Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 31.07.2003

OVG NRW: körperschaft, unternehmer, form, prüfungspflicht, verordnung, neubewertung, nichtigkeit, abfallentsorgung, geschäftsführer, bestandteil

Oberverwaltungsgericht NRW, 9 A 2954/03
Datum:
31.07.2003
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
9. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
9 A 2954/03
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 14 K 1834/01
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als
Gesamtschuldner.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 156,33 EUR
festgesetzt.
G r ü n d e:
1
Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg, denn er legt die allein behauptete
grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 3
VwGO) nicht in einer den Anforderungen des § 124 a Abs. 4 Satz 3 VwGO genügenden
Weise dar.
2
Die von den Klägern innerhalb der Frist des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO konkret einzig
aufgeworfene Rechtsfrage,
3
inwieweit Gebührenkalkulationen, bei denen Bestechungsgelder eingeflossen sind,
eine rechtmäßige Kalkulation als Grundlage für eine Gebührensatzung darstellen
können oder nicht,
4
vermittelt dem vorliegenden Verfahren keine grundsätzliche Bedeutung. Die Frage stellt
sich in der formulierten, ganz allgemein gehaltenen Form hier nicht
entscheidungserheblich. Die Kläger machen geltend, an den früheren Geschäftsführer
der S. -T. -Abfallgesellschaft (RSAG) seien für Auftragsvergaben Bestechungsgelder in
Höhe von mindestens 4 Mio. DM durch den Unternehmer U. gezahlt worden. Es sei
daher davon auszugehen, dass die von der RSAG mit dem Unternehmer U.
abgeschlossenen Entsorgungsverträge überhöhte Kosten in Höhe von mindestens dem
Zehnfachen der Bestechungssumme zum Gegenstand gehabt hätten. Diese überhöhten
Kosten seien in die Entgeltforderung der RSAG gegenüber dem Beklagten, der sie mit
5
der Müllentsorgung beauftragt habe, eingeflossen und somit auch Bestandteil der
Gebührenkalkulation des Beklagten geworden. Bei Unterstellung der Richtigkeit dieses
Vortrags kommt es mit Blick auf die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Abfallgebühren
für das Jahr 2000 entscheidungserheblich allein darauf an, ob der Beklagte bei
Aufstellung seiner Gebührenkalkulation für das erwähnte Jahr das von der RSAG
verlangte Fremdleistungsentgelt nicht vollständig, sondern nur um die behauptete
Überhöhung gekürzt in seine Gebührenbedarfsberechnung einstellen durfte.
Im Hinblick auf die damit relevante Ansatzfähigkeit von Entgelten für Fremdleistungen
sind jedoch die Rechtsfragen von grundsätzlicher, über den jeweiligen Einzelfall
hinausgehender Bedeutung in der Rechtsprechung des Senats geklärt. Der
Zulassungsantrag zeigt nicht auf, dass sich insofern anlässlich des vorliegenden Falles
unter dem Gesichtspunkt eventueller Bestechungsgelder neue, bislang ungeklärte
Rechtsfragen stellen könnten, die zu ihrer verbindlichen Beantwortung der
Durchführung eines Berufungsverfahrens bedürften.
6
Nach der gefestigten, vom Verwaltungsgericht auch angewandten Rechtsprechung des
Senats ist bei Aufstellung der Gebührenkalkulation, sofern die in der Einrichtung
"Abfallentsorgung" in dem jeweiligen Erhebungszeitraum anfallenden Kosten noch nicht
definitiv feststehen, eine Prognoseentscheidung zu treffen, die entsprechend § 114
VwGO nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliegt.
7
Vgl. dazu zusammenfassend: OVG NRW, Beschluss vom 9. August 1999 - 9 A 3133/97
- m.w.N.
8
Gegenstand dieser Prognoseentscheidung sind für den Fall der Beauftragung Dritter
notwendiger Weise auch die von ihnen für den jeweiligen Erhebungszeitraum
verlangten Entgelte. Dabei gilt allerdings, dass die Körperschaft das in Rechnung
gestellte bzw. angekündigte Entgelt nicht unbesehen übernehmen darf. Bei dem
Fremdentgelt muss es sich um vertragsgemäße, betriebsnotwendige Kosten handeln,
deren Bemessung dem Äquivalenzprinzip zu entsprechen hat. Insoweit besteht eine
entsprechende Prüfungspflicht der Körperschaft bzw. hat sie bei Vorlage einer
Vorkalkulation des Fremdleisters über die für das kommende Jahr zu erwartenden
Entgelte bei der Aufstellung ihrer eigenen Gebührenkalkulation auch eine
Prognoseentscheidung darüber zu treffen, ob die Entgelte den besagten Anforderungen
genügen.
9
Vg. etwa OVG NRW, Urteile vom 24. November 1999 - 9 A 6065/96 -, NWVBl. 2000,
373, vom 5. April 2001 - 9 A 1795/99 -, NWVBl. 2002, 37 und vom 4. August 2001 - 9 A
2737/00 -, NVwZ-RR 2002, 684.
10
Sofern es sich bei den von Dritten erbrachten Leistungen - wie hier nach den nicht
angegriffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts die Leistungen der RSAG - um
solche handelt, auf die die Verordnung PR 30/53 über die Preise bei öffentlichen
Aufträgen sowie die Leitsätze für die Preisermittlung aufgrund von Selbstkosten
anzuwenden sind, erstreckt sich die vorzunehmende Prüfung zudem auf die Einhaltung
der darin getroffenen Bestimmungen.
11
Vgl. auch dazu OVG NRW, Urteile vom 5. April 2001 und vom 4. Oktober 2001, jeweils
a.a.O.
12
Der der Körperschaft eröffnete Prognosespielraum wird (erst) dann überschritten und
lässt die Kalkulation fehlerhaft werden, wenn bei der nach den vorstehenden Kriterien
durchzuführenden Prüfung aufgrund des Kenntnisstandes im Prognosezeitpunkt eine
Reduzierung der Forderung des Dritten bereits absehbar ist und selbst unter
Berücksichtigung eines etwaigen Prozessrisikos oder sonstiger Unwägbarkeiten jeder
andere als ein bestimmter niedrigerer Kostenansatz unvertretbar, mithin also
ermessensfehlerhaft gewesen wäre.
13
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 24. September 2001 - 9 A 4092/00 - und vom 23.
Oktober 2002 - 9 A 3839/02 -.
14
Diese vom Verwaltungsgericht herangezogenen Grundsätze gelten auch für durch
etwaige Bestechungsvorgänge bewirkte Überhöhungen in der Entgeltforderung des
Fremdleisters. Dass bezogen auf derartige Überhöhungen solche relevanten
Unterschiede bestünden, die eine Anwendbarkeit der dargelegten Grundsätze hindern
und insofern eine - in einem Berufungsverfahren vorzunehmende - Neubewertung
gebieten könnten, lässt sich dem Zulassungsvorbringen nicht entnehmen. Im Rahmen
des der jeweiligen Körperschaft eröffneten, wegen der Einschätzung einer erst künftigen
Entwicklung erforderlichen Prognosespielraums kann es unter
Rechtmäßigkeitsgesichtspunkten allein darauf ankommen, ob die Prognose in
sachgerechter Weise erfolgt ist. Von daher geht der vom Zulassungsvorbringen verfolgte
Ansatz, durch Bestechungsvorgänge bewirkte Überhöhungen in der Kalkulationen
müssten zwingend zur Nichtigkeit der Gebührensatzung führen, fehl. Für die
maßgebliche Sachgerechtigkeit der von der jeweiligen Körperschaft getroffenen
Prognoseentscheidung ist es letztlich ohne Belang, auf welchen Ursachen unzulässige
Überhöhungen des Fremdentgelts beruhen. Entscheidend ist insofern unabhängig von
der Art der Überhöhung vielmehr, ob die Körperschaft im Rahmen der ihr obliegenden,
oben ausgeführten Prüfungspflichten eventuelle unzulässige Überhöhungen des
Fremdleistungsentgelts hätte erkennen müssen und sie deshalb das Entgelt nur in
reduzierter Form in die Kalkulation einstellen durfte.
15
Ob der Beklagte nach diesen Maßstäben nicht die volle Entgeltforderung des RSAG für
das Jahr 2000 in die Gebührenkalkulation einstellen durfte - wofür allerdings auf der
Grundlage der plausiblen Erwägungen des Verwaltungsgerichts nichts spricht -, ist eine
Frage des hier betroffenen Einzelfalles ohne darüber hinaus gehende grundsätzliche
Bedeutung.
16
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 2 VwGO; die
Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 2 GKG.
17
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
18