Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 03.04.2009

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Oberverwaltungsgericht NRW, 4 A 830/07
Datum:
03.04.2009
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 A 830/07
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 7 K 6895/04
Tenor:
Der Antrag wird auf Kosten des Klägers abgelehnt.
Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 5.000,-- Euro
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der auf § 124 Abs. 2 Nrn. 1, 2 und 3 VwGO gestützte Zulassungsantrag hat keinen
Erfolg.
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1. Die Darlegungen des Klägers begründen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit
des angefochtenen Urteils (Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1).
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Der Kläger meint, das Verwaltungsgericht sei von einem unvollständigen Sachverhalt
ausgegangen. Das erstinstanzliche Vorbringen sei dahin zu ergänzen, dass ihm die
Geschäftsführung der J. -GmbH Einzelprokura erteilt habe. Die Eintragung im
Handelsregister sei am 29. März 2005 und damit noch vor Einleitung des
Insolvenzverfahrens erfolgt. Die angefochtene Verfügung nehme ihm die Möglichkeit,
einen Teil seines Verdienstes als Prokurist an die Masse abzuführen, und betreffe
deshalb die Insolvenzmasse.
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Dieser Einwand greift nicht durch.
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Das erstinstanzliche Urteil ist nicht deshalb unrichtig, weil der Kläger nach Erlass des
Widerspruchsbescheides vom 15. November 2004 eine Tätigkeit als Prokurist der J. -
GmbH aufgenommen hat.
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Die Gerichte haben bei der Beurteilung der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit im
Rahmen der Gewerbeuntersagung nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts auf die Sachlage bei Erlass der letzten
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Verwaltungsentscheidung abzustellen. Davon ist auch das Verwaltungsgericht
ausgegangen. Das Bundesverwaltungsgericht hat dies aus der im materiellen Recht (§
35 GewO) angelegten Trennung zwischen Untersagungs- und
Wiedergestattungsverfahren hergeleitet.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. November 1990
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- 1 B 155.90 -, GewArch 1991, 110 = NVwZ 1991. 372.
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Allerdings wird in der Literatur erörtert, ob eine Verschiebung des
Beurteilungszeitpunkts dann geboten ist, wenn - wie hier - während des gerichtlichen
Verfahrens die Voraussetzungen des § 12 GewO eintreten.
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Vgl. die - vom Kläger wörtlich wiedergegebenen - Ausführungen von Hahn, GewArch
2000, 361, 365/366; ferner VGH Kassel, Urteil vom 21. November 2002 - 8 UE 3195/01 -
, NVwZ 2003, 626.
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Hierauf kommt es aber im Ergebnis nicht an, weil der Kläger nicht dargelegt hat, dass
die Frage seiner Zuverlässigkeit zu einem späteren Zeitpunkt anders zu beurteilen wäre
als bei Erlass des Widerspruchsbescheides. Zur Begründung verweist der Senat auf
seine Ausführungen zu § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO. Abgesehen davon hat das
Bundesverwaltungsgericht mehrfach entschieden, dass eine Untersagungsverfügung
nicht die Insolvenzmasse betrifft. Sie wendet sich gegen den Gewerbetreibenden wegen
eines in seiner Person gegebenen Unzuverlässigkeitsgrundes und unterbindet seine
berufliche Betätigung. Deshalb ist das Verwaltungsstreitverfahren auch nicht vom
Insolvenzverwalter, sondern vom Gewerbetreibenden selbst zu führen.
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vgl. Beschluss vom 18. Januar 2006 - 6 C 21.05 -, GewArch 2006, 387 = NVwZ 2006,
599 unter Hinweis auf VGH Kassel, Urteil vom 21. November 2002 - 8 UE 3195/01 -,
NVwZ 2003, 626, und Urteil vom 13. Dezember 2006 - 6 C 17.06 -, GewArch 2007, 247;
Friauf in: Friauf/Heß, GewO, § 12 Rdnr. 14 (Stand: März 2009).
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Auch der Senat vertritt in ständiger Rechtsprechung diese Auffassung.
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Ferner meint der Kläger, das Verwaltungsgericht hätte das Verfahren mit Blick auf § 12
GewO aussetzen müssen.
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Dem ist nicht zu folgen, wobei der Senat zu Gunsten des Klägers unterstellt, dass der
damit behauptete Verfahrensmangel im Rahmen des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend
gemacht werden kann. § 12 GewO lautet:
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„Vorschriften, welche die Untersagung eines Gewerbes oder die Rücknahme oder den
Widerruf einer Zulassung wegen Unzuverlässigkeit eines Gewerbetreibenden, die auf
ungeordnete Vermögensverhältnisse zurückzuführen ist, ermöglichen, finden während
eines Insolvenzverfahrens, während der Zeit, in der Sicherungsmaßnahmen nach § 21
der Insolvenzordnung angeordnet sind, und während der Überwachung der Erfüllung
eines Insolvenzplans (§ 260 der Insolvenzordnung) keine Anwendung in bezug auf das
Gewerbe, das zur Zeit des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeübt
wurde."
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Diese Vorschrift ist nach - soweit ersichtlich - einhelliger Auffassung dem materiellen
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Recht zuzurechnen. Sie regelt selbst nicht, welche verfahrensrechtlichen
Konsequenzen zu ziehen sind, wenn - wie vorliegend durch Beschluss des
Amtsgerichts F. vom 20. November 2006 - nach Erlass des Widerspruchsbescheides im
Laufe des gerichtlichen Verfahrens Sicherungsmaßnahmen gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2
InsO angeordnet werden. Während überwiegend eine Aussetzung bzw. Unterbrechung
des gerichtlichen Verfahrens abgelehnt wird,
vgl. im Einzelnen die Nachweise bei Friauf in: Friauf/Heß, GewO, § 12 Rdnr 14 (Stand:
März 2009),
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meint Marcks,
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in: Landmann/Rohmer, § 12 GewO Rdnr 15 (Stand: Mai 2008),
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mit Eintritt der Voraussetzungen des § 12 GewO müsse „das Untersagungsverfahren
usw., in welchem Stadium auch immer es sich befindet", ausgesetzt werden. Für das
gerichtliche Verfahren sehe § 240 ZPO dies ausdrücklich vor.
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Die unmittelbare Anwendung der §§ 173 VwGO, 240 ZPO scheitert aber bereits daran,
dass - wie dargelegt - die Gewerbeuntersagung nicht die Insolvenzmasse betrifft. Eine
Aussetzung des Verfahrens in unmittelbarer Anwendung des § 94 VwGO ist ebenfalls
nicht möglich, weil es an der erforderlichen Vorgreiflichkeit des Insolvenzverfahrens
fehlt.
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Zu erwägen ist deshalb allenfalls, ob die genannten Vorschriften unter Berücksichtigung
des von § 12 GewO verfolgten Zwecks in der hier vorliegenden Fallkonstellation
entsprechend angewendet werden können. Das ist zu verneinen. § 12 GewO verfolgt
das Ziel, während der dort näher bezeichneten Zeitabschnitte die Möglichkeit einer
Sanierung des insolventen Unternehmens offen zu halten. Dem Zweck des
Insolvenzverfahrens zuwider laufende Entscheidungen im gewerberechtlichen
Verfahren sollen vermieden werden.
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Vgl. Heß, a.a.O., § 12 GewO Rdnrn. 2 und 9 (Stand: März 2009).
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Vorliegend besteht kein Bedürfnis für eine Unterbrechung bzw. Aussetzung des
gerichtlichen Verfahrens. Der Kläger hat nämlich bereits zum 31. Oktober 2006 aus
persönlichen Gründen die ihm untersagte Gewerbeausübung eingestellt. Damit ist der
im Rahmen des Insolvenzverfahrens verfolgte Zweck, das Unternehmen, soweit
möglich, zu sanieren und zu erhalten, nicht mehr zu erreichen. Einer Fortführung des
Verwaltungsstreitverfahrens steht in diesem Falle nichts entgegen.
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Der Kläger meint, dem Beklagten seien bei der erweiterten Gewerbeuntersagung
gemäß § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO Ermessensfehler unterlaufen. Es hätten nämlich keine
Anhaltspunkte dafür bestanden, dass er in andere selbstständige Gewerbe bzw.
leitende Tätigkeiten oder Vertretungstätigkeiten ausweichen werde.
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Dieser Einwand greift nicht durch. Nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts ist eine erweiterte Untersagung grundsätzlich dann
gerechtfertigt, wenn davon auszugehen ist, dass der Gewerbetreibende auch für die
Ausübung der anderen selbstständigen Gewerbe bzw. leitenden Tätigkeiten und
Vertretungstätigkeiten als unzuverlässig anzusehen ist. Konkrete Anhaltspunkte dafür,
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dass ein Ausweichen in diese Gewerbe bzw. Tätigkeiten zu erwarten ist, müssen aber
nicht bestehen. Nur dann, wenn besondere Umstände vorliegen, die es ausschließen,
dass der Gewerbetreibende in andere Gewerbe, Vertretungstätigkeiten oder leitende
gewerbliche Tätigkeiten ausweichen wird, ist die erweiterte Gewerbeuntersagung nicht
zulässig.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. September 1992
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- 1 B 131.92 -, GewArch 1995, 116.
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Solche Anhaltspunkte bestanden zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung
nicht. Die Gründung der J. -GmbH kurz nach Erlass des Widerspruchsbescheides
spricht im Gegenteil dafür, dass der Kläger ein solches Ausweichen geplant hatte.
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Weiter führt der Kläger aus: Der Umstand, dass im seinerzeit ausgeübten Gewerbe
Steuerrückstände aufgelaufen seien, reiche nicht aus, um eine Tätigkeit als
Vertretungsberechtigter zu untersagen. Bei der erforderlichen Zuverlässigkeitsprognose
sei zu berücksichtigen, dass er zwar Prokurist der J. - GmbH sei, ihm dort im
wesentlichen aber nur die Leitung der technischen Produktion obliege und er außerdem
bei der Wahrnehmung dieser Aufgabe von der Geschäftsführung der GmbH
beaufsichtigt werde.
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Dem kann nicht gefolgt werden. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des
Verwaltungsgerichts, das auf die Gründe der angefochtenen Bescheide Bezug
genommen hat, folgte die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit des Klägers auch aus
dessen wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit.
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Wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit hat aber nicht nur Bezug zu einer bestimmten
gewerblichen Tätigkeit, sondern ist auch bei Personen von Bedeutung, die einen
Gewerbetreibenden vertreten oder mit der Leitung eines Gewerbebetriebes beauftragt
sind.
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Vgl. Senatsurteil vom 29. Oktober 1991
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- 4 A 935/91 -, GewArch 1992, 143; ähnlich BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 1995 - 1
C 3.93 -, NVwZ 1997, 278, 281 a.E.
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Der Kläger war deshalb auch für Vertretungs- und Leitungstätigkeiten als unzuverlässig
anzusehen. Dies gilt übrigens auch für eine Tätigkeit als fachlich- technischer Leiter.
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Vgl. Senatsbeschluss vom 31. Oktober 1996
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- 4 A 1819/95 -, GewArch 1997, 209 zum fachlich-technischen Leiter eines
Handwerksbetriebes.
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Welche Funktionen der Kläger im Einzelnen bei der J. -GmbH inne hatte und wie seine
Beziehungen zur Geschäftsführung ausgestaltet waren, war bei der
Prognoseentscheidung nicht zu berücksichtigen. Bei Erlass des
Widerspruchsbescheides bestanden für eine spätere Tätigkeit bei der J. -GmbH keine
Anhaltspunkte. Dafür, dass die die Unzuverlässigkeit begründenden Tatsachen in der
Folgezeit weggefallen sind, gibt der Zulassungsantrag nichts her. Davon abgesehen
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ändern die rechtlichen Beziehungen, die im Innenverhältnis zur Geschäftsführung
bestehen, nichts an der im Außenverhältnis bestehenden und in § 35 Abs. 1 Satz 2
GewO vorausgesetzten Vertretungsberechtigung.
2. Die Rechtssache weist auch nicht die ihr vom Kläger beigemessenen besonderen
tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2
Nr. 2 VwGO).
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Für besondere tatsächliche Schwierigkeiten gibt das Vorbringen des Klägers nichts her.
Es kann ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass er zum Zeitpunkt der
Anordnung von Sicherungsmaßnahmen gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO durch Beschluss
des Amtsgerichts F. vom 20. November 2006 bereits als Prokurist für die J. -GmbH tätig
war.
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Besondere rechtliche Schwierigkeiten bestehen ebenfalls nicht. Bereits oben (1.) wurde
ausgeführt, dass § 12 GewO im vorliegenden Fall eine Aussetzung bzw. Unterbrechung
des Verwaltungsstreitsverfahrens nicht rechtfertigt.
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3. Eine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO kommt der
Rechtssache ebenfalls nicht zu.
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In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt und deshalb nicht
mehr klärungsbedürftig, dass das Gewerbeuntersagungsverfahren nicht die
Insolvenzmasse betrifft und deshalb § 240 ZPO nicht einschlägig ist (s. o. 1.). Ob § 240
ZPO auch auf solche Verfahren zugeschnitten ist, die Fälle aktiver und passiver
Leistungsklagen zivilrechtlicher Art betreffen, ist für den Ausgang des vorliegenden
Verfahrens unerheblich und bedarf deshalb keiner Klärung.
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Weiter möchte der Kläger geklärt wissen, ob das in § 12 GewO geregelte
Anwendungsverbot auch dann eingreift, wenn die die Untersagung des Gewerbes
betreffende Vorschrift bereits vor einem der in § 12 GewO erwähnten Zeitabschnitte
„angewendet" worden ist. In dieser allgemeinen Form würde sich die Frage aber nicht
stellen. Vorliegend ist nur von Bedeutung, ob eine Aussetzung oder Unterbrechung des
auf die Gewerbeuntersagung bezogenen Verwaltungsstreitverfahrens zu erfolgen hat,
wenn der Gewerbetreibende die Gewerbeausübung vor Eintritt der Voraussetzungen
des § 12 GewO bereits eingestellt hat. Dies ist aus den unter 1. dargelegten Gründen
ohne Weiteres zu verneinen; der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf es
dafür nicht.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung
ergibt sich aus § 51 Abs. 1 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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