Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 14.10.2008

OVG NRW: diplom, universität, wechsel, wissenschaftsfreiheit, berufsausbildung, grundrecht, gefahr, begriff, erlass, kompetenz

Oberverwaltungsgericht NRW, 13 C 260/08
Datum:
14.10.2008
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 C 260/08
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 6 Nc 22/08
Tenor:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des
Verwaltungsgerichts Köln vom 16. Juli 2008 wird auf ihre Kosten
zurückgewiesen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 3.750,00 Euro
festgesetzt.
G r ü n d e :
1
Die zulässige Beschwerde, über die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO - im
Grundsatz - nur im Rahmen der fristgerechten Darlegungen
2
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. März 2004 - 1 BvR 461/03 -, BVerfGE 110, 77 = NJW
2004, 2510, 2511; Bay. VGH, Beschluss vom 16. Januar 2003 - 1 CS 02.1922 -, NVwZ
2003, 632 -
3
der Antragstellerin befindet, ist unbegründet. Der angefochtene Beschluss des
Verwaltungsgerichts ist unter Würdigung des Beschwerdevorbringens der
Antragstellerin nicht zu beanstanden. Sowohl der Hauptantrag der Antragstellerin auf
Zurückverweisung der Sache an das Verwaltungsgericht als auch ihre Hilfsanträge,
dem Antragsgegner aufzugeben, sie nach den Rechtsverhältnissen des
Sommersemesters 2008 vorläufig im 4., hilfsweise im 3., hilfsweise im 2. Fachsemester
außerhalb der festgesetzten Kapazität im Studiengang Erziehungswissenschaften
(Diplom) mit dem Schwerpunkt Heilpädagogik zuzulassen, haben bei der gegebenen
Rechtslage keinen Erfolg. Dies ist der Antragstellerin mit Verfügungsschreiben vom 9.
September 2008 unter Berücksichtigung der Beschwerdeerwiderung des
Antragsgegners vom 8. September 2008 mitgeteilt worden. Der Senat verweist demnach
auf den zutreffenden Inhalt des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts
und führt ergänzend aus:
4
Dem Wechsel von dem an der Universität Duisburg-Essen betriebenen Studium zum
Diplomstudiengang Erziehungswissenschaften mit dem Schwerpunkt Heilpädagogik
steht § 60 Abs. 4 und 5 des Gesetzes über die Hochschulen des Landes Nordrhein-
Westfalen (Hochschulgesetz - HG) vom 31. Oktober 2006 entgegen, der die Umstellung
von Diplomstudiengängen auf Bachelor- und Magisterstudiengänge im Zuge des sog.
Bologna- Prozesses regelt. Nach § 60 Abs. 4 HG stellen die Hochschulen ihr bisheriges
Angebot von Studiengängen, die zu einem Diplomgrad führen, zu einem Angebot von
Studiengängen um, welche zum Erwerb eines Bachelorgrades oder eines Mastergrades
führen. Demgemäß werden nach § 60 Abs. 5 Satz 1 HG zum und ab dem
Wintersemester 2007/2008 in den Studiengängen, die zu einem Diplomgrad führen,
keine Studienanfänger mehr aufgenommen. § 29 Abs. 3 der Diplomprüfungsordnung für
den Studiengang Erziehungswissenschaft an der Universität zu Köln vom 14. Juli 1997
i. d. F. der Dritten Änderungsordnung vom 30. Mai 2007 vollzieht auf der Grundlage von
§ 2 Abs. 4 Satz 1 HG diese formalgesetzlichen Vorgaben und lässt die Einschreibung in
den Diplomstudiengang Erziehungswissenschaft im ersten oder in einem höheren
Fachsemester letztmalig im Sommersemester 2007 zu.
5
Dass § 60 Abs. 5 Satz 1 HG die Aufnahme von Studienanfängern ausschließt und nicht
auch von denjenigen, die ihre Ausbildung an dem Studienort nach den Modalitäten des
bisherigen Studiengangs vor dem Sommersemester 2007 begonnen hatten, ist
Ausdruck des zu gewährenden Vertrauensschutzes bei einer verfassungsgemäßen
Handhabung des Übergangszustands.
6
Die grundgesetzlich geschützte freie Wahl der Ausbildungsstätte (Art. 12 Abs. 1 Satz 1
GG) erfährt ihren teilhaberechtlichen Charakter mit Hilfe des Gleichheitssatzes des Art. 3
Abs. 1 GG sowie des Sozialstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 1 GG), woraus ein Höchstmaß
an zu gewährender Chancengleichheit, Kapazitätsnutzung sowie an freiheits- und
sozialstaatsgerechter Zugangsmöglichkeit folgt.
7
Vgl. Scholz in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Art. 12 Rn. 457.
8
Dem Studienbewerber steht daher kein beliebig freies Zugangsrecht zu staatlichen
Ausbildungseinrichtungen ohne Rücksicht auf vorhandene Ressourcen zu. Bezogen auf
den beabsichtigten Wechsel des Studiengangs oder des Studienorts sind diese
Voraussetzungen abhängig von den persönlichen Verhältnissen des Studienbewerbers,
weil er selbst den maßgeblichen Sachverhalt setzt. Sich hierauf beziehende
Begrenzungsmöglichkeiten unterscheiden sich damit von denen, die außerhalb des
Einflussbereichs des Studienbewerbers liegen.
9
Vgl. auch Bay. VerfGH, Entscheidung vom 2. Juli 1997 - Vf. 10-VII-94 -, NVwZ 1998,
838, 839.
10
Diese Unterscheidung hat auch Bedeutung für die Pflicht zur Schaffung von
Regelungen zum Übergang von auslaufenden zu neu eingerichteten Studiengängen.
Hier steht der Grundsatz des Vertrauensschutzes inmitten. Es bedarf keiner weiteren
Begründung, dass es dem Studierenden nicht verwehrt sein darf, sein einmal
aufgenommenes Studium an dem bisherigen Studienort abzuschließen. Im Übrigen
steht dem Gesetzgeber im Rahmen der Willkürgrenze und des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ein weiter Gestaltungsspielraum zu.
11
Vgl. auch BVerfG, Urteil vom 10. April 1984 - 2 BvL 19/82 -, BVerfGE 67, 1, 15 = NJW
12
1984, 2567.
Daraus folgt hier, dass der bloße Wechsel des Studiengangs oder des Studienorts
grundsätzlich unberücksichtigt bleiben darf. Nach Auffassung des Senats muss der
Gesetzgeber deshalb für solche Bewerber keine günstige Übergangsregelung schaffen.
Die vom Gesetzgeber bei der Schaffung des § 60 HG vorgenommene Abwägung
genügt den von Verfassungs wegen zu stellenden Anforderungen. Der Studienbewerber
hatte sich für einen bestimmten Studiengang oder Studienort entschieden, so dass sich
sein Vertrauen auf die weitere Durchführung des aufgenommenen Studiums
konzentriert hat. Unangemessene Belastungen entstehen für ihn bei einem nicht mehr
möglichen Wechsel nicht. Er kann vielmehr sein bereits begonnenes Studium nach den
bisherigen Regelungen durchführen und beenden. Der Gesetzgeber durfte daher
maßgeblich auf die Einführung von Bachelor- und Magisterstudiengängen im Zuge des
sog. Bologna-Prozesses abstellen, als er sich für eine strikte Stichtagsregelung
entschieden und allein Studierenden die Fortführung und den Abschluss des bereits
begonnenen Diplomstudiengangs ermöglicht hat.
13
Hiermit hat das Landeshochschulrecht die Hochschulen des Landes verpflichtet, nur
noch Studiengänge, die auf die Erlangung eines Bachelor- oder Mastergrades
ausgerichtet sind, anzubieten und ihre bisherigen Diplom- und Magisterstudiengänge
auslaufen zu lassen. Das Auslaufenlassen von Diplom-Studiengängen und die
Einrichtung neuer Studiengänge mit hiervon abweichenden Studienabschlüssen ist
zwar im Ausgangspunkt Teil der der Hochschule von Gesetzes wegen (Art. 16 Abs. 1
der Verfassung für das Land Nordrhein- Westfalen) zukommenden Selbstverwaltung,
die grundgesetzlich von der Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) abgesichert ist.
14
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. Mai 2008 - 13 C 150/08 -, juris.
15
Hochschulen und ihre Fakultäten können aus dem Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit
aber kein Recht ableiten, den Bereich der wissenschaftsorientierten Berufsausbildung
autonom zu gestalten. Den staatlichen Gesetzgeber trifft in dem Bereich der auf einen
berufsqualifizierenden Abschluss zielenden Lehre im Hinblick auf die
Grundrechtspositionen der Auszubildenden aus Art. 12 Abs. 1 GG eine
Mitverantwortung. Es ist dem Gesetzgeber indes verboten, den Wissenschaftsbetrieb so
zu gestalten, dass die Gefahr der Funktionsunfähigkeit oder der Beeinträchtigung des
für die wissenschaftliche Betätigung der Mitglieder erforderlichen Freiheitsraums
herbeigeführt wird. In diesen Grenzen ist der Gesetzgeber frei, den
Wissenschaftsbetrieb so zu regeln, dass die unterschiedlichen Aufgaben der
Wissenschaftseinrichtungen und die Interessen aller daran Beteiligten in einen
angemessenen Ausgleich gebracht werden. Die Grenzen seines Gestaltungsspielraums
hat der Landesgesetzgeber bei der Neuregelung des Hochschulwesens in Nordrhein-
Westfalen allerdings hinreichend beachtet, als er die Kompetenz der Hochschulen,
Studienanfängern einen Diplomstudiengang anzubieten, abgeschafft hat.
16
So BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 7. August 2007 - 1 BvR
2667/05 -, NVwZ-RR 2008, S. 33 f.
17
Mit dem „Auslaufen" der bisherigen Diplom-Studiengänge und dem Wegfall einer
Zulassung von Studienanfängern scheidet die Berechnung und Festsetzung einer
Aufnahmekapazität aus. Das Fehlen von normativ festgesetzten Zulassungszahlen in
den jeweiligen Fachsemestern führt indes nicht dazu, dass ein Studienplatzbewerber
18
ohne Weiteres beanspruchen könnte, von seinem bislang betriebenen Studium unter
Anrechnung von Studienleistungen zu einem anderen Diplom-Studiengang zu
wechseln. Dies widerspräche den normativen Vorgaben, nach denen das bisherige
Studienangebot mit seinen Diplom-Studiengängen gerade nicht mehr
aufrechtzuerhalten ist.
Vgl. auch VG Münster, Beschluss vom 19. Mai 2008 - 9 Nc 136/08 -, juris.
19
Mit diesem Grundverständnis erklärt sich auch der auslegungsfähige Begriff
„Studienanfänger" in § 60 Abs. 5 Satz 1 HG. In Übereinstimmung mit dem
Verwaltungsgericht geht der Senat deshalb davon aus, dass Studienanfänger hier
derjenige ist, der sich zum und ab dem Wintersemester 2007/2008 erstmals in der
auslaufenden Fachrichtung einschreiben möchte, auch wenn der Bewerber bereits an
einem anderen Studienort in dieser Fachrichtung eingeschrieben gewesen ist. Es
handelt sich daher um einen Studienbewerber, der sich nicht auf schutzwürdiges
Vertrauen im oben genannten Sinne berufen kann, weil er nicht die Fortführung und den
Abschluss des an dem Studienort bereits aufgenommenen Studiums anstrebt. Auch die
Antragstellerin hatte ihre Ausbildung nicht in Köln begonnen, sondern an der Universität
Duisburg-Essen. Sie durfte deshalb nicht darauf vertrauen, an einem anderen Studienort
das begonnene Studium fortsetzen zu können. Es war bereits nicht sicher, dass
überhaupt Studienplätze in der gewünschten Fachrichtung zu vergeben waren. So hat
der Antragsgegner hierzu - bezogen auf die frühere Rechtslage und auf die Verhältnisse
an der Universität zu Köln - auch unwidersprochen ausgeführt, im Regelfall seien nach
den jeweiligen Höchstzahlenverordnungen keine Studienplätze in höheren
Fachsemestern verfügbar gewesen, weil bereits die Rückmelder die vorhandene
Kapazität ausgeschöpft hätten. Vorliegend kommt hinzu, dass die Antragstellerin mit
dem Schwerpunkt Heilpädagogik bislang nicht begonnen hatte, so dass nicht die
Fortsetzung der Ausbildung nach den Modalitäten des bisherigen Studiengangs vor
dem Sommersemester 2007 in Rede steht.
20
Soweit die Antragstellerin schließlich geltend macht, drei Kommilitoninnen seien in dem
betreffenden Studiengang an der Universität zu Köln nach Erlass der geänderten
Diplomprüfungsordnung aufgenommen worden, ist ein Anordnungsanspruch nicht
hinreichend schlüssig vorgetragen.
21
Die Nebenentscheidungen folgen aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 3
Nr. 1, § 47 Abs. 1 GKG.
22
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
23
24