Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 08.12.2000

OVG NRW: sri lanka, politische verfolgung, wahrscheinlichkeit, amnesty international, unhcr, zahl, gefahr, staatliche verfolgung, regierung, verdacht

Oberverwaltungsgericht NRW, 21 A 3962/96.A
Datum:
08.12.2000
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
21. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
21 A 3962/96.A
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 18 K 10403/92.A
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Der im Jahre 1973 geborene Kläger ist srilankischer Staatsangehöriger tamilischer
Volkszugehörigkeit. Eigenen Angaben zufolge verließ er Sri Lanka am 27. Juli 1989 mit
einem in Colombo ausgestellten Reisepass auf dem Luftweg und reiste am 2. August
1989 aus Sofia kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 25. Oktober 1989
stellte er einen Asylantrag. Er machte schriftlich geltend: Bis zum Jahre 1989 sei seine
Kindheit, abgesehen von den Begleiterscheinungen des Bürgerkriegs, normal verlaufen.
Mit Beginn des Jahres 1989 sei er immer häufiger auf der Straße von indischen
Soldaten festgehalten und geschlagen und nach einer Zugehörigkeit zu den "Tigers"
befragt worden. Diesen Zugriffen habe er nicht entgehen können, weil sein Elternhaus
in unmittelbarer Nachbarschaft eines Armeecamps gelegen habe. Aus Angst vor diesen
Repressalien, die er so häufig erlebt habe, dass er sich an einzelne Vorfälle nicht mehr
erinnern könne, sei er ab Mai 1989 immer häufiger der Schule ferngeblieben. Mitte Juni
1989 sei er mit einigen anderen Jungen festgenommen, auf einem Marktplatz neben
dem Camp festgehalten und der Reihe nach zu einer Tätigkeit für die "Tigers" befragt
worden, bis sie nach Einbruch der Dunkelheit freigelassen worden seien. Aus Furcht,
beim nächsten Mal inhaftiert oder sogar getötet zu werden, hätten seine Eltern
beschlossen, ihn nach Deutschland zu einem Bruder zu schicken. Drei Tage nach dem
Vorfall sei er nach Colombo gereist, habe dort mit Hilfe eines Verwandten die
erforderlichen Dokumente beschafft und sei dann mit dem Flugzeug über Sofia nach
Deutschland gereist.
2
In der Zeit von März 1991 bis April/Mai 1992 hielt sich der Kläger bei Verwandten in
Italien auf; einer Ladung zur Anhörung beim Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) kam er nicht nach. Mit Zuweisungsbescheid
vom 4. April 1991 wurde der Kläger, der sich zunächst in Wuppertal aufgehalten hatte,
der Stadt Duisburg zugewiesen.
3
Mit Bescheid vom 13. April 1992 lehnte das Bundesamt das Asylbegehren des Klägers
ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Ausländergesetz (AuslG)
nicht vorliegen. Das Bundesamt übersandte diesen Bescheid zum Zwecke der
Zustellung an die Ausländerbehörde in Wuppertal. Nach Weiterleitung an die
Ausländerbehörde in Duisburg wurde der Bescheid des Bundesamtes dem - seinerzeit
bereits anwaltlich vertretenen - Kläger am 30. Oktober 1992 gegen Empfangsbekenntnis
persönlich ausgehändigt.
4
Der Kläger hat am 11. Dezember 1992 Klage erhoben. Zu seinen Erlebnissen vor der
Ausreise aus Sri Lanka hat er geltend gemacht: Bis zu seiner Ausreise habe er in
Karaveddy in der Nähe von Jaffna gelebt. Er habe bis 1989 die Schule besucht; diese
sei dann zerstört worden. Obwohl er keinen Kontakt zu den "Tigers" gehabt habe, sei er
in der Folgezeit mehrmals von indischen Soldaten angehalten und geschlagen worden,
wohl wegen des Verdachts, den "Tigers" anzugehören. Dies sei auch in seinem
Elternhaus geschehen. Anfang Juni 1989 sei er von indischen Soldaten zu einem Camp
in Mantiye nahe Jaffna mitgenommen und dort zwei Tage festgehalten worden. Hierbei
sei er geschlagen und gefoltert worden. Mitte Juni 1989 sei er erneut mitgenommen, zu
einem Marktplatz in der Nähe des Camps Kalikay gebracht und dort verhört worden.
Nach dem Verhör, das unter anderem seiner Tätigkeit für die "Tiger" gegolten habe, sei
er freigelassen worden. Da er befürchtet habe, erneut verhaftet und diesmal länger
inhaftiert oder getötet zu werden, sei er auf den Rat seiner Eltern hin nach Colombo
gegangen und nach kurzem Aufenthalt ausgereist.
5
Durch das angefochtene Urteil hat das Verwaltungsgericht die Beklagte dem
erstinstanzlich gestellten Hauptantrag des Klägers entsprechend unter Aufhebung des
Bescheides des Bundesamtes vom 13. April 1992 verpflichtet, den Kläger als
Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass bei ihm die Voraussetzungen
des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen.
6
Auf den nach Zustellung des Urteils am 22. Juli 1996 gestellten Antrag des Beteiligten
vom 29. Juli 1996 hat der Senat durch Beschluss vom 20. November 1996 die Berufung
zugelassen für den Antrag,
7
das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
8
Die Beklagte hat im Berufungsverfahren keinen Antrag gestellt.
9
Der Kläger beantragt,
10
die Berufung zurückzuweisen.
11
Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 8. Dezember 2000
ergänzend zu seinen Asylgründen befragt. Insoweit wird auf das Protokoll der
mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
12
Die Erkenntnisse und Unterlagen, auf die die Beteiligten mit der Ladungsverfügung vom
13. Oktober 2000 sowie der Verfügung vom 7. November 2000 hingewiesen worden
sind (vgl. die dem Urteil als Anlage beigefügte "Erkenntnisliste Sri Lanka" [Stand
07.11.2000]) sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und der
Ausländerbehörde verwiesen.
13
Entscheidungsgründe:
14
Die Berufung des Beteiligten ist begründet und führt zur Abweisung der Klage. Diese ist
auf die Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16a GG, auf die Verpflichtung der
Beklagten zur Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und, hilfsweise,
wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich auch
bestätigt hat, auf die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung von
Abschiebungshindernissen i.S.v. § 53 Abs. 1, Abs. 4 oder Abs. 6 Satz 1 AuslG gerichtet.
Durch das Rechtsmittel des Beteiligten gegen die erstinstanzliche Verurteilung nach
dem Hauptantrag ist der Hilfsantrag hinsichtlich des Abschiebungsschutzes nach § 53
AuslG - und zwar ohne weiteres - in der Berufungsinstanz angefallen.
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Vgl. zur hilfsweisen Einbeziehung des Begehrens zu § 53 AuslG in das
Berufungsverfahren nach erstinstanzlicher Klagestattgabe BVerwG, Urteil vom 15. April
1997 - 9 C 19.96 -, BVerwGE 104, 260 (263) sowie Beschlüsse vom 21. Januar 2000 - 9
B 589.99 - und vom 17. März 2000 - 9 B 29.00.
16
Die Klage ist zulässig, namentlich aus den bereits vom Verwaltungsgericht angeführten
Gründen nicht verfristet. Sie ist jedoch sowohl mit ihrem Haupt- als auch mit ihrem
Hilfsantrag unbegründet.
17
A. Art. 16 a GG und § 51 Abs. 1 AuslG
18
Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art.
16a GG noch auf die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG
vorliegen.
19
I. Ausschluss des Asylanspruchs nach § 26a oder § 27 AsylVfG
20
Allerdings ist dem Verwaltungsgericht aus den in dem angefochtenen Urteil angeführten
Gründen darin beizupflichten, dass einer Asylanerkennung des Klägers die Regelung
des § 26a AsylVfG schon wegen des Zeitpunktes des Asylantrages nicht entgegensteht.
Ferner kann offen bleiben, welche Auswirkungen der mehr als einjährige Aufenthalt des
Klägers vonm März 1991 bis April/Mai 1992 in Italien nach § 27 AsylVfG auf einen
eventuellen Asylanspruch haben könnte und welche Bedeutung eventuellen
asylerheblichen Änderungen der Verhältnisse in Sri Lanka nach Beendigung dieses
Aufenthalts insofern zukäme.
21
II. Politische Verfolgung
22
Zu dem für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen
Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) liegen die materiellen
Voraussetzungen weder für eine Asylanerkennung des Klägers noch für die
23
Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vor.
Wegen der für die Beurteilung des Begehrens maßgeblichen Ansatzpunkte und
Kriterien wird auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Juli 1989 - 2
BvR 502, 1000, 961/86 - (BVerfGE 80, 315) verwiesen. Die dort unter B I für die
Asylberechtigung dargestellten rechtlichen Grundsätze gelten, soweit vorliegend
relevant, auch für die Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG.
24
Vgl. zur Deckungsgleichheit von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG a.F. = Art. 16 a Abs. 1 GG und
§ 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Verfolgungshandlung, des geschützten Rechtsguts
und des politischen Charakters der Verfolgung BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1992 - 9
C 59.91 -, NVwZ 1992, 892, sowie zur Deckungsgleichheit des politischen Charakters
bei Art. 16 a Abs. 1 GG, § 51 Abs. 1 AuslG und bei Art. 1 A Nr. 2, Art. 33 Genfer
Konvention (GK) BVerwG, Urteil vom 18. Januar 1994 - 9 C 48.92 -, NVwZ 1994, 497,
498 f.
25
Für die Beurteilung, ob der Kläger politisch Verfolgter ist, ist nicht darauf abzustellen, ob
er bei Rückkehr in sein Heimatland vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist,
sondern darauf, ob ihm politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht,
denn er ist nicht wegen bestehender oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung
ausgereist; mithin kommen nur Nachfluchttatbestände in Betracht.
26
Vgl. zu den Maßstäben BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989, a.a.O., S. 344 und
BVerwG, Urteil vom 23. Juli 1991 - 9 C 145.90 -, BVerwGE 88, 367, 369 m.w.N.; zur
Übereinstimmung der Maßstäbe nach Art. 16 a Abs. 1 GG, § 51 Abs. 1 AuslG und Art. 1
A Nr. 2 GK in der praktischen Rechtsanwendung vgl. BVerwG, Urteile vom 26. Oktober
1993 - 9 C 50.92 u.a. -, NVwZ 1994, 500, und vom 18. Januar 1994 - 9 C 48.92 -, a.a.O.
27
1. Vorverfolgung
28
Aus dem Vorbringen des Klägers ergibt sich nicht, dass er Sri Lanka aus einer
ausweglosen Lage unter dem Druck erlittener oder unmittelbar drohender politischer
Verfolgung verlassen hat.
29
Bei der Prüfung und Beurteilung erlittener oder unmittelbar drohender Vorverfolgung ist
entscheidend auf das Vorbringen der Asylbewerber abzustellen. Da sie allein die
bestimmenden Gründe für das Verlassen ihres Herkunftslandes kennen, obliegt es
ihnen, die tatsächliche Grundlage für eine politische Verfolgung selbst in schlüssiger
Form vorzutragen. Dabei haben sie bezüglich der in ihre eigene Sphäre fallenden
Umstände, insbesondere ihrer persönlichen Erlebnisse, unter Angabe genauer
Einzelheiten eine in sich stimmige Sachverhaltsschilderung zu geben, während
hinsichtlich der allgemeinen Umstände im Herkunftsland eine Darstellung von
Tatsachen genügt, aus denen sich die nicht entfernt liegende Möglichkeit politischer
Verfolgung ergibt.
30
Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. November 1982 - 9 C 74.81 -, Buchholz 402.24 § 28 AuslG
Nr. 42, Beschluss vom 26. Oktober 1989 - 9 B 405.89 -, Buchholz 310 § 86 Abs. 1
VwGO Nr. 212, ferner zur Verfassungsmäßigkeit der Substantiierungslast BVerfG,
Beschluss vom 23. Dezember 1985 - 2 BvR 1063/84 -, NVwZ 1987, 487.
31
Die Repressalien, denen der Kläger in seiner Heimatregion auf der Jaffna- Halbinsel
32
von Seiten indischer Soldaten ausgesetzt war, sind - soweit der Senat dem klägerischen
Vorbringen Glauben zu schenken vermag - nicht als Akte politischer Verfolgung zu
qualifizieren.
Soweit der Kläger behauptet, er sei Anfang Juni 1989 von indischen Soldaten
festgenommen, zwei Tage lang in einem Militärcamp fest gehalten und dabei
misshandelt worden, ist dieses Vorbringen nicht glaubhaft. Bei seiner gegenüber dem
Bundesamt abgegebenen schriftlichen Stellungnahme zu seinen Asylgründen vom 20.
September 1990 wusste der Kläger von dieser Inhaftierung und den während ihrer
Dauer angeblich erlittenen Misshandlungen nichts zu berichten. Demgegenüber verhält
sich die Stellungnahme ausführlich zu den Schwierigkeiten des Klägers mit indischen
Soldaten und geht in diesem Zusammenhang insbesondere auch auf die Festnahme
und das Verhör von Mitte Juni 1989 ein. Da diese Stellungnahme dem Bundesamt, das
zunächst angekündigt hatte, auf eine persönliche Anhörung des Klägers zu verzichten,
ersichtlich als abschließende Erklärung des Klägers zu seinen Asylgründen übersandt
wurde, spricht alles dafür, dass er hiermit eine umfassende und vollständige Darstellung
seiner fluchtauslösenden Erlebnisse mit den indischen Soldaten vor seiner Ausreise
gegeben hat. Dies und der Umstand, dass der Kläger den Vorfall von Mitte Juni 1989,
der gegenüber dem angeblichen Geschehen von Anfang Juni mit wesentlich geringeren
Beeinträchtigungen verbunden war, als die Flucht aus der Region innerhalb nur dreier
Tage unmittelbar auslösend darstellte, weckt durchgreifende Zweifel daran, dass seiner
im Klage- und Berufungsverfahren gegebenen Darstellung ein tatsächlich erlebtes
Geschehen zugrundeliegt.
33
Diese Zweifel an seiner Darstellung hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor
dem Senat am 8. Dezember 2000 nicht zu zerstreuen vermocht. Die vom Kläger dafür,
dass er den Vorfall Anfang Juni 1989 nicht bereits im Asylverfahren erwähnt hat, - allein
- gegebene Erklärung, er habe nicht gewusst, was er hätte berichten sollen und er sei
nervös gewesen, ist weder plausibel noch nachvollziehbar. Sie reicht bereits deshalb
nicht aus, weil diese Umstände ihn offenbar nicht hinderten, den ähnlichen, wenngleich
minder gravierenden Vorfall zu schildern, der sich lediglich zwei Wochen später
ereignet hat. Der Hinweis auf seine angebliche Nervosität ist zudem auch deshalb nicht
nachvollziehbar, weil der Kläger die (schriftliche) Stellungnahme zu den Asylgründen
erst geraume Zeit nach seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland abgegeben
hat und er nicht etwa unter dem Eindruck des Fluchtgeschehens oder einer eventuell
bedrängenden Befragungssituation stand. Auch das Lebensalter des Klägers, der bei
Abgabe seiner Stellungnahme immerhin 17 Jahre alt war, ist kein hinreichendes
Argument dafür, dass erst die spätere Darstellung sein Vorfluchtschicksal vollständig
wiedergeben könnte. Schließlich ist auch sonst kein nachvollziehbarer Grund dafür
ersichtlich, dass der Kläger sich bei Einreichung der Klagebegründung - mehr als vier
Jahre nach dem berichteten Geschehen - oder aber in der mündlichen Verhandlung vor
dem Senat - mehr als 11 Jahre nach diesem Ereignis - besser an das Erlebte erinnern
können sollte, als dies bei der Übersendung seiner Erklärung über die Asylgründe - ein
Jahr nach diesem Geschehen - der Fall war.
34
Selbst wenn man demgegenüber davon ausginge, dass die vom Kläger berichteten
Ereignisse von Anfang Juni 1989 sich so oder etwa so zugetragen haben, könnten sie
nicht als politische Verfolgung angesehen werden. Es ist nämlich davon auszugehen,
dass diese durch das damalige Bürgerkriegsgeschehen auf der Jaffna-Halbinsel
geprägt waren und damit aus dem Begriff der politischen Verfolgung hinausfallen. Die
Merkmale für die Annahme politischer Verfolgung in einer Situation offenen
35
Bürgerkriegs (physische Vernichtung nach asylerheblichen Merkmalen bestimmter
Unbeteiligter, physische Vernichtung oder Zerstörung der ethnischen, kulturellen oder
religiösen Identität einer Bevölkerungsgruppe oder blinder Gegenterror),
vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502, 1000, 961/86 -, BVerfGE 80, 315
(340 f.); BVerwG, Urteil vom 30. April 1996 - 9 C 170.95 -, BVerwGE 101, 123 (128),
36
sind ersichtlich nicht gegeben. Insoweit gilt nichts anderes als für die sonstigen,
nachfolgend zu bewertenden Beeinträchtigungen des Klägers durch indische Soldaten.
37
Diese vom Kläger vorgebrachten Beeinträchtigungen durch indische Soldaten in
seinem Heimatort, die er im Laufe des Verwaltungs- und Gerichtsverfahrens
durchgängig und im Wesentlichen widerspruchsfrei geschildertdurchgängig hat, und
von deren Richtigkeit der Senat ausgeht, stellen keine politische Verfolgung dar. Diese
Maßnahmen sind vor dem Hintergrund der in der Heimatregion des Klägers seinerzeit
herrschenden Auseinandersetzungen zwischen den indischen Streitkräften (IPKF) in
Vollzug des indisch-srilankischen Abkommens vom 29. Juli 1987 und der LTTE zu
sehen und danach nicht im Sinne einer politischen Verfolgung geprägt. Der srilankische
Staat hatte dort damals dort keine effektive und umfassende Gebietsgewalt inne. Der
Bürgerkrieg wurde maßgeblich durch das in Sri Lanka stationierte indische Militär mit
militärischen Mitteln um die Rückeroberung bzw. gegen die Loslösung eines Teils des
Staatsgebietes geführt. Obwohl die - nach Vertreibung der übrigen
Bevölkerungsgruppen durch die LTTE dort faktisch allein noch ansässige - tamilische
Zivilbevölkerung durch militärische Aktionen sowie Einschränkungen der Versorgung
und der Zugänglichkeit der Halbinsel Jaffna erheblich beeinträchtigt wurde, war die Art
und Weise der Kampfführung nicht auf die physische Vernichtung von nach
asylerheblichen Merkmalen bestimmten Personen gerichtet, die keinen Widerstand
mehr leisten konnten oder wollten oder am militärischen Geschehen nicht oder nicht
mehr beteiligt waren. Sie erwies sich auch nicht auf Grund sonstiger Umstände als
asylerheblich. Die Aktionen der Sicherheitskräfte zielten trotz ihrer Rücksichtslosigkeit
gegenüber der Zivilbevölkerung ihrer objektiv erkennbar gewordenen Gerichtetheit nach
nicht auf asylerhebliche - namentlich ethnische - Persönlichkeitsmerkmale der Opfer,
sondern betrafen sie wegen der Tatsache der Anwesenheit im umkämpften Gebiet bzw.
zum Zwecke der Ergreifung von LTTE-Kämpfern oder -Unterstützern. Sie dienten
darüberhinaus der Informationsgewinnung über den auch aus dem Umfeld der
tamilischen Zivilbevölkerung heraus operierenden Bürgerkriegsgegner. Der Senat hat
dies wiederholt entschieden (vgl. etwa die Urteile vom 14. Juni 1996 - 21 A 5046/94.A -,
UA S. 10 ff., vom 22. Mai 1996 - 21 A 3519/94.A -, UA S. 6 f., und - 21 A 2664/93.A -, UA
S. 8 ff.). Auf diese beiden zuletzt genannten Entscheidungen, die auf Auskunftsmaterial
aufbauen, das auch in das vorliegende Verfahren eingeführt worden ist und von denen
die beiden zuletzt genannten den Prozessbevollmächtigten des Klägers bekannt sind,
wird wegen der Begründung im Einzelnen Bezug genommen.
38
Von Maßnahmen, die vor diesem Hintergrund militärisch geprägt waren, war der Kläger
betroffen. Seinen Schilderungen ist nicht zu entnehmen, dass die konkret auf ihn
bezogenen Maßnahmen abweichend von der allgemeinen Einschätzung darauf
gerichtet waren, ihn in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale physisch zu vernichten
oder sonst unter den Druck brutaler Gewalt zu setzen. Sie erfüllten damit nicht die
Voraussetzungen, unter denen das Handeln staatlicher Kräfte im Bürgerkrieg trotz
fehlender Gebietsgewalt als politische Verfolgung angesehen werden kann. Das eigene
Vorbringen des Klägers zu den auf eine Betätigung für die LTTE gerichteten
39
Befragungen zeigt vielmehr, dass die Maßnahmen der indischen Soldaten ungeachtet
ihrer partiellen Menschenrechtswidrigkeit bei objektiver Bewertung allein dazu dienten
festzustellen, ob er der bekämpften Organisation angehört oder diese unterstützt, bzw.
dazu, Informationen über den Bürgerkriegsgegner zu beschaffen. Das Vorbringen
verdeutlicht mithin, dass der Zugriff auf den Kläger Teil der Bekämpfung des
Bürgerkriegsgegners war.
Das fehlende Zugriffsinteresse der Sicherheitskräfte zeigt sich auch daran, dass es dem
Kläger problemlos möglich war, seinen Heimatort in Richtung Colombo und sodann Sri
Lanka unter Benutzung seines eigenen Passes zu verlassen. Für die Befürchtung des
Klägers, dass ihn bei einem Verbleiben weitere und schwerwiegendere Zugriffe
betroffen hätten, ergeben sich keine nachvollziehbaren tatsächlichen Anhaltspunkte,
sodass auch nicht von einer Flucht vor unmittelbar drohender politischer Verfolgung
auszugehen ist.
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2. Beachtliche Nachfluchtgründe
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Nachfluchtgründe greifen nicht ein.
42
a) Subjektive Nachfluchtgründe
43
Eine nach dem Verlassen Sri Lankas selbst herbeigeführte Verfolgungsgefahr, die
einen subjektiven Nachfluchtgrund ergeben könnte, ist nicht ersichtlich; insbesondere
gibt die Stellung eines Asylantrags insofern nichts her (Auswärtiges Amt - AA -
19.01.1999 S. 11 und 28.04.2000 S. 23; UNHCR 25.04.1997).
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b) Objektive Nachfluchtgründe
45
Auch ein objektiver, also aus der jetzt gegebenen Situation in Sri Lanka folgender
Nachfluchtgrund liegt nicht vor. Es fehlt dazu an der erforderlichen beachtlichen
Wahrscheinlichkeit einer bei der Rückkehr drohenden Gefahr politischer Verfolgung.
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Die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsmaßnahme ist anzunehmen,
wenn bei der vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung
gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein
größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden
Tatsachen überwiegen.
47
Vgl. BVerwG, Urteile vom 23. Februar 1988 - BVerwG 9 C 32.87 - Buchholz 402.25 § 1
AsylVfG Nr. 80, vom 15. März 1988 - 9 C 278.86 - BVerwGE 79, 143 (150, 151) und vom
5. November 1991 - 9 C 118.90 -, NVwZ 1992, 582 (584) m.w.N..
48
Maßgebend ist in dieser Hinsicht letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Die
Zumutbarkeit bildet das vorrangige qualitative Kriterium, das bei der Beurteilung
anzulegen ist, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr "beachtlich" ist. Entscheidend ist,
ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage
des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den
Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Unzumutbar kann eine Rückkehr in den
Heimatstaat auch dann sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von
weniger als 50 v.H. für Verfolgungsmaßnahmen gegeben ist.
49
Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 5. November 1991 - 9 C 118.90 -, a.a.O., S. 584.
50
In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit von
Verfolgungsmaßnahmen nicht aus.
51
Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 1990 - 9 C 60.89 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG
Nr. 134, S. 262, insoweit in BVerwGE 87, 52 nicht abgedruckt.
52
Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben aber die
Gesamtumstände des Falles die "reale Möglichkeit" einer politischen Verfolgung, wird
auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf
sich nehmen.
53
Vgl. BVerwG. Urteil vom 5. November 1991 - 9 C 118.90 -, a.a.O., 584, unter Berufung
auf U.S. Supreme Court vom 9. März 1987, zitiert bei Hailbronner, Ausländerrecht, 2.
Auflage, S. 791 und sinngemäß wiedergegeben in UNHCR-Zeitschrift "Flüchtlinge",
August 1987, S. 8, 9.
54
Dabei muss freilich beachtet werden, dass nach der ständigen Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts an die Bejahung einer "beachtlichen" Wahrscheinlichkeit
einer drohenden Verfolgungsmaßnahme höhere Anforderungen zu stellen sind, als sie
nach dem so genannten herabgesetzten Wahrscheinlichkeitsmaßstab für die
Verneinung einer "hinreichenden Sicherheit" vor politischer Verfolgung erfüllt sein
müssen.
55
Vgl. einerseits zum Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit u.a. BVerwG, Urteile
vom 26. Oktober 1993 - 9 C 50.92 u.a. -, NVwZ 1994, 500 (501), m.w.N., und vom 18.
Januar 1994 - 9 C 48.92 -, NVwZ 1994, 497 (500) und andererseits zum Maßstab der
"hinreichenden Sicherheit" u.a. BVerwG, Urteile vom 25. September 1984 - 9 C 17.84 -,
BVerwGE 70, 169 (171) und vom 26. März 1985 - 9 C 107.84 -, BVerwGE 71, 175 (178
f.) m.w.N.; Göbel- Zimmermann, in: Huber, Handbuch des Ausländer- und Asylrechts,
Bd. II, B 1 Art. 16a GG Rdnr. 42 m.w.N. (Bearbeitung November 1996).
56
Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände auch die besondere
Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung
einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe
mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der
Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er
in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B.
lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert.
57
Vgl. BVerwG. Urteil vom 5. November 1991 - 9 C 118.90 -, a.a.O., S. 584.
58
Nach diesen Grundsätzen droht dem Kläger im Falle der Rückkehr nach Sri Lanka nicht
mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung.
59
aa) Einreise nach Sri Lanka
60
Die Einreise nach Sri Lanka ist über den Flughafen von Colombo möglich, ohne dass
Rückkehrern bei den eingehenden Personenkontrollen, die insbesondere auch wegen
der Besorgnis des Einschleusens von im Ausland für Anschläge ausgebildeten LTTE-
61
Kadern stattfinden (Keller-Kirchhoff - KK - 24.02.1997 S. 2), mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit Maßnahmen drohen, die als politische Verfolgung zu bewerten
sinddie Voraussetzungen eines Aktes politischer Verfolgung erfüllen. Allein die
Tatsachen des Auslandsaufenthalts und der Anbringung eines Asylbegehrens im
Ausland stellen bei der Einreise keine Anknüpfungspunkte für Übergriffe der
Sicherheitskräfte dar (AA 28.04.2000 S. 23; 19.01.1999 S. 11 und 19, 16.01.1996 S. 9 f.;
UNHCR 25.04.1997). Für Rückkehrer, die im Besitz eines gültigen srilankischen
Reisepasses sind, ist die Einreise in aller Regel unproblematisch (AA 28.04.2000 S.
22).
aaa) Identitätskontrollen
62
Mit einer eingehenderen Überprüfung müssen Rückkehrer rechnen, die - bei Fehlen
eines Reisepasses - lediglich über ein von srilankischen Auslandsvertretungen auf der
Grundlage der (Eigen-)Angaben des Betroffenen zum Zwecke der Einreise
ausgestelltes "emergency certificate" (AA 23.09.1997; KK 02.09.1997; UNHCR --
.07.1998 S. 5) verfügen (AA 28.04.2000 S. 22; amnesty international - ai - 01.03.1999 S.
3). Bei Zweifeln an der Identität, die der Betroffene nicht ausräumen kann, kann es für
die Dauer der Identitätsfeststellung zum Festhalten bzw. zur Festnahme und
Inhaftierung kommen (AA 19.01.1999 S. 20; 28.04.2000 S. 23; 11.07.2000 S. 1). Der
Sachverständige Keller-Kirchhoff schätzt die Lage dahin ein, dass es seit 1998/1999 -
verglichen mit den Jahren zuvor - zu einer "erheblichen Zunahme" von Inhaftierungen
bei der Einreise gekommen ist, wobei nach seinen Feststellungen insbesondere solche
Rückkehrer betroffen sind, die mit "emergency certificates" einreisen, weil bei diesem
Personenkreis davon ausgegangen wird, dass die Ausreise illegal, d.h. mit gefälschten
Papieren stattgefunden hat (KK 18.02.2000 S. 4). Weiter wird davon berichtet, dass seit
dem 1. Januar 2000 von den weltweit etwa 3.000 nach Sri Lanka abgeschobenen
Tamilen etwa 2.000 - darunter mehr als 100 aus Deutschland Abgeschobene - in
Untersuchungshaft genommen worden seien (Busch 02.11.2000 S. 4).
63
Wenn die Personenüberprüfung nicht innerhalb von Stunden oder eines Tages
abgeschlossen werden kann, erfolgt (innerhalb von 24 Stunden) eine Vorführung vor
den örtlich zuständigen Haftrichter in Negombo (Magistrate's Court), der darüber
entscheidet, ob ein weiteres Festhalten durch die Polizei zulässig ist, sei es zum
ausschließlichen Zweck der Personenüberprüfung (AA 28.04.2000 S. 23), sei es wegen
eines Verstoßes gegen die Einreise- oder Ausreisevorschriften (Busch 02.11.2000 S. 4)
oder aus anderen Gründen. Wird Untersuchungshaft angeordnet, so erfolgt offenbar
regelmäßig eine Freilassung gegen eine Kaution, für die ein Verwandter unterschreiben
muss und die erst bei einem Verstoß gegen die gleichzeitig vom Gericht angeordneten
Auflagen fällig wird (Busch 02.11.2000 S. 4). So wurden etwa am 15./16. März 2000 bei
einer "Sammelrückführung" von 20 Personen aus Deutschland achtzehn der
Betroffenen, die ohne Reisepass eingereist waren (AA 25.05.2000 S. 2), nach einer
Vorführung vor dem Haftrichter noch am Ankunftstag gegen Kaution auf freien Fuß
gesetzt (AA 25.05.2000 S. 2). Zwei Betroffene wurden auf Antrag der Kriminalpolizei bis
zum 21. März 2000 in Untersuchungshaft genommen und erst dann gegen Kaution
freigelassen (AA 28.04.2000 S. 23; 25.05.2000 S. 2); ein weiterer Rückgeführter aus der
Gruppe wurde erst später am 21. März 2000 in Untersuchungshaft genommen und
anschließend auf freien Fuß gesetzt (AA 28.04.2000 S. 23). Liegen in Fällen der
Personenüberprüfung bis zu dem vom Untersuchungsrichter gegebenenfalls
anberaumten weiteren Gerichtstermin - wie in der Regel - keine Erkenntnisse gegen den
Betroffenen vor, wird das Überprüfungsverfahren eingestellt (AA 28.04.2000 S. 23).
64
Diese kurzzeitigen Festnahmen und Inhaftierungen liegen insgesamt unterhalb der
Schwelle asylrechtlich erheblicher Eingriffsintensität und können schon deshalb im
Weiteren außer Betracht bleiben.
bbb) Längerfristige Inhaftierung zur Identitätsfeststellung
65
Allerdings kann das Festhalten von Personen im Rahmen der Identitätskontrollen im
Einzelfall nach den vorliegenden Erkenntnissen mitunter mehrere Wochen dauern
(Wingler 01.04.1999 S. 3; ai 01.03.1999 S. 3). Die Inhaftierung von 192 aus dem
Senegal abgeschobenen Tamilen sowie die Festnahmen zweier weiterer Gruppen von
Rückkehrern, von denen berichtet wird (ai 01.03.1999 S. 2; KK 20.03.1998; UNHCR --
.07.1998 S. 5), betreffen dabei allerdings ersichtlich Sonderfälle, die durch die Tatsache
der Sammelabschiebung in großer Zahl mit erhöhtem Abklärungsbedarf geprägt waren,
so dass es insoweit an einer Übertragbarkeit auf den vorliegenden Fall fehlt und
verallgemeinerungsfähige Schlüsse nicht gezogen werden können. Seit April 1997 sind
ferner auch Fälle der Inhaftierung von Einzelreisenden, darunter von einigen
Rückkehrern aus Deutschland bekannt geworden (UNHCR ----.07.1998 S. 5; KK
08.12.1998). Diese bekannt gewordenen ((Einzel-)Fälle lassen jedoch angesichts des
Umstandes, dass jährlich mehrere Hundert abgelehnte Asylbewerber aus westlichen
Ländern über den Flughafen Colombo nach Sri Lanka abgeschoben werden (AA
27.05.1999 S. 3, 19.01.1999 S. 21), schon nicht den Schluss auf eine
"Gruppenverfolgung" zu. Denn es mangelt schon an der die beim Maßstab der
beachtlichen Wahrscheinlichkeit für die Annahme einer "Gruppenverfolgung" zu
fordernden Dichte der Zugriffe bezogen auf die nach erfolglosem Asylverfahren aus
Europa Zurückkehrenden oder einer bestimmten Gruppe unter ihnen zu. Abgesehen
davon richtet sich auch ein über wenige Tage hinausgehendes Festhalten, solange es
unter Berücksichtigung der konkreten Umstände, die zur Annahme eines
Überprüfungsbedarfs führten, objektiv dem Zweck der Identitätsabklärung dient, und
nicht mit sonstigen schwer wiegenden Rechtsgutverletzungen verbunden ist, nicht
gegen den Betroffenen in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale. Es und ist daher
nicht als Akt politischer Verfolgung zu qualifizieren.
66
ccc) Sanktionen wegen eines Verstoßes gegen die Ausreise-, Einreise- und
Passbestimmungen
67
In Einzelfällen wird davon berichtet, dass aus Deutschland abgeschobene Personen im
Zusammenhang mit Ausweisdelikten strafrechtlich verfolgt werden; dies ist etwa dann
der Fall, wenn mit einem "emergency certificate" nach Sri Lanka zurückkehrende
Personen bei der Identitätsüberprüfung am Flughafen durch die srilankischen
Einreisebehörden bzw. die Kriminalpolizei (CID) ein Geständnis in Bezug auf die im
Zusammenhang mit der Ausreise erfolgte Fälschung von Ausweispapieren ablegen
oder wenn das in Deutschland gefundene gefälschte Reisedokument den
Begleitpapieren zur Abschiebung beigefügt wird und so der srilankischen
Einwanderungsbehörde bzw. Kriminalpolizei zur Kenntnis gelangt; strafrechtlich nicht
verfolgt werden dagegen Bordkartentausch, illegaler Grenzübertritt und andere illegale
Praktiken, die außerhalb des srilankischen Staatsgebietes vielfach mit "Schleppungen"
einhergehen (AA 28.04.2000 S. 24). Strafrechtliche Verurteilungen wegen Verstößen
gegen die Einreise-, Ausreise- und Passbestimmungen sind nicht als politische
Verfolgung zu qualifizieren. Denn die Ahndung dieser Delikte stellt keine
Rechtsgutverletzung in Anknüpfung an asylrelevante Merkmale dar. Die - nicht neu
geschaffenen, sondern seit 1998 lediglich in der Strafandrohung verschärften -
68
Straftatbestände (insbesondere Ein- oder Ausreisen ohne gültigen Reisepass,
Nachmachen oder Fälschen von Reisedokumenten, Besitz oder Benutzung gefälschter
oder nachgemachter Reisedokumente, Besitz oder Beantragung mehrerer
Reisedokumente oder unbefugter Besitz eines Reisedokumentes einer anderen Person)
sind zur Kontrolle der Außengrenze des Staatsgebiets in der Staatenpraxis geläufig und
ergeben so keinen Hinweis für eine politische Verfolgung. Auch gelten sie für alle
srilankischen Staatsangehörigen und nicht nur für tamilische Volkszugehörige
(Südasien Büro 14.09.1998 mit Auszügen aus dem "Immigrants and Emigrants Act").
Soweit unter Bezugnahme auf Auskünfte und Stellungnahmen eines tamilischen
Parlamentsabgeordneten ausgeführt ist, das novellierte Gesetz treffe insbesondere
tamilische Flüchtlinge (KK 12.03.1999 S. 3 und in Südasien 2/99, S. 11, abgedruckt in:
Wingler 01.04.1999 S. 9), wird lediglich eine rein tatsächliche Folge aufgezeigt, die als
solche ohne Aussagegehalt für die Frage der politischen Verfolgung ist. Selbst wenn in
die Bewertung eingestellt wird, dass zu der Strafverschärfung die Einflussnahme von
Staaten beigetragen hat, die einen starken Zustrom vorwiegend tamilischer
Staatsangehöriger Sri Lankas festzustellen hatten, spricht dies nicht dafür, dass die ihrer
Natur nach auf die Aufrechterhaltung eines geordneten internationalen Reiseverkehrs
zielenden Vorschriften objektiv auf Tamilen wegen ihrer Volkszugehörigkeit gerichtet
sind; insofern ist insbesondere ihre Zielrichtung der Bekämpfung der Schleppertätigkeit
von Gewicht. Lediglich wenn Verstöße durch Tamilen verfolgt würden, diejenigen durch
Staatsangehörige anderer Volkszugehörigkeit aber ungeahndet blieben oder wenn die
Möglichkeit, die Verstöße durch ordnungsgemäße Papiere und deren gesetzmäßigen
Gebrauch zu vermeiden, zwar Personen anderer Volkszugehörigkeit eingeräumt, den
Tamilen jedoch aber vom srilankischen Staat verwehrt würde, könnte Anlass bestehen,
eine Gerichtetheit der in der Bestrafung liegenden Beeinträchtigungen auf die tamilische
Volkszugehörigkeit in Betracht zu ziehen. Dafür aber lässt sich dem vorliegenden
Material, das den gegenwärtig möglichen Kenntnisstand umfassend widerspiegelt,
nichts Tragfähiges entnehmen. Im Gegenteil liegen Erkenntnisse vor, nach denen
Angehörige anderer Bevölkerungsgruppen ebenfalls in relevanter Zahl von Maßnahmen
auf der Grundlage des "Immigrants and Emigrants Act" betroffen sind (KK 08.03.2000,
insb. Listen C, D und E). Die nicht weiter untermauerte Aussage, dass das "verschärfte
Strafmaß in der Regel und Praxis nur auf rückkehrende (abgeschobene) Tamilen und
nicht auf Singhalesen derzeit angewandt" werde (Wingler 01.04.1999), ist daher
fragwürdig. Sie ist im Übrigen aber auch unergiebig, weil die Verstöße, um deren
Ahndung es geht, sich zwangsläufig in der Bevölkerungsgruppe häufen, die in
besonderem Maße ins Ausland drängt (und zurückkehrt). Dem entspricht auch die
schon angesprochene Erklärung eines Abgeordneten, das Gesetz treffe "insbesondere"
Tamilen, und die dazu gegebene Begründung, diese müssten "sich oft gefälschter
Papiere bedienen". Auch die in dieser Begründung enthaltene Aussage zur
Notwendigkeit des Gebrauchs falscher Papiere trägt nicht die Schlussfolgerung auf eine
drohende politische Verfolgung. Denn dafür, dass die in Sri Lanka bestehende
Ausreisefreiheit nicht auch für Tamilen gelten würde, spricht nichts (AA 16.04.1999 S.
2). Die Möglichkeit, sich einen Reisepass ausstellen zu lassen, ist Tamilen in gleicher
Weise eröffnet wie srilankischen Staatsangehörigen anderer Volkszugehörigkeit (AA
28.04.2000 S. 24). Allerdings mag für sie die Nutzung Inanspruchnahme dieser
Möglichkeit durch die Bedingungen des dazu erforderlichen Aufenthalts in Colombo
faktisch erschwert sein; da die Situation in Colombo aber - wie unter II.2 bb) bbb) im
Einzelnen noch dargetan wird - den Aufenthalt insbesondere auch nicht aus Gründen,
die auf eine Gerichtetheit gegen Tamilen in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale
schließen lassen, unzumutbar macht, kann keine Rede davon sein, die Tamilen könnten
nicht ohne Verstoß gegen die Ein- und Ausreisebestimmungen das Land verlassen oder
dorthin zurückkehren. Einer gegenteiligen Einschätzung stünde im Übrigen auch
entgegen, dass nach der Erfahrung, die der Senat in den letzten Jahren in Hunderten
von Asylverfahren srilankischer Staatsangehöriger tamilischer Volkszugehörigkeit
gewonnen hat, die behauptete Ausreise ohne eigenen Pass in aller Regel mit dem
bloßen Verweis darauf erklärt wurde, auch die Gestaltung der Ausreise habe der
Schlepper übernommen, ohne dass in diesem Zusammenhang auf Probleme in der
Beschaffung des Passes hingewiesen worden wäre. Ferner stünde einem solchen
Schluss die hohe Zahl der in den vom Senat bearbeiteten Verfahren betroffenen
Tamilen entgegen, die nach ihren Angaben mit einem gültigen Pass ausgereist sind und
bei denen es erst im Zuge und zur Förderung der Weiterreise sowie der Einreise ins
westliche Ausland zu Manipulationen am Pass oder zur Abgabe des Passes gekommen
ist (vgl. dazu auch AA 16.04.1999 S. 2; 28.04.2000 S. 24).
Da mithin tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass die Strafverschärfungen bei
Passvergehen objektiv darauf gerichtet sind, tamilische Flüchtlinge gerade (auch)
wegen ihrer Volkszugehörigkeit einer strafrechtlichen Sanktion zu unterwerfen, nicht
ersichtlich sind, kann dahinstehen, ob bei Vorliegen von Anhaltspunkten für einen
Verstoß gegen die Vorschriften des Ein- und Ausreise- sowie des Passrechts mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit einer Strafverfolgung zu rechnen ist.
69
ddd) Gefahr widerrechtlicher Inhaftierung sowie von körperlicher Misshandlung und
Folter
70
Dem Auskunftsmaterial lässt sich weiterhin nicht entnehmen, dass die durch die
genannten Strafvorschriften eröffneten Möglichkeiten eines Zugriffs ohne jeglichen
Anhalt und damit missbräuchlich zu Lasten zurückkehrender Tamilen eingesetzt
werden.
71
Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass Rückkehrern bei Maßnahmen im Rahmen
der Identitätsfeststellung oder in Anwendung der Strafvorschriften des "Immigrants and
Emigrants Act" mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylerhebliche
Rechtsgutbeeinträchtigungen, namentlich Misshandlung und Folter, drohen. Allerdings
wird in der Zeitschrift "Südasien" berichtet, ein "soeben in London erschienener Bericht"
der "Medical Foundation for the Care of Victims of Torture" habe "Beweise für
systematische Folterungen von Tamilen durch die srilankische Polizei und die Armee"
vorgelegt (Mertsch --.04.2000, S. 4). Diese Aussage trifft jedoch nicht zu. Der genannte
Bericht ("Caught In The Middle: a study of Tamil torture survivors coming to the UK from
Sri Lanka") enthält zwar Feststellungen über in Sri Lanka erlittene körperliche
Misshandlungen und Folterungen von der "Medical Foundation" in Großbritannien
untersuchter und befragter srilankischer Asylbewerber. Hinreichende Anhaltspunkte
dafür, dass die srilankische Polizei in Colombo oder an anderen Orten in den südlichen
Landesteilen "systematisch", also nach einem bestimmten "System" oder gar generell
Folterungen an verhafteten oder sonst aufgegriffenen und inhaftierten Tamilen
vorgenommen hätte oder weiterhin vornimmt, lassen sich dieser Studie jedoch nicht
entnehmen. Solches ergibt sich auch nicht aus anderen Erkenntnisquellen.
72
Allerdings enthalten Stellungnahmen von Menschenrechtsorganisationen und
Journalisten die allgemeine Einschätzung, dass Folter und körperliche Misshandlungen
in Sri Lanka "nach wie vor weit verbreitet" sind (ai --.06.1999 S. 1; Wingler --.05.2000 S.
1). Diese Aussage läßt sich jedoch allenfalls für Personen erhärten, denen von den
Sicherheitskräften Beziehungen zur LTTE unterstellt werden. Nach der Einschätzung
73
von amnesty international hat dieser Personenkreis "aller Wahrscheinlichkeit nach bei
der Ankunft in Colombo mit der Verhaftung und längeren Inhaftierung zu rechnen" (ai
01.03.1999 S. 2). Vor allem bei Inhaftierungen wegen eines konkreten und
individualisierten LTTE-Verdachts muss mit Folter gerechnet werden (AA 12.07.1995 S.
2; 28.04.2000 S. 18: "schwer wiegende Verstöße kommen ... weiter vor"; ai --.06.1999 S.
8 f., 01.03.1000 S. 4; Wingler -- .05.2000 S. 1 ff.; UNHCR --.07.1998 S. 2). Dabei nimmt
die Gefahr von Folter bei längeren Inhaftierungen zu (vgl. u.a. ai 01.03.1999 S. 2; KK
04.01.1996 S. 56). Auch die in London ansässige "Medical Foundation" schätzt die
Lage abgelehnter Asylbewerber, die nach Sri Lanka zurückkehren, dahin ein, dass
diese mit einer Inhaftierungsdauer von mehr als zwei Tagen rechnen müssten, falls sie
bei ihrer Einreise oder danach von den srilankischen Sicherheitskräften verdächtigt
würden, die LTTE zu unterstützen; in der Haft bestünde dann für sie das Risiko von
körperlicher Misshandlung und Folter (Medical Foundation --.06.2000, S. 44, 53).
Mit dieser Bewertung, dass die Aussage sich allenfalls für Personen erhärten lässt,
denen von den Sicherheitskräften Beziehungen zur LTTE unterstellt werden,
korrespondiert, dass die Anwendung von Folter nach Einschätzung einer
Menschenrechtsorganisation während der sich an eine Festnahme am Flughafen
anschließenden Inhaftierung ungewöhnlich ist (KK 22.06.1999, Anlage Forum for
Human Dignity 12.01.1999). Soweit im Hinblick auf die Sammelabschiebung von 20
Tamilen am 16. März 2000 aus Deutschland behauptet wird, zwei vom 16. bis 21. März
2000 in Untersuchungshaft genommene Rückkehrer, deren Verfahren vom Gericht erst
Monate später endgültig eingestellt wurde (ai 18.07.2000 S. 1), seien "nachweislich
gefoltert worden" (Wingler --.05.2000 S. 4), steht diese Aussage im Widerspruch zu
aktuelleren Erkenntnissen. Amnesty international weist ausdrücklich darauf hin, die
Behandlung der Abgeschobenen habe nicht die Intensität von Folter erreicht (ai
18.07.2000). Auch von einem dritten am 15./16. März 2000 Rückgeführten ist lediglich
angegeben worden, dass einem der zuvor Genannten im Gefängnis von einem
Polizisten ein Schlag versetzt worden sei (AA 28.04.2000 S. 24; 25.05.2000 S. 3); er
selbst und die anderen Abgeschobenen seien korrekt behandelt worden (AA
25.05.2000 S. 2).
74
Für die Annahme, dass tamilischen Rückkehrern generell oder in relevanter Zahl im
Zusammenhang mit der Einreise körperliche Misshandlungen von asylerheblicher
Intensität drohen, geben diese und weitere Berichte damit in ihrer Gesamtschau sowohl
angesichts der relativ geringen Zahl der Betroffenen als auch angesichts der Art der
berichteten Übergriffe nichts Greifbares her.
75
Unter welchen Voraussetzungen eine aus dem Ausland nach Sri Lanka zurückkehrende
Person tamilischer Volkszugehörigkeit - begründet oder unbegründet - bei den dortigen
Sicherheitskräften konkret in den Verdacht der LTTE- Unterstützung gerät und deshalb
nicht nur kurzfristig für ein bis zwei Tage zur Identifizierung, sondern längerfristig mit der
Gefahr schwerer körperlicher Misshandlung und Folterung inhaftiert wird, lässt sich
angesichts des vorliegenden Erkenntnismaterials nur schwer feststellen und nicht
generalisierend und fallübergreifend beantworten.
76
Dafür, dass Rückkehrer im Hinblick auf die bei den staatlichen Behörden bekannten
Aktivitäten der LTTE bzw. ihrer Auslandsorganisationen sowie wegen der Besorgnis der
Infiltration (KK 18.03.1998; Wingler 31.05.1998 S. 47) gleichsam automatisch mit der
Unterstützung der LTTE im Aufnahmeland bzw. der Begehung von Terrorismusdelikten
in Zusammenhang gebracht würden und dies zu einem Verfahren nach den
77
Sondergesetzen zur Terrorismusbekämpfung, namentlich nach dem Prevention of
Terrorism Act (PTA) oder den Emergency Regulations (ER) führte, spricht nichts. Zwar
ist zu berücksichtigen, dass die LTTE, was den srilankischen Behörden seit längerem
(AA 08.01.1999 S. 5, 06.05.1999 S. 2 f.) und nicht erst seit Erscheinen entsprechender
Berichte in der deutschen Tagespresse im Sommer 1999 bekannt ist, ihre im Ausland
geführten Organisationen zur politischen Agitation und zum Sammeln bzw. Eintreiben
von Geld bei den dort lebenden Tamilen einsetzt und so zum großen Teil ihre
militärischen und terroristischen Aktivitäten finanziert. Auch ist anzunehmen, dass die
srilankischen Strafverfolgungsbehörden wegen der Auslandsaktivitäten der LTTE
gegenüber tamilischen Rückkehrern den Verdacht hegen können, die LTTE durch
freiwillige oder erzwungene finanzielle Zuwendungen im Ausland unterstützt zu haben.
Ein solcher pauschaler Verdacht löst aber in der srilankischen Praxis nicht mit der
erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit ein Strafverfolgungsinteresse mit der
Folge längerer Inhaftierung im konkreten Einzelfall aus, sodass der Frage nach dem
Charakter der Strafverfolgungsmaßnahmen als Akte politischer Verfolgung nicht
nachzugehen ist. Die Generalstaatsanwaltschaft in Colombo bewertet nach den
Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes die bloße finanzielle Unterstützung der LTTE
durch Exilsrilanker im Ausland nicht als Verwicklung in terroristische Aktivitäten der
LTTE in Sri Lanka, sondern als einfache exilpolitische Betätigung, die in Sri Lanka nicht
strafbar ist (AA 19.01.1999 S. 11; 28.04.2000 S. 17 f.). Diese Aussage findet ihre
nachvollziehbare Erklärung und Bestätigung in der gutachtlichen Stellungnahme des
Südasien- Instituts der Universität Heidelberg vom 22. Juli 1998 zur Einschlägigkeit der
Straftatbestände des PTA nur bei Terrorismusaktivitäten im Inland; daher besteht kein
greifbarer Anhaltspunkt, die Aussagekraft und Verwertbarkeit der Aussagen des
Auswärtigen Amtes zur in Rede stehenden Strafverfolgungspraxis in Zweifel zu ziehen.
Diese bieten vielmehr vor dem Hintergrund der Rechtslage in Verbindung mit dem
sonstigen umfassenden und ersichtlich erschöpfenden Auskunftsmaterial eine
tragfähige Beurteilungsgrundlage dahin, dass ein Strafverfolgungsinteresse lediglich bei
Personen besteht, die in verantwortlicher Position in nicht unerheblichem Ausmaß an
Aktivitäten im Rahmen der LTTE-Auslandsorganisationen beteiligt sind; hier wird
regelmäßig vermutet, dass es neben den Unterstützungshandlungen im Ausland auch
zur Beteiligung an terroristischen Aktivitäten der LTTE im Inland gekommen ist (AA
08.01.1999 S. 6; 19.01.1999 S. 11; 28.04.2000 S. 17). Dementsprechend muss auch bei
sonstigen Auslandsaktivitäten für die LTTE und ihre Frontorganisationen nach dem
Grad der Unterstützungshandlung unterschieden werden. So wirkt etwa die Teilnahme
an regierungskritischen Demonstrationen und das Anprangern von
Menschenrechtsverletzungen auf Flugblättern regelmäßig ebensowenig
gefahrerhöhend wie die Teilnahme an Sport- und Kulturveranstaltungen der der LTTE
nahestehenden Organisationen (AA 28.04.2000 S. 17, 20.04.1999 S. 2; KK 20.05.1998
S. 3). Diese Einschätzung findet ihre Bestätigung u.a. darin, dass es nach Aussagen
aus vom Auswärtigen Amt als seriös eingeschätzten, näher bezeichneten srilankischen
Anwaltskreisen nur sehr wenige Fälle gibt, in denen es zur Anklage wegen im Ausland
entfalteter Tätigkeiten im Zusammenhang mit der LTTE gekommen ist (AA 08.01.1999
S. 6; 19.01.1999 S. 11 nebst Anlage - Anwaltsliste -; 28.04.2000 S. 18). Zudem
sprechen Schwierigkeiten des Nachweises der Tat (vgl. hierzu insbesondere auch den
Bericht eines Betroffenen vom 11.01.1999, Anhang zu KK 12.03.1999) sowie die
Überlastung der Strafjustiz (AA 06.05.1999 S. 4 f.) gegen regelmäßig oder auch nur bei
einer Vielzahl von Rückkehrern eingeleitete Verfahren und damit gegen eine hohe
Wahrscheinlichkeit von Verfolgungsmaßnahmen. Die gegenteilige Einschätzung ist
ohne tragfähige Grundlage und findet in vorliegenden Erkenntnissen zu Einzelfällen der
Ahndung von Verstößen (Anlagen zu KK 08.12.1998, 12.03.1999 und 22.06.1999 sowie
KK 28.07.1999) keine Bestätigung.
Sonstige, nicht an Auslandsaktivitäten anknüpfende allgemeine Risikofaktoren dafür,
dass ein Tamile bei den srilankischen Sicherheitskräften in einen konkreten Verdacht
geraten könnte, in Aktivitäten der LTTE verstrickt zu sein, wie etwa Alter, Herkunft, das
Vorhandensein körperlicher Narben und ähnliches, begründen grundsätzlich ebenfalls
keine beachtliche Wahrscheinlichkeit eines asylrelevanten Zugriffs. Insoweit wird auf
die nachfolgenden Ausführungen zu Sicherheitskontrollen im Großraum Colombo
verwiesen. Denn es bestehen keine Anhaltspunkte, dass die Sicherheitskräfte am
Flughafen - über die Verfolgung relevanter Auslandsaktivitäten hinaus - andere Kriterien
anlegen als bei Sicherheitskontrollen im Großraum Colombo.
78
bb) Allgemeine Verhältnisse in Sri Lanka
79
Auch im Übrigen tragen die Verhältnisse in Sri Lanka die Schlussfolgerung auf der
Bevölkerungsgruppe der Tamilen oder einer vorliegend möglicherweise relevanten
Untergruppe der Tamilen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung
weder für das gesamte Land noch für einzelne Landesteile, sodass sich nicht die Frage
stellt, inwieweit die gegenwärtigen Verhältnisse auf einer Änderung beruhen, wie sie ein
objektiver Nachfluchtgrund erfordert.
80
aaa) Keine landesweite staatliche oder mittelbare Verfolgung
81
Eine allein ethnisch begründete und diesem Charakter entsprechend landesweite
staatliche (Gruppen-) Verfolgung von Tamilen findet nicht statt (ai 28.09.1995 S. 3; AA
07.07.1995 S. 1, 28.04.2000 S. 8); auch landesweite allein ethnisch bedingte
Repressalien gegen Tamilen von Seiten der singhalesischen Bevölkerungsmehrheit
sind selbst nach der LTTE zugeschriebenen Attentaten und Anschlägen sowie
verlustreichen Kämpfen im Norden ausgeblieben (AA 30.08.1996 S. 4, AA 28.04.2000
S. 13 f.). Die Beeinträchtigungen, denen sich Tamilen ausgesetzt sehen, stehen im
Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen zwischen den staatlichen srilankischen
Kräften und der LTTE. Entsprechend den unterschiedlichen Ausprägungen dieses
bewaffneten, Überfälle und Terroranschläge auch außerhalb der Kampfgebiete
einschließenden Konflikts stellen sich die Auswirkungen auf die Lage der Tamilen in
den verschiedenen Gebieten Sri Lankas unterschiedlich dar. Im Einzelnen betrachtet
ergibt sich dabei für keinen Bereich eine beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer
Verfolgung.
82
bbb) Großraum Colombo
83
Im Großraum Colombo und - in geminderter Weise - in den sonstigen Bereichen des
Südens und Westens Sri Lankas drohen Tamilen zwar Beeinträchtigungen. Diese
erreichen aber weithin nicht die Eingriffsintensität, die für eine asylerhebliche
Rechtsgutbeeinträchtigung erforderlich ist, oder es mangelt ihnen an der notwendigen
Gerichtetheit oder sie sind dem Staat nicht zuzurechnen; soweit diese einer
Asylberechtigung entgegenstehenden Gesichtspunkte nicht eingreifen, fehlt es an der
Verfolgungsdichte.
84
(1) Identitätsfeststellung und Verhaftung
85
Angehörige der tamilischen Volksgruppe müssen damit rechnen, einer
86
Identitätsüberprüfung unterzogen und zu diesem Zweck verhaftet zu werden. Im
Großraum Colombo finden routinemäßig und anlassbedingt umfangreiche Kontrollen
und groß angelegte Razzien statt, die zu Inhaftierungen und Verhören von Personen
führen, die sich nicht ausweisen oder keine zufriedenstellende Erklärung über den
Zweck ihres Aufenthalts geben können (AA 28.04.2000 S. 8 f., 16.01.1996 S. 7; KK
22.02.1997 S. 4; Wingler 08.10.1997 S. 31). Von diesen Maßnahmen - die vor allem im
Zusammenhang mit den wiederholten Bombenattentaten zu sehen sind, zu denen es
seit dem Ende der seinerzeitigen Friedensgespräche zwischen der Regierung und der
LTTE und dem Wiederausbruch der offenen Kriegshandlungen im Norden Sri Lankas
seit April 1995 erneut kommt - sind in erster Linie jüngere Tamilen beiderlei Geschlechts
im Alter zwischen etwa 15 bis 40 Jahren, aber auch Tamilen anderer Altersstufen
betroffen (AA 28.04.2000 S. 8; ai --.06.1999, Länderkurzbericht, S. 3; KK Südasien 1/00;
Wingler --.05.2000 S. 1). Schätzungen über die Anzahl der von anlassbezogenen
Massenverhaftungen Betroffenen belaufen sich - bezogen auf kurze Zeiträume - schon
bei einzelnen Vorkommnissen auf mehrere Hundert oder gar tausende Personen (KK
04.01.1996 S. 55, 13.05.1996 S. 3, 20.03.1998 S. 2 ff.; Wingler 31.05.1998 S. 27, 33). So
haben auch in jüngster Zeit verschiedene der LTTE zugerechnete Anschläge (u.a.
Bombenattentat auf Staatspräsidentin Kumaratunga und Bombenanschlag bei einer
Wahlveranstaltung einer Oppositionspartei am 18. Dezember 1999 mit zusammen über
30 Toten; Bombenanschlag in der Nähe des Amtssitzes der Premierministerin am 5.
Januar 2000 mit 11 Toten) zu verstärkten Personenüberprüfungen und Razzien geführt,
in deren Verlauf mehrere Tausend Tamilinnen und Tamilen festgenommen wurden (AA
18.04.2000 S. 2: etwa 3.000 Personen in den vergangenen Monaten; KK 29.02.2000 S.
3 f.: schätzungsweise bis zu 10.000 Personen allein im Januar bis Mitte Februar 2000;
ferner ai 23.02.2000 an VG Hannover S. 4).
Den vorbezeichneten Maßnahmen fehlt es an der erforderlichen Eingriffsintensität von
Akten der politischen Verfolgung, und zwar auch dann noch, wenn sie - wie in der weit
überwiegenden Zahl - in kurzzeitige Inhaftierungen münden und es dabei zu keinen
anderweitigen asylerheblichen Rechtsgutverletzungen kommt. Maßnahmen zur
Identitätsfeststellung sind herkömmlicher und üblicher Bestandteil der präventiven und
repressiven Tätigkeit staatlicher Sicherheitskräfte im Rahmen der Kriminalitäts- und
Terrorismusbekämpfung. Sofern eine sofortige Identifizierung nicht möglich ist, sind
auch kurzfristige Festnahmen zu diesem Zweck in der Staatenpraxis geläufig, sodass in
solchem Zusammenhang stehenden Beeinträchtigungen der Bewegungsfreiheit der die
politische Verfolgung ausmachende Charakter einer Ausgrenzung des Betroffenen aus
der staatlichen Friedensordnung fehlt. Ab welcher Dauer kurzfristige Inhaftierungen zum
Zwecke der Identitätsfeststellung eine asylrechtsrelevante Intensität erreichen, hängt
maßgeblich von den im betrachteten Staat herrschenden Verhältnissen ab,
insbesondere von der Verwaltungsstruktur, den vorhandenen
Kommunikationsmöglichkeiten und der jeweiligen Sicherheitslage. In einem Land wie
Sri Lanka, in dem in Teilen Bürgerkrieg herrscht und die Sicherheitskräfte im Übrigen
landesweit, insbesondere im hier betrachteten Landesteil mit einer Vielzahl
gemeingefährlicher Terroranschläge konfrontiert sind, ist Inhaftierungen mit einer
überschaubaren Dauer von jedenfalls nicht mehr als zwei Tagen ohne zusätzliche
Rechtsgutverletzungen eine die Ausgrenzung aus der staatlichen Friedensordnung
bewirkende Intensität und Schwere abzusprechen. Dem Aspekt der
Mehrfachverhaftungen derselben Personen (KK 20.03.1996 S. 5; Wingler 08.10.1997 S.
32) kommt, da nichts dafür ersichtlich ist, dass sie gezielt erfolgen, keine den jeweiligen
Eingriff prägende Bedeutung zu.
87
(2) Inhaftierung länger als 2 Tage
88
Auch die Fälle, in denen die Inhaftierung länger als zwei Tage andauert, tragen nicht
den Schluss, dass die Bevölkerungsgruppe der Tamilen insgesamt oder eine vorliegend
relevante Untergruppe davon mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung
ausgesetzt ist. In den Auskünften wird die Größenordnung dieser Fälle seit Jahren im
Wesentlichen auf bis zu etwa 10 v.H. geschätzt (bis zu 10 v.H. länger als 1 oder 2 Tage,
1 v.H. länger als 1 Woche AA 03.03.1994 S. 2, 30.05.1997 S. 2, 28.04.2000 S. 8 und
27.07.2000 S. 3; 10 v.H. KK 04.01.1996 S. 56, 62 f., 75, 13.05.1996 S. 3 und 14.10.1996
S. 3; 10 bis 20 v.H. Wingler --.05.1995 S. 23; weniger als 20 v.H. ai --.06.1999, torture in
custody, S. 9), zum Teil aber auch niedriger (5 v.H. Schweizerische Flüchtlingshilfe --
.04.1994 S. 10, 4 v.H. Wingler 08.10.1997 S. 32 bzw. über 100 von 5.000 Wingler
31.05.1998 S. 27, 28).
89
Die Anzahl der wegen Verdachts auf LTTE-Verbindungen nach den Sondergesetzen
zur Terrorismusbekämpfung für längere Zeit in Haft Befindlichen wird für Ende 1995 mit
landesweit zwischen 400 bis 500 Personen und im Großraum Colombo mit 225
Personen angegeben (AA 16.01.1996 S. 8; KK 04.01.1996 S. 66). Nach dem Bericht
einer Menschenrechtsorganisation sollen landesweit ständig zwischen 1.000 und 1.500
tamilische Volkszugehörige inhaftiert sein, ohne dass diese Aussage auf längerfristige
Inhaftierungen beschränkt ist (KK 14.10.1996 S. 3, 24.02.1997 S. 3). In neuerer Zeit wird
die Zahl allein für den Süden bzw. den Bereich Colombo mit weit über oder etwa 1.000
(Wingler 08.10.1997 S. 41, 30.01.1998 S. 12, 30.09.1998 S. 6) bzw. über 2.000 (Wingler
12.12.1997 S. 1) angegeben und landesweit - auf bis zu 2.000 (AA 28.04.2000 S. 21,
21.08.1997 S. 2; Wingler --.05.2000 S. 3; Busch 02.11.2000 S. 6) geschätzt.
90
Es ist davon auszugehen, dass bei den Inhaftierungen die Frist von zwei Tagen
seltenüberwiegend nur wenig überschritten wird. Von den etwa 10 v.H. der insgesamt
über zwei Tage hinaus Festgehaltenen bleiben etwa die Hälfte länger als drei Tage in
Haft (KK 04.01.1996 S. 75), über eine Woche hinaus etwa jeder Zehnte (AA 10.03.1999
S. 2, 28.04.2000 S. 8). Auch wenn bei groß angelegten Sicherheitsüberprüfungen
mitunter Tausende festgenommen und hiervon jeweils Hunderte länger als zwei Tage
fest gehalten werden, kann nach der absoluten, gemäß den Auskünften durchgängig
jedenfalls nicht über 2.000 hinausgehenden Gesamtzahl der Inhaftierten die Haftdauer
in einer beträchtlichen Zahl von Fällen die Zeit von zwei Tagen jedenfalls nicht
wesentlich überschreiten.
91
Für die Frage, ob dem Einzelnen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische
Verfolgung droht, haben diese Zahlenangaben allein keinen Aussagewert. Von einer
zwei Tage überschreitenden Dauer einer Inhaftierung, der keine im Einzelfall
bestehenden konkreten Anhaltspunkte für den Verdacht der Beteiligung an oder des
Wissens um terroristische Aktivitäten zugrunde liegen, auf den Charakter als politische
Verfolgung zu schließen, geht nicht an. Denn ob eine an asylerhebliche Merkmale
anknüpfende, zielgerichtete Verfolgung vorliegt, die Verfolgung mithin "wegen" eines
Asylmerkmals erfolgt, ist anhand des inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren
Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu bestimmen. Dafür, dass dies bei den hier in Rede
stehenden Inhaftierungen in maßgeblichem Umfang der Fall ist, fehlt es an
ausreichendem Anhalt. In allen angesprochenen Stellungnahmen wird ein
Zusammenhang der Verhaftungsaktionen im Großraum Colombo mit den terroristischen
Aktivitäten der LTTE im Süden und Westen hergestellt. Die Verhaftungsaktionen sind in
jedenfalls prägender Weise objektiv darauf gerichtet, die Infiltration von LTTE-
92
Terroristen aus dem Norden und Osten des Landes abzuwehren. Insofern wird auf die
für die Sicherheitskräfte entscheidenden Kriterien für die Freilassung wie etwa den
Besitz von Papieren zum Identitätsnachweis, einen langjährigen Wohnsitz am Ort der
Kontrolle, eine gesicherte familiäre und wirtschaftliche Existenz, eine feste Arbeitsstelle
oder einen sonstigen plausiblen Grund für den Aufenthalt verwiesen (AA 28.04.2000 S.
8 f., 16.01.1996 S. 8 f.; ai 23.02.2000 S. 4; European Union, The Council - - EU - -
02.04.1997 S. 10; KK 02.09.1997 S. 1); auch führt im Normalfall eine
Unbedenklichkeitsbescheinigung, die die Polizei bei den Sicherheitsbehörden einholt,
zu einer schnellen Haftentlassung (KK 04.01.1996 S. 68). Selbst Inhaftierungen von
mehr als einer Woche, die srilankische Menschenrechtsorganisationen "bei einer
substantiellen Anzahl von Personen" feststellen, werden außer auf den Aspekt der
Erwartung von Bestechungsgeld auf die Überprüfungen und deren schleppende
Durchführung bei Einschaltung verschiedener Sicherheitsstellen zurückgeführt
(Südasien 6/97 S. 8). Wenn auch die von den Sicherheitskräften für einen eventuellen
LTTE-Verdacht herangezogenen Umstände nicht genau festzustellen sind, weist doch
die Tatsache, dass der weit überwiegende Anteil der zunächst Festgenommenen
alsbald wieder freigelassen wird, auf eine über die Tatsache der Zugehörigkeit zur
Gruppe der Tamilen - eventuell auch eines bestimmten Alters und Geschlechts -
hinausgehende Prüfung anhand zusätzlicher Kriterien und damit darauf hin, dass der
Grund einer Fahndung nach LTTE-Angehörigen für die Verhaftungen nicht lediglich
vorgeschoben ist. Die erörterten Maßnahmen betreffen zwar gerade und nahezu
auschließlich Tamilen, sie bezwecken aber nicht die Schlechterstellung dieser
Volksgruppe als solche, sondern dienen der Abklärung von LTTE-Verbindungen und
der Verhinderung weiterer Straftaten. Dass der staatliche Zugriff zwangsläufig Tamilen
trifft, ist rein faktischer Natur ohne Aussagegehalt für die objektive Gerichtetheit im Sinne
der politischen Verfolgung.
Bei der Beurteilung, welche Umstände als hinreichend anzusehen sind, um über die
Dauer von zwei Tagen hinausgehende Inhaftierungen von tamilischen
Volkszugehörigen wegen fehlender Gerichtetheit der Maßnahmen auf asylerhebliche
Merkmale aus dem Bereich der politischen Verfolgung auszuklammern, ist darüber
hinaus die Intensität der abzuwendenden Gefahr maßgeblich einzustellen. Insofern ist
zu berücksichtigen, dass die Terroranschläge, die von der LTTE verübt oder ihr
zugerechnet werden, darauf angelegt sind, unter Inkaufnahme einer Vielzahl
unbeteiligter Opfer und erheblicher Sachschäden die Sicherheitslage nachhaltig zu
erschüttern, für anderweitige Erfolge der Sicherheitskräfte im Kampf gegen die LTTE
Rache zu nehmen und Sicherheitskräfte außerhalb des eigentlichen Kampfgebietes zu
binden. Dies gilt beispielsweise für die Anschläge auf Treibstofflager im Oktober 1995,
auf die Zentralbank im Januar 1996, auf einen Vorortzug im Juli 1996, auf das
Handelszentrum im Oktober 1997 und auf den Zahntempel in Kandy im Januar 1998
(AA 28.04.2000 S. 4) sowie für folgenschwere Explosionen in der Nähe des
Hauptquartiers der Luftwaffe im Februar 1998 und eines Bahnhofs im März 1998
(Wingler 31.05.1998 S. 39), ferner für die bereits oben angesprochenen
Bombenanschläge um die Jahreswende 1999/2000. Der Druck auf die staatlichen
Stellen, dem zu begegnen, ist nicht zuletzt deshalb ganz erheblich, weil bei
Destabilisierung zu besorgen ist, dass es über die unmittelbare
Rechtsgutbeeinträchtigung hinaus erneut zu ausgreifenden Unruhen und
Ausschreitungen von Singhalesen gegen Tamilen kommt. Die Ausführung der
Anschläge durch Selbstmordkommandos oder entsprechende Einzeltäter, zumindest
durch Täter, die ihr Leben zu riskieren bereit sind, zwingt dazu, dem möglichen Umfeld
des Täterkreises, der - wie die Ziele der Anschläge, die Durchführung und das
93
verwendete Material zeigen - der Vorbereitung und Unterstützung bedarf, besondere
Aufmerksamkeit zu schenken. Die Spannweite möglicher Ziele der Terroranschläge
lässt vorbeugende Maßnahmen dabei generell als schwierig erscheinen. Dieses hohe
und schwer einzudämmende Gefahrenpotential sowie die nicht zuletzt durch den
Bürgerkrieg in Teilen des Landes und die Fluktuation der Bevölkerung bedingten
Schwierigkeiten schon bei der Abklärung der Identität Festgenommener sind geeignet,
auch Inhaftierungen von mehr als zwei Tagen wegen mangelnder Anknüpfung an
asylerhebliche Merkmale den Charakter einer politischen Verfolgung zu nehmen, wenn
und solange die Identität des Betroffenen nicht geklärt ist und/oder Zweifel an den
Gründen für den Aufenthalt im Großraum Colombo vorliegen. Anderes kann dann
gelten, wenn die staatlichen Aufklärungsmaßnahmen zur Terrorismusbekämpfung, die
ohne konkrete Verdachtsmomente zunächst lediglich an asylerhebliche Merkmale wie
etwa die Volkszugehörigkeit anknüpfen, über das angemessene Maß hinausgehen.
Insbesondere bei einer übermäßig langen Freiheitsentziehung kann dies anzunehmen
sein. In diesem Fall spricht eine Vermutung dafür, dass sie nicht nur der
Terrorismusabwehr dienen, sondern den Einzelnen zumindest auch wegen seiner
asylrechtlichen Merkmale treffen und deshalb politische Verfolgung darstellen.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2000 - 9 C 28.99 -, NVwZ 2000, 1426, 1427.
94
Anhaltspunkte dafür, dass es dazu - über Einzelfälle hinaus - kommt, lassen sich aus
dem bereits gewürdigten Zahlenmaterial nicht gewinnen.
95
(3) Bestechungsgeld
96
Die Inhaftierungen erlangen den Charakter der politischen Verfolgung auch nicht
dadurch, dass - wie es verbreitet geschieht - Festnahme und Verzögerung der
Freilassung erfolgen, um Lösegeld zu erpressen (KK 04.01.1996 S. 56, 14.10.1996 S. 4,
12.03.1999 S. 5; Wingler 01.11.1995 S. 10 - danach geschieht dies "fast schon
routinemäßig" -, Wingler 08.10.1997 S. 33) oder das Angebot von Bestechungsgeld
abzuwarten (Südasien 6/97 S. 8); soweit es sich dabei nicht von vornherein um
Übergriffe ohne asylerheblichen Charakter handelt -
97
vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 16. Dezember 1997 - 9 B 882.97 -, S. 3 -,
98
fehlt es, da nur Gelegenheiten ausgenutzt werden, an der erforderlichen Gerichtetheit
des kriminellen Tuns.
99
(4) Misshandlungen während Inhaftierung und widerrechtliche Langzeitinhaftierung
100
Dass es bei den Inhaftierungen über den Freiheitsentzug - unter den in Sri Lanka dabei
allgemein gegebenen Verhältnissen (AA 28.04.2000 S. 22; KK 28.03.2000 S. 5 f.) -
hinaus allgemein mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu Maßnahmen kommt, die den
Schluss auf eine gezielte Rechtsgutverletzung in Anknüpfung an asylerhebliche
Merkmale begründen, lässt sich dem vorliegenden Auskunftsmaterial, das alles an
Informationen aufgegriffen hat, was zur Verfügung stand oder beschafft werden konnte,
nicht entnehmen. Fälle von Folter bei kurzfristig, insbesondere zur Identitätsabklärung
Verhafteten werden nur vereinzelt berichtet (ai --.06.1999, torture in custody, S. 9,
01.03.1999 S. 4). Die Gefahr von Folter nimmt jedoch bei längeren Inhaftierungen zu (ai
01.03.1999 S. 2; KK 04.01.1996 S. 56); vor allem bei Inhaftierungen wegen eines
konkreten und individualisierten LTTE-Verdachts muss mit Folter gerechnet werden (AA
101
12.07.1995 S. 2: "besonders gelagerte Einzelfälle", 28.04.2000 S. 18: "schwer
wiegende Verstöße kommen aber weiter vor", 27.07.2000 an VG Arnsberg S. 2 f.; ai --
.06.1999, torture in custody, S. 8 f., 01.03.1999 S. 4; KK 20.03.1996 S. 9, 22.06.1999,
Anlage Forum for Human Dignity 12.01.1999; Wingler 11.10.1995 S. 2, 08.10.1997 S.
33, 30.09.1998 S. 3, 4, 27.05.1999 S. 3 f.: "immer noch" bzw. "weiterhin" sowie --
.05.2000 S. 1 ff.; UNHCR --.07.1998 S. 2: Fälle von Folter geben Anlass zu großer
Besorgnis). Insoweit sind Misshandlung und Folter vor allem bei Verhören durch die
Spezialeinheiten zur Terrorismusbekämpfung (u.a. 4. und 6. Stock des CID
Headquarters, das Crime Detective Bureau, die Security Coordinating Division und das
Terror Investigation Department) zu besorgen. Diesen Einheiten werden regelmäßig
führende LTTE- Kader oder sonstige LTTE-Aktivisten überstellt, gegen die konkrete
Verdachtsmomente hinsichtlich der Beteiligung an Terroranschlägen bestehen (AA
28.04.2000 S. 7; 27.07.2000 an VG Neustadt S. 4). Im Übrigen kommen Berichte über
Fälle von Folter und Tod in Haft zumeist aus den nördlichen und östlichen Gebieten, in
denen Auseinandersetzungen mit der LTTE statffinden (Wingler 12.10.2000 S. 1; KK
28.03.2000).
Insgesamt ist in den letzten Jahren gegenüber der früheren Praxis der Sicherheitskräfte
eine Verringerung der Gefahr von Verhören unter Folter festzustellen (AA 28.04.2000 S.
18). Das ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass die Regierung
Kontrollmechanismen gegenüber den weitgehenden Befugnissen der Sicherheitskräfte
geschaffen hat (UNHCR 25.04.1997 S. 3). Das Problem der Folter wird - anders als
früher (dazu AA 23.06.1992 S. 8 f., 12.01.1993 S. 1) - nach der Umsetzung der
Konvention gegen Folter in nationales Recht ab 1994 angegangen. Sie kann mit
erheblicher Gefängnis- und Geldstrafe geahndet werden; zudem unterliegen die
Verantwortlichen disziplinarischen Maßnahmen und können zu
Entschädigungsleistungen verurteilt werden (AA 28.04.2000 S. 18 ff.; ai --.06.1999 S. 4
ff.). Zur Verringerung der Gefahr von Folter und einer ungerechtfertigten Verlängerung
der Haftdauer sehen die Notstandsgesetze vor, dass - jeweils binnen 24 Stunden - von
der Armee Festgenommene der nächstgelegenen Polizeistation zu überstellen und
dass Festnahmen durch die Polizei dem "Superintendent of Police" des Bezirks zu
melden sind (AA 28.04.2000 S. 21; AA 06.04.1998 S. 10) Spätestens nach 48 Stunden
müssen die Festgenommenen dem Richter vorgeführt werden (KK 22.02.1997 S. 7), es
sei denn, ein höherrangiger Beamter oder Offizier erlässt eine "Detention Order", die ein
Festhalten ohne richterlichen Haftbefehl von bis zu 60 bzw. - seit Versetzung des
Landes in Kriegsbereitschaft am 3. Mai 2000 - 90 Tagen ermöglicht (KK 05.02.1997 S.
5; AA 28.04.2000 S. 21, 01.08.2000). Nach dem Prevention of Terrorism Act kann die
Polizei einschlägig Verdächtige bis zu 72 Stunden festhalten. Danach müssen sie
grundsätzlich dem zuständigen Ermittlungs- bzw. Untersuchungsrichter vorgeführt
werden, es sei denn, das Verteidigungsministerium erlässt eine Detention Order, die -
unter Berücksichtigung möglicher Verlängerungen - ein Festhalten von insgesamt 18
Monaten ermöglicht. Von einer solchen Dentention Order wird allerdings wegen der
Anforderungen, die der Oberste Gerichtshof an sie stellt, so gut wie kein Gebrauch mehr
gemacht (AA 06.04.1998 S. 7, 28.04.2000 S. 22, 01.08.2000). Die Unterbringung der
nach dem Notstandsrecht Verhafteten darf nur in Einrichtungen erfolgen, die vom
Verteidigungsminister dafür zugelassen worden sind (AA 28.04.2000 S. 21; ai --
.06.1999 S. 12; KK 05.02.1997 S. 5). Menschenrechtsorganisationen sowie Mitglieder
des UNHCR und des IKRK können diese Einrichtungen besuchen (EU 11.11.1998 S.
16; UNHCR 23.07.1996 S. 3; AA 28.04.2000 S. 22). Auch sonst sind Besuche bei den
Inhaftierten möglich (AA 06.05.1999 S. 5; Wingler 30.01.1998 S. 12). Die nicht auf Grund
gerichtlichen Haftbefehls Festgehaltenen sind regelmäßig einem Richter zu melden, der
102
einmal im Monat die Haftanstalten aufsuchen soll (AA 28.04.2000 S. 21). Von einer
Inhaftierung sind Verwandte oder Freunde des Verhafteten in Kenntnis zu setzen, der
mit diesen Kontakt aufnehmen und sie über Verhaftung und Aufenthaltsort unterrichten
kann (KK 22.02.1997 S. 16 f.).
Darüber hinaus hat die Regierung weitere Kontrollmechanismen geschaffen. Am 1. Juli
1997 hat die National Human Right Commission (NHRC) ihre Arbeit aufgenommen.
Diese unter der Leitung eines pensionierten Richters des obersten Gerichtshofs Sri
Lankas tätige Nachfolgeeinrichtigung der früheren Human Rights Task Force hat die
Aufgabe, darüber zu wachen, dass die in den PTA und ER vorgesehenen Regelungen
eingehalten werden (AA 21.08.1997 S. 3); sie ist bei Verhaftungen nach den
Notstandsgesetzen binnen 48 Stunden über die Verhaftung und den Ort der Inhaftierung
zu unterrichten (AA 28.04.2000 S. 21; EU 11.11.1997 S. 16; ai --.11.1997 S. 12 f.;
UNHCR 25.04.1997 S. 3; KK 22.02.1997 S. 16). Darüber hinaus ist im Sommer 1998
eine aus Parlamentariern und Ministern gebildete, allgemein erreichbare Kommission
zur Entgegennahme und Prüfung von Beschwerden wegen Belästigungen und
Misshandlungen bei Verhören eingerichtet worden (Anti Harrassment Committee - AHC
-, AA 31.08.1998 S. 2, 28.04.2000 S. 7; Wingler 30.09.2000 S. 3, 5).
103
Allerdings ist nicht zu verkennen, dass die gesetzlichen Sicherheitsvorkehrungen in der
Praxis nicht durchweg eingehalten werden und dass auch die sonstigen von der
srilankischen Regierung etablierten Kontrollmechanismen häufig nicht effektiv greifen
(KK 22.02.1997 S. 16; AA 17.03.1997 S. 6; UNHCR --.07.1998 S. 3 f. m.w.N.; ai --
.06.1999, torture in custody, S. 8, 12, 16). Es kommt zu Überschreitungen der
vorgegebenen Fristen, die aber auch außerhalb der Verhaftungen auf Grund der
Notstandsregelungen festzustellen sind (EU 11.11.1997 S. 17). Auch sonst sind
Verstöße insbesondere auf den unteren Ebenen der Sicherheitskräfte festzustellen (AA
19.01.1999 S. 12 und 15). Eine generelle Verschlechterung ist insoweit jedoch auch
nach dem Verbot der LTTE (Wingler 31.05.1998 S. 39) nicht eingetreten, sodass die
grundsätzliche Wirksamkeit nicht in Frage gestellt ist. Verstöße sind weithin mit Strafe
belegt und ihnen wird nachgegangen (AA 11.07.1997 S. 2, 16.01.1996 S. 11; ai --
.06.1999, torture in custody, S. 4 f.); dass derartige Verfahren schleppend verlaufen -
was zum Teil auf das srilankische Strafverfahrenssystem (EU 11.11.1997 S. 10), zum
Teil auf die sachlich bedingten Probleme in der Klärung der Verantwortlichkeit und der
Beweisführung (AA 19.01.1999 S. 15) zurückzuführen ist -, schließt eine schon durch
die Strafandrohung und das Aufgreifen von Vorkommnissen hervorgerufene Effizienz
nicht aus. Daneben besteht die Möglichkeit, sich mit Beschwerden an den Obersten
Gerichtshof zu wenden, wovon zunehmend Gebrauch gemacht wird (ai --.06.1999,
torture in custody, S. 26 f.). Auch gibt es Anwälte, die sich in Fällen der
Menschenrechtsverletzungen engagieren (AA 19.01.1999 S. 26). Wenngleich Prozesse
gegen Sicherheitskräfte oder die Heranziehung der Verantwortlichen zur Zahlung von
Entschädigungsleistungen - anders als Entschädigungsleistungen des srilankischen
Staates (ai --.06.1999, torture in custody, S. 27) - zunächst noch nicht bekannt geworden
sind (Wingler 08.10.1997 S. 35, 27.05.1999 S. 4) bzw. nur wenige Verantwortliche für
Menschenrechtsverletzungen sich vor Gericht verantworten mussten und in den
seltensten Fällen verurteilt wurden und darüberhinaus allgemein beklagt wird, dass
Menschenrechtsverletzungen weitgehend ungeahndet bleiben (UNHCR --.07.1998 S. 3;
ai --.06.1999 S. 4), so zeigen die geschaffenen Möglichkeiten jedenfalls insofern
Wirkung, als die Sicherheitskräfte - wie Auskünfte übereinstimmend belegen - im
Vergleich zu früher zurückhaltender agieren.
104
(5) Gefahrenprognose, Risikofaktoren für asylerhebliche Misshandlungen
105
Nach dem Vorstehenden ist für zurückkehrende Tamilinnen und Tamilen festzuhalten,
dass die Gefahr, im Großraum Colombo im Zusammenhang mit den Kontrollen und
eventuell daran anschließenden Festnahmen Opfer politischer Verfolgung zu werden,
gering ist. Zur beachtlichen Wahrscheinlichkeit verdichtet sich diese Möglichkeit - je
nach den Umständen des Einzelfalls - allenfalls für Personen, die konkret verdächtigt
werden, mit geschehenen oder geplanten Anschlägen der LTTE in Verbindung zu
stehen oder in sonstiger hervorgehobener Weise in Tätigkeiten der LTTE oder einer
ihrer Frontorganisationen verstrickt zu sein.
106
Als Risikofaktoren dafür, bei den srilankischen Sicherheitskräften in einen derartigen
Verdacht zu geraten und hieran anknüpfend von schwerer körperlicher Misshandlung
und Folter während der Inhaftierung bedroht zu ein, gelten nach den vorliegenden
Erkenntnissen für Tamilinnen und Tamilen im Allgemeinen folgende Umstände:
fehlende oder nicht ordnungsgemäße Ausweispapiere, Lebensalter unter 35 bis 40
Jahren, geringe singhalesische Sprachkenntnisse, Geburtsort auf der Jaffna-Halbinsel,
Ankunft in Colombo erst kurz zurückliegend, Verwandtschaft mit LTTE-Angehörigen, in
Polizeiberichten oder sonstigen Unterlagen der Sicherheitskräfte festgehaltener
Verdacht einer LTTE-Mitgliedschaft, Identifikation als LTTE-Mitglied durch Informanten
der Sicherheitskräfte und das Vorhandensein körperlicher Wunden (Medical Foundation
--.06.2000 S. 41 unter Berufung auf einen Länderbericht des britischen
Innenministeriums; ähnlich KK 18.02.2000 an VG Bremen S. 2; zu einzelnen
Risikofaktoren vgl. AA 25.01.2000 S. 1 f.; ai 30.08.1999 S. 1; Wingler 30.09.1998 S. 2,
13;).
107
Allgemeine Aussagen zum Gewicht dieser Kriterien und dem Grad der aus ihrem
Vorliegen resultierenden Wahrscheinlichkeit eines intensiveren Zugriffs der
Sicherheitskräfte lassen sich nur sehr eingeschränkt treffen. Angesichts der bei einigen
der Kriterien möglichen "Bandbreite" ihrer Erscheinungsformen sowie der
Mannigfaltigkeit der möglichen Kombinationen bei den einzelnen Asylbewerbern ist
eine generalisierende und fallübergreifende Schlussfolgerung auf eine beachtliche
Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung weder für die Gruppe der nach Sri Lanka aus
dem Ausland zurückkehrenden Tamilinnen und Tamilen noch für eine nach
allgemeinen Merkmalen eingrenzbare Untergruppe hiervon möglich. Vielmehr kann der
Schluss auf eine beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung nur Ergebnis
einer Würdigung aller vorliegenden Risikofaktoren in jedem konkreten Einzelfall in
Bezug auf den jeweiligen Asylbewerber und seine konkrete Situation sein. Dabei ist von
folgenden Grundsätzen auszugehen:
108
Die allgemeinen Merkmale Alter, fehlende Papiere, Herkunft von der Jaffna-Halbinsel,
geringe singhalesische Sprachkenntnisse und erst kurz zurückliegende Ankunft in
Colombo reichen als solche weder für sich gesehen noch in ihrer Gesamtheit aus, um
einen relevanten LTTE-Verdacht bei den srilankischen Sicherheitskräften zu wecken.
Diese Kriterien greifen im Wesentlichen für den ersten Zugriff ein, wie sich etwa aus
einer Zusammenstellung von Aktionen der Sicherheitskräfte im Zeitraum von Oktober
1997 bis Januar 1998 ergibt (KK 20.03.1998 S. 2 ff.); sie lassen aber keinen
Rückschluss auf die weitere Behandlung zu. Schon ein Vergleich der Zahl der
landesweit - Zahlen allein für die Großraum Colombo liegen dem Senat nicht vor - für
längere Zeit nach den Sondergesetzen zur Terrorismusbekämpfung Inhaftierten (bis zu
2.000) und der geringen Zahl bekannt gewordener Fälle von Misshandlung und Folter
109
während Lang- und Kurzzeithaft einerseits mit der Zahl der in der im Großraum Colombo
lebenden Tamilen (etwa 400.000, davon ca. 150.000 aus dem Norden und Osten, EU
11.11.1997 S. 13) andererseits macht deutlich, dass die für die Annahme einer
Gruppenverfolgung notwendige Dichte von Eingriffshandlungen nicht erreicht wird. Dies
gilt auch bezogen auf den Anteil der jungen Tamilen im Rekrutierungsalter der LTTE.
Zwar ist die Altersgruppe der 15- bis 30-jährigen (so AA 28.04.2000 S. 8) bzw. der 15
bis 40- jährigen (so KK 04.01.1996 S. 54) von den Sicherheitskontrollen besonders
betroffen; auch werden insoweit nicht mehr in erster Linie nur junge Männer (allgemein
hierzu: Wingler 27.05.1999), sondern inzwischen gleichermaßen junge Frauen
aufgegriffen, offenbar weil an den jüngsten Bombenanschlägen in Colombo auch junge
Frauen als "Suicid-Bombers" beteiligt waren (AA 28.04.2000 S. 8; KK [Keller] Südasien
1/00). Der Anteil der in Colombo lebenden jungen Tamilen ist aber so hoch, dass sich
die aktuelle Gefahr eigener Verfolgungsbetroffenheit für jeden Angehörigen dieser
Gruppe nicht feststellen lässt.
Vgl. zu den Anforderungen BVerwG, Urteile vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE
96, 200, 203 und vom 20. Juni 1995 - 9 C 294.94 -, NVwZ-RR 1996, 57.
110
Nach Schätzungen des Auswärtigen Amtes auf der Grundlage der Volkszählung von
1981 beträgt der Anteil der 14-40jährigen etwa 60 v.H. (AA 10.01.1996 S. 3).
Verlässliche Zahlen aus neuerer Zeit stehen nicht zur Verfügung, doch dürfte sich an
der sehr jungen Altersstruktur der srilankischen Bevölkerung und der Bewohner von
Colombo nichts Wesentliches geändert haben. Dies bedeutet, dass schätzungsweise
240.000 bzw. - soweit zusätzlich auf die Herkunft aus dem Norden oder Osten des
Landes abgestellt wird - 80.000 Personen in Colombo dieser risikobehafteten Gruppe
angehören.
111
Dass für die von Wingler gebildete "Untergruppe der jüngeren aus dem Nord/Osten
stammenden tamilischen Neuankömmlinge ohne ausreichenden 'valid reason' für einen
Aufenthalt im 'Süden' " (Wingler 12.12.1997 S. 1, 15 ff., 31.05.1998 S. 45 ff., 30.09.1998
S. 2, 13, 27.05.1999 S. 2, 9) eine grundlegend andere Situation besteht, lässt sich nicht
mit der erforderlichen Verlässlichkeit feststellen. Soweit Wingler (12.12.1997 S. 1 f.)
angibt, "etwa 50 % der verhafteten Population der jüngeren Tamilen aus dem
Nord/Osten ohne ausreichenden 'valid reason' für einen Aufenthalt im 'Süden'
(befänden) sich im Rahmen der neueren Verhaftungswellen länger als einen Monat in
widerrechtlicher Haft" - andernorts spricht er sogar von 100 v.H. (30.09.1998 S. 13), ist
die Aussage zum einen mangels konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte vor dem
Hintergrund des sonstigen Auskunftsmaterials nicht nachvollziehbar. Zum anderen fehlt
es an der erforderlichen Differenzierung der Maßnahmen nach dem Charakter als
politische Verfolgung, wie sie im Vorstehenden dargetan ist. Jedenfalls ist nicht
ersichtlich, dass Rückkehrer nach längerem Auslandsaufenthalt in einer mit derjenigen
der angesprochenen "Untergruppe" vergleichbaren Gefährdungssituation sind. Vielmehr
stehen sie nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes (18.04.2000 S. 5) weit weniger
im Verdacht als etwa Tamilen, die erst kürzlich aus den östlichen oder nördlichen
Landesteilen nach Colombo gekommen sind. So sind in der schon wiederholt
angesprochenen Zusammenstellung (KK 08.12.1998) für den Zeitraum von etwa einem
Jahr lediglich drei Fälle längerfristiger Verhaftung von Personen belegt, die rund zwei
Wochen bis fünf Monate zuvor aus dem Ausland nach Sri Lanka zurückgekehrt und in
Colombo verblieben waren. Darüber hinaus ist im Hinblick auf die Kriterien, die die
Sicherheitskräfte bei den Sicherheitskontrollen anlegen - Identitätsnachweis und 'valid
reason' - für das Ausweiserfordernis von wesentlicher Bedeutung, dass eine
112
Vereinbarung zwischen der srilankischen Regierung und dem UNHCR getroffen wurde,
wonach den Einreisenden ihre Einreisepapiere zum Zwecke des Nachweises belassen
werden sollen (Wingler 11.10.1995 S. 3); allerdings wird dies nicht stets eingehalten,
vielmehr werden gerade die "emergency certificates" nach Verhören auf dem Flughafen
teilweise einbehalten und durch Ausweispapiere zur Meldung bei der örtlich
zuständigen Polizeistation in Colombo ersetzt (Wingler 31.05. 1998 S. 30). Der
eigentliche Nachweis erfolgt durch die Identitätskarte (UNHCR 12.02.1998; KK
22.09.1997 S. 4), die mit sich zu führen jeder srilankische Staatsbürger ab 16 Jahren
verpflichtet ist (AA 28.04.2000 S. 22). Die zur Erlangung des Dokuments erforderliche
Geburtsurkunde können Rückkehrer im Regelfall - - auch schon von Europa aus - -
erhalten (Wingler 11.10.1995 S. 3 f., 31.05.1998 S. 40; EU 02.04.1997 S. 6). Zur
Erledigung der Formalitäten, insbesondere der Meldepflicht steht ein Beratungsbüro zur
Verfügung (AA 28.04.2000 S. 26). Dem umfangreichen Auskunftsmaterial, das den
Fragenkreis der Rückkehr detailliert behandelt, ist nicht zu entnehmen, dass die
Rückkehr von einem Auslandsaufenthalt nach lange zurückliegender Aufgabe des
srilankischen Wohnsitzes und dem Verlust der Verbindung zum früheren Heimatort und
der damit verbundenen Notwendigkeit, in Sri Lanka wieder Fuß zu fassen, von
vornherein nicht als plausibler Grund für den Aufenthalt in Colombo als dem Ort, der im
Rahmen der Rückkehr als Erster erreicht wird, angesehen wird.
Hinsichtlich des Risikofaktors eines aktenkundigen oder den Sicherheitsbehörden auf
sonstige Weise zugetragenen LTTE-Verdachts muss nach der tatsächlichen oder
vermeintlichen Position des Betroffenen innerhalb der LTTE und dem Grad der
Unterstützung unterschieden werden. Insoweit wird zunächst auf die Ausführungen zur
Bedeutung von Auslandsaktivitäten im Zusammenhang mit den Einreisekontrollen am
Flughafen von Colombo verwiesen. Vergleichbares gilt für eine zurückliegende LTTE-
Mitgliedschaft oder -Unterstützung in Sri Lanka. Wer die LTTE, insbesondere im Bereich
der von ihr beherrschten Gebiete wie etwa der von 1990 bis 1995 unter ihrer Kontrolle
stehenden Jaffna-Halbinsel gezwungenermaßen oder im Rahmen seiner Berufstätigkeit
bzw. geschäftlichen Beziehungen oder im karikativen Bereich (z.B. Essenausgabe,
Transport von Medikamenten) unterstützt hat, muss heute nicht mehr damit rechnen,
dass deswegen Verfolgungsmaßnahmen gegen ihn eingeleitet werden. Selbst ehemals
aktiv am bewaffneten Kampf beteiligten LTTE-Kader, die sich unter Bekenntnis zu ihrer
Vergangenheit ins Privatleben zurückgezogen haben, und von denen daher keine
Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mehr zu erwarten ist, droht in aller Regel keine
Strafverfolgung mehr (AA 28.04.2000 S. 10; vgl. auch KK 26.07.1999 an VG Bremen S.
1 f.).
113
Das Bestehen eines Verwandtschaftsverhältnisses zu einem LTTE-Mitglied oder -
Unterstützer führt ebenfalls nicht ohne Weiteres mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu
asylrelevanten Maßnahmen. Sippenhaft findet in Sri Lanka in der Regel nicht statt, eine
entsprechender Tatbestand ist dem srilankischen Strafrecht fremd (AA 04.02.2000 S. 1).
Gefährdet sind allenfalls Rückkehrer, deren Angehörige eine höherrangige aktive
Stellung in der LTTE bekleiden, wenn dies den Sicherheitsbehörden bekannt wird. Je
konkreter der Verdacht, je enger die verwandtschaftliche Beziehung, je höher die
Stellung des Verwandten in der LTTE ist und je spektakulärer seine Taten sind, desto
größer ist die Wahrscheinlichkeit für einen Familienangehörigen, selbst in Verdacht zu
geraten (AA 09.11.1996 S. 3; ai 23.02.2000, ASA 37-99.134, S. 2; siehe auch KK
03.02.2000, wo für 2 der 3 genannten Belegfälle ausdrücklich ein Bezug zu
Bombenanschlägen hergestellt wird). Eine weniger wichtige Aktivität für die LTTE, z.B.
die Veröffentlichung eines Gedichts in einer Publikation der LTTE, führt demgegenüber
114
nicht zu einer erhöhten Gefährdung von Familienangehörigen des Verfassers (KK
17.11.1998 S. 2). Ebenso ist für einen Rückkehrer regelmäßig unschädlich, wenn er nur
mit einem einfachen Kämpfer der LTTE verwandt ist. Dies folgt daraus, dass es
zahlreiche Familien gibt, die - häufig zwangsweise - einen LTTE-Kämpfer stellen (AA
05.09.1997 S. 1 f.), die Zahl der berichteten Verhaftungen von Familienangehörigen
demgegenüber aber vergleichsweise gering ist. Amnesty international geht davon aus,
dass "derzeit nicht von einer Alltäglichkeit bzw. Regelmäßigkeit" solcher Verhaftungen
ausgegangen werden kann, und kann - wie auch sonstige Quellen - über wenige
Einzelfälle hinaus keine konkreten Zahlen zur Inhaftnahme von Familienangehörigen
bekannter oder mutmaßlicher LTTE-Anhänger benennen (ai 23.02.2000, ASA 37-
99.135, S. 4). Schließlich ist zu berücksichtigen, dass verwandtschaftliche Beziehungen
oftmals nur schwer erkennbar sind, da LTTE-Kämpfer während ihrer fünfjährigen
"Dienstzeit" zumindest Aliasnamen tragen und ihre Identität nicht an Außenstehende
bekannt geben (AA 09.11.1996 S. 3.).
Auch Körperverletzungen und Narben reichen für sich gesehen in aller Regel nicht aus,
um bei den srilankischen Sicherheitskräften einen aktuellen, konkreten LTTE-Verdacht
zu wecken. Zwar können typische Kampfverletzungen wie Schusswunden (so AA
25.01.2000 S. 1 f.) oder Narben, die sich jemand als LTTE-Kämpfer zugezogen haben
kann (so ai 30.08.1999 S. 1; Wingler 01.04.1999 S. 5), eine erhöhte Festnahmegefahr
auslösen (ähnlich KK 12.03.1999 S. 1 f., der allerdings nicht nach der Art der Narben
differenziert). Damit ist aber nichts über die beachtliche Wahrscheinlichkeit
asylerheblicher Weiterungen gesagt. Denn in Sri Lanka leben zahlreiche Personen, die
im Zusammenhang mit Kriegsereignissen und Anschlägen, aber auch durch Arbeits-,
Straßenverkehrs- und häusliche Unfälle Verletzungen erlitten haben (AA 25.01.2000 S.
1 f.), so dass ein etwaiger Anfangs-Verdacht aufgrund von Narben - vorbehaltlich der
Besonderheiten des Einzelfalls, namentlich des Vorliegens weiterer Verdachtsmomente
- regelmäßig nichts für eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit hergibt; selbst
eine Schusswunde kann jemand nicht nur als aktiver Kämpfer, sondern auch als
unbeteiligter Zivilist erlitten haben.
115
Lassen sich somit - zusammenfassend - hinsichtlich der genannten Risikofaktoren
verallgemeinerungsfähige Aussagen für die Bejahung einer beachtlichen
Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung für Tamilen oder eine relevante Untergruppe
nicht gewinnen, kann auch die Frage, ob der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
bei den srilankischen Sicherheitskräften in den konkreten Verdacht einer Verstrickung in
Aktivitäten der LTTE gerät, nicht bereits unter Rückgriff auf die hier betrachtete
allgemeine Lage in Sri Lanka abschließend beurteilt werden; das ihm im Falle seiner
Rückkehr konkret drohende Verfolgungsrisiko muss vielmehr nach Maßgabe der in
seiner Person konkret verwirklichten Risikomerkmale unter Berücksichtigung seiner
Situation bewertet werden. Insofern wird auf die Darlegungen im Anschluss an die
Bewertung der allgemein in Sri Lanka gegebenen Situation unter II. 2. b) cc) der
Entscheidungsgründe verwiesen.
116
(6) Sonstige Beeinträchtigungen
117
Die Situation, mit der aus dem Ausland nach Colombo gelangende Tamilen konfrontiert
sind, trägt auch nicht aus anderen als den bereits erörterten Umständen den Schluss auf
die beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung dieser Volkszugehörigen oder
einer nach asylerheblichen Merkmalen eingegrenzten Gruppe unter ihnen. Der
Aufenthalt ist zwar schwierig, doch drohen die Beeinträchtigungen, so weit sie
118
überhaupt die für eine Verfolgung erforderliche Intensität erreichen, nicht in einem
solchen Grade, dass auf die für die Annahme einer Gruppenverfolgung notwendige
Dichte geschlossen werden kann, bzw. lassen sie sich weithin und in entscheidenden
Umfang nicht auf ein staatliches Handeln mit der eine politische Verfolgung
ausmachenden Gerichtetheit auf asylerhebliche Merkmale zurückführen.
(a) Niederlassungsmöglichkeit im Großraum Colombo
119
Ob es als Akt der politischen Verfolgung zu werten ist, wenn ein Staat einem durch die
Volkszugehörigkeit abgegrenzten Teil seiner Staatsangehörigen entgegen einem
verfassungsrechtlichen Anspruch auf freie Wahl des Aufenthaltsortes den Aufenthalt in
bestimmten Landesteilen verwehrt und so die Betroffenen zwingt, in Landesteile
auszuweichen, in denen ihnen Nachteile insbesondere infolge von kriegerischen
Auseinandersetzungen drohen (vgl. dazu KK 02.09.1997 Anhang Südasienbüro vom 2.
Juli 1997), mag dahinstehen. Ein solcher Zwang ist für den Großraum Colombo
jedenfalls nicht in dem Sinne gegeben, dass er jeden aus dem Ausland
zurückkehrenden Tamilen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit trifft. Amtliche
Regelungen in dieser Hinsicht - - mit der anzunehmenden Folge einer verbreiteten
Durchsetzung - - bestehen nicht (AA 30.01.1998, 02.10.1997, 28.04.2000 S. 28;
UNHCR 12.02.1998; KK 13.09.1997 S. 4, 18.02.2000 S. 2 f.; Wingler 08.10.1997 S. 40).
Zwar ist zu beobachten, dass Rückkehrer, die sich bei der zuständigen Polizeistation
melden, um sich dort registrieren zu lassen, ein so genanntes "stay permit" regelmäßig
jeweils nur für wenige Wochen erhalten und bei der Erteilung und Verlängerung - -
zumal mangels klarer Vergabevorschriften - - Korruption und Willkür eine Rolle spielen
(KK 18.02.2000). Auf der anderen Seite fehlt es aber an nachvollziehbaren
Referenzfällen über zwangsweise Rückführungen von aus dem Norden oder Osten
zugewanderten, geschweige denn von aus Europa zurückkehrenden Tamilen in ihre
Heimatgebiete. Vielmehr wird berichtet, dass gerade die aus dem Ausland
abgeschobenen oder zurückgekehrten Asylbewerber es vorziehen und es ihnen
vielfach auch gelingt, im Großraum Colombo ihren Wohnsitz zu nehmen (AA 28.04.2000
S. 28). Es fehlt damit schon an einer tatsächlichen Grundlage für den Schluss, jedem
Rückkehrer aus der Volksgruppe der Tamilen oder einer eingrenzbaren Untergruppe
drohten mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Maßnahmen, die sich als faktischer Zwang,
Colombo zu verlassen, erweisen, und denen er nur durch Weiterreise in Gebiete
ausweichen könnte, in denen er mit andersartigen Gefahren von erheblichem Gewicht
konfrontiert wäre. Soweit zurückkehrenden Tamilen durch Meldeauflagen, das
Erfordernis von Ausweispapieren und eines sachlichen Grundes für den Aufenthalt
sowie durch - unter Umständen bei Nichterfüllen dieser Anforderungen - drohende
Festnahme bei den zahlreichen Kontrollen und die im Umgang mit den
Sicherheitskräften bestehenden sprachlichen Schwierigkeiten (KK 08.12.1998 S. 3,
22.09.1997 S. 4; Südasien 6/97 S. 8; EU 11.11.1997 S. 13) der Aufenthalt in Colombo
erschwert und - wie in den Auskünften zum Teil gefolgert wird - faktisch verwehrt wird
(Wingler 08.10.1997 S. 40; KK 22.09.1997 S. 4, 22.06.1999 S. 8; Südasien 1-2/98 S.
14), ist auf die vorstehenden Ausführungen zur Möglichkeit, eventuell fehlende Papiere
zu erlangen, und zu mangelnden Anhaltspunkten dafür, dass gerade bei Rückkehrern
die Anerkennung eines sachlichen Grundes für die Aufenthalt verneint wird, zu
verweisen. Ein genereller Grund, die Meldeauflagen als unzumutbar nicht zu befolgen
oder nicht erfüllen zu können, ist daher auch nicht ersichtlich. Da der in Auskünften
angesprochene Druck, Colombo zu verlassen, letztlich aus den drohenden Festnahmen
folgt (KK 08.12.1998 S. 4 ff.), kann insofern auf das oben zur mangelnden Intensität und
Dichte derartiger Übergriffe Gesagte verwiesen werden.
120
(b) Existenzbedingungen
121
Die weiteren Beeinträchtigungen hinsichtlich der Existenzbedingungen, auf die aus dem
Ausland zurückkehrende Tamilen im Großraum Colombo treffen, sind ihrer Schwere
nach noch nicht asylerheblich, sind nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu
besorgen oder sind nicht als staatliche Verfolgung mit asylrelevanter Gerichtetheit zu
werten. Die Möglichkeit, Arbeit zu finden ist - nicht nur für Tamilen - zunächst schon
wegen der herrschenden Arbeitslosigkeit, also infolge der allgemeinen Wirtschaftslage
schwierig. Soweit auf zusätzliche Probleme für Tamilen verwiesen wird, weil potentielle
Arbeitgeber bei der Einstellung von Tamilen Schwierigkeiten mit den Sicherheitskräften
befürchten (KK [Keller] Südasien 1/00 S. 2, 22.06.1999 S. 9), kann ungeachtet der Frage
nach der erforderlichen Schwere der Beeinträchtigung nicht von einer politischen
Verfolgung gesprochen werden. Inwieweit Sprachprobleme (KK 08.12.1998 S. 3) trotz
des hohen tamilischen Bevölkerungsanteils in Colombo (AA 27.05.1999 S. 2)
Bedeutung haben und inwieweit sie durch Vorteile wie etwa während des
Auslandsaufenthalts gesammelte Ersparnisse oder erworbene Fach- und
Sprachkenntnisse aufgewogen werden (AA 06.05.1998 S. 2) mag dahinstehen; hier
fehlt jeder Ansatz für eine staatliche Eingriffshandlung. Die Möglichkeit, sich eine
Unterkunft zu verschaffen, ist zunächst durch die allgemeine Knappheit an Wohnraum in
Colombo und die demgemäß hohen Preise, ferner durch die Sicherheitslage mit der
Folge von Kontrollen und unter Umständen auch Schließung von Unterkünften geprägt
(KK 08.12.1998), sodass dieselben Erwägungen wie zur Arbeitssituation eingreifen und
zusätzlich auf die jedenfalls einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit drohender
Obdachlosigkeit wegen fehlender Papiere und Aufenthaltsberechtigung
entgegenstehenden obigen Erwägungen zum Aufenthalt, insbesondere unter dem
Aspekt des Meldeerfordernisses Bezug genommen werden kann. Für eine weit
verbreitete Obdachlosigkeit ist dem umfassenden Auskunftsmaterial nichts Greifbares
zu entnehmen; zumindest die Erlangung einer einfachen Unterkunft in einem der
zahlreichen Billighotels (lodges) ist grundsätzlich möglich (AA 27.05.1999 S. 2; KK
20.07.2000 S. 2). Dass Rückkehrern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit sonstige
schwere Rechtsgutbeeinträchtigungen im Hinblick auf ein Leben in Colombo drohen, ist
nicht festzustellen. Daher mag auch dahinstehen, inwieweit ein staatliches Handeln
oder Unterlassen mit asylerheblicher Gerichtetheit zugrundeliegt. Fälle der Verelendung
oder eines bloßen Dahinvegetierens am Rande des Existenzminimums sind nicht
bekannt (AA 06.05.1998 S. 2, 27.05.1999 S. 4; KK 08.12.1998 S. 8). Selbst wenn ein für
die Rückkehrer eingreifendes System der sozialen Grundsicherung nicht besteht (AA
27.05.1999 S. 1; KK 08.12.1998 S. 1 ff.), ist dies kein tragfähiges Indiz für eine in dem
erforderlichen Grade konkretisierte Gefahr der Rechtsgutverletzung. Insofern sind die in
Sri Lanka gewachsenen Verhältnisse zu beachten, nach denen die Familien und die
Dorfgemeinschaften traditionell für Hilfsbedürftige einstehen (AA 06.05.1998 S. 1), und
sich demgemäß ein fest gefügtes System der Sicherung nicht entwickelt hat. Vor diesem
Hintergrund kommt der Feststellung der tatsächlichen Lebensmöglichkeiten
entscheidendes Gewicht gegenüber dem Fehlen einer organisierten und geregelten,
regelmäßigen Unterstützung - nur diese wird von Keller-Kirchhoff (KK 08.12.1998) auch
für die Hilfe der Volksgruppe sowie karitativer Organisationen und Einrichtungen
verneint - zu. Für Feststellungen, dass es in einer relevanten Dichte zu Fällen von
Verelendung tatsächlich gekommen ist oder kommen wird, gibt das umfassende
Auskunftsmaterial nichts her.
122
(7) Mittelbare staatliche Verfolgung
123
Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung ist auch nicht im Hinblick auf
Übergriffe der übrigen Zivilbevölkerung gegen Tamilen gegeben; insofern fehlt es
jedenfalls heute an der erforderlichen Verfolgungsdichte, ferner - für die in den letzten
Jahren bekannt gewordenen Vorfälle - an der Verantwortlichkeit des srilankischen
Staates. Zu Pogromen wie zuletzt im Jahre 1983, als Hunderte von in Colombo
ansässigen Tamilen zu Tode kamen und eine weitaus größere Zahl ihr Hab und Gut
verlor, ist es seitdem trotz fortbestehender ethnischer Spannungen nicht mehr
gekommen. Ereignisse wie die Zerstörung zahlreicher Geschäftshäuser 1995 in Galle
(AA 12.10.1995 S. 3; Wingler 03.10.1995 S. 2; KK 24.10.1995 S. 34 ff.), ein Überfall auf
indien-tamilische Siedler im Bezirk Galle, bei dem ein Mädchen ermordet wurde
(Wingler 03.10.1995 S. 2; KK 24.10.1995 S. 37), die Ermordung von zwei Tamilen im
Oktober 1995 in Colombo (KK 26.10.1995 S. 7) sowie unlängst - am 25. Oktober 2000 -
ein Vorfall im Bezirk Bandarawela, bei dem singhalesische Dorfbewohner etwa 30
tamilische Insassen eines "Rehabilitationslagers" getötet haben sollen (Busch
02.11.2000 S. 2), sind - verglichen mit der Bevölkerungszahl im Süden des Landes -
verschwindend gering und haben bei weitem nicht das Ausmaß der früheren Pogrome
erreicht. Zudem ergreift der srilankische Staat zahlreiche Maßnahmen, um derartige
Übergriffe zu verhindern bzw. gegebenenfalls zu beenden und aufzuklären. So wurden
die Ausschreitungen im Bereich Galle polizeilich untersucht und es wurden
Singhalesen verhaftet (KK 24.10.1995 S. 35 f.). Die Regierung kündigte entschlossenes
Handeln im Wiederholungsfall an (AA 12.10.1995 S. 3) und verstärkte die
Sicherheitsvorkehrungen (KK 24.10.1995 S. 37). Nach der Eroberung von Jaffna warnte
Staatspräsidentin Kumaratunga vor Übergriffen auf Tamilen (KK 04.01.1996 S. 62).
Auch am Abend des Anschlags auf einen Pendlerzug in einem Vorort von Colombo am
25. Juli 1996 mit ca. 70 Toten rief sie zur Ruhe und Zurückhaltung auf (AA 30.08.1996
S. 4), sodass die gefürchteten Ausschreitungen ausblieben (Wingler -- .09.1996 S. 41).
Dass Ausgangssperren, verstärkte Präsenz der Sicherheitskräfte sowie zur
Besonnenheit mahnende Ansprachen der Staatspräsidentin ihre Wirkung nicht
verfehlen, zeigt der Umstand, dass es weder nach dem gezielten Bombenanschlag auf
das buddhistische Heiligtum in Kandy ("Zahntempel") am 25. Januar 1998 noch nach
dem Attentat auf die Staatspräsidentin selbst am 18. Dezember 1999 zu befürchteten
Ausschreitungen kam (AA 28.04.2000 S. 14). Schließlich hat die Präsidentin auch im
Zusammenhang mit dem oben angesprochenen Vorfall in Bandarawela, dessen
Hintergründe noch nicht im Einzelnen geklärt sind, angekündigt, alle Schritte zu
unternehmen, um die Situation unter Kontrolle zu bringen und die Veranttwortlichen zur
Rechenschaft zu ziehen (Busch 2.11.2000, Anlage "President appeals for restraint"). Bei
dieser Sachlage fehlt es an Anhaltspunkten dafür, dass es in absehbarer Zukunft zu
pogromartigen Ausschreitungen seitens der singhalesischen Bevölkerungsmehrheit
kommt, die dem srilankischen Staat zuzurechnen sind und für einen jeden Tamilen die
konkrete Gefahr eigenen Betroffenseins mit sich bringen.
124
ccc) Bürgerkriegsgebiete im Norden
125
In Teilen des Nordens Sri Lankas ist die Lage seit Jahren durch Bürgerkrieg
gekennzeichnet, der aktuell wieder an Heftigkeit zugenommen hat. Seit dem Ende der
seinerzeitigen Friedensverhandlungen und dem Bruch der "Vereinbarung zur
Einstellung der Feindseligkeiten" (Wingler 31.03.1995 S. 2; KK 20.02.1995 S. 3) kam es
zunächst mit Schwergewicht auf der Jaffna-Halbinsel (KK 04.01.1996 S. 8, 22) und
sodann in der "Vanni-Region" (Distrikte Mullaitivu, Kilinochhi, Teile von Vavuniya und
Mannar) (Wingler 30.01.1998 S. 14, 31.05.1998 S. 16 ff., 30.09.1998 S. 19, 01.04.1999
126
S. 8; AA 28.04.2000 S. 14 f.) zu Militäroffensiven von staatlicher Seite, mit denen es
gelang, die LTTE zurückzudrängen (AA 19.01.1999 S. 5, 18). Seit Anfang November
1999 befindet sich die LTTE wieder auf dem Vormarsch und hat erhebliche
Geländegewinne sowohl auf der Halbinsel Jaffna als auch in der Vanni-Region erzielt,
wobei sie zahlreiche Gebiete zurückerobert hat, in die sich die Regierungstruppen in
den vergangenen Jahren vorgekämpft hatten (ai 23.02.2000 S. 1; AA 28.04.2000 S. 14
f.); so konnte sie etwa im April 2000 den strategisch wichtigen "Elephant Pass"
einnehmen (AA 28.04.2000, S. 15; AA 11.07.2000 S. 1) und beherrscht damit die
wichtigste Zufahrtsstraße zur Jaffna- Halbinsel. Der weitere Vormarsch der LTTE auf die
Stadt Jaffna konnte von den Regierungstruppen gestoppt werden (AA 11.07.2000 S. 1).
Den Auskünften über die Auseinandersetzungen ist zu entnehmen, dass die im
Kampfgebiet lebende Zivilbevölkerung erheblich in Mitleidenschaft gezogen wird (ai
23.02.2000 S. 2; AA 11.07.2000 S. 1). Darüber hinaus kommt es infolge des
Kampfgeschehens zur Zerstörung und Beschädigung sozialer, kultureller und religiöser
Einrichtungen (KK 04.01.1996 S. 4 ff.; Wingler 30.09.1998 S. 20; ai 23.02.2000 S. 2).
Militäroffensiven lösen ferner Fluchtbewegungen mit in die Hunderttausende gehenden
Flüchtlingen aus (AA 19.01.1999 S. 18; KK 04.01.1996 S. 6; Wingler 01.11.1995 S. 6,
30.01.1998 S. 14, 31.05.1998 S. 19); daneben führt auch Zwang von Seiten der LTTE
zu Fluchtbewegungen (AA 16.01.1996 S. 2; 28.04.2000 S. 15).
Für die erforderliche Bewertung der heutigen Situation und die gebotene Prognose
können neben den die Vanni-Region betreffenden jüngeren Auskünften auch die
Erkenntnisse zum staatlichen Vorgehen auf der Jaffna-Halbinsel mitberücksichtigt
werden. Es mangelt an Anhaltspunkten dafür, dass sich das Bürgerkriegsgeschehen bei
räumlicher Verlagerung qualitativ geändert hat oder regionale Unterschiede die
Beurteilung beeinflussen können. Insgesamt stellen sich die zwischenzeitlichen Erfolge
der LTTE und die Entwicklungen in jüngster Zeit als eine weitere Phase in dem
langjährigen Auf und Ab des Kampfgeschehens dar, in dem bislang keiner der
Kriegsgegner den anderen kriegsentscheidend niedergerungen hat; den vorliegenden
Informationen - - weitere Erkenntnisquellen sind nicht verfügbar - - lassen sich dabei
keine Ansatzpunkte dafür entnehmen, dass mit den jüngeren Entwicklungen nunmehr
eine neue, den bisherigen Rahmen des Kriegsgeschehens überschreitende
Entwicklung eingeleitet worden wäre.
127
Danach ist zwar davon auszugehen, dass der Krieg von der srilankischen Armee in
einer Weise geführt wird, die die gebotene Rücksicht auf die Zivilbevölkerung in hohem
Maße vermissen lässt. Die Geschehnisse während der bisherigen Kriegshandlungen
bieten aber keine Basis für die Annahme, dass das Vorgehen der staatlichen
Sicherheitskräfte die Merkmale einer auch im Rahmen des Handelns des Staates als
Partei im Bürgerkrieg möglichen politischen Verfolgung (BVerfGE 80, S. 340) aufweist
(wie hier OVG Lüneburg, Urteile vom 10. Juni 1996 - 12 L 1726/96 -, S. 8 ff. und vom 19.
September 1996 - 12 L 2005/96 -, S. 15 ff.; VGH Mannheim, Urteil vom 20. März 1998 -
A 16 S 60/97 -, S. 87 ff.; VGH Kassel, Urteile vom 10. November 1998 - 10 UE 3035/95 -,
S. 26 ff., vom 3. Mai 2000 - 5 UE 4657/96.A - -, S. 38 ff., und vom 29. August 2000 - 10
UE 3556/69.A - -, S. 52 ff.; OVG Berlin, Beschluss vom 23. August 2000 - - 3 B 47.95 -,
S. 26 ff.; ähnlich OVG Weimar, Urteil vom 17. Dezember 1998 - 3 KO 869/96 -, S. 48 ff.;
in der Bewertung abweichend früher OVG Koblenz, Urteil vom 12. Juni 1996 - 11 A
11369/96 -, S. 8 f., im jüngeren Urteil vom 8. Juli 1998 - 11 A 10473/98 -, S. 5 als "sehr
zweifelhaft" bezeichnet). Es kann nicht festgestellt werden, dass die Aktionen der
Sicherheitskräfte nach ihrer objektiven Gerichtetheit über eine militärische Prägung mit
dem Ziel der Rückeroberung von der LTTE beherrschter bzw. der Sicherung
128
rückeroberter Gebiete (KK 20.03.1996 S. 6, 04.01.1996 S. 22, 24.10.1995 S. 9 f.) sowie
der Abwehr, Schwächung oder Vernichtung der LTTE (AA 16.01.1996 S. 5, 19.01.1999
S. 19; Wingler 31.05.1998 S. 17) hinausgingen oder -gehen.
(1) Keine gezielte physische Vernichtung der Zivilbevölkerung
129
Angesichts der Siedlungsstruktur, der Guerilla-Taktik der LTTE, die ein ausgedehntes
Netz mit einer unbekannten Anzahl militärischer Stützpunkte in den von ihr kontrollierten
Gebieten besitzt (KK 04.01.1996 S. 2, 9), über mobile Lager verfügt (AA 16.01.1996 S.
2) und die Bevölkerung vor der Zusammenarbeit mit den Militärkräften warnt (Wingler --
.11.1996 S. 8), sowie ferner unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die srilankischen
Truppen auf Grund ihres technischen Standards jedenfalls in der Vergangenheit
zumeist zu "punktgenauen" Angriffen nicht in der Lage waren (KK 04.01.1996 S. 41; AA
16.01.1996 S. 6; Wingler 01.11.1995 S. 4, 8) und niedrig fliegende Flugzeuge oder
Hubschrauber von Boden-Luft-Raketen der LTTE bedroht sind (KK 24.10.1995 S. 11;
Wingler 29.04.1996 S. 22), ist die Beeinträchtigung der tamilischen Zivilbevölkerung
durch die Kampfhandlungen allein kein tragfähiger Hinweis auf eine über die
Bekämpfung der LTTE hinausgehende Gerichtetheit der Kampfhandlungen gegen die
Tamilen. Eine zu gegenteiligen Schlussfolgerungen führende andersartige
Vorgehensweise der Armee bei ethnisch anders zusammengesetzter Zivilbevölkerung
ist nicht festzustellen, da in den Kampfgebieten nach der Vertreibung anderer
Bevölkerungsgruppen durch die LTTE (AA 14.02.1995 S. 3, 12.10.1995 S. 3,
28.04.2000 S. 15: "ethnische Säuberung") ausschließlich Tamilen leben. Der Umstand,
dass die Sicherheitskräfte bei ihren Kampfmaßnahmen keine (Wingler 20.07.1995 S. 4)
oder nur punktuell (AA 16.01.1996 S. 2) Rücksicht auf eventuell mitbetroffene Zivilisten
nehmen, mag diese zwar als menschenrechtswidrig prägen, stellt allein jedoch keinen
Grund dar, sie als objektiv gezielt an asylerhebliche Merkmale anknüpfende staatliche
Verfolgungsmaßnahmen zu qualifizieren (vgl. BVerfGE 80, 341), zumal die
Sicherheitskräfte angewiesen wurden, bei Kampfhandlungen die Verluste unter der
Zivilbevölkerung so gering wie möglich zu halten (AA 28.04.2000 S. 8). So wird etwa die
Zivilbevölkerung vor Luftangriffen auf LTTE-Ziele gewarnt (AA 19.01.1999 S. 19).
Angesichts des Umfangs der Offensiven, des eingesetzten Kriegsgeräts, der im
Kampfgebiet herrschenden Bevölkerungsdichte, die sich in den Zahlen der Flüchtlinge
niederschlägt, sowie der Dauer und Härte der Auseinandersetzungen tragen die Zahl
der Vorkommnisse mit erheblicher Einbeziehung der Zivilbevölkerung und die Zahl der
Opfer nicht den Schluss, dass die Aktionen objektiv auch auf die physische Vernichtung
oder schwerwiegende Beeinträchtigung der Zivilbevölkerung gerichtet sind.
130
Für die Jaffna-Halbinsel berichtet Wingler als Folge der ersten Offensive von 234 toten
und 1.414 verwundeten Zivilisten sowie 183.000 Flüchtlingen (Wingler 03.10.1995 S.
24), Keller-Kirchhoff nennt 205 tote und 953 schwer verletzte Zivilisten und ca. 188.000
Flüchtlinge (KK 04.01.1996 S. 13). Die Offensive "Reviresa", die im Dezember 1995 zur
Einnahme der Stadt Jaffna führte (KK 04.01.1996 S. 31), forderte im Oktober 1995
neben zahlreichen Toten und Verwundeten unter den Soldaten und LTTE-Kämpfern
104 Tote und 194 Verletzte unter der Zivilbevölkerung (KK 04.01.1996 S. 12) und führte
zu 200.000 bis 550.000 Flüchtlingen (KK 04.01.1996 S. 15). Die Zahl der getöteten oder
verletzten Zivilisten wird für die Zeit von April 1995 bis Ende 1995/Frühjahr 1996 mit 800
angegeben (AA 01.03.1996 S. 1; Wingler 29.04.1996 S. 22: 800 Tote), für die Zeit bis
Frühjahr 1997 mit 900 (AA 17.03.1997 S. 10). Als Folge der Kämpfe im Frühjahr 2000
wird von erheblichen Verlusten der Zivilbevölkerung auf der Jaffna- Halbinsel berichtet
(AA 11.07.2000), ohne dass diese bislang quantifiziert sind. Insofern ist von Bedeutung,
131
dass nach der Rückeroberung Jaffnas durch die Regierungstruppen etwa 500.000
Einwohner zurückgekehrt sind (AA 28.04.2000 S. 14), die nunmehr von den neuerlichen
Kampfhandlungen betroffen werden.
Für die Vanni-Region ist von einer betroffenen und auf der Flucht befindlichen
Bevölkerung von 300.000 bis 400.000 (AA 28.04.2000 S. 15) oder weit mehr als
500.000 Personen (Wingler 31.05.1998 S. 19) auszugehen. Für die ersten acht Monate
des Jahres 1997 wird von 37 bei Bombardierungen (von beiden Kampfparteien)
getöteten Zivilisten berichtet (Anlage 1 zu UNHCR --.07.1998 S. 10). Wingler stellt fest,
dass bei den Militäraktionen bis Sommer 1997 weniger zivile Opfer zu beklagen waren
als bei der Eroberung Jaffnas 1995 (Wingler, 10.07.1997 S. 43). Als Folge der Kämpfe
Ende 1999 wird von einer massiven Betroffenheit der Zivilbevölkerung berichtet und als
Beispiel ein Granatangriff auf die Kirche von Madhu bei Mannar genannt, bei dem 44
Zivilisten getötet und 50 Menschen verletzt worden sind (ai 23.02.2000 S. 2).
132
Das IKRK gelangt zu dem Schluss, die zivilen Opfer in den Auseinandersetzungen
seien geringer, als es unter vergleichbaren Bedingungen in anderen Ländern der Fall
sei (AA 28.04.2000 S. 8). Hinzu kommt, dass die die Zivilisten schwer
beeinträchtigenden Aktionen ganz überwiegend (zu Ausnahmen KK 04.01.1996 S. 8 f.)
in zeitlichem und räumlichem Zusammenhang konkreter Offensiven der srilankischen
Regierungstruppen standen. Eine flächendeckende Bombardierung, die ihrer Art nach
auf das objektive Ziel einer Beeinträchtigung des zivilen Lebens um seiner selbst willen
schließen ließe, kann nicht festgestellt werden. Die von Wingler als
"Flächenbombardierungen" zusammengefassten und gewerteten Angriffe auf im
Einzelnen benannte Ansiedlungen (Wingler --.05.1995 S. 18), die sich überwiegend
gegen von der LTTE kontrollierte Orte richteten (KK 04.01.1996 S. 1, 4; AA 16.01.1996
S. 1), lassen einen militärischen Bezug der Angriffe insofern erkennen, als sie den
Kampfoperationen zu Lande vorausgingen (Wingler 29.04.1996 S. 22) und die
benannten Orte später von den Regierungstruppen eingenommen wurden (AA
16.01.1996 S. 1). Auch die Stellungnahme des UNHCR (UNHCR --.07.1998, S. 2,
Anlage 1, Rdn. 151) stellt in Bezug auf die angeführten Menschenrechtsverletzungen
der Sicherheitskräfte den unmittelbaren Bezug zum Bürgerkriegsgeschehen besonders
heraus. Einzelnen folgenschweren Angriffen auf zivile Ziele können ebenfalls keine
tragfähigen Anhaltspunkte für eine über militärische Ziele hinausgehende Gerichtetheit
der Aktionen entnommen werden; insofern wird beispielsweise auf den Bombenangriff
auf das Gelände der Kirche von Navali verwiesen, bei dem wohl 130 Menschen den
Tod fanden; die näheren Umstände sind ungeklärt, insbesondere steht die Möglichkeit
im Raum, dass für die zahlreichen Opfer die Explosion eines nahe gelegenen
Munitionslagers der LTTE verantwortlich war (KK 04.01.1996 S. 4; AA 16.01.1996 S. 3).
Auch hinsichtlich des oben angesprochenen Granatangriffs auf die Kirche von Madhu
wird der Zusammenhang mit Kämpfen zwischen Regierungstruppen und LTTE-
Angehörigen hervorgehoben (ai 23.02.2000 S. 2); von welcher Seite der Angriff ausging,
wird nicht berichtet.
133
(2) "Gegenterror"
134
Dass die Kriegsführung über die mit ihr verbundene vorherrschende Missachtung des
Rechts auf Leben und schwer wiegende Menschenrechtsverletzungen wie Tötung,
Verschwindenlassen und Misshandlungen (UNHCR --.07.1998 S. 2 und zugehörige
Anlage 1 S. 9 ff.; ai --.06.1999 S. 21 ff.) und die somit zweifellos gegebene
Rücksichtslosigkeit gegenüber der Zivilbevölkerung hinaus darauf gerichtet ist, die im
135
LTTE- Gebiet lebenden und an den Auseinandersetzungen nicht unmittelbar beteiligten
Personen unterhalb der Schwelle der physischen Vernichtung oder Beeinträchtigung
unter den Druck brutaler Gewalt zu setzen und so auszugrenzen, kann ebenfalls nicht
festgestellt werden. Dem steht zum einen das von der srilankischen Regierung verfolgte,
die militärischen Kampfhandlungen ergänzende (längerfristige) politische Konzept zur
Lösung des Konflikts durch Dezentralisierung bzw. Regionalisierung der Macht und
teilweise Autonomie für tamilische Siedlungsgebiete sowie das in den vergangenen
Jahren in Jaffna von der Regierung mit Erfolg durchgeführte Wiederaufbauprogramm
entgegen (KK 04.01.1996 S. 22 ff.; AA 16.01.1996 S. 5, 28.04.2000 S. 15, 16). Ferner
spricht dagegen, dass von der Regierung etwa im Fall Navali die Untersuchung durch
eine Kommission angeordnet wurde und die berichteten schwerwiegenden Angriffe auf
zivile Ziele eher Einzelfälle geblieben sind. Die letzte Aussage ist trotz der wiederholt
verfügten (AA 28.04.2000 S. 9) Pressezensur für die Berichterstattung über Vorfälle im
Zusammenhang mit Aktionen der Streitkräfte und der Sicherheitskräfte (KK 04.01.1996
S. 10; AA 30.08.1996 S. 2, 01.08.2000 S. 2, 28.04.2000 S. 9; Wingler 31.05.1998 S. 18,
30.09.1998 S. 19) möglich; es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass es während
ihrer Geltung zu schwerwiegenderen Angriffen der staatlichen Streitkräfte auf zivile Ziele
gekommen ist, da diese jeweils nach dem Ende der Pressezensurmaßnahmen
bekanntgeworden wären und der Propagandaapparat bzw.
"Auslandsinformationsdienst" der LTTE unabhängig von den Zensurmaßnahmen in der
Lage ist, Mitteilungen zu verbreiten (Wingler 03.10.1995 S. 45 f.); derartige Meldungen
fehlen auch für die gegenwärtige Situation.
(3) Keine Vertreibung in ausweglose Lage
136
Für die Feststellung, dass die Aktionen der Sicherheitskräfte objektiv auf eine
Vertreibung der Tamilen und deren Abdrängen in eine ausweglose Lage, also auf eine
Verelendung und damit verbundene Ausgrenzung der Zivilbevölkerung im Norden
gerichtet sind, ist ebenfalls kein Raum. Die Versorgungslage einschließlich der
medizinischen ist in den Kriegsgebieten zwar schlecht, insbesondere für die in die
Hunderttausende gehenden Flüchtlinge in der Vanni-Region; es gelten Einfuhrverbote
für Waren, die der LTTE für die Kriegsführung vorteilhaft sein könnten, wobei die Armee
die Verbote zum Teil auch auf nicht kriegswichtiges Material erstreckt (AA 28.04.2000 S.
27; Wingler 31.05.1998 S. 16 f.). Andererseits und trotz der in der zweiten Hälfte des
Jahres 1998 vorübergehend erfolgten Kürzung der Lebensmittellieferungen an die
Zivilbevölkerung (AA 28.04.2000 S. 27) stellt die Regierung aber immer wieder
Lebensmittel und sonstige Hilfsgüter zur Verfügung, insbesondere unter Einschaltung
des Roten Kreuzes und anderer Organisationen (AA 28.04.2000 S. 27). Die Lage ist
danach vergleichbar mit der, die auf der Jaffna-Halbinsel festzustellen war (vgl. dazu KK
04.01.1996 S. 48, 51; Wingler 13.07.1996 S. 30). Die weitgehende Blockierung des
Wirtschaftslebens durch die Beschränkung von Gütern und Transportwegen (KK
04.01.1996 S. 42 ff.) ist nachvollziehbar Bemühungen zuzuordnen, möglichen Nutzen
für den Bürgerkriegsgegner, welcher im Übrigen regelmäßig auch Teile von
Lebensmittellieferungen für seine Kämpfer abzweigt (AA 07.11.1995 S. 2, 19.01.1999 S.
18), weitestgehend auszuschalten. Dies zeigt sich auch daran, dass die Regierung in
Gebieten, in denen sie die Gebietsgewalt zurückerlangt hat, die Wiederherstellung der
privaten Wirtschafts- und Geschäftsstrukur als vorrangig ansieht, was etwa in Jaffna zur
freiwilligen Rückkehr zehntausender Tamilen in den Jahren 1998 und 1999 geführt hat
(AA 28.04.2000 S. 15, 16).
137
(4) Exzesse der Sicherheitskräfte
138
Soweit es in den umkämpften Bürgerkriegsgebieten in unmittelbarem Bezug zu
Zivilisten zu schweren Übergriffen durch srilankische Soldaten gekommen ist, seien es
die wiederholt berichteten Vergewaltigungen oder etwa die Entführung und Ermordung
zweier junger tamilischer Frauen sowie im Zusammenhang mit einem dieser Fälle der
Ermordung dreier weiterer Tamilen, handelt es sich offensichtlich um Exzesstaten ohne
Aussagegehalt für einen Hintergrund politischer Verfolgung; es ist bekannt geworden,
dass in derartigen Fällen Armeeangehörige verhaftet (Südasien 7-8/96 S. 17; KK
24.02.1997 S. 6) und in einem aufsehenerregenden Prozess mehrere Armeeangehörige
als Täter zum Tode und weitere zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt worden sind
(South-Asia-Bureau, Inform --.07.1998 S. 10; AA 24.04.2000 S. 19, 20). Es zeigt sich,
dass die Übergriffe staatlicherseits nicht einfach hingenommen, erst recht nicht als Mittel
einer Beeinträchtigung der Zivilbevölkerung akzeptiert werden.
139
ddd) Gebiete im Norden mit staatlicher Gebietsgewalt
140
Für die Gebiete, in denen es zur Beendigung des offenen Bürgerkriegs gekommen ist
und der srilankische Staat die Gebietsgewalt zurückgewonnen und auch im Rahmen
der jüngeren Auseinandersetzungen behauptet hat, ist eine mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit drohende politische Verfolgung für Rückkehrer nicht festzustellen.
141
(1) Allgemeine Sicherheitslage
142
Das allgemeine Vorgehen der Regierung bietet keinen Ansatz zur Feststellung einer
ausgrenzenden Behandlung der gesamten tamilischen Zivilbevölkerung. Eine große
Zahl von 1995 aus dem westlichen Teil der Jaffna-Halbinsel geflüchteten Tamilen ist
nach der Einnahme weiter Gebiete der Jaffna-Halbinsel durch die Armee (Südasien-
Büro 15.04.1996 S. 1) in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt (Wingler 13.07.1996 S. 27,
AA 28.04.2000 S. 15). Die Zahl der tamilischen Bevölkerung wird derzeit mit etwa
500.000 angegeben (AA 28.04.2000 S. 15). Ein singhalesischer Journalist berichtete
nach einer Informationsreise von Zerstörungen unterschiedlichen Ausmaßes, Mangel an
Nahrungsmitteln und Medikamenten, andererseits von offener Anerkennung für das
Verhalten der Armee, die um ein positives Bild in der tamilischen Zivilbevölkerung
bemüht sei und von der sich diese nicht bedroht fühle (KK 06.06.1996 S. 6 ff.). Auch
nach dem Bericht einer Menschenrechtsorganisation (UTHR 27.12.1996 S. 2, 4 f.) wird
die Rolle der Armee und besonders einiger Kommandeure, etwa in Vadamaratchi und in
dem die Stadt Jaffna einschließenden Gebiet positiv gesehen; allerdings hat auch ein
Abgeordneter im Parlament eine Verschlechterung der Beziehungen zwischen Armee
und Bevölkerung beklagt (KK 24.02.1997 S. 6). Von Seiten der Regierung wurden
alsbald große Anstrengungen unternommen, außer den Soldaten auch die
Zivilbevölkerung zu versorgen (Wingler --.09.1996 S. 26). Die Versorgung mit
Lebensmitteln wurde relativ stabil; viele Schulen, die Universität und Krankenhäuser
haben ihren Betrieb wieder aufgenommen (AA 30.08.1996 S. 9, 27.05.1999 S. 6,
28.04.2000 S. 15; Wingler 27.11.1996 S. 23). Zum Aufbau einer zivilen Verwaltung auf
der Jaffna-Halbinsel entsandte die Regierung tamilische Beamte (KK 06.06.1996 S. 3
f.); im Januar 1998 fanden kommunale Wahlen statt (Wingler 31.05.1998 S. 10, 20) und
die Situation in Jaffna verbessert sich trotz weit greifender Kontrollen durch das Militär
zusehends (UNHCR --.07.1998 S. 4 und zugehörige Anlage 1 S. 6 f.). Die
Menschenrechtslage wird gegenüber derjenigen vor Juni 1997 als erheblich verbessert
beurteilt (AA 19.01.1999 S. 16; Wingler 30.09.1998 S. 10). Anhaltspunkte dafür, daß
sich das Verhalten der Sicherheitskräfte gegenüber der Zivilbevölkerung in den von
143
ihnen beherrschten Gebieten im Norden in Folge des Wiederaufflammens der
kriegerischen Auseinandersetzungen ab Ende 1999 geändert hat, sind nicht ersichtlich.
(2) Festnahmen und Fälle von "Verschwindenlassen"
144
Anlass zu Bedenken im Hinblick auf eine politische Verfolgung geben die Berichte über
Festnahmen und Verschwindenlassen insbesondere junger tamilischer Männer (vgl.
insoweit die Zusammenstellungen UTHR 27.12.1996 S. 2 ff. und ai --.11.1997 nebst
Anhängen A und C) durch die Armee - nur von dieser, nicht auch von der Polizei sind
entsprechende Aktionen bekannt (ai --.11.1997 S. 8). Für den jetzigen Zeitraum sowie
die weitere Entwicklung - auch in künftig wieder in die Gewalt der staatlichen Kräfte
gelangenden Bereichen - und für den Personenkreis der Rückkehrer nach längerem
Auslandsaufenthalt ergeben die Vorgänge jedoch im Sinne der beachtlichen
Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung nichts Tragfähiges.
145
(a) Vorfälle im Jahr 1996
146
Im April und Mai 1996 sollen über 500 tamilische Jungen und Mädchen, die sich unter
den Flüchtlingen befanden, in Internierungslager auf der Jaffna-Halbinsel und an
unbekannte Orte - auch im Süden des Landes - - verbracht worden sein, wobei spätere
Freilassungen nur in geringer Zahl bekannt wurden; Anfang Juli 1996 kam es nach
Bombenanschlägen zu einer weiteren großen Verhaftungswelle (Wingler 13.07.1996 S.
12, 36). Für den Herbst 1996 wird von mehr als 300 Verschwundenen berichtet, die in
Militärhaft genommen worden waren (Wingler 10.02.1997 S. 32). Nach
Zusammenstellungen eines Parlamentsabgeordneten aus dem November 1996 und
dem Januar 1997 wurden in jener Zeit in Jaffna ca. 130 Personen verhaftet und gelten
als verschwunden (KK 24.02.1997 S. 5). Insgesamt gelten für das gesamte Jahr 1996
über 700 Personen als verschwunden (AA 18.04.2000 S. 19) bzw. für sechs Monate des
Jahres etwa 540 Personen (ai --.11.1997 S. 1). Es wird befürchtet, dass sie gezielt
umgebracht worden oder unter Folter zu Tode gekommen sind (AA 28.04.2000 S. 19).
Hierauf deutet auch die Aussage eines angeklagten Armeeangehörigen zu
Massengräbern in der Region um Chemmani hin (South-Asia Bureau, Inform --.07.1998
S. 10 f.; Wingler 30.09.1998 S. 9 f.), wenngleich die hieran anschließenden
Nachforschungen ab Frühjahr 1999 bislang erst zum Auffinden von 15 Leichen führten
(AA 28.04.2000 S. 20). Im Weiteren können Zahlen dieser Größenordnung - -
gegebenenfalls sogar mit einem Zuschlag für unbekannt gebliebene Fälle - -
zugrundegelegt werden. Es kann hier dahinstehen, ob und in welchem Umfang
Verhaftungsaktionen ihrer objektiven Gerichtetheit nach der Erfassung von LTTE-
Anhängern und -U-Unterstützern dienen - insofern zeigen Einzelvorkommnisse eine
zumindest grobe Überprüfung unter Freilassung von Unverdächtigen (ai -- .11.1997 S.
9) - doch ist zu beachten, dass die Anlässe einzelner Übergriffe, nämlich Aktionen der
LTTE oder deren anderweitige militärische Erfolge (ai --.11.1997 S. 7, AA 28.04.2000 S.
19), auch für ein undifferenziertes Vorgehen sprechen. Schließlich kann offen bleiben,
ob aus den Zahlen und den Umständen der Zugriffe auf eine hinreichende
Verfolgungsdichte geschlossen werden kann. Die Geschehnisse des Jahres 1996 sind
nämlich für die heutige Situation und für Tamilen, die nach jahrelangem
Auslandsaufenthalt zurückkehren, ohne tragenden Aussagegehalt.
147
(b) Entwicklung nach 1996
148
Zahl und Umfang vergleichbarer Übergriffe sind nach dem Jahre 1996 erheblich
149
zurückgegangen. Die Aussage des UNHCR (--.07.1998 S. 3), seit der Wiederaufnahme
der bewaffneten Auseinandersetzungen 1995 habe die Anzahl der Fälle von
Verschwindenlassen permanent zugenommen und die Anzahl der berichteten Fälle
habe sich 1997 wiederum erhöht - - soweit damit nicht die über mehrere Jahre
fortgeschriebene Gesamtzahl gemeint ist - -, kann jedenfalls für die Jaffna-Halbinsel - -
Jaffna ist neben Batticaloa und Mannar in diesem Zusammenhang erwähnt - - nicht zu
Grunde gelegt werden. Eine Präzisierung im Hinblick auf die Größenordnung oder auf
tragfähige Grundlagen für die Aussage findet sich nicht. Sie kann insbesondere auch
dem Material, auf dem die Stellungnahme des UNHCR beruht (Anlagen 1 bis 3 zu
UNHCR --.07.1998), nicht entnommen werden. Soweit in den herangezogenen
Unterlagen Sri Lanka als das Land mit den meisten Verschwundenen im Jahre 1997
bezeichnet wird (Anlage 2 Ziffer 348), ist das für die Entwicklung im Lauf der Jahre und
in Bezug auf den hier zu betrachtenden Landesteil ebenso ohne Gehalt wie die
ersichtlich zeitlich weit greifende Aussage, die Verletzungen von Menschenrechten
seien über Jahre hinweg so zahlreich, häufig und ernstlich, dass man nicht von
isolierten Einzelfällen des Fehlverhaltens ausgehen könne (Anlage 1 Ziffer 151).
Demgegenüber enthält das sonstige Auskunftsmaterial verschiedener Stellen mit
unterschiedlichen Quellen genaue Angaben und ergibt ein in den Grundzügen
übereinstimmendes Bild: Für die erste Jahreshälfte 1997 wird von 35 bzw. 41
Verschwundenen berichtet. In der Folgezeit ist kein Fall dieser Art auf der Jaffna-
Halbinsel mehr bekannt geworden (ai --.11.1997 S. 2; Wingler 30.01.1998 S. 19; AA
28.04.2000 S. 20). In den übrigen Gebieten des Nordens können im Jahr 1999, wenn
überhaupt, nur vereinzelte Fälle von Verschwindenlassen bekannt geworden sein, da
die landesweite Zahl möglicher Verschwundener mit 10 angegeben wird, von denen
allein 6 dem Raum Batticaloa zugeordnet werden (AA 28.04.2000 S. 20). Angesichts
dieser genauen Angaben kann den pauschalen und ohne Bestätigung gebliebenen
Aussagen des UNHCR kein Gewicht gegeben werden.
Darüber hinaus gibt es weitere Umstände, die es plausibel erscheinen lassen, dass sich
die Zahl der Verschwundenen wie dargestellt auf einen Stand reduziert hat, bei dem
ersichtlich die für eine Gruppen- oder Untergruppenverfolgung erforderliche Dichte, also
eine Situation, in der die Übergriffe unterschiedslos auf die Mitglieder einer (Unter-)
Gruppe gerichtet sind und nach Intensität und Häufigkeit so eng gestreut fallen, dass
daraus bei objektiver Betrachtung für jeden nicht nur die allgemeine Möglichkeit,
sondern die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht -
150
vgl. zu den Anforderungen BVerwG, Urteile vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE
96, 200, 203 und vom 20. Juni 1995 - 9 C 294.94 -, NVwZ-RR 1996, 57 -,
151
nicht gesprochen werden kann. Die srilankische Regierung ist bemüht, den Übergriffen
der Armee durch verschiedene Maßnahmen zu begegnen und die Grundsätze der oben
zum Großraum Colombo schon angesprochenen Notstandsgesetzgebung zur
Anwendung zu bringen (AA 28.04.2000 S. 20) - - so werden etwa Mitteilungen über eine
Verhaftung erstellt (Wingler 31.05.1998 S. 44) - - sowie das Bewusstsein für die
Menschenrechte in der Armee zu verbreiten (ai --.11.1997 S. 14). Sowohl bei der
Rekruten- als auch bei der Offiziersausbildung wurden Menschenrechtsfragen in den
Ausbildungskatalog aufgenommen (AA 21.08.1997 S. 2, 28.04.2000 S. 8); bei den in
Jaffna stationierten Truppenteilen wurden ferner besondere "Menschenrechtseinheiten"
- human right cells - eingerichtet (AA 28.04.2000 S. 20). Insbesondere aber ist Wirkung
davon zu erwarten, dass es zu Verfahren kommt, in denen die Verantwortlichkeit von
Armeeangehörigen für schwer wiegende Vorkommnisse geklärt werden soll und über
152
die in der Presse berichtet wird (ai --.11.1997 S. 2: "Signal für die Sicherheitskräfte"; AA
28.04.2000 S. 20) - in einem Strafverfahren gegen Armeeangehörige, die im Norden
eingesetzt waren, ist es inzwischen zu einer Verurteilung gekommen (South-Asia-
Bureau, Inform --.07.1998 S. 10, AA 28.04.2000 S. 20). Ferner ist von Bedeutung, dass
dem Verschwinden von Personen durch staatlich eingerichtete Kommissionen
nachgegangen wird. So ist beim Verteidigungsministerium ein Board of Investigation
eingerichtet worden, dem Hunderte von Beschwerden vorliegen und von dem bereits in
160 Fällen die Spuren ermittelt worden sind; außerdem ist die HRC, die inzwischen
über ein Büro in Jaffna verfügt (Wingler 30.01.1998 S. 19), eingeschaltet, die über 270
Fällen nachgeht (ai --.11.1997 S. 2, 12, 13). Schließlich wurde dem Vorgehen der
Armee insbesondere im Hinblick auf das Verschwinden von Zivilisten auch in der
Öffentlichkeit Aufmerksamkeit gewidmet. So hatte eine in Colombo erscheinende
Wochenzeitung eine regelmäßige Rubrik mit Namen von als verschwunden geltenden
Personen eingerichtet (KK 22.02.1997 S. 5); ferner warfen Richter des Obersten
Gerichtshofs den Verfolgungsbehörden öffentlich Rechtsverletzungen und Folter vor
(KK 24.02.1997 S. 4, ai 23.02.2000 S. 5). Auch der Aussage eines wegen der Tötung
von Zivilisten zum Tode verurteilten Armeeangehörigen zur Existenz von
Massengräbern von der Armee Getöteter wird durch staatliche Stellen, die hierbei
internationale Menschenrechtsorganisationen beteiligen, unter großer Anteilnahme der
Öffentlichkeit nachgegangen (AA 28.04.2000 S. 20).
(c) Gefährdungsminderung für Rückkehrer aus dem Ausland
153
Für die Frage der Gefährdung von Rückkehrern nach einem mehrjährigen
Auslandsaufenthalt ist zudem die Übertragbarkeit dessen, was die Gefährdungssituation
in den hier betroffenen Gebieten insbesondere für junge männliche Tamilen ausmachte,
in einem für die Dichte wesentlichen Umfang zu verneinen. Denn als Vergleichsfälle
sind die Vorkommnisse auszuschließen, die nach der Beendigung des offenen
Bürgerkrieges zur Sicherung der wiedererlangten Gebietshoheit dort darauf gerichtet
waren, LTTE-Verdächtige in der Bevölkerung, insbesondere unter den Flüchtlingen
festzunehmen - was auf die Mehrzahl der im Jahr 1996 in Jaffna festgestellten
Verschwundenenfälle zutreffen soll (AA 28.04.2000 S. 19 f.) - und - unterhalb der
Schwelle, die zu politischer Verfolgung führen könnte - Informationen über LTTE-
Aktivitäten zu gewinnen. Insofern ist der Umstand, sich in der letzten Zeit der LTTE-
Herrschaft in dem Bereich aufgehalten zu haben, ein wesentliches Merkmal für den
Kreis der Betroffenen, das die Rückkehrer aus dem Ausland nicht teilen.
154
Vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 10. Februar 1998 - 9 B 136.98 -.
155
(3) Andere Übergriffe der Sicherheitskräfte
156
Im Hinblick auf die weiteren unmittelbaren Übergriffe von Angehörigen der
Sicherheitskräfte gegen tamilische Zivilisten, insbesondere auf die Fälle der
Vergewaltigungen oder der willkürlichen Tötungen - - für die Zeit von Januar bis
September 1997 ist von über 30 Fällen berichtet worden, zu denen Untersuchungen
durchgeführt worden sind (Anlage 1 zu UNHCR --.07.1998 S. 7) - - ist auf die
vorstehenden Ausführungen zum Rückgang des Verschwindenlassens zu verweisen.
Auch insofern greifen die Maßnahmen zur stärkeren Disziplinierung der Soldaten,
sodass jedenfalls nunmehr von Exzesstaten auszugehen ist, die nicht als politische
Verfolgung zu werten sind; im Übrigen mangelt es auch hier an der erforderlichen Dichte
der Übergriffe.
157
(4) Übergriffe nichtstaatlicher tamilischer Organisationen
158
Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit drohender politischer Verfolgung ergibt sich auch
nicht aus Übergriffen von Angehörigen militanter tamilischer Organisationen, die mit der
LTTE in offenem Konflikt stehen und mit denen die srilankische Armee auf regionaler
Ebene zusammenarbeitet (AA 28.04.2000 S. 14), wie den im Norden operierenden
"People's Liberation Organisation of Tamil Eelam" - PLOTE - - und "Tamil Eelam
Liberation Organisation" - - TELO - -. Diese Organisationen geben zum einen
Informationen über LTTE-Mitglieder an Sicherheitsbehörden weiter, arbeiten bei der
Identifikation von LTTE-Angehörigen mit den Sicherheitskräften zusammen und liefern
von ihnen aufgegriffene LTTE-Mitglieder an die Sicherheitskräfte aus (AA 28.04.2000 S.
14). Zum anderen führen die Organisationen auch selbstständig Razzien, Festnahmen
und Verhaftungen durch, in deren Rahmen es in der Vergangenheit wiederholt zu
Menschenrechtsverletzungen gekommen ist, darunter auch unrechtmäßige
Festnahmen, Inhaftierungen in illegalen Haftplätzen, Misshandlungen sowie Fälle des
Verschwindenlassens (AA 28.04.2000 S. 14, ai 01.03.1999 S. 4).
159
Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung von Tamilen in den
Aktionsräumen der genannten Organisationen im Norden ergibt sich aus diesen
Vorfällen nicht. Dabei kann offen bleiben, ob das Handeln der Mitglieder dieser
Organisationen gegenüber der Zivilbevölkerung in jeder Hinsicht staatlicher Billigung
oder jedenfalls Duldung unterliegt (von einer Duldung illegaler Inhaftierungen geht ai
23.02.2000 S. 3, unter Hinweis auf die Beobachtung von Armeefahrzeugen und
Soldaten in illegalen Haftzentren der PLOTE aus; Wingler --.05.2000 S. 2, meint, die
Aktivitäten entzögen sich "fast jeder Kontrolle" und die Regierung habe "keine klaren
Schritte" unternommen, dem entgegenzuwirken), und diesem daher zuzurechnen sind,
oder ob der Staat in den Grenzen der ihm gegebenen Möglichkeiten Maßnahmen
ergreift, um Übergriffen entgegenzuwirken (so berichtet AA 04.02.2000 S. 2, von einem
"entschiedenen Eingreifen" der Sicherheitskräfte gegen rechtswidrige Aktivitäten der
PLOTE und TELO in Vavuniya in der zweiten Hälfte des Jahres 1999), was einer
Qualifizierung als mittelbare staatliche Verfolgung bereits vom Ansatz her
entgegenstünde. Die Angaben in den vorliegenden Erkenntnissen ergeben nicht, dass
diejenigen Übergriffe von Seiten der genannten Organisationen, die - - soweit sie
zurechenbar sind - - nicht bereits bei objektiver Bewertung auf die Bekämpfung der
LTTE im Bürgerkrieg gerichtet sind und sich hierin erschöpfen, von einer derartigen
Häufigkeit sind, dass für jeden der (mehreren hunderttausend) Tamilen im betroffenen
Gebiet die ernsthafte Gefahr bestünde, ohne Anknüpfung an irgendwelche über
Volkszugehörigkeit, Alter und Geschlecht hinausgehenden individuellen Merkmale
Übergriffen asylerheblicher Intensität ausgesetzt zu sein. So beziffert etwa amnesty
international die Zahl der in illegalen Haftzentren der PLOTE in "unbestätigter Haft"
gehaltenen Personen auf 40 (ai 01.03.1999 S. 4) und stellen sich die Fälle von
Verschwundenen, für die u.a. die PLOTE verantwortlich gemacht wird (Nachweise etwa
in Anlage 1 zu KK vom 26.01.1999), ebenfalls als Einzelfälle dar, denen zudem
staatlicherseits nachgegangen wird (vgl. Anlage 1 zu KK vom 26.01.1999).
160
eee) Östliche Landesteile
161
Die Verhältnisse in den östlichen Landesteilen beinhalten zwar Gefährdungen von Leib
und Leben dort lebender Tamilen durch staatliche oder staatlich geduldete bewaffnete
Kräfte. Die für die Annahme einer Gruppenverfolgung unerlässliche Dichte von
162
derartigen Übergriffen, also eine Situation, in der die Übergriffe unterschiedslos auf die
Mitglieder einer Gruppe gerichtet sind und nach Intensität und Häufigkeit so eng gestreut
fallen, dass daraus bei objektiver Betrachtung für jeden nicht nur die allgemeine
Möglichkeit, sondern die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht, die für ihn den
Aufenthalt dort unzumutbar erscheinen lässt, ist aber für die Tamilen insgesamt oder
eine Untergruppe nicht festzustellen.
(1) Auswirkungen der kriegerischen Auseinandersetzungen
163
Eine Situation offenen Bürgerkriegs unter mehr als regional begrenztem Verlust der
Gebietshoheit des Staates ist in den östlichen Landesteilen nicht entstanden. Die
Militäroperationen im Norden Sri Lankas ab April 1995 führten zu einer Reduzierung der
Präsenz der staatlichen Sicherheitskräfte im Osten, was dort eine Destabilisierung zur
Folge hatte (KK 04.01.1996 S. 32; Südasienbüro 15.04.1996 S. 2; Wingler 11.12.1995
S. 45, 31.01.1996 S. 39; Südasien 7- 8/96 S. 11, UNHCR --.07.1998 S. 4). Der Abzug
der Truppen ermöglichte es LTTE-Kadern einzudringen, sodass sich der
Einflussbereich der LTTE im Osten des Landes ausweitete (KK 04.01.1996 S. 32;
Südasienbüro 15.04.1996 S. 2). Nach ihrer Niederlage auf der Jaffna-Halbinsel hat sie
ihre Präsenz im Osten weiter verstärkt und kontrolliert dort viele Gebiete (KK 06.06.1996
S. 13; Wingler --.09.1996 S. 36; AA 28.04.2000 S. 14 f.: einzelne Gebiete); die
srilankische Regierung hielt und hält jedoch zumindest die Gebietsgewalt über den
Landstreifen an der Küste und die dortigen (größeren) Ortschaften (European Union
02.04.1997 S. 4; Wingler 31.05.1998 S. 19; AA 28.04.2000 S. 15; KK 04.01.1996 S. 32).
Zu militärischen Aktionen, die zum Teil auch zivile Opfer, ganz überwiegend aber Opfer
unter den staatlichen Sicherheitskräften und der LTTE fordern, kommt es nur vereinzelt
(Südasienbüro 15.04.1996 S. 1 f.; Wingler 10.02.1997 S. 18, AA 28.04.2000 S. 15);
Großoffensiven fanden mit Ausnahme einer gegen Urwaldeinrichtungen der LTTE
gerichteten Operation (Wingler 31.01.1996 S. 41 f.) nicht statt (KK 04.01.1996 S. 18).
Wenngleich auch von "wahllosen Bombardierungen" ziviler Ziele berichtet wird
(UNHCR ---- .07.1998, Anlage 1, Nr. 46), erlangen diese Vorfälle wegen der geringen
Zahl der berichteten Opfer (für die Zeit von Januar bis August 1997 wird eine Zahl von
37 Toten und 30 Verwundeten genannt, UNHCR --.07.1998, Anlage 1 Nr. 47), die
zudem zum Teil der LTTE angelastet werden (UNHCR --.07.1998, ebda.), kein das
militärische Auftreten der staatlichen Sicherheitskräfte im hier betrachteten Gebiet
prägendes Gewicht. Während der Eskalation der militärischen Auseinandersetzungen
im Norden Sri Lankas Ende 1999 wurden die Sicherheitskräfte im Osten zeitweilig in
erhöhte Alarmbereichtschaft versetzt, um auch hier befürchteten Aktionen der LTTE
militärisch entgegentreten zu können (AA 18.04.2000 S. 1). Größere militärische
Auseinandersetzungen sind jedoch nicht bekannt geworden. Von einer nachhaltigen
Beeinträchtigung der tamilischen Bevölkerung durch Maßnahmen des Staates, die einer
kriegerischen Auseinandersetzung zuzuordnen und unter den dafür vom
Bundesverfassungsgericht aufgezeigten Voraussetzungen auf den Charakter als
politische Verfolgung zu prüfen wären, ist hiernach nicht auszugehen.
164
(2) Vergeltungsaktionen nach LTTE- Aktionen/"Verschwindenlassen"
165
Vergeltungsaktionen, die über die Bekämpfung der LTTE oder der Aufklärung ihres
Umfeldes hinausgehen, sind seit 1995 immer wieder vorgekommen und haben zum Tod
zahlreicher Zivilisten geführt. So wurde für Mai 1995 von einem Dutzend
außergesetzlicher Hinrichtungen, für August 1995 von der Tötung zweier Zivilisten und
für November 1995 in einem Fall von der Tötung mehrerer, in einem weiteren Fall von
166
der Tötung von drei oder sieben Zivilisten berichtet; Anfang 1996 kam es zu einem
besonders gravierenden Vorfall mit der Tötung von 24 Zivilisten, darunter 13 Kindern
und auch Frauen (KK 20.03.1996 S. 4; Wingler 29.04.1996 S. 38 ff. ; AA 30.08.1996 S. 9
f.). Gegen Ende 1996 wurde eine Aktion durchgeführt, bei der tamilische Bewohner
ganzer Ortschaften ins offene Feld getrieben und kontrolliert wurden, eine unbekannte
Zahl nach der Festnahme durch die Armee verschwunden ist und mehrere Personen
getötet wurden (Wingler 10.02.1997 S. 30, 40, 43). Für 1996 und 1997 sind ferner
Brandstiftungen und Vertreibungen der Bewohner belegt, wobei auch Personen zu
Schaden kamen (Wingler 13.07.1996 S. 41 f., 08.10.1997 S. 23 f.). Für die ersten acht
Monate des Jahres 1997 wurde von 35 Getöteten berichtet und davon, dass die Fälle
unter Notstandsrecht untersucht wurden, aber auch davon, dass Tötungen von den
Sicherheitskräften bewaffneten Auseinandersetzungen zugeschrieben werden, um so
eine Untersuchung zu umgehen (Anlage 1 zu UNHCR --.07.1998 S. 9). Im September
1997 wurden bei einem Übergriff 6 Tamilen getötet; weitere wurden verletzt oder
verschwanden (Wingler 08.10.1997 S. 23). Im Februar 1998 wurden acht junge Tamilen
verhaftet und brutal getötet (Wingler 31.05.1998 S. 43). Fälle des Verschwindens von
tamilischen Zivilisten sind auch darüber hinaus - - etwa nach Festnahmen durch die
Sicherheitskräfte bei Kontrollen, die in diesem Landesteil ebenfalls, wenn auch in
geringerem Ausmaß als etwa in den südlichen Landesteilen durchgeführt werden (KK
04.01.1996 S. 54, 64) - - festzustellen (UNHCR ----.07.1998 S. 3), wobei die Zahl den
Umständen gemäß, also insbesondere wegen der mangelnden präzisen Erfassung und
Zusammenfassung sowie mangels fortdauernder Beobachtung der Fälle, nur wenig
zuverlässig angegeben werden kann. Als Anzahl der verschwundenen Personen wird
für den Nordosten für den Zeitraum eines Jahres ab dem Herbst 1994 etwa 30
angegeben (KK 04.01.1996 S. 70 f., 75). Im Frühjahr 1996 wurden bezogen auf den
Osten einige Fälle von Verschwundenen bekannt (EU 02.04.1997 S. 12 unter Hinweis
auf die von amnesty international genannte Zahl sieben), für 1998 wird bezogen auf
Trincomalee kein Fall mehr benannt (AA 28.04.2000 S. 20). Für den Bezirk Batticaloa
wird berichtet, im ersten Halbjahr 1997 seien 16 Personen verschwunden (ai --- -
.11.1997 S. 2), im Jahre 1999 6 Personen (AA 28.04.2000 S. 20). Der UNHCR teilt mit,
im Osten seien Fälle von Verschwindenlassen sowie schwerwiegende Misshandlungen
im Polizeigewahrsam weiterhin ein ernst zu nehmendes Problem (UNHCR --.07.1998 S.
4); konkretere Angaben lassen sich seiner Stellungnahme und dem in Bezug
genommenen Material allerdings nicht entnehmen. Eine Liste mit den Namen von 2.000
Verschwundenen, über die berichtet wird (Wingler 08.10.1997 S. 26), ist ebenfalls kaum
nachvollziehbar, wenn sie - was in dem Bericht nicht deutlich wird - allein auf die Zeit
nach dem Regierungswechsel, den Friedensgesprächen und dem erneuten Einsetzen
der LTTE-Übergriffe bezogen wird, wohl aber bei Einbeziehung der Verhältnisse ab
1990/1991, die ein nachhaltig anderes Bild ergaben und nach der Rechtsprechung des
Senats (vgl. Urteil vom 8. Juli 1992 - - 21 A 914/91.A -) den Schluss auf die beachtliche
Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung junger tamilischer Männer trugen. Da der
Verfasser der Liste seit langer Zeit in Batticaloa ansässig ist und sich mit der Situation
der Bevölkerung befasst, ist anzunehmen, dass es sich um eine fortgeschriebene Liste
handelt; angesichts der sich nicht zuletzt in den Auskünften niederschlagenden
Beobachtung der Entwicklung durch Menschrechtsorganisationen (EU 02.04.1997 S. 5)
kann trotz des oben aufgezeigten Vorbehalts von einer anderweitig nicht bekannt
gewordenen Zahl in der genannten Größenordnung nicht ausgegangen werden. Auch
der Aussage von Wingler (Wingler --.05.2000 S. 2), "die meisten Fälle von
Verschwinden und Tod in Haft werden derzeitig aus dem Osten berichtet", ist keine
Aussage zu einer hohen Zahl derartiger Vorkommnisse zu entnehmen; sie findet
vielmehr ihre Erklärung in dem allgemein in Sri Lanka konstatierten Rückgang derartiger
Übergriffe, der sich etwa in der Zahl von landesweit 10 Verschwundenenfällen im Jahr
1999, hiervon allerdings 6 im Raum Batticaloa (AA 28.04.2000 S. 20), widerspiegelt.
In Verbindung mit Aktivitäten der LTTE stehen auch das berichtete Heranziehen von
Zivilisten zum Räumen von Minen und als lebende Schutzschilde im Raum Batticaloa
(KK 24.10.1995 S. 5; Wingler 03.11.1995 S. 2, 31.01.1996 S. 41) sowie die Racheakte
von Singhalesen (Wingler 31.01.1996 S. 43) oder Moslems (AA 17.03.1997 S. 5,
28.04.2000 S. 13). Ohne feststellbaren Bezug zu vorangegangenen Aktivitäten der
LTTE sind Plünderungen (Wingler 08.10.1997 S. 24) und Übergriffe gegen Frauen; von
Fällen der Vergewaltigung wird immer wieder berichtet, wobei insbesondere auch auf
eine Dunkelziffer hingewiesen wird (KK 22.02.1997 S. 7; Wingler 10.07.1997 S. 52,
08.10.1997 S. 26; EU 02.04.1997 S. 12).
167
(a) Kein staatliches Verfolgungsprogramm
168
Die für die Prüfung, ob jeder in dem hier betrachteten östlichen Landesteil sich
aufhaltende Tamile in der Gefahr aktueller Betroffenheit steht, aussagekräftige Frage, ob
hinter den vorgenannten Beeinträchtigungen ein bestimmtes, der Art nach eine
politische Verfolgung beinhaltendes Programm steht, ist jedoch zu verneinen. Dabei
braucht nicht auf die Einzelgesichtspunkte eingegangen zu werden, die für eine
Qualifizierung von Vorfällen als Akte politischer Verfolgung maßgeblich sind. Der
Annahme eines Verfolgungsprogramms stehen zunächst die Verschiedenartigkeit und
Spannweite der vorstehend aufgeführten Akte, die Vielfalt der Anlässe und Ursachen
sowie die Unterschiedlichkeit der Handelnden entgegen. Es kann auch nicht davon
ausgegangen werden, die Regierung lasse die Situation gewollt unkontrolliert und
dulde bewusst die Beeinträchtigungen der Tamilen, etwa um diese als
Bevölkerungsgruppe ungeachtet einer etwaigen Verbindung zur LTTE auszugrenzen.
Denn die Übergriffe bleiben nicht mehr ohne jede staatliche Reaktion. So ist der Vorfall
von Anfang 1996, bei dem 24 Personen getötet wurden, zum Gegenstand einer
offiziellen Untersuchung gemacht worden (Südasien-Büro 15.04.1996 S. 4, AA
30.08.1996 S. 9 f.) und führte der Übergriff mit sechs Toten im September 1997 alsbald
zur Versetzung der Verantwortlichen (Wingler 08.10.1997 S. 23). Auch nach
Vergewaltigungen kam es zu Festnahmen (KK 22.02.1997 S. 6 f.). Die eingeleiteten
Maßnahmen führen zwar nicht zu zügiger Klärung der Verantwortlichkeit und
abschließenden Maßnahmen (Wingler 08.10.1997 S. 25), sie stehen aber der in dem
angeführten Senatsurteil vom 8. Juli 1992 - - 21 A 914/91.A -- noch maßgeblich mit
herangezogenen Schlussfolgerung entgegen, die Tamilen seien Übergriffen völlig
hilflos ausgesetzt und fänden nirgendwo Gehör. In diesem Zusammenhang ist auch zu
sehen, dass - wie insbesondere die wiederholt angeführten Auskünfte Winglers zeigen -
in den Medien von den Übergriffen berichtet wird und Politiker Vorfälle aufgreifen sowie
zum Gegenstand von Protesten machen (Wingler 08.10.1997 S. 23). Die in dem Bericht
des UNHCR vom Juli 1998 wiedergegebene Aussage einer Arbeitsgruppe der UN-
Menschenrechtskommission über eine "systematische Praxis des
Verschwindenlassens" ergibt nichts anderes. Diese Aussage wird in keiner Hinsicht
konkretisiert und untermauert. Welches System insbesondere mit welchen Kriterien in
Bezug auf die Betroffenen zu Grunde liegen soll, wird ebenso wenig verdeutlicht wie die
tatsächlichen Geschehnisse, an die der Schluss auf ein Vorgehen in bestimmter Weise
anknüpfen soll. Den Berichten, auf denen die Stellungnahme beruht (Anlagen 1 bis 3 zu
UNHCR --.07.1998), lässt sich Dahingehendes ebenfalls nicht entnehmen;
insbesondere trägt der sich mit Fragen des Verschwindenlassens befassende Bericht
die Aussage nicht. Damit stimmt überein, dass sich in dem oben ausgewerteten und
169
eine Vielzahl von Informationen bietenden Auskunftsmaterial kein Anhaltspunkt für eine
solche generelle oder systematische Praxis der Sicherheitskräfte findet und dass der
Bericht selbst die Bewertung enthält, man könne "nicht von einer geplanten Politik vom
Menschenrechtsverletzungen sprechen" (UNHCR --.07.1998 S. 1 f., Anlage 1 Rdn. 151).
(b) Dichte der Übergriffe
170
Die aufgezeigten Beeinträchtigungen - für die im Einzelnen eine Untersuchung des
Charakters der politischen Verfolgung unterbleibt - reichen in ihrer Gesamtheit nicht aus,
um auf eine aktuelle Gefahr für jeden Einzelnen zu schließen. Die Vergeltungsschläge
sind im Vergleich zu den Übergriffen der LTTE eher selten geblieben. Denn die
Situation ist seit Jahren dadurch geprägt, dass die LTTE eine Vielzahl von Übergriffen
auf strategisch wichtige Ziele, auf Einrichtungen des Militärs und der Polizei sowie - um
Ausschreitungen von Singhalesen gegen Tamilen zu provozieren (KK 04.01.1996 S. 34,
AA 17.03.1997 S. 4) - auf singhalesische Dörfer verübt (KK 04.01.1996 S. 17, 34;
Wingler 31.01.1996 S. 40 f., 10.07.1997 S. 39, 53, 08.10.1997 S. 21, 23,). Es kam zu
Übergriffen der LTTE mit in Einzelfällen sehr hoher Zahl an Opfern vor allem unter der
singhalesischen Bevölkerung - so im Mai 1995 mit 42 (AA 07.11.1995 S. 1) und im
Oktober 1995 mit 73 Getöteten (KK 24.10.1995 S. 15). Die Zahl der getöteten
Sicherheitskräfte ist insbesondere auf den Außenposten hoch (Wingler 08.10.1997 S.
23). Für Anfang 1996 etwa wurde sie auf über 500 geschätzt (Wingler 29.04.1996 S. 34),
allein im Januar 1997 betrug sie über 200 (Wingler 10.02.1997 S. 18). Angriffe auf
Armeelager und Polizeistellen, die teilweise mehrere oder gar bis zu 30 Menschenleben
fordern, werden als sehr zahlreich, manchmal als fast täglich geschehend dargestellt
(Wingler 29.04.1996 S. 34, 13.07.1996 S. 9, 10.07.1997 S. 39; AA 12.07.1995 S. 1).
Hinzu kommen Terroranschläge, etwa auf Verkehrsmittel und Politiker (Wingler --
.09.1996 S. 18, 37, 08.10.1997 S. 27; FAZ 29.11.2000). Eine Situation, bei der praktisch
nach jedem Akt der LTTE mit einer zugespitzten Gefährdung zu rechnen ist, ist daher
nicht festzustellen. Das Verschwindenlassen von Personen bei Gelegenheit der
Vergeltungsaktionen und in sonstigen Zusammenhängen sowie die Vergewaltigungen
sind zwar - was in die Beurteilung der Zumutbarkeit des Aufenthalts einfließen muss -
Akte von ganz erheblicher Schwere; die Häufigkeit kann aber selbst bei
Berücksichtigung einer Dunkelziffer nicht als so hoch angesehen werden, dass für jeden
aus dem jeweils in Betracht zu ziehenden Personenkreis mit dem jederzeitigen Eintritt
zu rechnen ist, zumal die schon angesprochene mögliche Publizität und staatliche
Reaktion eine eindämmende Wirkung entfalten können. Auch für die sonstigen
Übergriffe wie die durch andere Bevölkerungsgruppen und Organisationen sowie das
Heranziehen zum Minensuchen usw. und in einer Gesamtschau ergibt sich nach dem
umfangreichen Material, das ersichtlich alles aufgegriffen hat, was in Erfahrung zu
bringen war, sodass auch kein weiterer Aufklärungsbedarf besteht, keine in dem
erforderlichen Sinne zugespitzte Gefahrenlage für den Einzelnen.
171
fff) Absehbare weitere Entwicklung
172
Die Beurteilung der Situation der Tamilen durch den Senat beruht auf Erkenntnissen
über einen Zeitraum von mehreren Jahren und kann, da tragfähige Anhaltspunkte für
eine Entwicklung hin zum Schlechteren fehlen, auch bei der gebotenen Prognose zu
Grunde gelegt werden. Die Ereignisse aus jüngster Zeit, namentlich die in der
Tagespresse berichteten militärischen Aktionen der LTTE und der Sicherheitskräfte auf
der Jaffna-Halbinsel und in der Vanni-Region sowie die Vorfälle während des
Wahlkampfes für die Parlamentswahlen im Oktober 2000 geben nichts Greifbares dafür
173
her, dass sich die Situation zu Lasten der tamilischen Bevölkerung in asylrelevanter
Weise verschärfen könnte. Der Stand der militärischen Auseinandersetzungen im
Norden Sri Lankas lässt keine grundlegend neue und abweichend von den obigen
Ausführungen zu bewertende Entwicklung erwarten, nachdem die Regierungstruppen
mit ihren im Vorfeld der Wahlen begonnenen verstärkten militärischen Anstrengungen
nach den in der jüngeren Vergangenheit zu beobachteten Geländegewinnen der LTTE
Erfolge erzielten (NZZ vom 02.09.2000, Die Welt vom 07.09.2000, FAZ vom
18.09.2000). Auch die innenpolitischen Entwicklungen geben keinen Anlass für die
Annahme einer asylerheblichen Verschärfung der Sicherheitslage. Während der Dauer
des Parlamentswahlkampfes war eine Verstärkung von hiermit in Zusammenhang
gebrachten (NZZ vom 11.10.2000, FR vom 13.10.2000) militärischen Aktionen,
Anschlägen und Auseinandersetzungen rivalisierender Gruppen sowie der Reaktionen
der Sicherheitskräfte hierauf zu verzeichnen. Nach dem Ende des Wahlkampfes dürfte
eher mit einer Verminderung von Zahl und Gewicht solcher Ereignisse zu rechnen sein,
zumal bei der Parlamentswahl die bisherige Regierung einen - - knappen - - Wahlsieg
errungen hat (FR vom 13.10.2000, NZZ vom 24.10.2000) und eine Änderung der von
dieser verfolgten Politik nicht zu erwarten ist. Dies gilt insbesondere auch vor dem
Hintergrund einer norwegischen Friedensinitiative, in deren Rahmen der Führer der
LTTE der srilankischen Regierung Verhandlungen ohne Vorbedingungen angeboten
haben soll (NZZ vom 11.11.2000, FR vom 27.11.2000, FAZ vom 29.11.2000). Die damit
in absehbarer Zeit allenfalls zu erwartenden Entwicklungen fügen sich ohne Weiteres in
das in der Vergangenheit wiederholt zu verzeichnende Auf und Ab der staatlichen
Maßnahmen entsprechend der jeweiligen Einschätzung der Sicherheitslage ein, das zu
einer Neubewertung der Situation im Hinblick auf ihre Asylrelevanz keinen Anlass gibt.
cc) Individuelle Anknüpfungspunkte für eine politische Verfolgung
174
Besondere in der Person des Klägers liegende und in seinem Einzelfall zu würdigende
Anknüpfungspunkte für eine bis zum Maß einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit
gesteigerte Gefahr politischer Verfolgung sind nicht ersichtlich. Der Kläger weist zwar
mit Blick auf seine Herkunft, sein Alter und seine Sprachkenntnisse einzelne
Risikofaktoren auf; diese tragen aber allein nicht den Schluss, dass ihm mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit asylerhebliche längerfristige Inhaftierungen mit einhergehenden
körperlichen Misshandlungen drohen. Der Kläger teilt hinsichtlich der vorhandenen
Risikofaktoren das Schicksal der Mehrheit der nach Sri Lanka zurückkehrenden
Asylbewerber, deren Lebensalter unter 35 bis 40 Jahren liegt, die keine oder nur
geringe singhalesiche Sprachkentnisse haben und deren Geburts- oder Herkunftsort auf
der Jaffna-Halbinsel liegt. Hierdurch allein weckt er nicht, wie bereits zur allgemeinen
Sicherheitslage im Großraum Colombo ausführlich dargelegt, mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit ein gesteigertes Interesse der Sicherheitsbehörden. Weitere
Risikofaktoren sind in seiner Person nicht verwirklicht. Insbesondere fehlt jeder
Anhaltspunkt dafür, dass sich die Sicherheitsbehörden wegen der Verwandtschaft mit
LTTE-Angehörigen, eines in Polizeiberichten oder sonstigen Unterlagen der
Sicherheitskräfte festgehaltenen Verdachts einer LTTE- Mitgliedschaft oder einer
Identifikation als LTTE-Mitglied durch Informanten der Sicherheitskräfte für ihn
interessieren. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf eine Narbe am
Unterarm als Folge einer in Deutschland erlittenen Sportverletzung hingewiesen hat,
ergibt sich auch hieraus keine derartige Steigerung des Risikos einer intensiveren
Überprüfung durch die Sicherheitskräfte mit der Gefahr von asylerheblichen
Weiterungen, dass ihm eine Rückkehr unzumutbar wäre. In Sri Lanka hat eine Vielzahl
von Personen Verletzungen nicht nur im Zusammenhang mit Kriegsereignissen und
175
Anschlägen, sondern auch durch Arbeits- Straßenverkehrs- und häusliche Unfälle
erlitten (AA 25.01.2000 S. 1 f.). Angesichts dessen ist nicht mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass die Sicherheitskräfte in Sri Lanka ohne Vorliegen
anderer gewichtiger Verdachtsmomente allein aus dem Vorhandensein einer derartigen
- - ersichtlich nicht auf Kampfhandlungen im Bürgerkrieg beruhenden (vgl. hierzu, AA
25.01.2000 S. 1 f.; Wingler 01.04.1999, S. 5: "Verletzung, die auf einen Kampfeinsatz
hinweist"; ai 30.08.1999 S. 1: "jegliche Art von Narben, die sich jemand ... als LTTE-
Kämpfer zugezogen haben kann"; nach KK 12.03.1999 S. 1 f. erhöhen Narben ohne
Differenzierung nach ihrer Art das Festnahmerisiko) - - Narbe, die der Kläger zudem auf
Nachfrage einleuchtend als Sportverletzung erklären könnte, auf eine Verwicklung des
Klägers in Aktivitäten der LTTE schließen werden. Abgesehen hiervon besteht für den
Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Sri Lanka eine im Vergleich zur Mehrzahl
erfolglos gebliebener srilankischer Asylbewerber eher verminderte Gefahr eines Zugriffs
der srilankischen Sicherheitskräfte, weil er über einen - - dem Anschein nach echten - -
Nationalpass verfügt. Er hat damit - - nach einer Verlängerung der Gültigkeitsdauer - -
gute Aussichten, jedenfalls von den oben dargestellten an die Einreise mit einem
"emergency certificate" anknüpfenden intensiven Identitätskontrollen durch srilankische
Sicherheitskräfte bei der Einreise verschont zu werden.
B. Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG
176
Die Klage bleibt auch mit ihrem Hilfsantrag ohne Erfolg. Der Kläger hat gegen die
Beklagte keinen Anspruch auf die Feststellung, dass eines der in § 53 AuslG geregelten
Abschiebungshindernisse besteht.
177
I. Zuständigkeit der Beklagten
178
Der hilfsweise verfolgten Klage gegen die Beklagte auf Feststellung eines
Abschiebungshindernisses nach § 53 AuslG steht allerdings nicht entgegen, dass der
Bescheid des Bundesamtes noch vor dem Inkrafttreten des AsylVfG 1992 (vom 26. Juni
1992, BGBl. I S. 1126) am 1. Juli 1992 erlassen worden ist und nach dem zuvor
geltenden Asylverfahrensgesetz die Ausländerbehörde für die Prüfung des Vorliegens
der nunmehr in § 53 AuslG geregelten Abschiebungshindernisse zuständig war. Die
Verfahrensvorschriften des vor dem 1. Juli 1992 geltenden Asylverfahrensgesetzes
finden auf den vorliegenden Fall keine Anwendung, weil das Bundesamt seinen
Bescheid vom 13. April 1992 in der Zeit bis zum 1. Juli 1992 nicht der zu diesem
Zeitpunkt für den Kläger zuständigen Ausländerbehörde zur Zustellung übermittelt (vgl.
§ 87 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG 1992) hat -
179
zur Maßgeblichkeit der Übersendung an die zuständige Ausländerbehörde vgl. Marx,
AsylVfG, 3. Aufl. 1995, § 87 Rdn. 2, 4 -,
180
sondern derjenigen am früheren Aufenthaltsort des Klägers in Wuppertal, obwohl der
Kläger bereits im April 1991 der Stadt Duisburg zugewiesen worden war. Dass der
Bescheid von dort - - wann, ist den Akten nicht zu entnehmen - - zur zuständigen
Ausländerbehörde Duisburg gelangte und von dieser dem Kläger - - im Oktober 1992 - -
tatsächlich ausgehändigt wurde, kann der Übersendung des Bescheides des
Bundesamtes an die (zuständige) Ausländerbehörde vor dem 1. Juli 1992, an die der
Wortlaut des § 87 Abs. 1 Nr. 1 AuslG 1992 für die Anwendung des früheren Rechts
anknüpft, nicht gleichgestellt werden.
181
II. Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG
182
Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG liegen in der Person des Klägers nicht vor.
183
1. § 53 Abs. 1 AuslG
184
§ 53 Abs. 1 AuslG greift nicht ein; die dort geforderte konkrete Gefahr, der Folter
unterworfen zu werden, besteht nicht. Wie oben insbesondere zum Großraum Colombo
ausgeführt sind Fälle von Folterung zwar nicht generell auszuschließen, diese fallen
aber - vorbehaltlich der noch zu erörternden Fragen im Zusammenhang mit den Ein-
und Ausreise-- sowie Passbestimmungen und hier nicht ersichtlicher besonderer
Umstände - im Wesentlichen mit Fällen politischer Verfolgung zusammen. Da
dergleichen aber, wie dargestellt, vorliegend nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
droht, ist auch eine konkrete Gefahr -
185
vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 1.94 -, NVwZ 1995, 391 -,
186
der Folter unterworfen zu werden, zu verneinen.
187
2. § 53 Abs. 4 AuslG
188
Eine Unzulässigkeit der Abschiebung nach der Konvention zum Schutze der
Menschenrechte und Grundfreiheiten - Europäische Menschenrechtskonvention -
(EMRK), die zu einem Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG führen könnte, ist
ebenfalls nicht festzustellen. In Betracht zu ziehen sind nur Umstände, die sich aus
Gefahren ergeben, die in Sri Lanka als dem Zielland der Abschiebung drohen.
Beeinträchtigungen, die sich im Bundesgebiet ergeben, wie etwa die des Rechts auf
Wahrung des Familienlebens aus Art. 8 EMRK bei Ausreisepflicht einzelner
Familienmitglieder, sind nicht vom Bundesamt, sondern von der Ausländerbehörde im
Zusammenhang mit der Durchsetzung der Ausreisepflicht zu prüfen.
189
Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. November 1997 - 9 C 13.96 -, NVwZ 1998, 526, ferner
Urteil des Senats vom 7. März 1997 - 21 A 3047/95.A -.
190
Weiterhin scheiden mit Bedeutung insbesondere für die Unzulässigkeit der
Abschiebung wegen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, Art. 3 EMRK,
Umstände aus, die nicht vom srilankischen Staat ausgehen oder sonst von ihm zu
verantworten sind, also etwa die Folgen des Bürgerkrieges sowie die Auswirkungen
eines unterentwickelten Gesundheitssystems.
191
Vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Oktober 1995 - 9 C 15.95 -, BVerwGE 99, 331, vom 15.
April 1997 - 9 C 38.96 -, BVerwGE 104, 265 = NVwZ 1997, 1127 und vom 25. November
1997 - 9 C 58.96 -, NVwZ 1998, 524.
192
Die danach im Rahmen des § 53 Abs. 4 AuslG als möglicherweise relevant
verbleibenden Anknüpfungspunkte aus der Europäischen Menschenrechtskonvention
sind bereits im Zusammenhang mit den Fragen zur politischen Verfolgung erörtert; dass
diesbezüglich die erforderliche konkrete Gefahr -
193
vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1995 - 2 BvR 384/95 -, DVBl. 1996, 196;
BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1996 - 9 C 134.95 -, InfAuslR 1996, 289 -
194
nicht besteht, ergibt sich - vorbehaltlich des nachstehend Ausgeführten - aus den obigen
Ausführungen. Eine konkrete Gefahr einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des
Art. 3 EMRK lässt sich auch nicht im Hinblick auf eine mögliche strafrechtliche
Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen die neuen srilankischen Ein-, Ausreise- und
Passbestimmungen feststellen. Es ist schon nicht beachtlich wahrscheinlich, dass ein
Strafverfahren wegen eines solchen Verstoßes eingeleitet wird. In der Praxis kommt es
nämlich nur selten zu Anklagen gegen Rückkehrer wegen Passfälschungen bzw.
illegaler Ausreise, da sich die Strafverfolgungsbehörden zumeist mit unüberwindlichen
Beweisschwierigkeiten konfrontiert sehen (AA 16.04.1999 S. 3). Diese Aussage wird
durch Berichte, nach denen seit der Neufassung der in Rede stehenden Bestimmungen
bereits bis Februar 1999 über hundert Tamilinnen und Tamilen wegen der Benutzung
gefälschter Personalpapiere bei der Aus- oder Einreise verhaftet und anschließend
verurteilt worden sein sollen (KK 12.03.1999 S. 3), nicht in Frage gestellt. Denn diese
Berichte betreffen - - wie sich aus konkreten Zahlenangaben in weiterem
Auskunftsmaterial schließen lässt (Schreiben des Forum for Human Dignity vom 28.
April 1999, Anlage zu KK 22.06.1999) - - ganz überwiegend Festnahmen bei der
Ausreise. Abgesehen davon fehlt es an tragfähigen Anhaltspunkten dafür, dass es sich
bei der strafrechtlichen Verfolgung und Ahndung solcher Verstöße - - etwa im Hinblick
auf das zu erwartende oder verhängte Strafmaß - - um eine unmenschliche Behandlung
im Sinne des Art. 3 EMRK handelt. Denn die vorgesehenen Strafen gelten für eine
große Spannweite von Delikten und Begehungsformen; Feststellungen zu der
tatsächlich geübten Praxis sind nach dem vorliegenden Auskunftsmaterial, das
ersichtlich alle zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen und -möglichkeiten
ausschöpft, nicht zu treffen. Auch sonst kann die konkrete Gefahr einer unmenschlichen
Behandlung während der Untersuchungshaft oder während des Vollzugs einer Strafe
wegen eines Verstoßes gegen die genannten Ein-, Ausreise- und Passbestimmungen
nicht festgestellt werden. Zwar lassen sich während der Haft massive
Menschenrechtsverletzungen durch die Sicherheitskräfte nicht ausschließen,
insbesondere dann nicht, wenn zusätzlich ein wie auch immer gearteter Verdacht auf
LTTE-Unterstützung besteht (ai 01.03.1999 S. 3); für eine beachtliche
Wahrscheinlichkeit aber ergibt sich daraus nichts (vgl. auch AA 16.04.1999 S. 3).
195
3. § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG
196
Eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit aus individuellen
Gründen, § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG, ist nicht geltend gemacht oder ersichtlich. Eine
extreme allgemeine Gefahrenlage, die jeden einzelnen zurückkehrenden Tamilen
gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausliefern
und daher in verfassungskonformer Auslegung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG ein
Abschiebungshindernis nach Satz 1 begründen würde -
197
vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324 - und vom 8.
Dezember 1998 - 9 C 4.98 - BVerwGE 108, 77 = DVBl 1999, 549; Beschluss vom 26.
Januar 1999 - 9 B 671.98 -, NVwZ 1999, 668 -,
198
ist jedenfalls für den Großraum Colombo, den die Rückkehrer als Erstes erreichen, nicht
gegeben. Soweit oben bereits Übergriffe und sonstige Beeinträchtigungen
angesprochen worden sind, die Tamilen oder Gruppen von ihnen treffen können, sind
sie im vorliegenden Zusammenhang ohne Gewicht, weil sie sich - - zumal mit der in
Rede stehenden Eingriffsintensität - - schon nicht mit der für die Annahme einer
199
beachtlichen Wahrscheinlichkeit, geschweige denn mit der für die Annahme einer
extremen Gefahrenlage erforderlichen Dichte feststellen lassen. Insoweit kann auf die
Ausführungen zum Hauptbegehren verwiesen werden. Ebenso wenig liegen
Anhaltspunkte dafür vor, dass die Rückkehrer einer Verelendung ausgeliefert wären.
Das umfangreiche Auskunftsmaterial, das gerade auch die Lebensbedingungen im
Großraum Colombo in den Blick nimmt, enthält für den hier erforderlichen
Gefährdungsgrad keine tragfähigen Hinweise. Zwar ist die Erlangung einer
wirtschaftlichen Lebensgrundlage für Tamilen jedenfalls dann nicht einfach, wenn ihnen
familiäre Beziehungen fehlen (UNHCR 23.07.1996 S. 4; KK 24.02.1997 S. 1); auch mag
der Zugang zu staatlichen Hilfsprogrammen für Rückkehrer, die nicht aus Colombo
stammen, ausgeschlossen sein (AA 27.05.1999 S. 1; KK 08.12.1999 und 22.06.1999 S.
8). Doch greifen ersichtlich andere Hilfsmöglichkeiten ein, etwa durch bereits in
Colombo ansässige Volkszugehörige oder durch lokale und in Sri Lanka zahlreich
vertretene internationale Hilfsorganisationen (AA 14.01.1997, 27.05.1999 S. 2); ferner
sind - - wenn auch möglicherweise nur eingeschränkte (KK 22.06.1999 S. 9) - -
Möglichkeiten zu berücksichtigen - in verschiedenen Wirtschaftszweigen eine einfache,
vergleichsweise schlecht entlohnte Arbeit zu finden (AA 27.05.1999 S. 3), die es
Rückkehrern im Allgemeinen erlaubt, sich mit den Verhältnissen zu arrangieren. Auch
dies erklärt, dass keine Berichte zu Beispielsfällen tatsächlicher existentieller
Gefährdung von Einzelnen oder bestimmten Gruppen vorliegen (AA 06.05.1998,
27.05.1999 S. 4 f.), obwohl angesichts der vielfältigen Beobachtung der Situation
dergleichen schwerlich unerkannt geblieben wäre. Das Fehlen von Belegfällen für eine
Verelendung kann nicht darauf zurückgeführt werden, dass die Rückkehrer nicht im
Großraum Colombo verblieben wären, denn es wird zugleich auf erhebliche
Hemmnisse, in andere, insbesondere tamilisch besiedelte Gebiete zurückzukehren,
verwiesen (KK 08.12.1999) und darüber hinaus berichtet, dass Rückkehrer, soweit
ihnen nicht eine erneute Ausreise gelingt, es in der Mehrzahl vorziehen, im Großraum
Colombo Wohnsitz zu nehmen (AA 27.05.1999 S. 3).
Erfüllt mithin bereits die allgemeine Situation für aus dem Ausland zurückkehrende
Tamilen die Anforderungen für ein Abschiebungshindernis aus § 53 Abs. 6 Satz 1
AuslG nicht, so gilt dies für den Kläger in gesteigertem Maße, da er dort zusätzlich auf
die Unterstützung derjenigen Verwandten zurückgreifen kann, die seinen Angaben nach
auch seine in Sri Lanka verbliebenen Familienangehörigen in den ersten Monaten
dieses Jahres aufgenommen haben.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Gründe, die Revision zuzulassen, § 132 Abs. 2 VwGO, liegen nicht vor.
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