Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 23.01.2009

OVG NRW: öffentliches interesse, aufschiebende wirkung, vollziehung, fürsorgepflicht, erfüllung, klinik, psychiatrie, verfügung, polizei, interessenabwägung

Oberverwaltungsgericht NRW, 6 B 1386/08
Datum:
23.01.2009
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
6 B 1386/08
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 19 L 1134/08
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf bis zu
10.000,00 Euro festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
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Aus den in der Beschwerdeschrift dargelegten Gründen, die der Senat gemäß § 146
Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, ergibt sich nicht, dass das Verwaltungsgericht
die aufschiebende Wirkung der Klage - 19 K 307/08 - gegen die für sofort vollziehbar
erklärte Zurruhesetzungsverfügung des Polizeipräsidiums L. vom 14. Juni 2007 und den
Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2007 hätte wiederherstellen müssen.
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Im Rahmen des der behördlichen Vollziehungsanordnung nachfolgenden gerichtlichen
Aussetzungsverfahrens nimmt das Gericht eine eigenständige Interessenabwägung vor,
die sich vorrangig an den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu
orientieren hat. Dabei überwiegt regelmäßig das öffentliche Interesse an der sofortigen
Vollziehung, wenn sich die angefochtene Verfügung bei summarischer Prüfung als
offensichtlich rechtmäßig erweist.
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Die von der Beschwerde gegen die Rechtmäßigkeit der Zurruhesetzungsverfügung
vorgetragenen Einwände greifen nicht durch. Sie stellen die Feststellung der
Polizeidienstunfähigkeit sowie der allgemeinen Dienstunfähigkeit des Antragstellers
nicht in Frage. Die Annahme der Beschwerde, die behandelnde Fachärztin für
Psychotherapeutische Medizin sowie für Psychiatrie/Psychotherapie Dr. med. E. habe
die Eignung einer Klinik- oder Rehabilitationsmaßnahme lediglich als "zweifelhaft"
bezeichnet und damit die Erfolgsaussichten solcher Therapiemaßnahmen nicht
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vollkommen ausgeschlossen, lässt sich der entsprechenden Stellungnahme vom 18.
Dezember 2005 nicht entnehmen. Vielmehr äußert sich die Ärztin darin eindeutig
dahingehend, dass "eine erneute stationäre Klinik- oder Rehabilitationsbehandlung (...)
nicht geeignet erscheint, Herrn C. Arbeitsfähigkeit dauerhaft wieder herzustellen" und
"die Einleitung eines Zurruhesetzungsverfahrens sinnvoll erscheint (...)". Unabhängig
davon überspannt der Antragsteller die Anforderungen an die Feststellung der (Polizei-
)Dienstunfähigkeit, wenn er darauf verweist, der (langfristige) Erfolg von
Therapiemaßnahmen sei nicht vollkommen ausgeschlossen. Mit Blick auf den
prognostischen Charakter der Entscheidung ist die erforderliche dauerhafte Unfähigkeit
zur Erfüllung der Dienstpflichten (schon) dann gegeben, wenn die Behebung der
Unfähigkeit aufgrund der bestehenden Mängel in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist.
Vgl. auch Brockhaus, in: Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder,
Loseblatt-Kommentar, Stand Dezember 2008, § 45 Rdnrn. 40, 44.
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Konkrete Umstände, die auf eine Behebung der Unfähigkeit zur Erfüllung der
Dienstpflichten in absehbarer Zeit schließen lassen könnten, trägt die Beschwerde nicht
vor und sind auch nicht ersichtlich.
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Der Feststellung der allgemeinen Dienstunfähigkeit steht nicht entgegen, dass der
Antragsteller aufgrund seiner fast 40jährigen Dienstzeit vielfältige, seinen Einsatz im
Innendienst ermöglichende Erfahrungen erworben hat. Für die Beurteilung des
Gesundheitszustandes des Beamten ist dies ohne Belang.
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Die Beschwerde geht fehl, wenn sie meint, das Verwaltungsgericht habe seine
Annahme einer die (Polizei-)Dienstunfähigkeit begründenden Persönlichkeitsstörung
wesentlich auf diverse Schriftsätze (Dienstaufsichtsbeschwerden, Strafanzeigen etc.)
des Antragstellers gestützt. Vielmehr begründet es seine Einschätzung ausführlich und
überzeugend anhand des polizeiärztlichen Gutachtens der
Regierungsmedizinaldirektorin Dr. T. vom 19. Januar 2007, das unter Verwertung des
psychiatrisch-psychotherapeutischen Gutachtens des Arztes für Psychiatrie und
Neurologie Dr. N. vom 23. Oktober 2006 erstellt wurde, sowie der Stellungnahmen und
Berichte der den Antragsteller behandelnden Ärzte (Dr. E. vom 18. Dezember 2005,
Rheinische Kliniken C1. , Gemeinschaftskrankenhaus C1. vom 28. September 2006).
Die genannten Schriftsätze des Antragstellers führt das Verwaltungsgericht lediglich in
nicht entscheidungstragender Weise als Bestätigung der Richtigkeit der abgegebenen
Prognosen an.
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Dass der polizeiärztliche Dienst beziehungsweise Regierungsmedizinaldirektorin Dr.
med. T. den Antragsteller nicht selbst (eingehend) psychologisch untersucht hat, steht
der Rechtmäßigkeit der Zurruhesetzungsverfügung ebenfalls nicht entgegen. Im
Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen oder sonstigen
Persönlichkeitsstörungen ist es nicht nur zulässig, sondern unter Umständen sogar
geboten, einen Facharzt mit der Anfertigung eines Gutachtens zu beauftragen. Damit
wird die Möglichkeit eröffnet, neben den Kenntnissen des Amtsarztes beziehungsweise
des polizeiärztlichen Dienstes das Fachwissen besonders spezialisierter Ärzte für die
medizinische Beurteilung der Dienstfähigkeit eines Beamten zu nutzen.
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OVG NRW, Beschluss vom 12. Januar 2007 - 6 A 3305/06 -.
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Ist eine Verfügung - wie hier - voraussichtlich rechtmäßig, besteht in der Regel auch ein
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öffentliches Interesse an deren Vollziehung. Unabhängig davon hat das
Verwaltungsgericht mit Blick auf die Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber dem
Beamten zu Recht ein darüber hinausgehendes Vollzugsinteresse angenommen. Es
widerspricht der Fürsorgepflicht des Dienstherrn, einen Beamten bei festgestellter
allgemeiner Dienst- und Polizeidienstunfähigkeit weiter im Dienst einzusetzen
beziehungsweise ihn zur Ausübung des Dienstes zu verpflichten.
Mit den gegen die Begründung der Vollziehungsanordnung vom 10. Juli 2008
gerichteten Einwänden zeigt die Beschwerde keine Gründe auf, die ein dieses
Vollzugsinteresse überwiegendes Aufschubinteresse des Antragstellers begründen
könnten. Insbesondere benennt der Antragsteller keine eigenen, einer sofortigen
Vollziehung entgegenstehenden Interessen. Der Rechtmäßigkeit der sofortigen
Vollziehung steht nicht entgegen, dass Anlass für die Vollziehungsanordnung des
Antragsgegners offenbar die schriftliche Anfrage des Antragstellers vom 27. Juni 2008
war. Unabhängig davon, dass das Gericht bei der vorzunehmenden eigenständigen
Interessenabwägung nicht auf die mitgeteilten Gründe beschränkt ist, hat auch der
Antragsgegner das öffentliche Vollzugsinteresse unter anderem mit der Fürsorgepflicht
des Dienstherrn begründet.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 5 Satz 2 GKG,
wobei der sich daraus ergebende Wert im Hinblick auf den vorläufigen Charakter der
begehrten Entscheidung zu halbieren ist.
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Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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