Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 24.06.2009

OVG NRW: werbung, schutz von minderjährigen, aufschiebende wirkung, öffentliches interesse, fahrzeug, prostitution, erotik, internetseite, vollziehung, verbreitung

Oberverwaltungsgericht NRW, 5 B 464/09
Datum:
24.06.2009
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
5. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
5 B 464/09
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 20 L 165/09
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Versagung vorläufigen
Rechtsschutzes durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln
vom 18. März 2009 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,-- EUR
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die Beschwerde gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes ist unbegründet.
Das Verwaltungsgericht hat den sinngemäßen Antrag des Antragstellers,
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die aufschiebende Wirkung der Klage 20 K 707/09 (VG Köln) gegen die
Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 27. Januar 2009 hinsichtlich deren Ziffer 1
wiederherzustellen und hinsichtlich des in Ziffer 2 angeordneten Zwangsgeldes
anzuordnen,
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zu Recht abgelehnt.
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Entgegen der Auffassung des Antragstellers genügt die Vollziehungsanordnung in der
angefochtenen Verfügung dem formellen Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz
1 VwGO. In der Begründung einer Vollziehungsanordnung hat die Behörde schlüssig,
konkret und substantiiert darzulegen, aufgrund welcher Erwägungen sie gerade im
vorliegenden Einzelfall ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen
Vollziehung als gegeben ansieht und das Interesse des Betroffenen am Bestehen der
gesetzlich vorgesehenen aufschiebenden Wirkung ausnahmsweise zurückzutreten hat.
Diesen Anforderungen hat der Antragsgegner genügt, indem er zum einen darauf
hingewiesen hat, dass es zu erneuten "Meldungen" über die auf dem Fahrzeug des
Antragstellers aufgebrachte Werbung gekommen ist, und indem er zum anderen auf die
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nicht mehr hinnehmbare Konfrontation einer unbegrenzten Zahl von Menschen mit der
in Rede stehenden Werbung abgestellt hat.
Die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Abwägung zwischen dem
privaten Interesse des Betroffenen, von der sofortigen Vollziehung bis zum Abschluss
des Hauptsacheverfahrens verschont zu bleiben, und dem öffentlichen Interesse an der
sofortigen Durchsetzung der für notwendig erachteten Maßnahmen fällt zu Lasten des
Antragstellers aus. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die
angegriffene Ordnungsverfügung bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes
gebotenen summarischen Prüfung ihre Rechtsgrundlage in § 14 OBG NRW findet. Die
Verwendung des Kleinlastwagens des Antragstellers mit der derzeit darauf
angebrachten Werbung im öffentlichen Straßenverkehr und auf anderen öffentlich
einsehbaren Flächen verstößt gegen § 119 Abs. 1 und 3 OWiG.
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Nach § 119 Abs. 1 OWiG handelt ordnungswidrig, wer öffentlich in einer Weise, die
geeignet ist, andere zu belästigen, oder in grob anstößiger Weise durch Verbreiten von
Schriften, Ton- oder Bildträgern, Abbildungen oder Darstellungen oder durch das
öffentliche Zugänglichmachen von Datenspeichern Gelegenheit zu sexuellen
Handlungen anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt.
Nach § 19 Abs. 3 OWiG handelt ferner ordnungswidrig, wer öffentlich Schriften, Ton-
oder Bildträger, Datenspeicher, Abbildungen oder Darstellungen sexuellen Inhalts an
Orten ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht, an denen dies grob
anstößig wirkt. Eine Belästigung im Sinne des Absatzes 1 ist eine nicht nur geringfügige
Beeinträchtigung des Wohlbefindens. Eine grob anstößige Wirkung ist dann
anzunehmen, wenn die jeweilige Handlung in einer Weise aufdringlich ist, dass sie -
auch unter Berücksichtigung gewandelter gesellschaftlicher Wertungen bei der
Beurteilung sexueller Verhaltensweisen - nicht mehr zumutbar erscheint.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. Juli 1987 - 9 A 2529/86 -, NJW 1988, 787, 789.
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Die in Rede stehende Werbung ist nach diesen Maßstäben geeignet, andere mehr als
nur geringfügig zu belästigen. Mit ihr wird zudem in grob anstößiger Weise durch
Verbreitung von Abbildungen oder Darstellungen Gelegenheit zu sexuellen
Handlungen angekündigt. Dass die Werbung dazu angetan ist, auf Dritte, insbesondere
auf Kinder und Jugendliche belästigend und grob anstößig zu wirken, ergibt sich aus
der besonderen Größe und Aufdringlichkeit der auf dem Fahrzeug angebrachten
entwürdigenden Darstellungen. Den insoweit angeführten Erwägungen des
Antragsgegners, die Werbung überschreite das gebotene Maß an Zurückhaltung und
die abgebildeten Frauen würden zu einem beliebig austauschbaren Sexualobjekt
herabgestuft, ist zuzustimmen. Die großformatige Abbildung auf der Hecktür des
Fahrzeugs stellt bereits durch ihre Größe sowie die Perspektive und die Wahl des
gezeigten Ausschnitts das Geschlechtliche in den Vordergrund und würdigt die
dargestellte nahezu unbekleidete Frau zum Objekt geschlechtlicher Begierde herab. Die
Abbildung zeigt das entblößte Gesäß einer Frau, das die Breite des Fahrzeugs etwa zu
Zweidritteln ausfüllt; Kopf, Schultern und Beine der Frau sind abgeschnitten. Im
Straßenverkehr werden mit dieser aufdringlichen Bebilderung Verkehrsteilnehmer
konfrontiert, ohne sich dem - etwa an Ampeln oder in Staus - entziehen zu können. Dies
geschieht - unter gleichzeitiger Verwirklichung des Tatbestands von § 119 Abs. 3 OWiG
- auch an Orten, die eine besondere Schutzbedürftigkeit und Sensibilität aufweisen und
an denen die Bevölkerung auch unter den gewandelten gesellschaftlichen
Verhältnissen im allgemeinen nicht mit belästigenden Begleiterscheinungen der
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Prostitution rechnen muss.
Vgl. in diesem Zusammenhang zur weiterhin bestehenden Verfassungsmäßigkeit
kommunaler Sperrbezirksverordnungen BVerfG, Beschluss vom 28. April 2009 - 1 BvR
224/07 -, juris, Rn. 16.
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Die Ausführungen des Antragsgegners zu den seitlich auf dem Fahrzeug angebrachten
Darstellungen mit jeweils einer nur spärlich bekleideten, maskierten Frau werden durch
die Beschwerdebegründung ebenfalls nicht entkräftet. Insbesondere ist die Abbildung
nicht schon deshalb von der Allgemeinheit hinzunehmen, weil die Frau -wie der
Antragsteller geltend macht - mit einem "Stringhöschen" bekleidet und die Brust von
ihren Haaren verhängt ist. Entscheidend ist auch insoweit der Gesamteindruck der
Darstellung, die durch die Angabe einer Internetadresse und den Zusatz "Erotik-Portal,
L. " in Verbindung mit einer die Fahrzeugseiten ausfüllenden, übergroßen Abbildung
einer kaum bekleideten Frau in besonders aufdringlicher Weise erkennbar für
Gelegenheiten zu sexuellen Handlungen wirbt. Dabei lässt die tierähnliche Maske der
Frau erkennen, dass es dem Antragsteller nicht lediglich um eine unbedenkliche
Anonymität geht, sondern vor allem auch darum, sie als Objekt sexueller Begierde
erscheinen zu lassen. Gerade daraus erhofft er sich die bezweckte Werbewirkung, die
potentielle Kunden veranlassen soll, die beworbene Erotik-Seite einzusehen. Damit
schafft die Abbildung zugleich für Kinder und Jugendliche, die Zugang zum Internet
haben, einen erheblichen Anreiz, ihrer Neugier nachzugehen, was es mit einer in dieser
auffälligen Weise beworbenen Internetseite auf sich haben mag.
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Ob die vom Antragsteller angeführte weitere Werbung in ähnlicher Weise grob anstößig
ist, ist im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden, weil sie nicht
streitgegenständlich ist. Der erst im Laufe des Verfahrens gegebene Hinweis des
Antragstellers auf den Bus einer "Erotic Lounge" mag dem Antragsgegner im Hinblick
auf Art. 3 Abs. 1 GG Anlass zur Prüfung geben, ob auch dagegen ordnungsrechtlich
vorzugehen ist. Er führt aber nicht zur Rechtswidrigkeit der in Rede stehenden
Ordnungsverfügung. Denn der Antragsteller zeigt damit keine Umstände auf, die auf
eine gleichheitswidrige Verwaltungspraxis des Antragsgegners schließen lassen.
Dessen ungeachtet hat bereits das Verwaltungsgericht zutreffend darauf hingewiesen,
dass im Fall der Werbung für Dessous und ein Sonnenstudio der Tatbestand des § 119
Abs. 1 OWiG offensichtlich nicht einschlägig ist. Dasselbe gilt für die Werbung einer
Bedachungsfirma. Selbst wenn diese Werbung ebenfalls grob anstößig und belästigend
wäre, würde sie wegen des andersartigen Werbegegenstands nicht gegen § 119 Abs. 1
OWiG verstoßen. Danach kommt es entscheidend darauf an, ob die Gelegenheit zu
sexuellen Handlungen beworben wird.
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Zugleich verwirklicht die streitgegenständliche Werbung des Antragstellers den
Tatbestand des § 120 Abs. 1 Nr. 2 OWiG, weil durch den Hinweis auf die Internetseite
seines Erotik-Portals "Gelegenheit zu entgeltlichen sexuellen Handlungen" angekündigt
wird. Insoweit kommt es nicht auf eine belästigende Wirkung oder grobe Anstößigkeit
an. Nach neuerer Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt die Verbotsnorm
allerdings eine konkrete Eignung der Werbung voraus, den Schutz der Allgemeinheit,
vor allem denjenigen von Kindern und Jugendlichen, vor den mit der Prostitution
generell verbundenen Gefahren und Belästigungen zu beeinträchtigen. Eine solche
konkrete Beeinträchtigung von Rechtsgütern ist etwa anzunehmen, wenn die Werbung
nach Aufmachung, Inhalt oder Umfang nicht in der gebotenen Zurückhaltung erfolgt oder
nach der Art des Werbeträgers und seiner Verbreitung geeignet ist, die schutzwürdigen
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Rechtsgüter zu gefährden.
Vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 2006 - I ZR 241/03 -, NJW 2006, 3490, 3491 f.
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Diese Voraussetzungen sind zwar bei Kleinanzeigen in Zeitungen, wie sie Gegenstand
der Entscheidung des Bundesgerichtshofs waren, nicht gegeben. Sie liegen jedoch bei
der im Streit stehenden großformatigen Fahrzeugwerbung des Antragstellers aus den
oben angeführten Gründen im Hinblick auf die besondere Aufdringlichkeit der Werbung
und ihre Verbreitungsart vor. Auch unter Berücksichtigung des Gesetzes zur Regelung
der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (Prostitutionsgesetz) vom 20. Dezember 2001
(BGBl. I S. 3983) verbleibt es nach dem unveränderten § 120 Abs. 1 Nr. 2 OWiG
zumindest bei einem Verbot solcher Werbung für entgeltliche sexuelle Handlungen, die
- wie hier - nicht in der gebotenen Zurückhaltung erfolgt. Das Prostitutionsgesetz hatte
lediglich die Zielrichtung, die Rechtsstellung der Prostituierten - nicht die der Kunden,
der Bordellbetreiber und anderer - vor allem im zivil- und sozialversicherungsrechtlichen
Bereich zu verbessern. Damit sollte aber nicht die Prostitution einschließlich ihrer
negativen Begleiterscheinungen gefördert werden.
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Vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 7. April 2008 - 1 Ss 178/07 -, juris, Rn. 15;
BVerfG, Beschluss vom 28. April 2009 - 1 BvR 224/07 -, juris, Rn. 20; Gesetzentwurf,
BT- Drs. 14/5958, S. 4.
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Bereits die Gesetzesbegründung zum Prostitutionsgesetz weist darauf hin, dass der
Sittenwidrigkeitseinwand lediglich gegenüber dem Entgeltanspruch der Prostituierten
nicht mehr erhoben werden kann. Ansprüchen auf sexuelle Leistungen gegenüber der
Prostituierten soll dagegen weiter die Sittenwidrigkeit entgegen gehalten werden
können, weil es insoweit an der Freiwilligkeit der Tätigkeit fehlt. Auch soll der Schutz
von Minderjährigen gewährleistet bleiben.
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Vgl. Gesetzentwurf, BT-Drs. 14/5958, S. 4 und 6; dazu ferner Ellenberger, in: Palandt,
BGB, 68. Aufl. 2009, § 138 Rn. 52.
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Die sinngemäße Anordnung, das Fahrzeug des Antragstellers solange aus dem
öffentlichen Raum und von öffentlich einsehbaren Flächen zu entfernen, bis die auf ihm
angebrachte Werbung beseitigt ist, stellt sich nach alledem nicht als unverhältnismäßig
dar. Vielmehr ist der Antragsteller bereits ohne diese Anordnung rechtlich verpflichtet,
diese Form der Werbung zu unterlassen, weil er damit die Tatbestände der §§ 119 und
120 OWiG erfüllt. Dies gilt auch dann, wenn er nur durch diese Art von Werbung mit
seinem Internetauftritt, dessen Vereinbarkeit mit § 120 Abs. 1 Nr. 2 OWiG hier
dahinstehen kann, konkurrenzfähig wäre.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG.
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Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3
Satz 3 GKG unanfechtbar.
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