Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 07.02.2006

OVG NRW: örtliche zuständigkeit, anpassung der leistungen, aufenthalt, sozialhilfe, heimbewohner, rücknahme, gesetzgebungsverfahren, anhörung, pflege, offenkundig

Oberverwaltungsgericht NRW, 16 A 4379/04
Datum:
07.02.2006
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
16. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
16 A 4379/04
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Minden, 7 K 6517/03
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts
Minden vom 30. September 2004 geändert und die Klage abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.
Der Beschluss ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig
vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden,
wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird auch für das zweitinstanzliche Verfahren auf 4.171,51
Euro festgesetzt.
Gründe:
1
I.
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Die Klägerin ist Trägerin einer Altenpflegeeinrichtung in M. /Kreis M1. und wendet sich
gegen die Rücknahme des Bescheides über die Pflegewohngeldbewilligung für den
Heimplatz der pflegebedürftigen Frau J. - N. Q. für die Zeit vom 1. Juni 2003 bis zum 31.
Dezember 2003 und das Erstattungsbegehren des Beklagten in Höhe von 595,93 Euro
für den Monat Juni 2003. Frau Q. , die bis dahin ihren gewöhnlichen Aufenthalt in C. Q1.
, Landkreis I. -Q1. /O. hatte, lebt seit September 2001 in der Altenpflegeeinrichtung der
Klägerin. Seither leistete der Beklagte für den Heimplatz der Frau Q. Pflegewohngeld,
zuletzt in monatlicher Höhe von 595,93 Euro und befristet bis zum 31. Dezember 2003.
Mit Bescheid vom 26. Mai 2003 nahm der Beklagte den letzten Bewilligungsbescheid
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mit Wirkung ab dem 1. Juni 2003 zurück, weil davon auszugehen sei, dass Frau Q. über
Vermögen oberhalb der Schongrenze verfüge, und forderte das bereits auf dem
Zahlungsweg befindliche Pflegewohngeld für den Monat Juni 2003 von der Klägerin
zurück. Im nachfolgenden Widerspruchsverfahren begründete der Beklagte die
Rechtswidrigkeit der laufenden Pflegewohngeldgewährung damit, dass es an seiner
örtlichen Zuständigkeit fehle.
Das nach der Zurückweisung des Widerspruches von der Klägerin angerufene
Verwaltungsgericht hat den Rücknahme- und Rückforderungsbescheid sowie den
Widerspruchsbescheid vom 7. Oktober 2003 aufgehoben. Wegen der Begründung wird
auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
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Mit seiner vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung beantragt der Beklagte,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 30. September 2004 aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Berufung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte
und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
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II.
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Über die Berufung kann nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 130a VwGO durch
Beschluss entschieden werden, weil der Senat sie einstimmig für begründet und die
Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 130a Satz 1
VwGO).
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Die Berufung des Beklagten ist begründet.
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Der Rücknahme- und Rückforderungsbescheid des Beklagten ist rechtmäßig. Der nicht
in den Akten enthaltene, aber nach den übereinstimmenden Bekundungen der
Beteiligten bis zum 31. Dezember 2003 laufende Bewilligungsbescheid ist rechtswidrig.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung des bewohnerorientierten
Aufwendungszuschusses für Investitionskosten vollstationärer
Dauerpflegeeinrichtungen (Pflegewohngeld). Das gilt sowohl für die Monate Juni und
Juli 2003, in denen sich die Anspruchsberechtigung noch nach § 14 Abs. 1 Satz 1 des
Gesetzes zur Umsetzung des Pflege-Versicherungsgesetzes vom 19. März 1996 in der
Fassung vom 9. Mai 2000 (Art. 21 des Zweiten Modernisierungsgesetzes, GV. NRW S.
462, 470) - Landespflegegesetz; im folgenden: PfG NRW F. 1996/2000 - richtete, als
auch für die Zeit vom 1. August bis 31. Dezember 2003, also nach dem Inkrafttreten des
Landespflegegesetzes in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 8. Juli 2003 (GV.
NRW S. 380; im folgenden: PfG NRW F. 2003).
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Sowohl § 14 Abs. 1 Satz 1 PfG NRW F. 1996/2000 als auch § 12 Abs. 2 Satz 1 PfG
NRW F. 2003 bestimmen, dass unter den weiteren dort genannten Voraussetzungen
zugelassene vollstationäre Dauerpflegeeinrichtungen einen Anspruch auf
bewohnerorientierte Aufwendungszuschüsse (Pflegewohngeld) gegen den zuständigen
örtlichen Träger der Sozialhilfe oder - was vorliegend außer Betracht bleibt - gegen den
überörtlichen Träger der Kriegsopferfürsorge haben. Mit dieser Bezugnahme auf den
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örtlichen Sozialhilfeträger verweisen beide Fassungen des Landespflegegesetzes auf
die sozialhilferechtliche Zuständigkeitsregelung des § 97 BSHG und speziell - da es
sich um die Hilfe in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung
handelt - auf dessen Absatz 2. Danach ist die örtliche Zuständigkeit desjenigen Trägers
der Sozialhilfe begründet, in dessen Bereich der Hilfeempfänger im Zeitpunkt der
Aufnahme in die Einrichtung oder in den zwei Monaten vor der Aufnahme zuletzt seinen
gewöhnlichen Aufenthalt gehabt hat. Da Frau Q. vor der Aufnahme in die
Altenpflegeeinrichtung der Klägerin in C. Q1. , also im Land O1. , gelebt hat, wäre nach
§ 97 Abs. 2 BSHG der dortige Sozialhilfeträger zuständig. Diese
Zuständigkeitsbestimmung geht indessen ins Leere, weil es sich beim Pflegewohngeld
um eine Leistung kraft Landesrechts handelt und das nordrhein-westfälische
Pflegegesetz keinen Sozialhilfeträger außerhalb des Landes Nordrhein-Westfalen
verpflichten kann.
Vgl. bereits OVG NRW, Beschlüsse vom 14. April 2004 - 16 B 461/04 -, Juris, vom 19.
Mai 2004 - 16 B 547/04 -, FEVS 55, 517 = ZFSH/SGB 2005, 345, und zuletzt vom 31.
Januar 2006 - 16 A 4434/04 -.
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Dem Verwaltungsgericht kann nicht in seiner Auffassung gefolgt werden, der Wortlaut
des § 14 Abs. 1 Satz 1 PfG NRW F. 1996/2000 bzw. des § 12 Abs. 2 Satz 1 PfG NRW F.
2003 ermögliche keine eindeutigen Rückschlüsse auf die Frage der örtlichen
Zuständigkeit für die Gewährung von Pflegewohngeld. Es räumt zwar ein, der Wortlaut
der genannten Vorschriften lege die Anwendung der "bewohnerorientierten"
Bestimmung des § 97 Abs. 2 BSHG und damit den Anspruchsausschluss für
Heimplätze, die nicht von "Landeskindern" belegt würden, nahe. Es weist zudem - nach
Einschätzung des Senats zu Recht - darauf hin, dass dieses Ergebnis der
bundesrechtlichen Regelung des § 9 Satz 3 SGB XI entspreche, weil danach die mit der
Einführung der Pflegeversicherung einhergehenden Einsparungen bei den
Sozialhilfeträgern zur finanziellen Förderung der Investitionskosten der
Pflegeeinrichtungen verwendet werden sollen; die Einsparungen im Hinblick auf
zugezogene Heimbewohner seien aber bei den Sozialhilfeträgern in ihrem
angestammten Bundesland entstanden. Gleichwohl ist nach der Ansicht des
Verwaltungsgerichts der Rückgriff auf die Begriffsbestimmungen des
Bundessozialhilfegesetzes nicht zwingend, weil im Bundessozialhilfegesetz
durchgängig personenbezogene Hilfen geregelt seien, während der Anspruch auf
Pflegewohngeld einer hilfegewährenden Institution zustehe.
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Dem kann indessen nicht zugestimmt werden.
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Die unmodifizierte Anwendung des § 97 Abs. 2 BSHG folgt bereits aus dem klaren
Wortlaut der §§ 14 Abs. 1 Satz 1 PfG NRW F. 1996/2000 bzw. 12 Abs. 2 Satz 1 PfG
NRW F. 2003. Die dort mit den Worten "gegen den zuständigen Träger der Sozialhilfe"
angeordnete Verweisung auf die sozialhilferechtliche Zuständigkeitsregelung, die
ihrerseits auf den vormaligen gewöhnlichen Aufenthaltsort des Hilfeempfängers abstellt,
kann nicht mit der letztlich den Gesetzgeber korrigierenden Erwägung außer Betracht
gelassen werden, das Sozialhilferecht passe nicht für eine institutionenbezogene
Hilfegewährleistung, wie sie der Anspruch auf Pflegewohngeld darstelle. Abgesehen
davon liegt die vom Verwaltungsgericht gesehene systematische Unstimmigkeit eines
wortlautgetreuen Gesetzesverständnisses nicht vor. Denn der Anspruch auf
Pflegewohngeld weist, wie schon aus den amtlichen Normüberschriften der §§ 14 Abs.
1 Satz 1 PfG NRW F. 1996/2000 bzw. 12 Abs. 2 Satz 1 PfG NRW F. 2003 hervorgeht
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und auch in den Bestimmungen über die wirtschaftlichen Anspruchsvoraussetzungen
zum Ausdruck kommt, zumindest beträchtliche Elemente einer auf die Person des
jeweiligen Pflegebedürftigen abzielenden Hilfeleistung auf, so dass die Verweisung auf
eine - so das Verwaltungsgericht - "bewohnerorientierte" Zuständigkeitsnorm gerade
nicht als Systembruch bewertet werden kann. Es trifft in diesem Zusammenhang auch
nicht zu, dass der Pflegewohngeldanspruch (allein) der Pflegeeinrichtung zustehe.
Vielmehr ist nach § 3 Abs. 1 Satz 4 der Pflegewohngeldverordnung (PfGWGVO) vom 4.
Juni 1996 (GV. NRW. 1996, 200) bzw. nach § 6 Abs. 2 der
Pflegeeinrichtungsförderverordnung (PflFEinrVO) vom 15. Oktober 2003 (GV. NRW.
2003, 613) der Pflegebedürftige ersatzweise antragsbefugt und damit jedenfalls
sekundär leistungsberechtigt.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 9. Mai 2003 - 16 A 2789/02 -, ZFSH/SGB 2003, 692 =
NWVBl. 2003, 440; bestätigt durch BVerwG, Beschluss vom 5. September 2003 - 5 B
60.03 -, Juris.
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Abgesehen davon wird die "bewohnerorientierte" Anwendbarkeit des § 97 Abs. 2 BSHG
auf Heimplätze, deren Inhaber zuvor ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Land Nordrhein-
Westfalen hatten, auch vom Verwaltungsgericht nicht in Frage gestellt. Wenn dann aber
etwas anderes gelten sollte, sofern die pflegebedürftige Person wie vorliegend aus
einem anderen Bundesland in eine nordrhein-westfälische Einrichtung übergesiedelt ist,
bedürfte dies eines klaren Anhaltspunktes im Gesetz, an dem es indessen, wie
dargelegt, mangelt.
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Insoweit kann auch nicht entscheidend darauf abgestellt werden, dass der
Landesgesetzgeber bei der Begründung des Rechtsanspruchs auf Gewährung von
Pflegewohngeld einen Ausschluss "Landesfremder" nicht gewollt habe. Es ist bereits
aus rechtsmethodischen Gründen durchgreifend zweifelhaft, ob angesichts des
eindeutigen Gesetzeswortlautes auf einen vermeintlich abweichenden Willen des
historischen Gesetzgebers abgestellt werden darf. Für den Inhalt einer als Gesetz das
Gericht bindenden Norm kommt es auf den in ihr zum Ausdruck kommenden
objektivierten Willen des Gesetzgebers an, so wie er sich aus dem Wortlaut der
Gesetzesvorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt. Demgegenüber können
Schlussfolgerungen, die sich aus den Gesetzesmaterialien ergeben, lediglich
unterstützend und insofern herangezogen werden, als sie auf einen objektiven
Gesetzesinhalt schließen lassen. Der Wille des Gesetzgebers bzw. der am
Gesetzgebungsverfahren Beteiligten kann folglich bei der Interpretation nur insoweit
berücksichtigt werden, als er - anders als vorliegend - auch im Text der Norm bzw. im
Gesamtzusammenhang des jeweiligen Normgefüges Niederschlag gefunden hat.
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Vgl. eingehend OVG NRW, Urteil vom 15. September 2004 - 15 A 4544/02 -, NVwZ-RR
2005, 495 = NWVBl. 2005, 135, mwN.
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Abgesehen davon ist weder eindeutig noch auch nur überwiegend wahrscheinlich, dass
der Gesetzgeber - sei es 1996, 2000 oder 2003 - die Absicht hatte, auch für Personen
mit (vormals) gewöhnlichem Aufenthalt außerhalb des Landes Nordrhein-Westfalen
bzw. für von diesen Personen eingenommene Heimplätze Pflegewohngeld zu
gewähren. Soweit bei der Anhörung im Gesetzgebungsverfahren des Jahres 1996 die
daran beteiligten Landschaftsverbände eine Präzisierung des in Aussicht genommenen
Gesetzes in Richtung auf eine Zuzügler aus anderen Bundesländern ausschließende
"Landeskinderregelung" vorgeschlagen haben, die nachfolgend aber keinen
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Niederschlag in der beschlossenen Gesetzesfassung gefunden hat, kann das nicht
unbesehen dahin gedeutet werden, dass der Gesetzgeber gerade keine solche
Beschränkung gewollt habe. Zumindest genauso nahe liegt die Einschätzung, dass der
Gesetzgeber die von den Landschaftsverbänden gewünschte Präzisierung nicht für
erforderlich gehalten hat, weil er - zu Recht - schon die dann Gesetz gewordene
Fassung mit ihrer Anknüpfung an § 97 Abs. 2 BSHG für hinreichend aussagekräftig im
Sinne einer "Landeskinderregelung" gehalten hat.
Auch der vom Verwaltungsgericht gezogene Schluss von der Anwendungspraxis auf
den Willen des Gesetzgebers vermag - abgesehen davon, dass die
Gesetzesanwendung der Schaffung des Gesetzes zeitlich und logisch nachgeordnet ist
- nicht zu überzeugen. Die Anzahl der Fälle, in denen die Zuständigkeitsregelung nach
Maßgabe von § 97 Abs. 2 BSHG im Ergebnis zum Anspruchsausschluss geführt hat,
war gemessen an der Gesamtzahl der Fälle von untergeordneter Bedeutung. Gegen
eine durchgängige Praxis der betroffenen Sozialhilfeträger, für aus anderen
Bundesländern zugezogene Heimpflegebedürftige Pflegewohngeld zu bewilligen,
spricht im Übrigen auch etwa die Einschätzung des MdL Scheffler (SPD) bei der ersten
Lesung zur Gesetzesnovelle am 19. Februar 2003 (Plenarprotokoll 13/82, S. 8322),
wonach das Problem der sogenannten Landeskinderegelung im grenznahen Raum und
z.B. auch in Ostwestfalen-M1. zu sozialen Ungerechtigkeiten führen könne und deshalb
im weiteren Gesetzgebungsverfahren beachtet werden müsse. Das ist indessen
nachfolgend - soweit ersichtlich - nicht geschehen.
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Soweit im Vorfeld des Erlasses der Pflegeeinrichtungsförderverordnung (PflFEinrVO)
vom 15. Oktober 2003 im Hinblick auf § 6 Abs. 1 Satz 4 PflFEinrVO - Zuständigkeit des
Sozialhilfeträgers am Einrichtungsort für aus anderen Bundesländern zugezogene
Heimbewohner - geäußert worden ist, mit dieser "eindeutigeren Formulierung der
Zuständigkeitsregelung" solle erreicht werden, dass das Gesetz nicht im Sinne einer
"Landeskinderregelung" interpretiert werden könne (Stellungnahme der Ministerin für
Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie vom 30. September 2003 - V 4 - 1121 -),
unterstreicht dies, dass noch nach der Gesetzesnovellierung im Sommer 2003
offenkundig von einer restriktiven Gesetzesformulierung und zumindest der Möglichkeit
einer restriktiven Bewilligungspraxis ausgegangen worden ist.
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Schließlich lassen sich auch aus der Entstehungsgeschichte der nunmehr geltenden
Gesetzes- und Verordnungsfassungen (vgl. Art. 7 und 8 des Gesetzes zur Anpassung
des Landesrechts an das Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe -
vom 16. Dezember 2004, GV. NRW. 2004, 816, 818 f.) keine überzeugenden
Erkenntnisse über die gesetzgeberischen Absichten bei der Schaffung der
Vorläuferbestimmungen ableiten. Immerhin ist bezeichnend, dass die erste über jeden
noch so fernliegenden Deutungszweifel erhabene Normierung des
"Landeskinderproblems" im Grundsatz restriktiv ist, obwohl dem Gesetzgeber
selbstverständlich auch die Schaffung einer Regelung offengestanden hätte, die
heimpflegebedürftige Menschen aus anderen Bundesländern denjenigen aus
Nordrhein-Westfalen gleichstellt.
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Ist danach auf der Grundlage des Gesetzesrechts kein Anspruch auf Gewährung von
Pflegewohngeld gegeben, soweit der Pflegebedürftige, auf den bezogen die investive
Förderung beantragt wird, seinen gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb des Landes
Nordrhein-Westfalen hatte, kommt auch - mit Wirkung ab dem 1. November 2003 -
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aufgrund des Inkrafttretens der PflFEinrVO vom 15. Oktober 2003 keine Besserstellung
für nicht iSv § 97 Abs. 2 BSHG aus Nordrhein-Westfalen stammende Pflegebedürftige in
Betracht. Zwar bestimmte der inzwischen wieder geänderte § 6 Abs. 1 Satz 4 der
PflFEinrVO, dass für Heimbewohner und Heimbewohnerinnen, die zum Zeitpunkt der
Aufnahme in ein Heim oder in den zwei Monaten vor der Heimaufnahme ihren
gewöhnlichen Aufenthalt nicht in Nordrhein-Westfalen hatten, der Träger der Sozialhilfe
oder der überörtliche Träger der Kriegsopferfürsorge zuständig ist, in dessen Bereich
sich der Heimbewohner oder die Heimbewohnerin (nunmehr) tatsächlich aufhält. Diese
Regelung war indessen nicht von der Verordnungsermächtigung in § 12 Abs. 6 Satz 1
PfG NRW F. 2003 gedeckt und mithin unwirksam.
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Vgl. schon OVG NRW, Beschluss vom 19. Mai 2004 - 16 B 547/04 -, aaO.
28
§ 12 Abs. 6 Satz 1 PfG NRW F. 2003 enthält die Ermächtigung an das zuständige
Ministerium, durch Rechtsverordnung das Nähere über die Voraussetzungen der
Leistungsgewährung, das Antragsverfahren, die Dauer der Leistungen, ihre Höhe und
das Verfahren der Anpassung der Leistungen an die Kostenentwicklung zu regeln. Auch
wenn davon auszugehen sein sollte, dass § 6 Abs. 1 Satz 4 PflFEinrVO als nähere
Regelung des Antragsverfahrens - hierfür sprach die Paragrafenüberschrift "Zuständige
Behörde, Antragsverfahren" - oder gegebenenfalls auch als nähere Ausgestaltung der
persönlichen Leistungsvoraussetzungen noch dem Regelungsprogramm des § 12 Abs.
6 Satz 1 PfG NRW F. 2003 unterfiel, lag jedenfalls insoweit eine Abweichung von der
soeben dargestellten gesetzlichen Normierung vor, als für einen Teil der Leistungsfälle
eine andere als die in § 12 Abs. 2 Satz 1 PfG NRW F. 2003 ausdrücklich vorgesehene
Zuständigkeit und damit auch Kostenverantwortung begründet werden sollte. Eine
derartige Abweichung vom Gesetz kann nicht mehr als "nähere Regelung" in
Anlehnung an die gesetzlich fixierten Vorgaben, sondern nur als eine die Befugnisse
des Verordnungsgebers überschreitende Korrektur des Gesetzes betrachtet werden, die
wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht zur Nichtigkeit des § 6 Abs. 1 Satz 4
PflFEinrVO führt (vgl. Art. 70 der Verfassung des Landes Nordrhein- Westfalen). Die bei
den Beratungen zur PflFEinrVO geäußerte Einschätzung, dass "der Wille des
Gesetzgebers ... nicht eingehalten" würde, wenn für Heimbewohner, die vor Heimeintritt
außerhalb des Landes Nordrhein-Westfalen gewohnt haben, "die örtliche Zuständigkeit
wie bisher über § 97 Absatz 2 BSHG bestimmt" werde, postuliert einen
gesetzgeberischen Willen, der - trotz vorhandenen Problembewusstseins, wie unter
anderem die oben wiedergegebene Äußerung des Abgeordneten Scheffler belegt - im
Gesetzgebungsverfahren des Jahres 2003 und insbesondere in der schließlich
beschlossenen Gesetzesfassung gerade keinen Niederschlag gefunden hat.
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Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die dargestellte Rechtslage für
heimpflegebedürftige Personen, die vordem in einem anderen Bundesland als
Nordrhein-Westfalen ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten und nicht zur Tragung der
Heimpflegekosten einschließlich des auf investive Kosten entfallenden Anteils imstande
sind, nicht die sozialpolitisch bedenkliche Folge eines aus finanziellen Gründen
erzwungenen Heimwechsels nach sich ziehen muss. Es ist vielmehr davon
auszugehen, dass der die finanziellen Möglichkeiten des Pflegebedürftigen
übersteigende Teil der Heimpflegekosten als ergänzende Hilfe zur Pflege nach dem
Bundessozialhilfegesetz bei dem gemäß § 97 Abs. 2 BSHG zuständigen
Sozialhilfeträger geltend gemacht werden kann.
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Auch die sonstigen Rücknahmevoraussetzungen nach § 45 SGB X sowie die
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Voraussetzungen für die Rückforderung des Pflegewohngeldes für den Monat Juni 2003
sind gegeben. Soweit die Klägerin den Rücknahme- und Rückforderungsbescheid als
zu unbestimmt ansieht, kann dem nicht gefolgt werden. Die Bezugnahme auf den
(letzten) Pflegewohngeld-Bewilligungsbescheid "für die Zeit ab 01.06.2003" ist
eindeutig. Die Klägerin vermag auch nicht darzutun, inwieweit die sprachliche Fassung
des angefochtenen Bescheides bei ihr Unsicherheit über den Umfang der
Rücknahmeentscheidung hervorgerufen haben könnte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über deren
vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO iVm den §§ 708 Nr. 10 und 711 ZPO.
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Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht gegeben sind. Insbesondere fehlt es im Hinblick auf revisibles Recht (§ 137 Abs. 1
VwGO) an einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1 und 52 Abs. 3 GKG und
berücksichtigt die Höhe der von den angefochtenen Bescheiden erfassten Leistungen
im Zeitraum vom 1. Juni bis zum 31. Dezember 2003.
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