Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 15.09.2003

OVG NRW (markt, produkt, verwaltungsgericht, wahrscheinlichkeit, gegenstand, umstand, kunde, leistung, beurteilung, abgrenzung)

Oberverwaltungsgericht NRW, 13 B 805/03
Datum:
15.09.2003
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 B 805/03
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 1 L 353/03
Tenor:
Die Beschwerde wird auf Kosten der Antragsgegnerin zurückgewiesen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 250.000,--
EUR festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
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Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung
der Klage 1 K 114/03 VG Köln gegen den Bescheid der Regulierungsbehörde vom 9.
Dezember 2002 - BK 2 f 02-023 - zu Recht stattgegeben, weil auch aus Sicht des
Senats der angefochtene Bescheid bei der in der vorliegenden Verfahrensart nur
möglichen summarischen Beurteilung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einer
Prüfung im Hauptsacheverfahren nicht standhalten wird und deshalb die Abwägung der
widerstreitenden Interessen zu Gunsten der Antragstellerin ausfällt.
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Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass die
Voraussetzungen für den angefochtenen Bescheid - soweit er Gegenstand des
vorliegenden Verfahrens ist - nach § 30 Abs. 4 i.V.m. § 25 Abs. 2 TKG, nämlich eine
marktbeherrschende Stellung der Antragstellerin auf dem relevanten Markt, nicht
festgestellt sei; relevanter Markt sei ausgehend vom Bedarfsmarktkonzept nicht, wie im
angefochtenen Bescheid angenommen, derjenige des Sprachtelefondienstes, sondern
im Ergebnis derjenige der sprachorientierten Systemlösungen für geschlossene
Benutzergruppen. Bei der im vorliegenden Verfahren nur möglichen Prüfungsdichte
spricht eindeutig mehr für die Richtigkeit dieses entscheidungstragenden Ansatzes.
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Nach dem Bedarfsmarktkonzept ist für die Frage der Zuordnung eines Produkts - hier
die sprachorientierte Systemlösung "TDN KommBW" - zu einem von der Behörde in den
Blick genommenen Markt - hier einem einheitlichen Markt des Sprachtelefondienstes -
maßgeblich darauf abzustellen, ob das Produkt aus der Sicht des Abnehmers/Kunden
unter Berücksichtigung seiner Eigenschaft, seines Verwendungszwecks und der
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Preislage zur Deckung eines bestimmten Bedarfs durch andere Produkte dieses
Marktes austauschbar ist. Ist das nicht der Fall, ist das betreffende Produkt einem
anderen Markt zuzuordnen. Die so vorzunehmende Abgrenzung des relevanten Marktes
durch Ermittlung der Einschätzung der Produktaustauschbarkeit durch den Abnehmer
kann nur anhand von zu einem Gesamtbild führenden indiziellen Erwägungen und
Vermutungen erfolgen und ist daher in Randbereichen notwendigerweise fließend.
Bei den gegenwärtigen Erkenntnisquellen des Senats verdichtet sich ein Gesamtbild
dahin, dass von der Antragstellerin unter dem Begriff der sprachorientierten
Systemlösungen angebotene Produkte aus Kundenperspektive nicht gegen die
allgemeinen Produkte des Sprachtelefondienstleistungsmarktes adäquat austauschbar
sind. Dabei kommt dem Umstand besondere Bedeutung zu, dass ein solches Produkt
ein auf den Kunden individuell ausgelegtes Bündel verschiedener Leistungen ist. Ein so
zugeschnittenes Produkt findet sich unter den allgemeinen Produkten des
Sprachtelefondienstes nicht. Zwar lassen sich aus dem Bündel einige Leistungen
herausgreifen, die auch als allgemeine Leistungen des Sprachtelefondienstes und
eventuell auch gebündelt mit anderen Leistungen erhältlich sind, doch weisen sie nicht
die Besonderheit und Leistungsbreite auf, die für den Abnehmer von besonderem Wert
sind und weshalb er sich gerade mit Rücksicht auf bestimmte Effekte oder
Verwendungszwecke nur für die Systemlösung entscheidet. Vor dem Hintergrund ist
nicht allein entscheidend für die Austauschbarkeit aus Kundensicht die bei beiden
Produkten im Mittelpunkt stehende Sprachkommunikation.
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Die Antragstellerin hat im Laufe des Verfahrens glaubhaft aufgezeigt, dass die
Systemlösung für geschlossene Benutzergruppen eine größere Leistungsbreite, weitere
Verwendbarkeit und einen höheren Nutzeffekt für den Abnehmer aufweist als etwa das
insoweit in Betracht kommende allgemeine Sprachtelefondienstleistungsprodukt
BusinessCall. Sie hat überdies glaubhaft gemacht, dass die Leistung der
sprachorientierten Systemlösung technisch anders vonstatten geht als die Leistungen
des allgemeinen Sprachtelefondienstes. Unter Berücksichtigung dessen wird ein Kunde
das Paket der sprachorientierten Systemlösung vermutlich als ein "aliud" zu den
allgemeinen Produkten des Sprachtelefondienstes ansehen, das deshalb gegen
letzteres nicht austauschbar ist.
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Bestärkt wird dies durch die Erwägung, dass der Kunde sich für eine Systemlösung der
hier zu betrachtenden Art regelmäßig gerade deshalb entscheidet, weil sie im Vergleich
zu Produkten des allgemeinen Sprachtelefondienstes Personal erspart oder freisetzt
und eine intensivere Sprachkommunikation erlaubt sowie verzögerungsfreie Abläufe
erwarten lässt. Diese durch allgemeine Sprachtelefondienstleistungen nicht erzielbaren
zu einem Gesamterfolg geschnürten Effekte lassen aus Kundensicht einen Austausch
des hier zu betrachtenden Produkts durch solche des Sprachtelefondienstmarktes nicht
in Betracht kommen. Das gilt umso mehr, als sich für den Kunden die Preisgestaltung für
eine Systemlösung der hier zu betrachtenden Art als weitaus günstiger erweist als
möglicherweise in Betracht zu ziehende allgemeine Sprachtelefondienstleistungen. Für
den mit dem hier zu betrachtenden Produkt gezielt angesprochenen informierten
Kunden wird daher schon auf Grund des Preis-Leistungs-Verhältnisses eine
Austauschbarkeit gegen allgemeine Sprachtelefondienstleistungen nicht in Frage
stehen. Dieser Eindruck der Nichtaustauschbarkeit aus Kundensicht wird bestärkt durch
den Umstand der Ausschreibung von sprachorientierten Systemlösungen. Die unter
Beachtung der Ausschreibungsvorgaben eingehenden Angebote sind aus
Abnehmersicht in Prinzip austauschbar und daher demselben Markt zuzuordnen; mit
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ihnen sind vorgabeninkonforme, ausschreibungsfreie Angebote im Prinzip nicht
austauschbar. In Anwendung des Bedarfsmarktskonzepts ist dies jedenfalls ein Indiz für
eine Abgrenzung zwischen einer ausschreibungsgebundenen und einer ein
substanzielles "aliud" darstellenden ausschreibungsfreien Leistung.
Abgerundet wird das sich so zusammenfügende Gesamtbild durch die Entwicklung der
Sprachkommunikationsdienstleistungen für geschlossene Benutzergruppen, die noch
vor der Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes etwa 1994 eingesetzt hat und
einen vom Sprachtelefondienst losgelösten Verlauf bis hin zu einem funktionierenden
Wettbewerb genommen hat. Diese Sachlage sowie die erkennbare Vorstellung des
Gesetzgebers, dass es neben Sprachtelekommunikationsdienstleistungen für die
Öffentlichkeit (§ 3 Nr. 19 TKG) auch solche für von dieser sich abhebende geschlossene
Benutzergruppen gibt, vermittelt unabhängig von der Frage nach der Austauschbarkeit
der Leistungen aus Abnehmersicht gemäß dem Bedarfsmarktkonzept auch einem
objektiven Dritten den Eindruck, dass der Markt der sprachorientierten Systemlösungen
für geschlossene Benutzergruppen von dem des allgemeinen Sprachtelefondienstes
abgesetzt ist und demgemäß einer gegenüber diesem gesonderten Beurteilung
unterliegt. Wäre das hier zu betrachtende Produkt der Systemlösung für eine
geschlossene Benutzergruppe dem Sprachtelefondienstmarkt zuzuordnen, müsste es
auch für den "normalen" Endkunden als Alternative für seinen Anschluss in Betracht
kommen. Das dürfte aber nicht der Fall sein.
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Zeichnet sich somit gegenwärtig mit überwiegender Wahrscheinlichkeit das Gesamtbild
eines für den vorliegenden Regulierungsstreit relevanten Marktes der sprachorientierten
Systemlösungen für geschlossene Benutzergruppen ab und ist diesbezüglich eine
marktbeherrschende Stellung der Antragstellerin weder von der Antragsgegnerin
festgestellt noch dem Senat sonst ersichtlich, fehlt die wesentliche Voraussetzung für
die Regelungen des angefochtenen Bescheids, soweit sie Gegenstand des
vorliegenden Verfahrens sind.
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Auf die sonstigen Angriffe der Antragstellerin - insbesondere auf die Bedenken gegen
eine Beeinträchtigung der Wettbewerbsmöglichkeiten und eine fehlende sachliche
Rechtfertigung sowie gegen eine Gebundenheit der Entscheidung nach §§ 30 Abs. 5
Satz 2, 29 Abs. 2 Satz 2 TKG - kommt es nicht an.
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