des
Aufstiegsverfahrens und die damit verbundene Erprobung gewählt. Sein
diesbezügliches Einverständnis war zugleich die notwendige Grundlage für die
angegriffene Abordnung, nachdem der Personalrat seine Zustimmung dazu verweigert
(§ 43 Abs. 1 LPVG NRW) und eine Entscheidung der Einigungsstelle herbeigeführt
werden musste. Ein Anlass für den Antragsgegner, die Erprobung abweichend vom
Normalfall zu gestalten, um trotz der von dem Antragsteller getroffenen Wahl diesem
sein Personalratsmandat zu erhalten, war demzufolge nicht gegeben.
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III.
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Die Anschlussbeschwerde muss erfolglos bleiben. Wird unterstellt, dass der damit
weiterverfolgte erstinstanzliche Antrag zu 2. zulässig ist, kann ihm jedenfalls in der
Sache nicht entsprochen werden. Eine Regelung seiner Abordnung in der von ihm
gewünschten Weise kann der Antragsteller aus den oben dargelegten Gründen nicht
verlangen. Sie verstieße wegen der damit verbundenen Änderung der äußeren
Rahmenbedingungen, die abweichend von der sonstigen Verwaltungspraxis nur für ihn
geltend würde, gegen den Gleichheitssatz und in der Folge gegen das
personalvertretungsrechtliche Begünstigungsverbot.
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Die Kostentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung
auf § 40, § 47, § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 3 Nr. 1 und 2 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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