Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 19.12.2007

OVG NRW: arzneimittel, vergleich, erfahrung, apotheker, bestandteil, dosierung, vorbeugung, konzentration, zusammensetzung, tatsachenfeststellung

Oberverwaltungsgericht NRW, 13 A 1178/05
Datum:
19.12.2007
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 A 1178/05
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 24 K 7772/01
Tenor:
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil
des Verwaltungsgerichts Köln vom 16. Februar 2005 wird auf Kosten der
Klägerin zurückgewiesen.
Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 5.000 EUR festgesetzt.
G r ü n d e:
1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Die von der Klägerin geltend
gemachten Zulassungsgründe, die gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nur im Rahmen
der fristgerechten Darlegungen zu prüfen sind, liegen nicht vor.
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Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124
Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Bei diesem Zulassungsgrund, der die Einzelfallgerechtigkeit
gewährleistet und ermöglichen soll, unbillige oder grob ungerechte Entscheidungen zu
korrigieren, kommt es nicht darauf an, ob die angefochtene Entscheidung in allen
Punkten der Begründung richtig ist, sondern nur darauf, ob ernstliche Zweifel im
Hinblick auf das Ergebnis der Entscheidung bestehen. Ernstliche Zweifel sind dabei
anzunehmen, wenn gegen die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung
nach summarischer Prüfung gewichtige Gesichtspunkte sprechen, d. h., wenn ein
einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung in der
angefochtenen Gerichtsentscheidung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage
gestellt wird.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2000 - 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, 1163;
BVerwG, Beschluss vom 10. März 2004 - 7 AV 4.03 -, DVBl. 2004, 838; OVG NRW,
Beschlüsse vom 31. August 2007 - 13 A 108/07 - und vom 13. August 2007 - 13 A
1067/07 -.
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Dies ist nicht der Fall. Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die
Bezeichnung "Forte" für das als Arzneimittel in den Verkehr gebrachte Präparat
irreführend im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AMG ist. Sie ist irreführend, weil sie
geeignet ist, bei einem beachtlichen Teil des angesprochenen Verkehrskreises
unrichtige Verbrauchererwartungen über wesentliche Eigenschaften des Arzneimittels
zu wecken.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 23. Mai 2007- 13 A 3657/04 -, juris; Kloesel/Cyran,
Arzneimittelrecht, Kommentar, Stand Okt. 2007, § 8 AMG, Anm. 22); Sander,
Arzneimittelrecht, Kommentar, Stand Oktober 2007, § 8 AMG, Anm. 5);
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Abzustellen ist - wie auch sonst im Arzneimittelrecht - auf das Verständnis eines
durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbrauchers.
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Vgl. BGH, Urteil vom 21. Juli 2005 - I ZR 94/02 -, LRE 52, 302; OVG Berlin-
Brandenburg, Urteil
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vom 21. September 2006 - 5 B 12.05 -, Pharma Recht 2007, 54; OLG Hamburg, Urteil
vom
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3. Februar 2005 - 3 U 212/03 -, juris.
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Die streitgegenständliche Bezeichnung richtet sich nicht nur an fachlich informierte
Kreise, wie Apotheker und Ärzte, sondern an das allgemeine Publikum, da das
streitgegenständliche Produkt in Apotheken, aber auch in Drogeriemärkten und
Lebensmittelfilialen frei verkäuflich und für jedermann zur Selbstmedikation angeboten
wird.
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Anders als Ärzte und Apotheker, die sich von Berufs wegen bereits fachlich vollständig
über die Eigenschaften des Arzneimittels informieren und sich nicht vorrangig an der
Bezeichnung des Präparats orientieren, sondern ihr Augenmerk auf Angaben zur Art
des Arzneimittels, zu den in ihm enthaltenen Wirkstoffen, zu ihren Konzentrationen und
ihrer Zusammensetzung richten, misst das nicht fachlich befasste Publikum der
Bezeichnung eine besondere Bedeutung zu. Mangels anderweitiger umfassender
Informationsmöglichkeiten und fehlender fachlicher Verkaufsberatung stellt die
Bezeichnung bei frei verkäuflichen Arzneimitteln eine für die Kaufentscheidung
maßgebliche Informationsquelle dar. Dies rechtfertigt es, hinsichtlich der Anforderungen
der Bezeichnung an Wahrheit, Eindeutigkeit und Klarheit einen strengen Maßstab
anzulegen.
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Vgl. insoweit auch OVG NRW, Urteil vom 23. Mai 2007 - 13 A 3657/04 -, a.a.O.
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Der angesprochene Verkehrskreis wird, was der Senat aus eigener Anschauung und
Erfahrung beurteilen kann, weil seine Mitglieder zu dem allgemeinen Publikum gehören,
dem Bezeichnungszusatz "Forte" anders als die Klägerin meint, nicht nur einen
unspezifischen Bedeutungsgehalt in dem Sinne beimessen, dass zwischen
Arzneimitteln ein irgendwie gearteter Unterschied besteht. Den das Arzneimittel als
"stark" hervorhebenden Zusatz wird dieser vielmehr mit der für die Kaufentscheidung
wesentlichen Erwartung verbinden, dass es einen hohen Wirkstoffgehalt, namentlich
eine erhöhte Menge oder Konzentration arzneilich wirksamer Bestandteile gegenüber
dem Basispräparat oder sonstigen Präparaten mit gleichem Wirkstoff enthält.
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Vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 19. September 1991 - 2 U 59/91 -, Pharma Recht 1992,
146; Sander, a.a.O., § 8 AMG, Anm. 5) f.; Kloesel/Cyran, a.a.O., § 8 AMG, Anm. 22); vgl.
demgegenüber OLG Hamburg, Urteil vom 12. Juli 2007 - 3 U 39/07 -, juris, zur
Verwendung des Zusatzes "forte" gegenüber Fachpublikum.
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Die im Vergleich zu anderen Präparaten erfolgte Höherdosierung des Präparats wird
der angesprochene Verkehrskreis - schon weil die Höherdosierung ansonsten sinnlos
wäre - mit der Vorstellung einer im Vergleich zum Basismedikament oder zum
Alternativpräparat bestehenden besonderen Wirksamkeit und Nützlichkeit verbinden.
Hiervon dürfte auch die Klägerin ausgehen, da sie den von der Beklagten
zugestandenen und auf die erhöhte Dosis hinweisenden Bezeichnungszusatz "350 mg"
als nicht ausreichend erachtet und dem Zusatz "Forte" offensichtlich eine darüber hin-
ausgehende absatzfördernde Aussagekraft beimisst.
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Für die Beurteilung der Irreführungsgefahr unerheblich ist, ob das Arzneimittel nach § 21
AMG oder nach §§ 105, 109 a AMG zugelassen wurde, da nicht zu erwarten ist, dass
der angesprochene Verkehrskreis mit den Modalitäten der Arzneimittelzulassung
vertraut ist. Die Erwartung einer wegen des Zusatzes "Forte" geweckten stärkeren
Wirksamkeit entfällt letztlich auch nicht wegen des Hinweises "Traditionell
angewendet... . Diese Angaben beruhen ausschließlich auf Überlieferung und
langjähriger Erfahrung". Zwar mag dieser Hinweis geeignet sein, die Vorstellung
auszuräumen, dass die besondere Wirksamkeit bezogen auf das Anwendungsgebiet
auf wissenschaftlicher Basis überprüft wurde. Der Hinweis legt aber die Annahme nahe,
dass die behauptete besondere Stärke und Wirksamkeit zumindest durch Überlieferung
und langjährige Erfahrung belegt werden kann und durch die bei Arzneimitteln
erforderliche behördliche Zulassung gedeckt ist.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 23. Mai 2007 - 13 A 3657/04 -, a.a.O.
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Das streitgegenständliche Arzneimittel enthält zwar nach den Angaben der Klägerin den
arzneilich wirksamen Bestandteil Kieselerde in einer Dosierung von 350 mg pro Kapsel,
wohingegen ihr Präparat "L. D. " mit 104 mg wesentlich weniger L. enthält und auch
Vergleichspräparate nach Angaben der Klägerin regelmäßig weniger stark dosiert sind.
Eine die Höherdosierung rechtfertigende besondere Wirksamkeit bezogen auf das
Anwendungsgebiet "Zur Vorbeugung von brüchigen Fingernägeln und Haaren, zur
Kräftigung des Bindegewebes" wurde aber nicht nachgewiesen. Ob ein Nachweis
möglich gewesen wäre, kann letztlich dahinstehen, weil die Klägerin im vorliegenden
Verfahren zwar die Wirksamkeit ihres Produkts allgemein, nicht aber eine die
Bezeichnung "Forte" rechtfertigende verstärkte Wirksamkeit ihres Präparats im
Vergleich zum Basispräparat oder sonstigen Präparaten mit gleichem Wirkstoff
behauptet hat.
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Der Hinweis der Klägerin auf andere Arzneimittel mit dem Bezeichnungszusatz "Forte"
vermag dem Begehren ebenfalls nicht zum Erfolg zu verhelfen. Die Beklagte hat die den
Bezeichnungszusatz "Forte" rechtfertigenden Umstände im Schriftsatz vom 12.
Dezember 2005 dargelegt. Soweit die Verwaltungspraxis der Klägerin sich im Einzelfall
als rechtswidrig erweisen sollte, könnte die Klägerin hieraus zu ihren Gunsten nichts
herleiten.
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Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt ebenfalls nicht vor. Die
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Rechtssache weist keine tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf, die das
Normalmaß vergleichbarer Streitigkeiten übersteigen. Grundsätzlich klärungsbedürftige
Sach- oder Rechtsfragen, deretwegen es der Durchführung eines Berufungsverfahrens
bedürfte, wirft der vorliegende Sachverhalt gleichfalls nicht auf, sodass auch der geltend
gemachte Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht vorliegt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung für das
Berufungszulassungsverfahren beruht auf §§ 52 Abs. 2, 47 Abs. 1 Satz 1 und 3 GKG.
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Der Beschluss ist unanfechtbar.
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