Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 16.03.2009

OVG NRW: grundstück, tierhaltung, nachbar, ermessen, lärm, eigentümer, gutachter, abweisung, unzumutbarkeit, erlass

Oberverwaltungsgericht NRW, 10 A 259/08
Datum:
16.03.2009
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
10 A 259/08
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 4 K 600/07
Tenor:
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil
des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 3. Dezember 2007 wird
abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens mit Ausnahme
der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 10.000,00
EUR festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.
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1. Aus den im Zulassungsantrag dargelegten Gründen ergeben sich keine ernstlichen
Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (Zulassungsgrund gemäß § 124
Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
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Das Verwaltungsgericht hat die auf Untersagung der Nutzung des landwirtschaftlichen
Betriebes des Beigeladenen gerichtete Verpflichtungsklage zu Recht abgewiesen. Der
Kläger hat keinen Anspruch gegen den Beklagten auf bauordnungsrechtliches
Einschreiten gegen den Betrieb.
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Nach § 61 Abs. 1 BauO NRW haben die Bauaufsichtsbehörden bei der Errichtung, der
Änderung, dem Abbruch, der Nutzung, der Nutzungsänderung sowie der Unterhaltung
baulicher Anlagen und ihnen gleichgestellter Anlagen darüber zu wachen, dass die
öffentlich-rechtlichen Vorschriften und die aufgrund dieser Vorschriften erlassenen
Anordnungen eingehalten werden. In Wahrnehmung dieser Aufgaben haben sie nach
pflichtgemäßem Ermessen die erforderlichen Maßnahmen zu treffen.
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Ein Anspruch des Nachbar auf bauaufsichtliches Einschreiten nach dieser Vorschrift
besteht nur dann, wenn die bauliche Anlage oder ihre Nutzung gegen baurechtliche
Vorschriften verstößt, die auch dem Schutz des betroffenen Dritten zu dienen bestimmt
sind und das Ermessen der Bauaufsichtsbehörde auf eine Pflicht zum Einschreiten
reduziert ist.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 22. August 2005 - 10 A 3611/03 -, BRS 69 Nr. 91; Beschluss
vom 12. Oktober 2004 - 7 A 4666/03 -; Urteil vom 14. Januar 1994 - 7 A 2002/92 -, BRS
56 Nr. 196; Urteil vom 22. Januar 1996 - 10 A 1464/92 - BRS 58 Nr. 115.
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Hieraus folgt, dass der Nachbar allein aus der formellen Rechtswidrigkeit eines
Vorhabens kein Abwehrrecht herleiten kann, denn die Vorschriften über die
Genehmigungspflichtigkeit baulicher Anlagen sind als solche nicht drittschützend.
Möglicherweise fehlende Genehmigungen für Teile der baulichen Anlagen auf dem
Grundstück des Beigeladenen oder ihre Nutzungen reichen daher entgegen der Ansicht
des Klägers nicht aus, um einen Anspruch des Nachbarn auf bauaufsichtliches
Einschreiten zu begründen.
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Das Verwaltungsgericht hat zutreffend dargelegt, dass auch materiell-rechtlich die
Voraussetzungen für einen Abwehranspruch des Klägers nicht vorliegen. Das
Zulassungsvorbringen ist nicht geeignet, diese Würdigung in Frage zu stellen.
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Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Betriebes des Beigeladenen beurteilt sich
nach § 35 Abs. 1 BauGB, da die Grundstücke eindeutig im Außenbereich liegen. Etwas
anderes ergibt sich auch nicht aus dem Hinweis des Klägers, dass nur die Hofstelle des
Beigeladenen landwirtschaftlich genutzt werde, während die umgebenden Grundstück
zum Wohnen genutzt würden. Unabhängig von der Nutzung der Grundstücke stellt die
Bebauung nur einen Siedlungssplitter dar, der an dem weiter nördlich gelegenen
Bebauungszusammenhang des Ortsteil E. nicht teilnimmt.
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Im Außenbereich ist der landwirtschaftliche Betrieb des Beigeladenen nach § 35 Abs. 1
Nr. 1 BauGB grundsätzlich zulässig. Die Zulässigkeit steht unter dem Vorbehalt, dass
öffentliche Belange nicht entgegenstehen dürfen. Hierzu gehört auch das Gebot der
Rücksichtnahme, das in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB eine besondere gesetzliche
Ausformung gefunden hat. Danach liegt eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange vor,
wenn das Vorhaben schädliche Umweltauswirkungen hervorrufen kann. Schädliche
Umwelteinwirkungen sind nach § 3 BImSchG Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder
Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für
die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen.
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Ob Belästigungen im Sinne des Immissionsschutzrechts erheblich sind, richtet sich
nach der konkreten Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit der betroffenen
Rechtsgüter, die sich ihrerseits nach der bebauungsrechtlichen Prägung der Situation
und nach den tatsächlichen oder planerischen Vorbelastungen bestimmen.
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Vgl. BVerwG, Urteile vom 21. Mai 1976 - 4 C 80.74 -, BVerwGE 51, 15, und vom 14.
Januar 1993 - 4 C 19.90 -, BRS 55 Nr. 175; OVG NRW, Urteil vom 20. September 2007 -
7 A 1434/06 -, BRS 71 Nr. 58.
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Soweit der Kläger erstinstanzlich Belästigungen durch Lärm- und Staubimmissionen
behauptet hat, hat das Verwaltungsgericht unter Auswertung der vorliegenden
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Gutachten zutreffend ausgeführt, dass die maßgeblichen Richtwerte eingehalten
werden. Dem ist der Kläger im Zulassungsantrag nicht mehr entgegen getreten.
Hinsichtlich der weiter geltend gemachten Belästigungen durch Geruchsimmissionen ist
eine Beurteilung nach der VDI-Richtlinie 3471 nicht möglich, da sie für den Nahbereich
von unter 100 m keinen brauchbaren Anhalt liefert. Dagegen kann eine auf der
Grundlage der Geruchsimmissions-Richtlinie (GIRL) erstellte Begutachtung eine
Orientierungs- bzw. Entscheidungshilfe darstellen.
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Die Geruchsimmissions-Richtlinie in der von den Gutachtern zugrunde gelegten
Fassung vom 21. September 2004 und auch in der inzwischen vorliegenden Fassung
vom 29 Februar 2008 mit Ergänzungen vom 10 September 2008 ist ein rechtlich nicht
verbindliches Regelwerk. Sie stellt keine Rechtsquelle dar. Vielmehr enthält sie
technische Normen, die auf den Erkenntnissen und Erfahrungen von Sachverständigen
beruhen und insoweit die Bedeutung von allgemeinen Erfahrungssätzen und
antizipierten generellen Sachverständigengutachten haben.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 07. Mai 2007 - 4 B 5/07 -, BRS 71 Nr. 168; OVG NRW,
Urteil vom 20. September 2007 - 7 A 1434/06 -, BRS 71 Nr. 58, Beschluss vom 24. Juni
2004 - 21 A 4130/01 -, NVwZ 2004, 1259.
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Eine Begutachtung nach der GIRL ist jedoch nur ein Kriterium zur Bewertung von
Geruchsimmissionen. Die Beurteilung von Geruchsimmissionen darf sich nicht allein an
den in der GIRL festgelegten Immissionswerten für die Geruchshäufigkeit orientieren,
vielmehr hat jeweils eine umfassende Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu
erfolgen.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20. September 2007 und Beschluss vom 24. Juni 2004,
jeweils a.a.O.
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Dem entsprechend wird bereits in der GIRL unter Nr. 5 darauf hingewiesen, dass eine
Beurteilung im Einzelfall erforderlich ist. Dies gilt insbesondere für die Bewertung von
durch landwirtschaftliche Betriebe verursachte Gerüche in Außenbereichslagen, für die
die GIRL keinen Immissionswert enthält und in der die Grundstücke mit einer Pflicht zur
gegenseitigen Rücksichtnahme belastet sein können, auf Grund der in erheblich
höherem Maße Geruchseinwirkungen hinzunehmen sind.
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Ausgehend von diesen Vorgaben hat das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt,
dass der Kläger keinen Abwehranspruch gegen den Betrieb des Beigeladenen hat, weil
ihm angesichts der Gebietstypik die von den Gutachtern errechneten Werte von 18 %
bzw. 26 % der Jahresstunden im Mittel mit darüber hinausgehenden Werten von bis zu
37 % an besonders exponierten Stellen zuzumuten sind.
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Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit von Geruchseinwirkungen im Außenbereich ist zu
berücksichtigen, dass der Außenbereich nach § 35 Abs. 1 BauGB als Standort für stark
emitierende Betriebe vorgesehen ist. In landwirtschaftlich genutzten Gebieten muss mit
Lärm und Gerüchen gerechnet werden, die durch Tierhaltung, Dungstätten, Güllegruben
und dergleichen üblicherweise entstehen. Sie sind typische Begleiterscheinungen der
zulässigen landwirtschaftlichen Nutzung, so dass der Eigentümer eines Wohnhauses im
Außenbereich in der Regel nicht verlangen kann, von den mit der Tierhaltung
verbundenen Immissionen verschont zu bleiben.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 15. August 1996 - 7 A 1727/93 -, juris; Beschluss vom 19.
Dezember 2002 - 10 B 435/02 -, BRS 66 Nr. 182; Beschluss vom 19. Mai 2003 - 22 A
5565/00 -, Agrar- und Umweltrecht 2003, 279; Beschluss vom 12. August 2008 - 10 A
1666/05 -.
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Bei einem Nebeneinander landwirtschaftlicher Betriebe im Außenbereich ist die im
Rahmen des Rücksichtnahmegebotes zu beachtende Zumutbarkeitsschwelle erst
überschritten, wenn sich die Immissionen, insbesondere soweit sie auf die zu den
landwirtschaftlichen Anwesen gehörenden Wohngebäude einwirken, der Grenze des
Erträglichen nähern.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 15. August 1996, Beschluss vom 19. Dezember 2002,
Beschluss vom 19. Mai 2003, jeweils a.a.O.
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Etwas anderes ergibt sich hier auch nicht daraus, dass auf dem Grundstück des Klägers
der landwirtschaftliche Betrieb bereits im Jahre 1975 aufgegeben worden ist, denn das
Grundstück ist mit einer nachwirkenden Pflicht zur Rücksichtnahme belastet. In der
konkreten bauplanungsrechtlichen Situation liegt die Zumutbarkeitsschwelle entgegen
der Ansicht des Klägers nicht bei einer auf der Grundlage der GIRL ermittelten
Wahrnehmungshäufigkeit von 15 % oder 20 % der Jahresstunden. Selbst eine durch
Tierhaltung bedingte relative Geruchswahrnehmungshäufigkeit von mehr als 50 % der
Jahresstunden vermag eine Unzumutbarkeit für landwirtschaftsbezogenes Wohnen
nicht ohne weiteres zu begründen.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. März 2002 - 7 B 315/02 -, BRS 65 Nr. 87; Beschluss
vom 19. Dezem- ber 2002 a.a.O.; s.a. Bay. VGH, Urteil vom 27. November 2006 - 15 BV
06.422 -, BRS 71 Nr. 59.
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Besondere Umstände, die eine andere Beurteilung erfordern würden, sind aus dem
Akteninhalt nicht ersichtlich und ergeben sich auch nicht aus dem
Zulassungsvorbringen des Klägers. Das von ihm angeführte Urteil des
Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts,
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Urteil vom 26. April 2007 - 12 LB 62/07 -, BRS 71 Nr. 98,
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betraf eine Fallkonstellation, die mit der vorliegenden nicht vergleichbar ist. In dem dort
entschiedenen Fall traf den Eigentümer des Wohngrundstücks keine erhöhte
Rücksichtnahmepflicht gegenüber dem neu errichteten - emitierenden - Kompostwerk.
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Die von dem Kläger gerügte fehlende Bescheidung des Hilfsantrages ergibt sich
sinngemäß bereits aus den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Abweisung des
Hauptantrages. Das Gericht hat darauf hingewiesen, dass das Staatliche Umweltamt die
von dem Gutachter Dr. F. angeregte Erhöhung der Abluftkamine dem Beigeladenen mit
Ordnungsverfügung vom 13. Juni 2006 aufgegeben hat und der Beigeladene der
Forderung nachgekommen ist. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger einen Anspruch
darauf hat, dass der Beklagte dem Beigeladenen bestimmte weitere
Nachrüstungsmaßnahmen aufgibt, sind nicht ersichtlich und ergeben sich auch nicht
aus dem Zulassungsvorbringen. Der Beklagte hat in dem angefochtenen Bescheid vom
19. Juli 2006 neben der Ablehnung der Forderung des Klägers nach Erlass einer
Nutzungsuntersagungsverfügung auch ausgeführt, dass ein formelles
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Prüfungsverfahren zur Überprüfung der materiellen Zulässigkeit des Betriebes des
Beigeladenen durchgeführt werden soll. In diesem Verfahren wird - unabhängig von
einem Rechtsanspruch des Klägers - zu klären sein, ob weitere
Nachrüstungsmaßnahmen notwendig sind.
Die von dem Kläger (nach Ablauf der Begründungsfrist eingereichten) Ausführungen zur
Erforderlichkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung für den Betrieb des Beigeladenen
liegen neben der Sache. Der Kläger übersieht bereits, dass diese Prüfung gemäß § 2
Abs. 1 Satz 1 UVPG Teil verwaltungsbehördlicher Verfahren ist, die der Entscheidung
über die Zulässigkeit von Vorhaben dienen. Ein solches Genehmigungsverfahren ist
nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits.
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2. Aus den dargelegten Gründen weist die Rechtssache auch keine besonderen
tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten (Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr.
2 VwGO) auf. Besondere Schwierigkeiten liegen dann vor, wenn der Ausgang des
Rechtsstreits im Hinblick auf die vom Rechtsmittelführer vorgetragenen Einwände
gegen die erstinstanzliche Entscheidung als offen erscheint; die geltend gemachten
rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten müssen für das Entscheidungsergebnis
von Bedeutung sein. Daran fehlt es im vorliegenden Fall, wie sich aus den obigen
Ausführungen ergibt.
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3. Die Rechtssache weist auch keine grundsätzliche Bedeutung (Zulassungsgrund nach
§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) auf. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, wenn
für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine bisher nicht abschließend geklärte
und klärungsbedürftige Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung war, die auch im
Berufungsverfahren entscheidungserheblich wäre. Für die Beantwortung der von dem
Kläger aufgeworfene Frage der Verbindlichkeit der Geruchs- immissions-Richtlinie
bedarf es nicht der Durchführung eines Berufungsverfahrens, da die Frage - wie oben
ausgeführt - in der Rechtsprechung bereits seit langem geklärt ist. Die weiter
aufgeworfene Frage nach dem Umfang der Amtsermittlungspflicht des Beklagten würde
sich in einem Berufungsverfahren bereits deshalb nicht stellen, weil - wie ebenfalls
bereits dargelegt - unabhängig von einer weitergehenden Aufklärungspflicht des
Beklagten mit den eingereichten Gutachten bereits ausreichende Erkenntnisse
vorliegen, um eine abschließende Entscheidung über den Abwehranspruch des Klägers
treffen zu können.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Die
Streitwertentscheidung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG. Dieser Beschluss ist unanfechtbar,
§ 152 Abs. 1 VwGO. Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags ist das Urteil des
Verwaltungsgerichts rechtskräftig, § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO.
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