Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 14.06.2000

OVG NRW: neues recht, eltern, häusliche gemeinschaft, armee, sowjetunion, erwerb, leiter, nationalität, stellvertreter, universität

Oberverwaltungsgericht NRW, 2 A 3776/98
Datum:
14.06.2000
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 A 3776/98
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 9 K 1091/95
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen
jeweils zu einem Drittel. Die außergerichtlichen Kosten des
Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger
dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in
Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte
vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
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Der am 1967 in K. , Turkmenistan, geborene Kläger zu 1) ist der Sohn des am 1941
geborenen A. S. und der am 1946 geborenen L. S. , geborene S. . Die Eltern des
Klägers begehren im Parallelverfahren (2 A 3773/98) die Erteilung eines
Aufnahmebescheides. Die am 1966 geborene Klägerin zu 2) ist seine Ehefrau. Sie ist
belorussische Volkszugehörige. Die Klägerin zu 3) ist ihr am 1989 geborenes
gemeinsames Kind.
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Unter dem 20. März 1992 beantragten die Kläger durch die Großmutter des Klägers zu
1) mütterlicherseits, Frau C. S. , die Aufnahme als Aussiedler. Im Antragsformular ist
angegeben, der Kläger zu 1) sei deutscher Volkszugehöriger. Seine Muttersprache sei
Deutsch, die jetzige Umgangssprache in der Familie sei Deutsch, Russisch. Zur
Beherrschung der deutschen Sprache ist angekreuzt, der Kläger zu 1) verstehe, spreche
und schreibe diese.
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Der Kläger war Offizier in der sowjetischen Armee, zuletzt im Rang eines Oberleutnants.
Zu seiner beruflichen Tätigkeit ist im Aufnahmeantrag angegeben: Er habe von 1984 bis
1988 an einer Militärschule studiert, sei von 1988 bis 1992 Erziehungsoffizier und von
da an Ingenieur-Mechaniker gewesen. Von 1986 bis 1991 sei er Mitglied der KPdSU
gewesen. Im Februar 1992 sei er aus dem Militärdienst entlassen worden. Wegen der
weiteren Einzelheiten des beruflichen Werdeganges des Klägers zu 1) wird Bezug
genommen auf vorgelegte Ablichtungen des Militärpasses und des Arbeitsbuches (BA I,
Bl. 59-72) nebst den vom Bundesverwaltungsamt gefertigten Übersetzungen (GA Bl.
52,61).
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Durch Bescheid vom 6. August 1993 lehnte das Bundesverwaltungsamt den
Aufnahmeantrag im Wesentlichen mit der Begründung ab, der Kläger zu 1) habe eine
herausgehobene politische oder berufliche Stellung innegehabt, die er nur durch eine
besondere Bindung an das totalitäre System habe erreichen können.
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Hiergegen erhoben die Kläger durch Schreiben der Frau C. S. vom 12. August 1993
Widerspruch. Zur Begründung führten sie im Wesentlichen aus: Der Kläger zu 1) habe
nach Abschluss der Schulausbildung eigentlich Medizin studieren wollen. Es seien aber
Bewerber usbekischer Nationalität bevorzugt worden. Als Deutscher habe er keine
Chance auf einen Studienplatz gehabt. Mangels entsprechender finanzieller Mittel habe
er auch nicht an eine andere Universität ausweichen können. Da die Usbeken keine
Militärausbildung hätten machen wollen, habe sich für ihn hier eine Ausbildungschance
ergeben. Für seine Berufswahl sei keineswegs eine ausgeprägte nationale Gesinnung
oder Identifizierung mit den Staatszielen der Sowjetunion das Motiv gewesen, sondern
allein die Überlegung, als intelligenter Mensch eine gehobene Ausbildung absolvieren
zu können. Privilegien habe er beim Militär nicht gehabt. Vielmehr sei er nach
Beendigung der Militärschule nach Termes an der Grenze zu Afghanistan geschickt
worden, in die heißeste Stadt der Sowjetunion, wo die Lebensbedingungen sehr schwer
und die Versorgung sehr mangelhaft gewesen seien. Die Mitgliedschaft in der KPdSU
sei unabdingbar gewesen. Wegen der unerträglichen Verhältnisse beim Militär habe er
1991 beschlossen, die Armee zu verlassen. Nach Ablauf seiner Verpflichtungszeit habe
er diesen Schritt vollzogen. Durch Widerspruchsbescheid vom 18. Januar 1995 wies
das Bundesverwaltungsamt den Widerspruch zurück. Zur Begründung ist im
Wesentlichen ausgeführt: Zwar habe der Kläger zu 1) als Oberleutnant keine
herausgehobene berufliche Stellung innegehabt. Es sei jedoch davon auszugehen,
dass er von der herausgehobenen Stellung seines Vaters begünstigt worden sei. Als
Sohn eines Oberst sei er in das sowjetische Gesellschaftssystem integriert gewesen
und habe von den sich daraus ergebenden Vergünstigungen profitiert.
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Die Kläger haben am 10. Februar 1995 Klage erhoben. Zur Begründung haben sie im
Wesentlichen vorgetragen: Der Kläger zu 1) sei nicht durch eine herausgehobene
Position seines Vaters begünstigt worden. Er habe nach der Geburt an
Mangelerscheinungen als Folge der schlechten Versorgungslage in Turkmenistan
gelitten. Deshalb habe er zunächst im Haushalt seiner Großeltern mütterlicherseits in
Kasachstan gelebt. Erst nach der zweiten Schulklasse sei sein Gesundheitszustand so
stabil gewesen, dass er auf Dauer in Taschkent bei seinen Eltern habe leben können.
Durch die berufliche Position seines Vaters habe er keine Vorteile gehabt. Er habe eine
normale staatliche Schule besucht. Seinen eigentlichen Berufswunsch, Arzt zu werden,
habe er als Deutscher in Usbekistan nicht realisieren können. Ein Studium an einer
auswärtigen Universität wäre für seine Eltern eine zu große finanzielle Belastung
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gewesen. Deshalb habe er sich entschlossen, die Militärhochschule zu besuchen. Sein
Vater habe trotz seines militärischen Ranges nicht verhindern können, dass er nach
Abschluss der Militärausbildung nach Termes, einer Stadt mit äußerst schlechten
Lebensbedingungen, versetzt worden sein.
Die Kläger haben beantragt, die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides
vom 6. August 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Januar 1995
zu verpflichten, dem Kläger zu 1) einen Aufnahmebescheid zu erteilen und die Kläger
zu 2) und 3) in diesen Aufnahmebescheid einzubeziehen.
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hilfsweise,
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die Kläger zu 1) und 3) in den Aufnahmebescheid der Klägerin zu 2) im Verfahren 9 K
914/95 einzubeziehen und die Klägerin zu 2) als Familienangehörige im Sinne des § 8
Abs. 2 BVFG aufzuführen.
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Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
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Im Klageverfahren ist Beweis erhoben worden zu der Frage, ob der Kläger zu 1) durch
die berufliche Stellung seines Vaters begünstigt worden ist (Fremdbegünstigung im
Sinne des § 5 Nr. 1 d) BVFG a.F.), durch Einholung eines Gutachtens des Instituts für
Ostrecht der Universität K. . Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug
genommen auf das Gutachten vom 26. März 1998 (GA 75-83).
12
Durch Urteil vom 27. Mai 1998 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet,
dem Kläger zu 1) einen Aufnahmebescheid zu erteilen und die Kläger zu 2) und 3) in
diesen Aufnahmebescheid einzubeziehen.
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Mit der vom Senat zugelassenen Berufung verfolgt die Beklagte ihr Anliegen weiter. Sie
ist der Ansicht, dass der Kläger zu 1) in einer Weise von der beruflichen Stellung seines
Vaters und den damit verbundenen Privilegien profitiert habe, dass auch in seiner
Person der Ausschlusstatbestand des § 5 BVFG erfüllt sei. Im Hinblick auf die zum 1.
Januar 2000 erfolgte Änderung des § 5 BVFG, die im vorliegenden Verfahren zu
berücksichtigen sei, genüge für den Ausschlusstatbestand des § 5 Nr. 2 c) BVFG bereits
die häusliche Gemeinschaft mit einer Person, die wegen der innegehabten Tätigkeit
ihrerseits den Ausschlusstatbestand des § 5 Nr. 2 b) BVFG erfülle. Da der Kläger zu 1)
mit seinen Eltern mehr als drei Jahre zusammengelebt habe, sei diese Voraussetzung
gegeben. Dass der Vater des Kläger zu 1) in seiner Person den Ausschlusstatbestand
des § 5 BVFG erfülle, stehe aufgrund der insoweit inzwischen eingetretenen
Bestandskraft des Bescheides vom 6. August 1993 fest.
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Die Beklagte beantragt,
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das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
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Die Kläger beantragen,
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die Berufung zurückzuweisen,
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Sie sind der Ansicht, dass in der Person des Klägers zu 1) ein Ausschlusstatbestand
des § 5 BVFG in der ab 1. Januar 2000 geltenden Fassung nicht gegeben sei.
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Insbesondere habe auch der Vater des Klägers zu 1) keine Funktion i.S.d. § 5 Nr. 2 b)
BVFG innegehabt. Dessen Tätigkeiten seien für die Aufrechterhaltung des
kommunistischen Herrschaftssystems nicht als bedeutsam i.S.d. § 5 Nr. 2 b) BVFG
anzusehen. Dabei handele es sich in erster Linie um Positionen, die Angehörige des
Nomenklaturasystems innegehabt hätten. Hierzu habe der Vater des Klägers zu 1)
schon wegen dessen bescheidenen Lebensverhältnissen nicht gehört. Daneben
könnten allenfalls die höchsten Offiziersränge ab dem Rang eines Generalmajors als für
die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems bedeutsam angesehen
werden. Berufssoldaten nur mit dem Rang eines Oberst, wie der Vater des Klägers zu
1), zählten nicht hierzu.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen
auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren sowie im Verfahren 2 A 3773/98 sowie die
beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesverwaltungsamtes.
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufung ist begründet. Die Klage ist abzuweisen, denn der Kläger zu 1) hat keinen
Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides, in den die Kläger zu 2) und 3)
einbezogen werden könnten. Die angefochtenen Bescheide des
Bundesverwaltungsamtes sind rechtmäßig.
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Als Rechtsgrundlage für den von dem Kläger zu 1) geltend gemachten Anspruch auf
Erteilung eines Aufnahmebescheides kommen nur die §§ 26 und 27 Abs. 1 Satz 1 des
Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni
1993, BGBl. I S. 829, zuletzt geändert durch das Gesetz zur Sanierung des
Bundeshaushalts (Haushaltssanierungsgesetz - HSanG -) vom 22. Dezember 1999,
BGBl. I S. 2534, in Betracht.
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Für die Beurteilung des Anspruchs ist insgesamt neues Recht maßgebend. Denn nach
der hier für eine Anwendung des bis zum 31. Dezember 1992 geltenden Rechts gemäß
§ 100 Abs. 1 BVFG allein in Betracht zu ziehenden Vorschrift des § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG
kann Aussiedler nur (noch) sein, wer das Aussiedlungsgebiet vor dem 1. Januar 1993
verlassen hat.
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Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) Urteile vom 16. Februar 1993 - 9 C 25.92 -,
BVerwGE 92, 70 (72 f), und vom 29. August 1995 - 9 C 391.94 -, DVBl. 1996, S. 198.
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Die Kläger leben jedoch heute noch in Usbekistan.
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Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG wird der Aufnahmebescheid auf Antrag Personen mit
Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten erteilt, die nach Verlassen dieser Gebiete die
Voraussetzungen als Spätaussiedler erfüllen. Spätaussiedler aus dem hier in Rede
stehenden Aussiedlungsgebiet der ehemaligen Sowjetunion kann nach § 4 Abs. 1
BVFG nur sein, wer deutscher Volkszugehöriger ist. Da der Kläger zu 2) nach dem 31.
Dezember 1923 geboren ist, ist er nach § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG deutscher
Volkszugehöriger, wenn er von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen
Volkszugehörigen abstammt (§ 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG), ihm die Eltern, ein
Elternteil oder andere Verwandte bestätigende Merkmale, wie Sprache, Erziehung,
Kultur vermittelt haben (§ 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG) und er sich bis zum Verlassen
des Aussiedlungsgebietes zur deutschen Nationalität erklärt, sich bis dahin auf andere
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Weise zum deutschen Volkstum bekannt hat oder nach dem Recht des Herkunftsstaates
zur deutschen Nationalität gehörte (§ 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BVFG).
Auch wenn diese Voraussetzungen im Fall des Kläger zu 1) erfüllt sein dürften, steht
dem Erwerb der Spätaussiedlereigenschaft jedenfalls § 5 Nr. 2 c) BVFG in der ab 1.
Januar 2000 geltenden Fassung entgegen. Diese Vorschrift ist mangels
Überleitungsvorschriften des Haushaltssanierungsgesetzes das nach den materiell-
rechtlichen Vorschriften des Bundesvertriebenengesetzes zum Zeitpunkt der letzten
mündlichen Verhandlung vor dem Senat maßgebende Recht zur Beurteilung des von
den Klägern geltend gemachten Aufnahmeanspruchs. Da niemand darauf vertrauen
konnte, dass der Gesetzgeber die außer dem Verlassen des Aussiedlungsgebietes
erforderlichen weiteren Voraussetzungen für den Erwerb eines Rechtsstatus nach dem
Bundesvertriebenengesetz nicht für die Zukunft modifiziert, konnte der Kläger zu 1) auch
keinen die Anwendung des § 5 Nr. 2 c) BVFG auf bereits laufende Verfahren auf
Erteilung eines Aufnahmebescheides ausschließenden Vertrauensschutz erwerben.
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Vgl. zu den Rechtsänderungen infolge Inkrafttretens des
Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes BVerwG, Urteil vom 29. August 1995 - 9 C 351.94 -,
DVBl. 1996, S. 198.
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Nach § 5 Nr. 2 c) BVFG erwirbt die Rechtsstellung nach § 4 Abs. 1 oder Abs. 2 BVFG
nicht, wer für mindestens drei Jahre mit dem Inhaber einer Funktion im Sinne von Nr. 2
b), das heißt einer Funktion, die für die Aufrechterhaltung des kommunistischen
Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam galt oder aufgrund der Umstände des
Einzelfalles war, in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat. Danach ist der Erwerb der
Spätaussiedlereigenschaft durch den Kläger zu 1) deshalb ausgeschlossen, weil sein
Vater, mit dem er nach eigenen Angaben jedenfalls von 1977 (drittes Schuljahr) bis
1984 (Beginn des Studiums an der Militärhochschule) in häuslicher Gemeinschaft
gelebt hat, während dieses gesamten Zeitraums eine Funktion im Sinne des § 5 Nr. 2 b)
BVFG ausgeübt hat. Allerdings ergibt sich das entgegen der Ansicht der Beklagten im
vorliegenden Verfahren nicht bereits aus dem teilweise in Bestandskraft erwachsenen
auf den Aufnahmeantrag des Vaters ergangenen Ablehnungsbescheides vom 6. August
1993, sondern bedarf der gesonderten Feststellung durch den Senat, weil die
Bestandskraft insoweit nicht auch im Verhältnis zum Kläger zu 1) wirkt.
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Dazu hat der Senat in seinem Urteil im Verfahren der Eltern des Klägers zu 1) - 2 A
3373/98 - ausgeführt:
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"Nach § 5 Nr. 2 b) BVFG sollen Aufnahmebewerber vom Erwerb der
Spätaussiedlereigenschaft ausgeschlossen sein, wenn sie eine das kommunistische
Herrschaftssystem aufrechterhaltende Funktion ausgeübt haben. Grund für diesen
Ausschluss ist, dass sie sich dadurch in dieses System in einer Weise eingefügt und
ihm gedient haben, so dass davon auszugehen ist, dass sie jedenfalls gegen die
deutsche Minderheit gerichteten Maßnahmen im Aussiedlungsgebiet nicht (mehr)
unterlagen und deshalb eine Aufnahme als Spätaussiedler nicht geboten ist.
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Vgl. auch die Begründung zu Art. 9 des Entwurfs der Bundesregierung eines Gesetzes
zur Sanierung des Bundeshaushaltes, BT-Drucksache 14/1636, S. 172 f.
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Allerdings soll sich der Ausschluss nach dem Wortlaut dieser Bestimmung nur auf
solche Funktionsträger beziehen, deren Funktion für die Aufrechterhaltung des
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kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam galt oder aufgrund der
Umstände des Einzelfalles war. Welche Funktion darunter fallen, ist nicht allgemein,
sondern unter Berücksichtigung der politischen Verhältnisse für das jeweilige
Aussiedlungsgebiet festzustellen.
Nach der die politischen Verhältnisse im fraglichen Zeitraum regelnden sowjetischen
Verfassung bestand das kommunistische Herrschaftssystem in der früheren
Sowjetunion in der Herrschaft der KPdSU als "führende und lenkende Kraft der
sowjetischen Gesellschaft" und "Kern ihres politischen Systems" (vgl. Art. 6 der
sowjetischen Verfassung von 1977).
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. März 1999 - 5 C 2.99 -, DVBl. 1999, S. 1207.
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Dabei war die Zahl der Parteimitglieder, gemessen an der Gesamtbevölkerung, relativ
gering.
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Vgl. Voslensky, Nomenklatura, 3. Aufl. 1987, S. 161.
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Ausgehend davon ist eine Funktion dann als für die Aufrechterhaltung des
kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam geltend im Sinne des
§ 5 Nr. 2 b) BVFG für die ehemalige Sowjetunion anzusehen, wenn die ausgeübte
Funktion dazu diente, dem Willen der Partei in dem jeweiligen Tätigkeitsbereich
Geltung zu verschaffen und durchzusetzen, um dadurch den Machtanspruch der Partei
auf Dauer zu sichern. Eine derartige Aufgabe kam insbesondere auch den politischen
Offizieren der Sowjetarmee zu.
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Nach dem insoweit schlüssigen und überzeugenden Gutachten des Herrn Dr. G. und
der Frau Dr. S. des Instituts für Ostrecht München e.V. vom 29. Dezember 1996 war die
politische Hauptverwaltung der Sowjetarmee eine eigenständige Institution innerhalb
der Armee und als solche sowohl dem Verteidigungsministerium als auch der
Militärabteilung des ZK der KPdSU unterstellt. Aufgabe der politischen Hauptverwaltung
war es, den Parteiwillen in den Streitkräften durchzusetzen und deren Angehörige
politisch zu belehren und zu erziehen. Der politische Apparat der Armee war der
militärischen Struktur und Ranghierarchie parallel geschaltet. So war der Leiter der
politischen Hauptverwaltung erster Stellvertreter des Verteidigungsministers der
UdSSR, den Befehlshabern der Wehrbezirke waren Stellvertreter für politische
Angelegenheiten ebenfalls im Generalsrang beigestellt, der politische Stellvertreter des
Regimentskommandeurs war in der Regel Oberst usw. Die Tätigkeit der politischen
Offiziere bestand in der politischen Schulung der Truppe, der Agitation und Propaganda
für die Parteipolitik, aber auch in der geistigen und materiellen Fürsorge für die Truppe,
der Beaufsichtigung und Gestaltung der Freizeit, der Redaktion und Zensur von
Soldatenzeitungen. Der politische Offizier war eine Mischung von stellvertretendem
Kommandeur, Feldgeistlichem, Betreuungs-, Fürsorge- und Personaloffizier, sowie
Zensor und Lokalredakteur. In der 1956 beschlossenen Satzung der KPdSU hieß es zu
den Anforderungen an politische Offiziere:
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Nr. 65: "Für die Leiter der politischen Verwaltungen der Militärbezirke, ... ist eine
fünfjährige Parteizugehörigkeit erforderlich, für die Leiter der Politabteilungen der
Divisionen und Brigaden eine dreijährige."
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Nr. 66: "Die Politorgane sind verpflichtet, enge Verbindung mit den örtlichen
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Parteikomitees zu halten, indem sie in den örtlichen Parteikomitees ... ständig
mitarbeiten ..."
Es kann im vorliegenden Zusammenhang dahingestellt bleiben, ob bereits jede
Tätigkeit als politischer Offizier in der sowjetischen Armee als eine Funktion im Sinne
des § 5 Nr. 2 b) BVFG anzusehen ist. Jedenfalls die Funktionen, die der Kläger zu 1) ab
1970 ausgeübt hat, nämlich seine Tätigkeit als Propagandachef des Regiments, als
Oberinstrukteur für Agitation und Propaganda, als Inspektor der Abteilung für
Organisation der Parteiarbeit und als stellvertretender Leiter dieser Abteilung, sind alle
als bedeutsam im Sinne des § 5 Abs. 2 b) BVFG anzusehen, weil sie allein die Aufgabe
hatten, das Machtmonopol der Partei und deren Einflussnahme im militärischen Bereich
zu festigen und zu sichern. Sie sind von ihrer Funktion und Bedeutung vergleichbar der
Tätigkeit eines hauptberuflichen Parteifunktionärs, die ihrerseits den
Ausschlusstatbestand des § 5 Abs. 2 b) erfüllen.
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Vgl. Urteil des Senats vom 29. März 2000 - 2 A 2762/98 - (n.rkr.).
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Soweit der Kläger zu 1) im Rahmen seiner Anhörung in der Botschaft der
Bundesrepublik Deutschland Taschkent erklärt hat, er hätte als Offizier nicht der
"kämpfenden Truppe" angehört, sondern sei ausschließlich für die Ausstattung und
Versorgung dieser Truppen zuständig gewesen, ändert dies nichts daran, dass er
jedenfalls seit Anfang 1964 die Funktion eines politischen Offiziers innegehabt hat, wie
dies durch seinen Militärpass eindeutig belegt ist. Politische Offiziere gab es in allen
Truppenteilen der sowjetischen Armee, nicht nur in der "kämpfenden Truppe".
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Die Kläger haben im vorliegenden Verfahren keine Gesichtspunkte vorgetragen, die
Anlass zu einer anderen rechtlichen Beurteilung geben könnten.
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Ob der Vater des Klägers zu 1) wegen seiner Tätigkeit besondere Vergünstigungen
gehabt hat und ob der Kläger zu 1) selbst von derartigen Vergünstigungen profitiert hat,
ist nach der Neufassung des § 5 BVFG unerheblich.
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Da in der Person des Klägers zu 1) jedenfalls der Ausschluss-tatbestand des § 5 Nr. 2 c)
BVFG erfüllt ist, bedarf es keiner Entscheidung, ob zusätzlich auch er den
Ausschlusstatbestand des § 5 Nr. 2 b) in seiner Person erfüllt, weil er selbst - ebenso
wie sein Vater - die Laufbahn eines politischen Offiziers in der Sowjetarmee
eingeschlagen und jedenfalls kurzfristig auch die Funktion eines Sekretärs des
Komsomol-Komitees innegehabt hat.
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Da der Kläger zu 1) nach allem keinen Anspruch auf Erteilung eines
Aufnahmebescheides hat, haben die Kläger zu 2) und 3) als Ehefrau bzw. Abkömmling
auch keinen Anspruch auf Einbeziehung in diesen Aufnahmebescheid gemäß § 27 Abs.
1 Satz 2 BVFG.
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Da der Senat in seinem Urteil im Verfahren der Eltern des Klägers zu 1) - 2 A 3373/98 -
entschieden hat, dass die Mutter des Klägers zu 1) keinen Anspruch auf Erteilung eines
Aufnahmebescheides gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG hat, haben die Kläger zu 1) und
3) als Abkömmlinge auch keinen Anspruch auf Einbeziehung in diesen
Aufnahmebescheid gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG und kann die Klägerin zu 2) nicht
als Familienangehörige im Sinne des § 8 Abs. 2 BVFG in einem solchen Bescheid
aufgeführt werden. Der mit der Klage geltend gemachte Hilfsantrag bleibt deshalb
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ebenfalls ohne Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und 3, 159 Satz 1, 162 Abs. 3 VwGO,
§ 100 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit erfolgt gemäß §§ 167 VwGO,
708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Revision ist zuzulassen, weil die Frage der Auslegung und Anwendung des § 5 Nr.
2 b) und 2 c) BVFG höchstrichterlich noch nicht geklärt und für eine Vielzahl von
Verfahren grundsätzlich bedeutsam ist (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
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