Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 15.05.2000

OVG NRW: kosovo, politische verfolgung, auskunft, provinz, gesellschaft, amt, flüchtlingshilfe, existenzminimum, unhcr, familie

Oberverwaltungsgericht NRW, 5 A 5355/99.A
Datum:
15.05.2000
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
5. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
5 A 5355/99.A
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Aachen, 9 K 1142/94.A
Tenor:
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter
Beiordnung von Rechtsanwalt K. aus D. wird abgelehnt.
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil
des Verwaltungsgerichts Aachen vom 8. November 1999 wird
zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens, für das
Gerichtskosten nicht erhoben werden.
G r ü n d e :
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Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist unbegründet, weil
die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den nachfolgend genannten Gründen keine
Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO, § 114 ZPO).
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Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil der
Rechtssache die allein geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1
AsylVfG) nicht zukommt.
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Die vom Kläger, einem albanischen Volkszugehörigen aus Südserbien (Grbavce,
Medvedja), aufgeworfene Frage, ob für Albaner aus Südserbien im Kosovo eine
inländische Fluchtalternative besteht, bedarf keiner Klärung in einem zugelassenen
Berufungsverfahren. Diese Frage lässt sich auf der Grundlage der gefestigten
Rechtsprechung zu den Voraussetzungen einer inländischen Fluchtalternative sowie in
Anbetracht der gesicherten Erkenntnisse zur Lage in der Provinz Kosovo auch ohne die
Durchführung eines Berufungsverfahrens - im Sinne des angegriffenen Urteils -
beantworten.
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Eine inländische Fluchtalternative setzt voraus, dass der Asylsuchende in den in
Betracht kommenden Gebieten vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist und ihm
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jedenfalls dort auch keine anderen Nachteile und Gefahren drohen, die nach ihrer
Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutbeeinträchtigung aus
politischen Gründen gleichkommen, sofern diese existentielle Gefährdung am
Herkunftsort so nicht bestünde.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315 (342
ff.); st. Rspr. des BVerwG; vgl. zuletzt etwa Urteil vom 9. September 1997 - 9 C 43.96 -,
BVerwGE 105, 204 (207 f., 211 f.) = DVBl. 1998, 274 = NVwZ 1999, 308 ff. und Urteil
vom 8. Dezember 1998 - 9 C 17.98 -, NVwZ 1999, 544 ff. = DVBl. 1999, 551 ff. =
InfAuslR 1999, 145 ff.; Urteil vom 5. Oktober 1999 - 9 C 15.99 -, InfAuslR 2000, 32 ff.
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In Bezug auf die wirtschaftlichen Voraussetzungen einer inländischen Fluchtalternative
ist entscheidend, ob der von regionaler Verfolgung Bedrohte bei generalisierender
Betrachtung auf Dauer ein Leben unter dem Existenzminimum zu erwarten hat.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Februar 1989 - 9 C 30.87 -, Buchholz 402.25, § 1 AsylVfG,
Nr. 104; Urteil vom 23. Juli 1991 - 9 C 154.90 -, DVBl. 1991, 1090, 1092; Urteil vom 31.
März 1992 - 9 C 40.91 -, NVwZ-RR 1992, 583, 584; Urteil vom 14. Dezember 1993 - 9 C
45.92 -, DVBl. 1994, 524, 526.
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Die danach erforderlichen Voraussetzungen einer inländischen Fluchtalternative sind
für albanische Volkszugehörige im Kosovo gegeben.
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Albanische Volkszugehörige sind in der Provinz Kosovo vor einer Verfolgung durch die
Bundesrepublik Jugoslawien hinreichend sicher. In der Rechtsprechung des
beschließenden Gerichts ist geklärt, dass dem jugoslawischen Gesamtstaat und dem
serbischen Teilstaat die effektive Gebietsgewalt, die eine politische Verfolgung der dort
lebenden Bevölkerung ermöglichen könnte, in der völkerrechtlich zur Bundesrepublik
Jugoslawien gehörenden Provinz Kosovo fehlt.
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Vgl. OVG NRW, Urteile vom 30. September 1999 - 13 A 93/98.A - und vom 10.
Dezember 1999 - 14 A 3768/94.A - .
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Auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen einer inländischen Fluchtalternative sind
erfüllt. Es ist unter Verwertung einschlägiger aktueller Erkenntnisse geklärt, dass
angesichts der unternommenen und fortgeführten Anstrengungen der Kfor-Truppen zur
Beseitigung von Minen und Blindgängern, der Verstärkung der Polizeipräsenz, des
fortschreitenden Aufbaus einer zivilen Übergangsverwaltung einschließlich des Aufbaus
eines Polizeiapparates, des Grenzkontrolldienstes und der Justiz und nicht zuletzt vor
dem Hintergrund der langfristigen Bereitstellung umfangreicher Finanzmittel durch die
Weltbank und die EU sowie der zahlreichen Aufbau- und Hilfsprogramme verschiedener
Hilfsorganisationen und der UN zur Verbesserung der Wohnraum- und
Versorgungslage das wirtschaftliche Existenzminimum für albanische Volkszugehörige
im Kosovo gewährleistet ist.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 30. September 1999, a.a.O., Urteil vom 10. Dezember 1999,
a.a.O.; vgl. auch OVG Thüringen, Urteil vom 11. November 1999 - 3 KO 399/96 -, Nds.
OVG, Urteil vom 24. Februar 2000 - 12 L 748/99 -.
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Diese Einschätzung wird durch neuere Erkenntnisse im Wesentlichen bestätigt.
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Vgl. UNHCR, Auskunft vom 7. März 2000 an Nds. OVG, Auskünfte vom 9. Dezember
1999 an Nds. OVG und an VGH Baden- Württemberg; Auswärtiges Amt, ad hoc- Bericht
zur aktuellen Lageentwicklung im Kosovo vom 8. Dezember 1999.
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Soweit in einigen Erkenntnissen der Umstand hervorgehoben wird, dass trotz der
erkennbaren Aufbruchstimmung zahlreiche Menschen nicht über eigene
Einnahmequellen verfügten und ausschließlich auf die Hilfeleistung humanitärer
Organisationen angewiesen seien,
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vgl. Gesellschaft für bedrohte Völker, Auskunft vom 1. Februar 2000 an VG Karlsruhe;
Institut für Ostrecht München e.V., Auskunft vom 23. Dezember 1999 an VG Karlsruhe;
Schweizerische Flüchtlingshilfe, Auskunft vom 8. Dezember 1999 an VG Karlsruhe,
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steht dies einer Qualifizierung der Provinz Kosovo als inländische Fluchtalternative für
albanische Volkszugehörige nicht entgegen, da für die Annahme eines wirtschaftlichen
Existenzminimums jede Gewährleistung der wirtschaftlichen Existenz - auch über
private oder öffentliche Zuwendungen - ausreicht.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Juli 1997 - 9 C 2.97 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr.
194.
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Dass die humanitären und gerade nach Bedürftigkeitsaspekten differenzierten,
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vgl. UNHCR, Auskünfte vom 9. Dezember 1999 an VGH Baden- Württemberg,
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Hilfeleistungen Bedürftige nicht oder nur in einem Umfang erreichen, der eine
menschenwürdige Existenz nicht ermöglicht, ist - auch aus den genannten
Erkenntnisquellen - nicht ersichtlich.
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Soweit hiervon abweichend die Sicherheits- und humanitäre Lage der Minderheiten im
Kosovo, etwa der Serben, Roma und Aschkali, kritischer gesehen wird,
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vgl. Gesellschaft für bedrohte Völker, Auskunft vom 1. Februar 2000 an VG Karlsruhe;
Schweizerische Flüchtlingshilfe, Auskunft vom 8. Dezember 1999 an VG Karlsruhe;
Auswärtiges Amt, ad hoc-Bericht zur aktuellen Lageentwicklung im Kosovo vom 8.
Dezember 1999,
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ist dies im vorliegenden Fall unerheblich, da der Kläger der Bevölkerungsmehrheit der
Albaner und nicht den genannten Minderheiten angehört.
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Konkrete Anhaltspunkte, die gegenüber dieser gefestigten Rechtsprechung und
Erkenntnislage einen erneuten Klärungsbedarf aufzeigen, hat der Kläger entgegen § 78
Abs. 4 Satz 4 AsylVfG nicht dargelegt. Er hat im Gegenteil im Termin zur mündlichen
Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ausgesagt, dass seine Familie mittlerweile im
Kosovo lebe und sein Vater dort ärztlich betreut worden sei. Seine Familie betreffende
Rechtsgutsverletzungen oder sonstige Beeinträchtigungen hat er dabei nicht erwähnt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83 b Abs. 1 AsylVfG.
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Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylVfG unanfechtbar.
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