Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 10.09.2003

OVG NRW (arzneimittel, antragsteller, zwangsgeld, begründung, beschwerde, vollziehung, behörde, höhe, anordnung, verkehr)

Oberverwaltungsgericht NRW, 13 B 1313/03
Datum:
10.09.2003
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 B 1313/03
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Aachen, 8 L 525/03
Tenor:
1. Die Beschwerde des Antragstellers wird zurückgewiesen.
2. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der angefochtene
Beschluss geändert und der Antrag insgesamt abgelehnt.
3. Die Kosten für beide Instanzen hat der Antragsteller zu tragen.
4. Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.000,00
EUR festgesetzt.
G r ü n d e :
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1. Die Beschwerde des Antragstellers, die sich darauf beschränkt, die nach § 80 Abs. 3
VwGO erforderliche Begründung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung in der
Ordnungsverfügung vom 8. Mai 2003 anzugreifen, ist unbegründet. Der Antragsteller
überspannt die Anforderungen an die schriftliche Begründung. Richtig ist nach der
Rechtsprechung des Senats, dass für die Erfüllung der Voraussetzungen der genannten
Vorschrift jede schriftliche Begründung ausreichend ist, die - sei sie sprachlich oder
gedanklich auch noch so unvollkommen - zu erkennen gibt, dass die Behörde aus
Gründen des zu entscheidenden Einzelfalls eine sofortige Vollziehung ausnahmsweise
für geboten hält. Je nach Fallgestaltung können die Gründe für den Sofortvollzug mit
den Gründen für den Erlass des Verwaltungsaktes identisch sein. In solchen Fällen
genügt es, wenn die Behörde in der Begründung ihrer Vollziehungsanordnung darauf in
geeigneter Form hinweist. Eine solche Entsprechung der Gründe kann gerade dann
vorliegen, wenn es - wie hier im Arzneimittelrecht - darum geht, im Interesse einer
ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung für die Sicherheit im
Verkehr mit Arzneimitteln, insbesondere für die Qualität, Wirksamkeit und
Unbedenklichkeit der Arzneimittel zu sorgen (vgl. auch § 1 AMG).
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21. Dezember - 13 B 3118 - (= 4 L 1391/95 VG
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Aachen), unter Hinweis auf - OVG NRW, Beschluss vom 5. Juli 1994 - 18 B 1171/94 -,
NWVBl 1994, 424 = Eildienst Städtetag 1995, 76 -.
Dem genügt hier die Begrüdung, die u.a. auf die Gefährdung der Arzneimittelsicherheit
hinweist.
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2. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen die Anordnung der aufschiebenden
Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Zwangsgeldandrohung in der
Ordnungsverfügung vom 8. Mai 2003 ("Falls Sie den Anordnungen dieses Bescheides
nicht, nicht vollständig oder nicht fristgerecht nachkommen, wird Ihnen ... ein
Zwangsgeld in Höhe von 1.000 EUR angedroht.") hat Erfolg. Soweit in dem
angefochtenen Beschluss ausgeführt wird, die angedrohte Zwangsgeldandrohung
genüge nicht dem Erfordernis, dass der Betroffene klar erkennen können muss, was ihm
droht, folgt dem der Senat nicht. In der Ordnungsverfügung war dem Antragsteller -
einem Apotheker - untersagt worden,
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"Arzneimittel, auf deren Behältnissen und, soweit verwendet, auf den äußeren
Umhüllungen der Hinweis "Apothekenpflichtig" angegeben ist, insbesondere die in
Anlage 1 und 2 genannten Arzneimittel in der Selbstbedienung feilzubieten"
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und aufgegeben worden,
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"alle Arzneimittel, auf deren Behältnissen und, soweit verwendet, auf den äußeren
Umhüllungen der Hinweis "Apothekenpflichtig" angegeben ist, insbesondere die in
Anlage 1 und 2 genannten Arzneimittel, die in der X.-Apotheke in der Selbstbedienung
feilgeboten werden, innerhalb einer Woche nach Zustellung dieser Verfügung aus der
Selbstbedienung zu entfernen."
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Der Antragsteller weiß deshalb nicht nur, was er zu tun und zu unterlassen hat, sondern
auch, worauf sich die Zwangsgeldandrohung von 1.000 EUR bezieht. Die
Zwangsgeldandrohung realisiert sich sowohl, wenn er der Ordnungsverfügung nicht
nachkommt oder wenn er ihr teilweise nachkommt, aber teilweise auch nicht, und wenn
er ihr ganz oder teilweise verspätet nachkommt. Davon ist auch der Fall umfasst - um
eine extreme Möglichkeit zu beleuchten -, dass die apothekenpflichtigen Arzneimittel
zunächst vollständig entfernt werden, dann aber ein apothekenpflichtiges Produkt
wieder in der Selbstbedienung angeboten wird. Diese umfassende Regelung ist nicht
nur erkennbar gewollt, sondern auch rechtmäßig, so dass für eine Anordnung der
Aussetzung der sofortigen Vollziehung wegen offensichtlicher Rechtswidrigkeit kein
Anlass besteht.
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Weshalb das Verwaltungsgericht dies anders gesehen hat, mag damit
zusammenhängen, dass die umfassende Zwangsgeldandrohung die Frage aufwirft, ob
sie verhältnismäßig iSv § 58 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsvollstreckungsgesetz NRW in
der Fassung der Bekanntmachung der Neufassung des Gesetzes vom 19. Februar
2003, GVBl. S. 156 ist. Diese Frage, die sich nicht generell beantworten lässt, sondern
nur für den jeweils zu Grunde liegenden Einzelfall, ist vorliegend zu bejahen. Ist schon
der geringst mögliche Verstoß gegen die Ordnungsverfügung so zu bewerten, dass das
Zwangsgeld in voller angedrohter Höhe gerechtfertigt ist, so ist diese Androhung
rechtmäßig. Dem steht nicht entgegen, dass gleichzeitig in derselben Weise eine viel
massivere Verhaltensweise des Antragstellers mit einem Zwangsgeld in gleicher Höhe
bedroht wird; der Antragsteller ist dadurch auch nicht beschwert. Der Senat hat
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angesichts der eindeutigen Rechtslage und des Zweckes des Arzneimittelgesetzes, "im
Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung von Mensch und Tier für die
Sicherheit im Verkehr mit Arzneimitteln, insbesondere für die Qualität, Wirksamkeit und
Unbedenklichkeit der Arzneimittel nach Maßgabe der folgenden Vorschriften zu sorgen"
(§ 1 AMG), keine Bedenken, dass auch das erneute Einstellen von nur einem
apothekenpflichtigen Arzneimittel in den Selbstbedienungsbereich - zumal angesichts
der bisherigen Hartnäckigkeit des Antragstellers - ein Zwangsgeld von 1.000 EUR
rechtfertigt.
Die vorstehende Sichtweise erweist sich auch als unter Praktikabilitätsgesichtspunkten
vernünftig. Es erscheint kaum möglich, all die Varianten von denkbaren Verstößen
gegen die Regelungen der Ordnungsverfügung mit unterschiedlichen - gestaffelten? -
Zwangsgeldandrohungen zu erfassen. Ferner kann berücksichtigt werden, dass die
Androhung noch nicht die Festsetzung ist und bei der Festsetzung die Behörde die
Möglichkeit hat, extrem kleine untypische Verstöße gegen die Regelungen der
Ordnungsverfügung durch eine geringere Zwangsgeldfestsetzung zu ahnden.
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