Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 24.02.2009

OVG NRW: ausgleichsabgabe, belastung, sonderabgabe, zahl, beschäftigungspflicht, aufwand, kündigung, abgrenzung, pauschalierung, lastenverteilung

Oberverwaltungsgericht NRW, 12 A 3220/08
Datum:
24.02.2009
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
12 A 3220/08
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 26 K 4275/06
Tenor:
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien
Zulassungsverfahrens.
G r ü n d e :
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.
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Das Zulassungsvorbringen führt nicht zu ernstlichen Zweifeln i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1
VwGO. Es vermag die - selbständig tragende - Begründung des Verwaltungsgerichts,
die Ausgleichsabgabe in ihrer gestaffelten Ausgestaltung nach § 77 Abs. 2 Satz 1 SGB
IX sei wegen ihrer neben der Antriebsfunktion bestehenden Ausgleichsfunktion auch
dann verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn die Ausgleichsabgabe im konkreten Fall
keine Antriebsfunktion entfalten könne, nicht in Frage zu stellen.
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In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des
Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass die Ausgleichsabgabe eine
verfassungsrechtlich zulässige Sonderabgabe ist, bei der nicht die
Finanzierungsfunktion im Vordergrund steht, sondern ihre Antriebs- und
Ausgleichsfunktion. Die Ausgleichsabgabe genügt als Regelung der Berufsausübung
(Art. 12 Abs. 1 GG) dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Sie ist zur Zielerreichung
geeignet, erforderlich, nicht überhöht und den Arbeitgebern weiterhin zumutbar. Sie ist
insbesondere nicht deshalb als ungeeignet anzusehen, weil sie auch Unternehmen
treffen kann, die ihrem Gegenstand und ihrer Organisation nach keine
schwerbehinderten Arbeitnehmer beschäftigen oder finden können. In diesem Fall
erfährt sie ihre verfassungsrechtliche Rechtfertigung schon allein aus der dem
Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) entsprechenden Herstellung der Lastengleichheit und
dem damit verbundenen Ausgleich der Belastungen zwischen denjenigen Arbeitgebern,
die der Beschäftigungspflicht genügen und denjenigen, die diese Verpflichtung "aus
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welchen Gründen auch immer" nicht erfüllen.
Vgl. BVerfG, Kammerbeschluss (Nichtannahme) vom 1. Oktober 2004 - 1 BvR 2221/03 -
, NJW 2005, 737, Urteil vom 26. Mai 1981 - 1 BvL 56/78 u.a. -, BVerfGE 57, 139 ff.;
BVerwG, Beschluss vom 17. April 2003 - 5 B 7/03 -, Behindertenrecht 2003, 222, Urteil
vom 13. Dezember 2001 - 5 C 26.01 -, BVerwGE 115, 312 ff.
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Dass innerhalb der zuletzt genannten Gruppe die Staffelung der Ausgleichsabgabe
nach § 77 Abs. 2 Satz 1 SGB IX auch unter Berücksichtigung ihrer Ausgleichsfunktion
entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, ist
schon nicht hinreichend dargelegt. Wie die Klägerin selbst in ihrer Begründung ausführt,
entspricht die Ausgleichsfunktion durchaus dem Grundgedanken der
Abgabengerechtigkeit und Belastungsgleichheit:
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"... Sie dient im Hinblick auf die Klägerin, da der Anreizeffekt versagt, dem Ausgleich der
Belastung der Arbeitgeber, die tatsächlich schwerbehinderte Menschen beschäftigen.
Es sind diejenigen Belastungen auszugleichen, die den Arbeitgebern entstehen, die der
Beschäftigungspflicht genügen. Der Ausgleich von Belastungen der Arbeitgeber, die
schwerbehinderte Menschen beschäftigen, dient der Belastungsgleichheit und dem
Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ..."
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Auch nach Auffassung der Klägerin zielt also die Ausgleichsfunktion der
Ausgleichsabgabe grundsätzlich darauf ab, zur Herstellung von Abgabengerechtigkeit
und Belastungsgleichheit einen Ausgleich der Belastungen herbeizuführen, die
denjenigen Arbeitgebern entstehen, die schwerbehinderte Arbeitnehmer beschäftigen.
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Dass diejenigen Arbeitgeber, die zwar ihre Pflichtquote nicht erfüllen, jedoch
schwerbehinderte Arbeitnehmer (in geringerem Maße) beschäftigen, von vornherein von
jedem Belastungsausgleich ausgeschlossen sein sollen, ist weder der
Ausgleichsfunktion noch der hierzu ergangenen Rechtsprechung zu entnehmen;
vielmehr berücksichtigt das Gesetz gerade selbst nach § 77 Abs. 1 SGB IX die mit der
ansteigenden Quote der Beschäftigung schwerbehinderter Arbeitnehmer ansteigenden
Belastungen durch eine Reduzierung der Ausgleichsabgabe entsprechend der mit dem
Anstieg der Beschäftigung einhergehenden Verringerung der Zahl der unbesetzten
Pflichtarbeitsplätze.
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Dafür, dass im Rahmen der Bestimmung der Höhe der Ausgleichsabgabe die
belastungsorientierte Binnengewichtung ausschließlich an der Zahl der unbesetzten
Pflichtarbeitsplätze (§ 77 Abs. 1 SGB IX) auszurichten ist und sich der Ausgleich im
Übrigen ausschließlich auf der Ebene der Zahlungen aus den Mitteln der
Ausgleichsabgabe vollzieht, hat die Klägerin über die pauschalen Behauptungen
hinaus - das Ausgleichskonzept trage eine darüber hinausgehende Differenzierung
nicht, dem Ausgleichsgedanken entspreche allein, dass die Abgabenhöhe je
unbesetztem Pflichtarbeitsplatz konstant sei - nichts Substantiiertes dargelegt. Eine
weitergehende Darlegung wäre jedoch schon deshalb erforderlich gewesen, weil eine
derartige Bindung des Gesetzgebers weder aus Art. 3 Abs. 1 GG noch aus der Natur
eines Belastungsausgleichs ohne weiteres abgeleitet werden kann. So bleibt schon
unberücksichtigt, dass die hier einschlägigen verfassungsrechtlichen
Rahmenbedingungen - keine sachwidrige Gleich- bzw. Ungleichbehandlung und
Herstellung von Belastungsgleichheit als Kern der die Ausgleichsabgabe als
verfassungsrechtlich zulässige Sonderabgabe rechtfertigendenden Ausgleichsfunktion -
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den zur Zielerreichung einzuschlagenden Weg völlig offen lassen. Danach ist der
Gesetzgeber grundsätzlich nicht gehindert, tatsächlich bestehenden Belastungen, die
aus der Beschäftigung schwerbehinderter Arbeitnehmer resultieren, schon auf der
Ebene der Bestimmung der Höhe der Ausgleichsabgabe nicht nur mit einem einzelnen
Bemessungsansatz, sondern mit mehreren - auch kumulativen - Bemessungskriterien
Rechnung zu tragen, wie dies hier neben der Berücksichtigung der Anzahl der
unbesetzten Pflichtarbeitsplätze durch eine pauschalierende und typisierende,
stufenweise Anrechnung von - durch die Beschäftigung von Schwerbehinderten
entstehende - Belastungen auf die je unbesetztem Pflichtarbeitsplatz zu leistende
Abgabe nach § 77 Abs. 2 Satz 1 SGB IX erfolgt ist.
Dies gilt umso mehr, als dem Gesetzgeber bei der Bewertung der zum Teil
prognosegestützten und insgesamt nicht centgenau zu erfassenden - mitunter auch nur
mittelbaren - Belastungen wie etwa durch die geminderte Leistungsfähigkeit von
Schwerbehinderten, durch den Aufwand für ein gesondertes Zustimmungsverfahren
nach §§ 85 ff. SGB IX im Falle der beabsichtigten Kündigung und durch ein ggf.
erforderliches betriebliches Eingliederungsmanagement nach § 84 SGB IX ein weiter
Beurteilungs- und Bewertungsspielraum zusteht, und diese Belastungen zudem nicht in
jedem Fall durch Zahlungen aus den Mitteln der Ausgleichsabgabe ausgeglichen
werden (können).
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Entgegen der Auffassung der Klägerin verleiht die in § 77 Abs. 2 Satz 1 SGB IX erfolgte
differenzierte Berücksichtigung von bestehenden Belastungen der genannten Regelung
gegenüber Arbeitgebern, die von ihr nicht profitieren (können), keinen Strafcharakter:
wer als Arbeitgeber zwar seine Pflichtquote noch nicht erfüllt, aber bereits drei Prozent
seiner Pflichtarbeitsplätze mit Schwerbehinderten besetzt hat, trägt schon durch die
Beschäftigung Schwerbehinderter im öffentlichen Interesse (Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG)
eine Belastung, die es nicht ohne weiteres ausschließt, ihn zur Herstellung der
Lastengleichheit nur in geringerem Umfang zur Ausgleichsabgabe heranzuziehen, als
einen Arbeitgeber, der "aus welchen Gründen auch immer" überhaupt keine
Schwerbehinderten beschäftigt.
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Dass die sich aus § 77 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB IX ergebende Lastenverteilung
innerhalb der Gruppe der die Pflichtquote "aus welchen Gründen auch immer" nicht
erfüllenden Arbeitgebern den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG nicht genügt, weil
etwa hierdurch in dieser Bezugsgruppe auch unter Berücksichtigung der bei
Massenveranlagungen - wie hier - zulässigen Pauschalierung und Typisierung die
jeweilige Belastung in Abgrenzung zu den anderen Gruppenmitgliedern nicht mehr
sachgerecht erfasst wird und dadurch eine relative Lastengleichheit im Regelfall nicht
mehr erreicht werden kann, hat die Klägerin nicht substantiiert dargelegt. Der
Behauptung, Belastungen aus der Beschäftigung bzw. Vorteile aus der
Nichtbeschäftigung schwerbehinderter Menschen wüchsen nicht überproportional an,
ermangelt es zum einen an jeglicher Substanz; zum anderen fehlt jede Darlegung dazu,
dass dem gesetzlichen Ausgleichskonzept bei der Bestimmung der Höhe der
Ausgleichsabgabe die Prämisse eines überproportionalen Aufwandes überhaupt
zugrunde liegt. Aus dem Gesetz selbst folgt ein derartiger Ansatz jedenfalls nicht.
Innerhalb der maßgebenden Bezugsgruppe der ihre Pflichtquote nicht erfüllenden
Arbeitgeber ergibt sich aus § 77 Abs. 2 Satz 1 SGB IX - von marginalen
Rundungsdifferenzen abgesehen - ausgehend von dem Höchstsatz von 260 Euro (Stufe
3) eine im wesentlichen lineare, stufenweise Absenkung zunächst um rd. 31 % auf 180
Euro (Stufe 2) und dann um 60 % - mithin um weitere rd. 30 Prozentpunkte - auf 105
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Euro (Stufe 1). Von einer progressiven Vergünstigungsrate kann danach also nicht ohne
weiteres ausgegangen werden.
Abgesehen davon bleibt auch insoweit der dem Gesetzgeber zukommende weite
Beurteilungs- und Bewertungsspielraum bei der Bestimmung des
berücksichtigungsfähigen Maßes der aus der Beschäftigung von schwerbehinderten
Arbeitnehmern resultierenden Belastungen vollkommen unberücksichtigt. Konkrete
Anhaltspunkte dafür, dass dieser überschritten sein könnte, sind nicht einmal
ansatzweise dargelegt noch sonst ersichtlich.
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Auf die verfassungsrechtliche Bedeutung der Antriebsfunktion der Ausgleichsabgabe
und die diesbezüglichen Ausführungen im Zulassungsantrag kommt es danach nicht an.
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Aus dem oben Dargelegten ergibt sich, dass die Rechtssache keine besonderen
rechtlichen Schwierigkeiten i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aufwirft.
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Entgegen der Auffassung der Klägerin hat die Rechtssache auch keine grundsätzliche
Bedeutung i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, weil die hier aufgeworfenen Fragen ohne
weiteres aus dem Grundgesetz und aus den hier maßgebenden Regelungen des SGB
IX sowie auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und
des Bundesverwaltungsgerichts geklärt werden können. Eine divergierende
Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe ist
weder dargelegt noch ersichtlich.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO.
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Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar. Das Urteil des
Verwaltungsgerichts ist nunmehr rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
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