Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 22.02.2008

OVG NRW: aufschiebende wirkung, rechtsschutz, zugang, ermächtigung, unternehmen, daten, behörde, infrastruktur, auskunft, betreiber

Oberverwaltungsgericht NRW, 13 B 68/08
Datum:
22.02.2008
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 B 68/08
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 18 L 1874/07
Tenor:
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des
Verwaltungsgerichts Köln vom 9. Januar 2008, soweit er dem Antrag auf
vorläufigen Rechtsschutz stattgibt, wird zurückgewiesen.
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des
Verwaltungsgerichts Köln vom 9. Januar 2008, soweit er den Antrag auf
vorläufigen Rechtsschutz ablehnt, geändert:
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen
den Bescheid der Antragsgegnerin vom 10. Dezember 2007 - AZ 10-
020-32-0073 - wird in vollem Umfang angeordnet.
Die Kosten beider Rechtszüge trägt die Antragsgegnerin.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 25.000,-- EUR
festgesetzt
G r ü n d e :
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Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist unbegründet. Das
Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin auf vorläufigen Rechtsschutz
nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen den angefochtenen Bescheid vom 10. Dezember 2007,
soweit er hinsichtlich der Punkte 14 bis 14.14.2 des Fragebogens Gegenstand des
Beschwerdeverfahrens der Antragsgegnerin ist, zu Recht stattgegeben.
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Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist begründet.
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Das Verwaltungsgericht hat den zuvor beschriebenen Antrag der Antragstellerin im
Übrigen zu Unrecht abgelehnt.
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Die im Verfahren nach § 80 Abs. 5 vorzunehmende Abwägung des Aufschubinteresses
des Betroffenen und des öffentlichen Vollzugsinteresses fällt in vollem Umfang
zugunsten der Antragstellerin aus, weil der angefochtene Bescheid bei der in der
vorliegenden Verfahrensart nur möglichen Prüfungsdichte durchgreifenden - u.a. dem
Gebot effektiven Rechtsschutzes Rechnung tragenden - rechtlichen Bedenken unterliegt
und gewichtige Nachteile für öffentliche Belange im Fall des nicht sofortigen Vollzugs
des angefochtenen Bescheids bis zur Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren
nicht ersichtlich sind. Die Handlungsverpflichtung gemäß Nr. 1.) und daran anknüpfend
die Zwangsgeldandrohung nach Nr. 2.) des angefochtenen Bescheids werden mit hoher
Wahrscheinlichkeit in einem Hauptsacheverfahren keinen Bestand behalten. Das ergibt
sich aus folgendem:
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Der angefochtene Bescheid ist ausgehend von seiner Begründung auf die
Ermächtigungsnorm § 14c Abs. 1 AEG gestützt. Soweit er § 14b Abs. 1 AEG anführt,
geschieht das lediglich zur Begründung der Aufgabe der Bundesnetzagentur als
Regulierungsbehörde, nicht aber zur Angabe der zum Rechtseingriff ermächtigenden
Norm.
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Sollte die Bundesnetzagentur den angefochtenen Bescheid im Nachhinein auf letztere
Vorschrift stützen wollen, hätte der Antrag der Antragstellerin auf vorläufigen
Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO ebenfalls Erfolg. Denn eine auf diese Vorschrift
gestützte Entscheidung der Bundesnetzagentur unterfiele nicht § 37 AEG; dem
Widerspruch der Antragstellerin käme ohne weiteres aufschiebende Wirkung zu. Ihr
Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz wäre in diesem Fall auszulegen in ein Begehren
auf Feststellung, dass der Widerspruch der Antragstellerin aufschiebende Wirkung
entfaltet, und auf Anordnung der Rückgängigmachung eventueller Vollzugsmaßnahmen
in entsprechender Anwendung des § 80 Abs. 5 VwGO. Mit einem dahin ausgelegten
Begehren hätte der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz höchstwahrscheinlich Erfolg.
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Der von der Bundesnetzagentur in der Beschwerde angeführte § 14c Abs. 3 AEG stellt
keine Ermächtigungsgrundlage zum Erlass eines Eingriffs-Verwaltungsakts dar. Die
Regelung begründet lediglich Verpflichtungen von Zugangsberechtigten - zu denen
auch Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) gehören - und
Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU). Der Wortlaut der Norm ist insoweit eindeutig
und kann nicht etwa in eine Ermessensvorschrift für hoheitliche Eingriffe in Rechte von
EIU umgedeutet werden. Zwar kann sich eine vom Gesetzgeber erkennbar gewollte,
wenn auch nicht wörtlich so gefasste Ermächtigung der Behörde zum hoheitlichen
Eingriff auch aus einer eine solche Ermächtigung zwingend voraussetzenden
normativen Einzelregelung oder aus dem Zusammenhang mehrerer Vorschriften eines
Regelwerks, etwa im Zusammenspiel mit einer Aufgabenzuweisung an die Behörde,
ergeben. Das gilt aber dann nicht, wenn das Regelwerk ausdrücklich spezielle
Ermächtigungsnormen aufweist und die Ermächtigung auf diese begrenzt. Das ist beim
AEG der Fall. Es weist eine Reihe von Eingriffsermächtigungsnormen im Rahmen der
aufsichtsrechtlichen Kontrolle der Bundesnetzagentur auf, etwa in § 14c, § 14e u. § 14f
AEG, und das Gesetz gibt, in dem es in § 14c Abs. 4 AEG die
verwaltungszwangsmäßige Durchsetzung der Anordnungen „nach diesem Gesetz"
erlaubt, zu erkennen, dass der Gesetzgeber lediglich die im AEG formulierten
Ermächtigungsgrundlagen im Auge hatte und insoweit für ausreichend hielt. Eine dem §
45 PostG entsprechende Ermächtigungsgrundlage kennt das AEG nicht.
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Der mithin als Ermächtigungsgrundlage für das Handlungsgebot nach Nr. 1.) des
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angefochtenen Bescheids allein in Betracht kommende § 14c Abs. 1 AEG berechtigt die
Bundesnetzagentur indess ausschließlich zu Maßnahmen gegenüber EIU. Sein
Wortlaut ist insoweit eindeutig und nicht beliebig ausdehnbar. Ein „Hineinlesen" seines
Abs. 3 in Abs. 1 mit dem Ziel, die Anwendbarkeit der Eingriffsermächtigung auch auf
EVU auszudehnen, missachtet den klaren Wortlaut der Vorschrift und den ihr
immanenten Zusammenhang mit Verstößen gegen eisenbahnrechtliches
Infrastrukturzugangsrecht.
Allerdings ist nicht ausgeschlossen, dass ein Unternehmen, das Verkehrsleistungen
nach § 2 Abs. 2 AEG erbringt, auch „Betriebsanlagen der Eisenbahnen" gemäß § 2 Abs.
3 AEG, also Eisenbahninfrastruktur betreibt, wenn die Anlage eine eindeutige örtliche
„Eisenbahnbetriebsbezogenheit", und zwar eine solche zu dem von diesem
Unternehmen betriebenen Eisenbahnverkehr, aufweist. Dass der Gesetzgeber
Serviceeinrichtungen in § 2 Abs. 3 c AEG separat anführt, steht dem nicht entgegen und
dürfte seinen redaktionellen Grund in den unterschiedlichen Rechten und Pflichten
anknüpfend an Schienenanlagen im weiteren Sinne und Serviceeinrichtungen finden,
was eine sprachliche Differenzierung nahelegt. Deshalb kann auch ein EVU eine
Doppelfunktion einnehmen und als EIU in seiner - und nur in dieser - Betätigung als
Eisenbahninfrastrukturbetreiber bei gegebenen Voraussetzungen mit auf § 14c Abs. 1
AEG gestützten Eingriffsmaßnahmen überzogen werden. Soweit also die Antragstellerin
Serviceeinrichtungen mit eindeutigem örtlichen Bezug auf ihren Eisenbahnbetrieb, wie
etwa Wartungsanlagen für ihre Fahrzeuge, betreibt, kann sie Maßnahmen nach § 14c
Abs. 1 AEG unterfallen.
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Eine solche Maßnahme setzt aber die Erforderlichkeit zur Beseitigung festgestellter
Verstöße oder zur Vermeidung künftiger Verstöße gegen eisenbahnrechtliche
Vorschriften über den Zugang zur Eisenbahninfrastruktur voraus. Eine nur
unvollständige Befolgung einer Auskunftsaufforderung der Bundesnetzagentur durch
ein EVU und eine darin möglicherweise liegende Verletzung des § 14c Abs. 3 Nr. 1
AEG stellen jedoch keinen Verstoß gegen eisenbahnrechtliche
Infrastrukturzugangsvorschriften dar. Eine solche Vorschrift liegt nur vor, wenn sie einem
Zugangsberechtigtem, ggf. einem EVU, ein Zugangsrecht zu Betriebsanlagen der
Eisenbahn einschließlich Bahnstromleitungen oder infrastrukturellen
Serviceeinrichtungen vermittelt. Die Bundesnetzagentur will jedoch keinen Zugang
hierzu ermöglichen, sondern erklärtermaßen Marktbeobachtung betreiben, also Zugang
zu verschiedenen Daten der Antragstellerin erlangen und u.a. hieran anknüpfend dem
Gesetzgeber über die Marktentwicklung berichten. Es mag der Einwand der
Bundesnetzagentur zutreffen, dass eine umfassende Marktbeobachtung Erkenntnisse
über nicht gesetzeskonforme Entgeltgestaltungsmöglichkeiten erbringen kann. Ein
Ausnutzen solcher Möglichkeiten kann aber durch eine Marktbeobachtung nicht vorab
verhindert werden; auf sie kann und muss ggf. im Wege der Spezialregelungen des §
14b Abs. 1 Nr. 4, § 14e Abs. 1 Nr. 4 oder § 14f Abs. 1 Satz 1 und 2, jew. Nr. 2 AEG im
Falle diskriminierender Zugangsbedingungen reagiert werden. Zwar kann nahezu jede
Erkenntnis über Vorgänge im Markt des Eisenbahnsektors mit dem Zugang zur
Eisenbahninfrastruktur irgendwie gedanklich in Beziehung gesetzt werden.
Fernliegende Beziehungskonstrukte und theoretische Befürchtungen führten jedoch zu
einer unakzeptablen Überdehnung der Ermächtigung aus § 14c Abs. 1 AEG.
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Die den Gegenstand des angefochtenen Bescheids bildende Auskunftsverweigerung
der Antragstellerin ist nicht Teil ihrer möglichen Betätigung als EIU. Der festgestellte
oder künftige Verstoß, dessen Beseitigung oder Verhinderung die nach § 14c Abs. 1
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AEG getroffene Maßnahme dienen soll, muss Ausfluss oder Teil der Betätigung des
Bescheidadressaten als EIU sein. Das folgt aus seiner Inanspruchnahme in dieser
Funktion und dem Ziel der Vorschrift, Verstöße gegen eisenbahnrechtliche
Infrastrukturzugangsvorschriften zu bekämpfen. Dies übertragen auf die
Auskunftsverpflichtung nach § 14c Abs. 3 Nr. 1 AEG bedeutet, dass die verlangte
Auskunft auf eine Betätigung des in Anspruch genommenen Unternehmens als
Betreiber von Infrastruktur, wenn auch in Form einer Serviceeinrichtung, bezogen sein
muss. Das ist bei den verlangten Auskünften, die auf Seite 2 des angefochtenen
Bescheids unter I. am Ende angeführt sind, bei summarischer Sicht nicht der Fall. Sie
betreffen Ausgaben für Trasseneinkauf, für ganz überwiegend nicht eigene
Einrichtungen zur Brennstoffaufnahme, für Halte an Personenbahnhöfen usw. (Bl. 60 bis
65 GA), ferner Einnahmen und Kosten für Serviceeinrichtungen (Bl. 69/71 GA), ferner
Zahl und Auslastung von Werkstätten mit Wartung und Waschstraßen (Bl. 75/76 GA),
wofür ein Zusammenhang mit dem Zugang anderer Unternehmen zu der von der
Antragstellerin evtl. betriebenen Infrastruktur nicht erkennbar ist.
Der Mangel auf der Ermächtigungsseite gilt für alle streitgegenständlichen Punkte des
Fragenkatalogs. Er entzieht zugleich der Zwangsgeldandrohung die Rechtsgrundlage.
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Überwiegende öffentliche Interessen, die den Fortbestand der Vollziehung des
angefochtenen Bescheids bis zur Hauptsacheentscheidung forderten, sind nicht
ersichtlich. Wenn die Bundesnetzagentur den Bericht an den Gesetzgeber so abfassen
will, dass die mit dem angefochtenen Bescheid verlangten Daten nicht erkennbar
werden, dürfte es insoweit nicht wesentlich auf diese Daten ankommen. Sollte die
Antragstellerin nach verweigerter Mitteilung über die verlangten Ausgaben und
Auslastungsgrade diskriminierende Entgelte entwickeln, kann die Bundesnetzagentur
darauf auf Grundlage der oben genannten Eingriffsregelungen reagieren.
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Die Nebenentscheidungen folgen aus § 154 Abs. 1 VwGO und aus §§ 47 Abs. 1, 52,
Abs. 1, 53 Abs. 3, 63 Abs. 3 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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