Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 12.11.1997

OVG NRW (wiedereinsetzung in den vorigen stand, antrag, kläger, gesetzliche frist, ausbildung, wiedereinsetzung, 1995, begründung, prüfung, gut)

Oberverwaltungsgericht NRW, 16 A 476/96
Datum:
12.11.1997
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
16. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
16 A 476/96
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 18 K 3928/95
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der
Vollstreckung in derselben Höhe Sicherheit leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
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Der Kläger erhielt während seines Studiums Darlehen nach dem
Bundesausbildungsförderungsgesetz. Mit Feststellungs- und Rückzahlungsbescheid
vom 4. Februar 1989 und Zusatz- und Rückzahlungsbescheid vom 9. Februar 1992
stellte das Bundesverwaltungsamt die Höhe der Darlehensschuld des Klägers fest
(16.839,- DM) und setzte mit Bescheid vom 9. November 1994 das Ausbildungsende auf
den 11. November 1993 und den Rückzahlungsbeginn auf den 30. November 1996 fest.
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Durch den angefochtenen Gerichtsbescheid, auf dessen Tatbestand im übrigen gemäß
§ 130 b Satz 1 VwGO Bezug genommen wird, hat das Verwaltungsgericht die Klage des
Klägers mit dem Antrag,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesverwaltungsamtes vom 22.
März 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Mai 1995 zu verpflichten,
ihm einen Teilerlaß gemäß § 18 b Abs. 1 BAföG zu gewähren,
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abgewiesen.
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Der Kläger trägt zur Begründung seiner Berufung vor: Er habe am 18. November 1993
sein Prüfungszeugnis mit der Note gut übersandt. Damit habe er beabsichtigt, zum
einen sein Ausbildungsende anzuzeigen und des weiteren einen Teilerlaß gemäß § 18
b BAföG zu erwirken. Einen ausdrücklichen Antrag habe er nicht gestellt, weil nach
seiner damaligen Ansicht die Antragsfrist abgelaufen gewesen sei. Diese Überzeugung
habe er aufgrund des entsprechenden Hinweises im Feststellungs- und
Rückzahlungsbescheid vom 4. Februar 1989 gewonnen. Der Hinweis habe gelautet,
der Antrag auf Teilerlaß sei innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe dieses
Bescheides zu stellen und dem Antrag sei eine beglaubigte Abschrift des
Abschlußzeugnisses beizufügen. Er sei daher der Auffassung gewesen, daß es für
einen ausdrücklichen Antrag für einen leistungsabhängigen Teilerlaß für ihn zu spät
gewesen sei, da ein Ende der Ausbildung bis zum 4. Februar 1989 nicht mehr möglich
gewesen sei. Zudem habe er damals nicht gewußt, ob er zu den 30 vom Hundert der
Besten seines Jahrganges gehöre. Hiervon habe er erst später erfahren und am 14.
November 1994 unverzüglich einen ausdrücklichen Teilerlaßantrag gestellt. Wegen der
fehlerhaften Aufklärung erscheine es bedenklich, daß sich die Beklagte auf eine nicht
fristgerechte Antragstellung berufe. Werde einer Mitteilung über die Beendigung der
Ausbildung ein Abschlußzeugnis mit der Note gut beigelegt, hätte sich dem
Bundesverwaltungsamt ein damit zugleich gestellter Antrag auf einen Teilerlaß
aufdrängen müssen. Jedenfalls sei ihm wegen der Versäumung der Antragsfrist
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 27 SGB X zu gewähren. In § 18 b Abs.
1 BAföG als auch in dem entsprechenden Hinweis des Rückzahlungsbescheides vom
4. Februar 1989 heiße es ausdrücklich, daß ein entsprechender Antrag innerhalb eines
Monats nach Zusendung des Bescheides gestellt werden müsse. Ihm könne nicht mit
Erfolg vorgehalten werden, daß er sich nach seiner Abschlußprüfung wegen eines
Teilerlasses nicht beim Bundesverwaltungsamt erkundigt habe. Nach dessen damaliger
Rechtsauffassung hätte ihm das Bundesverwaltungsamt nur mitgeteilt, daß ein
entsprechender Antrag früher hätte gestellt werden müssen. In vergleichbaren
Fallgestaltungen habe das Bundesverwaltungsamt diese Meinung bis zum Erlaß des
Urteils des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein- Westfalen vom 1. August
1994 - 16 A 13/94 - vertreten. Darüber hinaus hätte es der Gleichbehandlungsgrundsatz
des Art. 3 Abs. 1 GG geboten, ihn im Hinblick auf den Abschluß seiner Ausbildung
viereinhalb Jahre nach Zusendung des Rückzahlungsbescheides vom 4. Februar 1989
erneut über die Möglichkeit eines Teilerlasses und dessen Voraussetzungen
aufzuklären.
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Der Kläger beantragt sinngemäß,
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den angefochtenen Gerichtsbescheid zu ändern und gemäß seinem erstinstanzlichen
Klageantrag zu erkennen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der vom Bundesverwaltungsamt übersandten Verwaltungsvorgänge
Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufung, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche
Verhandlung entscheidet (§§ 125 Abs. 1 Satz 1, 101 Abs. 2 VwGO), wird
zurückgewiesen; denn sie ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu
Recht abgewiesen. Der einen Teilerlaß nach § 18 b Abs. 1 BAföG ablehnende
Bescheid des Bundesverwaltungsamtes vom 22. März 1995 und der ihn bestätigende
Widerspruchsbescheid vom 3. Mai 1995 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht
in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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Ein Anspruch auf einen leistungsabhängigen Teilerlaß nach § 18 b Abs. 1 BAföG steht
dem Kläger nicht zu. Nach § 18 b Abs. 1 Satz 1 BAföG in der hier maßgeblichen
Fassung des 12. BAföG-Änderungsgesetzes vom 22. Mai 1990 (BGBl. I S. 936) werden
dem Auszubildenden, dessen Förderungshöchstdauer vor dem 1. Oktober 1993 endet,
der die Abschlußprüfung bestanden hat und nach ihrem Ergebnis zu den ersten 30 vom
Hundert aller Prüfungsabsolventen gehört, die diese Prüfung in demselben
Kalenderjahr abgeschlossen haben, auf Antrag 25 vom Hundert des nach dem 31.
Dezember 1983 für diesen Ausbildungsabschnitt geleisteten Darlehensbetrages
erlassen. Nach Satz 2 ist der Antrag innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des
Bescheides nach § 18 Abs. 5 a BAföG zu stellen. Schon die zuletzt genannte
Voraussetzung erfüllt der Kläger nicht. Auch wenn die gesetzliche Regelung über die
Beantragung eines leistungsabhängigen Teilerlasses in den Fällen, in denen der
Auszubildende - wie der Kläger - bereits vor der Beendigung seiner Ausbildung einen
Feststellungsbescheid nach § 18 Abs. 5 a BAföG erhält, dahin zu ergänzen ist, daß die
einmonatige Antragsfrist für die Gewährung des leistungsabhängigen Teilerlasses
gemäß § 18 b Abs. 1 Satz 1 BAföG mit dem Bestehen der Abschlußprüfung beginnt,
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vgl. OVG NW, Urteile vom 1. August 1994 - 16 A 13/94 -, JURIS, und vom 12. Juli 1996 -
16 A 1837/94 -,
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erfüllt der Kläger nicht die Voraussetzung einer rechtzeitigen Antragstellung. Das
Ergebnis seines Examens wurde ihm im November 1993 bekanntgegeben, und der
Antrag auf einen Teilerlaß gemäß § 18 b Abs. 1 Satz 1 BAföG ist erst am 15. November
1994 beim Bundesverwaltungsamt eingegangen.
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Entgegen der Ansicht des Klägers kann seine am 19. November 1993 beim
Bundesverwaltungsamt eingegangene Mitteilung über die Beendigung seiner
Ausbildung auch nicht als ein konkludent gestellter Antrag auf Gewährung eines
leistungsabhängigen Teilerlasses angesehen werden. Ausweislich des Wortlauts des
Anschreibens wollte der Kläger mit ihm nur die erfolgreiche Beendigung seiner
Ausbildung anzeigen und durch die beigefügte Exmatrikulationsbescheinigung und die
Kopie über den Studienabschluß belegen, nachdem das für die Rückzahlung des
Darlehens maßgebliche Ende der Ausbildung, deren Förderungshöchstdauer bereits im
September 1984 geendet hatte, zunächst nur vorläufig festgesetzt worden war. Eine
andere rechtliche Bewertung ist nicht deshalb geboten, weil die Bescheinigung über
den erfolgreichen Studienabschluß das dafür erteilte Gesamtprädikat "gut" ausweist und
sich daher nach Ansicht des Klägers dem Bundesverwaltungsamt die Folgerung hätte
aufdrängen müssen, daß er ebenfalls einen leistungsabhängigen Teilerlaß begehre.
Dieser Erklärungswert kann der in Rede stehenden Mitteilung des Klägers schon
deshalb nicht entnommen werden, weil bei einer Reihe von Studiengängen die
Abschlußnote "gut" vielfach nicht für einen leistungsabhängigen Teilerlaß gemäß § 18 b
Abs. 1 Satz 1 BAföG ausreicht, wie dem für den Bereich der Rückforderung von
Darlehen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz durch das
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Bundesverwaltungsamt als Berufungsgericht allein zuständigen Senat aus
vergleichbaren Verfahren bekannt ist.
Der am 15. November 1994 eingegangene Antrag auf einen leistungsabhängigen
Teilerlaß ist auch nicht deshalb fristgerecht, weil das Bundesverwaltungsamt mit
Bescheid vom 9. November 1994 das Ausbildungsende des Klägers auf den 11.
November 1993 und den Beginn der Rückzahlungsverpflichtung auf den 30. November
1996 festgesetzt hat. Maßgeblich für den Fristbeginn ist die Bekanntgabe des
Bescheides nach § 18 Abs. 5 a BAföG. Die nach § 18 b Abs. 1 Satz 2 BAföG
einzuhaltende Antragsfrist wird durch einen späteren Bescheid, der als
Rückzahlungsbescheid Festsetzungen über das Ausbildungsende und den
Rückzahlungsbeginn gemäß § 66 a Abs. 5 BAföG in Verbindung mit § 18 Abs. 3 Satz 2
BAföG in der am 31. Juli 1993 geltenden Fassung enthält, die für den sich nach § 18 b
Abs. 1 BAföG richtenden Teilerlaß ohne Bedeutung sind, nicht erneut in Gang gesetzt.
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Vgl. OVG NW, Urteile vom 20. Februar 1991 - 16 A 2152/89 -, JURIS, sowie vom 28.
August 1996 - 16 A 1751/95 -.
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Schließlich kann dem Kläger wegen der Versäumung der einmonatigen Antragsfrist für
einen leistungsabhängigen Teilerlaß gemäß § 18 b Abs. 1 Satz 1 BAföG auch nicht
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB X gewährt
werden. Nach der genannten Norm ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu
gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist
einzuhalten. Gemäß § 27 Abs. 2 Satz 1 SGB X ist der Antrag auf Wiedereinsetzung in
den vorigen Stand binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen; nach
Satz 2 dieser Vorschrift sind die Tatsachen zur Begründung des Antrages bei der
Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Aus dem Sinn
und Zweck des § 27 Abs. 2 Satz 1 SGB X folgt, daß die Tatsachen, die zur Begründung
des Wiedereinsetzungsantrages dienen sollen, mit dem Antrag oder jedenfalls innerhalb
der zweiwöchigen Antragsfrist vorzubringen sind, weil nur so die Unsicherheit darüber,
ob es bei den Folgen der Fristversäumung bleibt oder nicht, in den vom Prinzip der
Rechtssicherheit geforderten engen Grenzen gehalten werden kann, sofern die
betreffenden Gründe nicht offenkundig sind. Zu den der Begründung des
Wiedereinsetzungsantrages dienenden Tatsachen, die vom Antragsteller in der
Antragsfrist des § 27 Abs. 2 Satz 1 SGB X geltend gemacht werden müssen, gehören
notwendigerweise auch diejenigen Umstände, aus denen sich ergibt, daß der
Antragsteller nach Behebung des zur Fristversäumnis führenden Hindernisses
rechtzeitig um die Wiedereinsetzung nachgesucht hat. Auch ein im übrigen von
hinreichenden Wiedereinsetzungsgründen getragenes Wiedereinsetzungsgesuch kann
keinen Erfolg haben, wenn sich nicht ergibt, daß die Frist zur Geltendmachung der
Wiedereinsetzungsgründe gewahrt worden ist.
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Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 9. Juli 1975 - VI C 18.75 -, Buchholz 310 § 60 VwGO Nr.
86 = NJW 1976, 74 und vom 22. August 1984 - 9 B 10609.83 -, Buchholz 310 § 60
VwGO Nr. 142 = BayVBl 1985, 286 zur inhaltsgleichen Vorschrift des § 60 VwGO.
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Diesem Erfordernis genügt das Wiedereinsetzungsbegehren des Klägers nicht. Weder
aus seinem Vortrag noch aus sonstigen Umständen wird ersichtlich, daß er innerhalb
von zwei Wochen nach Kenntnis von der Versäumung der Frist zur Beantragung eines
leistungsabhängigen Teilerlasses, d.h. nach Behebung des zur Fristversäumnis
führenden Hindernisses, den Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt hat. Der Kläger hat in
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seinem Antrag vom 14. November 1994 insoweit lediglich vorgetragen, er habe erst
kürzlich erfahren, daß er zu den Darlehensnehmern gehöre, die einen Anspruch auf
einen Teilerlaß gemäß § 18 b BAföG wegen überdurchschnittlicher Leistungen hätten.
Ohne das Datum zu nennen, hat der Kläger im Berufungsverfahren dazu ergänzend
vorgetragen, daß er bei einem Besuch des Prüfungsamtes erfahren habe, daß er zu den
30 vom Hundert der Besten seines Jahrgangs gehöre und danach unverzüglich am 14.
November 1994 einen Teilerlaßantrag gestellt habe. Ein derartiger Vortrag ist jedoch
nicht geeignet, die Tatsachen glaubhaft zu machen, aus denen sich ergibt, daß die
Wiedereinsetzung rechtzeitig innerhalb der Zweiwochenfrist des § 27 Abs. 2 Satz 1
SGB X beantragt worden ist.
Bei dieser Sach- und Rechtslage können die Fragen offenbleiben, ob der Kläger ohne
sein Verschulden verhindert war, einen Teilerlaß gemäß § 18 b Abs. 1 Satz 1 BAföG
rechtzeitig zu beantragen und ob er hierfür die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO; die Entscheidung
über deren vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708
Nr. 10, 711 ZPO.
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Der Senat läßt die Revision nicht zu, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht vorliegen.
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