Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 23.08.2002

OVG NRW: sowjetunion, eltern, nationalität, stadt, zustellung, richteramt, vollstreckung, aussiedler, strafverfahren, rechtsgrundlage

Oberverwaltungsgericht NRW, 2 A 5143/00
Datum:
23.08.2002
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 A 5143/00
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 13 K 6603/96
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des
Bundesverwaltungsamtes vom 27. Mai 1993 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 1996 verpflichtet, dem Kläger zu
1. einen Aufnahmebescheid zu erteilen und die Klägerin zu 2. darin
einzubeziehen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Außergerichtliche Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die
Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor
der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Der Kläger zu 1. wurde am 28. Februar 1953 im Dorf S. , Altaigebiet, in der ehemaligen
Sowjetunion geboren. Seine Eltern sind der am 3. März 1932 geborene A. D. und die
am 21. Oktober 1931 geborene und 1986 verstorbene Irma D. , geborene R. . Die Eltern
des Klägers, die beide im Gebiet Wolgograd geboren sind, lebten von 1941 bis 1956 im
Altaigebiet unter Kommandantur. Die am 29. Februar 1976 geborene Klägerin zu 2. ist
die Tochter des Klägers zu 1.
2
Der Kläger zu 1. studierte vom 1973 bis 1978 Rechtswissenschaft an der Universität in
der Stadt B. . Nach Abschluss des Studiums war er von Juni 1978 bis Juni 1982 Richter
am Volksgericht der Stadt L. -K. . Danach ist er zunächst als Richter des S. -
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Volksgerichts der Stadt B. beschäftigt gewesen; im Juli 1987 wurde er zum
Vorsitzenden dieses Gerichts ernannt. Ab März 1990 wurde er Mitglied des Altaier
Regionsgerichts. Im September 1991 ist der Kläger zu 1. aus dem Justizdienst
ausgeschieden und hat zunächst als juristischer Berater bei einer privaten Firma
gearbeitet.
Am 13. Mai 1991 stellte die in der Bundesrepublik Deutschland lebende Verwandte des
Klägers zu 1., Frau E. W. , unter Vorlage einer "Vollmacht für den Antrag auf Aufnahme
in die Bundesrepublik Deutschland" für die Kläger einen Antrag auf Aufnahme als
Aussiedler. Im Aufnahmeantrag ist für den Kläger zu 1. angegeben, er sei deutscher
Volkszugehöriger. Er verstehe, spreche und schreibe Deutsch. Dem Aufnahmeantrag
beigefügt war die Fotokopie eines im Jahr 1979 ausgestellten sowjetischen
Inlandspasses des Klägers zu 1., in dem für diesen als Nationalität "Deutsch"
eingetragen ist. In einer von ihm persönlich unterzeichneten ergänzenden Erklärung
vom 1. August 1992 gab der Kläger zu 1. unter anderem an, Deutsch ab dem ersten
Lebensjahr von seinen Eltern und Großeltern gelernt zu haben. Er verstehe auf Deutsch
alles und spreche Deutsch in einer für ein einfaches Gespräch ausreichenden Weise.
Durch Bescheid vom 27. Mai 1993 lehnte das Bundesverwaltungsamt den
Aufnahmeantrag ab. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, der Erteilung von
Aufnahmebescheiden stehe entgegen, dass der Kläger zu 1. aufgrund seiner Tätigkeit
als Volksrichter eine herausgehobene berufliche Stellung innegehabt habe, die er nur
durch eine besondere Bindung an das totalitäre System im Herkunftsland habe
erreichen können.
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Gegen diesen Bescheid, den sie nach eigenen Angaben am 28. Juli 1993 erhalten
haben, erhoben die Kläger am 17. August 1993 Widerspruch. Zur Begründung führte der
Kläger zu 1. im Wesentlichen aus: Es treffe nicht zu, dass seine Tätigkeiten als
Volksrichter Ausdruck einer besonderen Verbundenheit mit dem totalitären System in
der ehemaligen Sowjetunion gewesen seien. Vielmehr habe er schon als Kind
volksdeutscher, aus der Wolga-Republik vertriebener Eltern Diskriminierungen und
Benachteiligungen erfahren. Diese hätten sich während seines Armeedienstes
fortgesetzt. Während des Studiums sei er wegen seiner deutschen Volkszugehörigkeit
durch einen Studienkollegen bespitzelt worden. Für die juristische Ausbildung habe er
sich nicht zuletzt deswegen entschieden, weil es ihm immer ein Anliegen gewesen sei,
gerade den deutschen Volkszugehörigen, die wie seine Eltern durch unzureichende
Bildung benachteiligt worden seien, den notwendigen Rechtsschutz zu gewähren. Bei
seiner Tätigkeit in L. -K. habe er gewöhnliche Zivilsachen bearbeitet, die nichts mit
Politik zu tun gehabt hätten. Als seine Mutter krank geworden sei, sei er in die
Altairegion umgezogen. Man habe ihm erklärt, wenn er nicht Mitglied der KPdSU werde,
bekomme er die Arbeitsstelle dort nicht. So sei er in die Partei eingetreten. Die spätere
Stellung als Vorsitzender des Volksgerichts habe er nicht etwa wegen seiner politischen
Ansichten angenommen, sondern weil er dadurch bessere Möglichkeiten gehabt habe,
den Deutschen zu helfen. So seien etwa unter seiner juristischen Mithilfe die Statuten
des Altaier und Russischen Fonds zur Rehabilitierung der Opfer von Stalinismus und
der Arbeitsarmisten erarbeitet worden.
5
Nachdem das Bundesverwaltungsamt den Widerspruch zunächst in einem an Frau E.
W. zugestellten Widerspruchsbescheid vom 17. September 1993 als unzulässig
zurückgewiesen und die Prozessbevollmächtigten daraufhin auf die Fehlerhaftigkeit der
Zustellung an die lediglich zur Antragstellung bevollmächtigte Verwandte hingewiesen
hatten, wies das Bundesverwaltungsamt durch Widerspruchsbescheid vom 26. Juni
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1996 den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung ist im Wesentlichen
ausgeführt, der Kläger zu 1. habe nach Abschluss seines juristischen Studiums einen
kontinuierlichen Aufstieg in seiner beruflichen Laufbahn als Richter erlebt. Seine
richterliche Tätigkeit habe eine völlige Anpassung an das herrschende System und
Identifizierung mit den Staats- und Parteizielen vorausgesetzt. Neben dieser
besonderen Bindung an das System sei von der Gewährung von Privilegien an den
Inhaber der herausgehobenen Stellung sowie an seine Familienangehörigen
auszugehen.
Die Kläger haben am 12. Juli 1996 Klage erhoben. Zur Begründung haben sie im
Wesentlichen auf das Widerspruchsvorbringen Bezug genommen. Ergänzend haben
sie geltend gemacht, dass Richter nach der Verfassung der ehemaligen Sowjetunion
unabhängig gewesen seien. Auch der Umstand, dass politische Straftaten aus der
normalen Gerichtsbarkeit, der der Kläger zu 1. angehört habe, herausgenommen und
der Militärgerichtsbarkeit zugewiesen gewesen seien, zeige, dass keine besondere
Bindung der "einfachen" Richter an das System vorgelegen habe. Allein die Ausübung
eines akademischen Berufs erfülle nicht die Voraussetzungen des § 5 BVFG. Die
Beklagte habe den ihr obliegenden Nachweis für das Vorliegen des
Ausschlusstatbestandes nicht geführt.
7
Am 15. Februar 2000 ist der Kläger zu 1. im Generalkonsulat der Bundesrepublik
Deutschland Nowosibirsk angehört worden. Wegen seiner dabei gemachten Angaben
und dem Ergebnis des durchgeführten Sprachtests wird Bezug genommen auf das
Protokoll der Anhörung.
8
Die Kläger haben beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesverwaltungsamtes vom 27.
Mai 1993 in der Gestalt der beiden Widerspruchsbescheide vom 17. September 1993
und vom 26. Juni 1996 zu verpflichten, dem Kläger zu 1. einen Aufnahmebescheid zu
erteilen und die Klägerin zu 2. in diesen Aufnahmebescheid einzubeziehen;
10
hilfsweise,
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das persönliche Erscheinen des Klägers zu 1. anzuordnen, da Art und Umfang seiner
richterlichen Tätigkeit und eventuelle Privilegien nur in seiner Anwesenheit geklärt
werden könnten.
12
Die Beklagte hat beantragt,
13
die Klage abzuweisen.
14
Zur Begründung hat sie sich auf den Inhalt der ablehnenden Bescheide bezogen und
ergänzend vorgetragen: Auch der Ausschlusstatbestand in der mit Wirkung zum 1.
Januar 2000 geänderten Fassung des § 5 BVFG sei erfüllt. Denn als Volksrichter und
Vorsitzender eines Volksgerichts sowie als Mitglied eines Kreisgerichts habe der Kläger
zu 1. - wie nunmehr maßgeblich - eine Funktion ausgeübt, die für die Aufrechterhaltung
des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam gegolten habe.
15
Durch das angefochtene Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen.
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Mit der vom Senat zugelassenen Berufung verfolgen die Kläger ihr Klagebegehren
weiter. Zur Begründung beziehen sie sich auf ihr bisheriges Vorbringen und tragen
ergänzend vor: Der Kläger zu 1. habe lediglich seinen Beruf als Richter ausgeübt. Er
habe nie eine politische Funktion inne gehabt und sei auch nie an politischen Verfahren
beteiligt gewesen. Er sei nur mit zivil- und allgemeinstrafrechtlichen Verfahren befasst
gewesen. Eine derartige Tätigkeit falle nicht unter § 5 Nr. 2 b) BVFG.
17
Die Kläger beantragen,
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das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides
des Bundesverwaltungsamtes vom 27. Mai 1993 in der Gestalt der beiden
Widerspruchsbescheide vom 17. September 1993 und vom 26. Juni 1996 zu
verpflichten, dem Kläger zu 1. einen Aufnahmebescheid zu erteilen und die Klägerin zu
2. in diesen Aufnahmebescheid einzubeziehen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
21
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Mit der Neuregelung des § 5 BVFG habe
der Gesetzgeber zweifelsfrei den Willen zu einer Erweiterung des
Ausschlusstatbestandes zum Ausdruck gebracht, wie auch die beispielhafte Aufzählung
des von dem Ausschlusstatbestand angesprochenen Personenkreises in der
Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung belege. Die Vorschrift erfasse
somit einen größeren Kreis von Funktionsträgern, für die ohne individuellen Nachweis
das Fehlen eines Kriegsfolgenschicksals unterstellt werde. Wegen des nachhaltigen
Einflusses der KPdSU auf die Rechtsprechung müsse die Tätigkeit eines Richters für
die Aufrechterhaltung des kommunistischen Regimes als besonders wichtig erachtet
werden. Soweit der Kläger zu 1. behaupte, nie für, sondern gegen das System gewesen
zu sein, sei dies nicht nachvollziehbar. Im Übrigen missbillige § 5 Nr. 2 b) BVFG nicht
systemtreues Verhalten, die Norm stelle vielmehr neutral auf die Folge, nämlich das
fehlende Kriegsfolgenschicksal, ab. Eine etwa fehlende innere Überzeugung von dem
herrschenden System sei nicht Gegenstand der Vorschrift und stehe dem Ausschluss
der Spätaussiedlereigenschaft nicht entgegen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug
genommen.
23
Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung ist begründet. Die Kläger haben Anspruch auf Erteilung der
begehrten Aufnahmebescheide.
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Rechtsgrundlage für den von dem Kläger zu 1) geltend gemachten Anspruch sind die §§
26 und 27 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) in der Fassung der
Bekanntmachung vom 2. Juni 1993, BGBl I S. 829, zuletzt geändert durch das Gesetz
zur Klarstellung des Spätaussiedlerstatus (Spätaussiedlerstatusgesetz - SpStatG) vom
30. August 2001, BGBl I S. 2266. Für die Beurteilung der Ansprüche ist insgesamt das
nunmehr geltende Recht maßgebend. Denn nach der hier für eine Anwendung des bis
zum 31. Dezember 1992 geltenden Rechts gemäß § 100 Abs. 1 BVFG allein in Betracht
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zu ziehenden Vorschrift des § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG kann Aussiedler nur (noch) sein, wer
das Aussiedlungsgebiet vor dem 1. Januar 1993 verlassen hat. Der Kläger zu 1) lebt
jedoch heute noch in der Russischen Föderation.
Der Kläger zu 1) hat einen Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides gemäß §
27 Abs. 1 Satz 1 BVFG. Danach wird der Aufnahmebescheid auf Antrag Personen mit
Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten erteilt, die nach Verlassen dieser Gebiete die
Voraussetzungen als Spätaussiedler erfüllen. Spätaussiedler aus dem hier in Rede
stehenden Aussiedlungsgebiet der ehemaligen Sowjetunion kann nach § 4 Abs. 1
BVFG nur sein, wer deutscher Volkszugehöriger ist. Da der Kläger zu 1) nach dem 31.
Dezember 1923 geboren ist, ist er nach § 6 Abs. 2 BVFG deutscher Volkszugehöriger,
wenn er von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen
abstammt und sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete durch eine
entsprechende Nationalitätenerklärung oder auf vergleichbare Weise nur zum
deutschen Volkstum bekannt oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen
Nationalität gehört hat (§ 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG). Das Bekenntnis zum deutschen
Volkstum oder die rechtliche Zuordnung zur deutschen Nationalität muss bestätigt
werden durch die familiäre Vermittlung der deutschen Sprache (§ 6 Abs. 2 Satz 2
BVFG). Diese ist nur festgestellt, wenn jemand im Zeitpunkt der Aussiedlung aufgrund
dieser Vermittlung zumindest ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen kann (§ 6 Abs.
2 Satz 3 BVFG). Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers zu 1) erfüllt, was auch
von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen wird. Der Kläger zu 1. war in seinem
sowjetischen Inlandspass stets mit deutscher Nationalität eingetragen. Das dieser
Eintragung zugrundeliegende Bekenntnis zum deutschen Volkstum wird dadurch
bestätigt, dass er heute noch - wie der durchgeführte Sprachtest belegt - in
hinreichender Weise Deutsch spricht. Unter Berücksichtigung seiner dazu gemachten
Angaben bestehen keine durchgreifenden Zweifel daran, dass der Kläger zu 1. Deutsch
bereits in seiner Kinder- und Jugendzeit in der Familie gelernt hat und seine
vorhandenen Deutschkenntnisse maßgeblich auf einer entsprechenden familiären
Vermittlung beruhen.
27
Der Kläger zu 1) erfüllt auch - wie unter den Beteiligten ebenfalls unstreitig - die übrigen
in § 4 Abs. 1 BVFG genannten Stichtagsvoraussetzungen, weil er seit seiner Geburt im
Jahre 1953 und seine Eltern jeweils seit ihrer Geburt in der ehemaligen Sowjetunion
gelebt haben und somit die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nr. 1 und 3 BVFG gegeben
sind.
28
Dem Erwerb der Spätaussiedlereigenschaft steht auch nicht § 5 Nr. 2 b) BVFG in der -
durch das Gesetz zur Sanierung des Bundeshaushalts (Haushaltssanie- rungsgesetz -
HSanG-) vom 22. Dezember 1999, BGBl. I S. 2534 geänderten - ab 1. Januar 2000
geltenden Fassung entgegen. Diese Vorschrift gilt mangels Überleitungsvorschriften
auch für noch nicht abgeschlossene Aufnahmeverfahren,
29
vgl. BVerwG, Urteil vom 29. März 2001 - 5 C 17.00 -, BVerwGE 114, 116 = DVBl. 2001,
1156.
30
Nach § 5 Nr. 2 b) BVFG erwirbt die Rechtsstellung nach § 4 Abs. 1 oder Abs. 2 BVFG
nicht, wer in den Aussiedlungsgebieten eine Funktion ausgeübt hat, die für die
Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam
galt oder aufgrund der Umstände des Einzelfalls war. Diese Vorschrift knüpft an das
fehlende Kriegsfolgenschicksal an,
31
vgl. BT-Drs 14/1523, S. 172; 14/ 1636, S. 175,
32
und geht davon aus, dass das für deutsche Volkszugehörige sonst (möglicherweise)
bestehende Kriegsfolgenschicksal nicht mehr fortbestand, wenn der deutsche
Volkszugehörige im Aussiedlungsgebiet eine Funktion ausgeübt hat, die für die
Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam
galt, weil er damit den Schutz dieses Systems genoss.
33
Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. März 2001 - 5 C 17.00 -, BVerwGE 114, 116 = DVBl. 2001,
1156.
34
§ 5 Nr. 2 b) BVFG macht dies jedoch - ebenso wie die bis zum 31. Dezember 1999
geltende Vorgängervorschrift des § 5 Nr. 1 d) BVFG - nicht an dem Erreichen einer
bestimmten beruflichen Stellung und der hiermit verbundenen wirtschaftlichen
Privilegierung in der Gesellschaft des Herkunftslandes fest. Das Gesetz billigt dem
deutschen Volkszugehörigen nach wie vor zu, nach seinen Kräften und Fähigkeiten
auch eine herausgehobene berufliche Stellung zu erreichen, und zwar auch innerhalb
der Staatsverwaltung, der Armee und der staatlich gelenkten Wirtschaftsverwaltung in
der früheren Sowjetunion.
35
Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. März 2001 - 5 C 15.00 -, DVBl. 2001, 1526.
36
Soweit in der Begründung zu Art. 9 des Entwurfs des Haushaltssanierungsgesetzes
vom 22. Dezember 1999 bestimmte Beispiele genannt sind, bei denen generell eine
bedeutsame Funktion im Sinne des § 5 Nr. 2 b) BVFG vorliegen soll,
37
BT-Drs. 14/1523, S. 172; 14/1636, S. 175,
38
sind diese Erwägungen nicht maßgeblich, weil sie im Wortlaut des Gesetzes keinen
hinreichenden Niederschlag gefunden haben.
39
Daraus folgt, dass es in Bezug auf die Frage, ob in der Person des Klägers zu 1. der
Ausschlusstatbestand des § 5 Nr. 2 b) BVFG erfüllt ist, nicht auf seine berufliche
Stellung als Richter an einem Volksgericht als solche ankommt.
40
Die vom Kläger zu 1. konkret ausgeübten Tätigkeiten können ebenfalls nicht als für die
Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems bedeutsam angesehen
werden. Seinen Angaben zufolge, denen die Beklagte nichts substantiiert
entgegengesetzt hat, war er während seiner richterlichen Tätigkeit am Volksgericht mit
zivilrechtlichen Verfahren und Strafverfahren, die gewöhnliche Kriminalität betrafen,
befasst. An Verfahren mit politischen Hintergrund war er nicht beteiligt. Diese Angaben
sind insofern plausibel, als Strafsachen, die auch dem Zweck dienen können, das
herrschende politische System als solches zu schützen, wie zum Beispiel Verfahren
wegen Landesverrats, Spionage, Schädlingstätigkeit oder antisowjetische Agitation
oder Propaganda in die Zuständigkeit höherer Gerichte oder Militärtribunale fielen.
41
Vgl. Gutachten Benedikt Praxenthaler, Osteuropa-Institut München, Historische
Abteilung, vom 27. Mai 1999 an das Verwaltungsgericht Köln (zum Verfahren 6 K
189/94); Fincke, Handbuch der Sowjetverfassung (Berlin 1983), Art. 151 Rz 74.
42
Die Beklagte, der insoweit die Darlegungs- und Beweislast obliegt, hat keine konkreten
Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass im Fall des Klägers zu 1. in tatsächlicher
Hinsicht etwas anderes angenommen werden müsste. Der allgemeine Hinweis in der
mündlichen Verhandlung, in kommunistischen Staaten seien auch gewöhnliche
Strafverfahren zur Bekämpfung politisch Missliebiger instrumentalisiert worden, genügt
insoweit nicht. Es ist nicht erkennbar, dass der Kläger zu 1. an derartigen Verfahren als
Richter mitgewirkt hat. Auch aus dem sonstigen Akteninhalt, insbesondere aus dem
Arbeitsbuch des Klägers zu 1., ergeben sich hierfür keine konkreten Anhaltspunkte.
43
Für die von ihm ausgeübte Tätigkeit als Vorsitzender eines Volksgerichts gilt nichts
anderes. Denn diese Tätigkeit unterscheidet sich von der Tätigkeit eines Richters am
Volksgericht nur insoweit, als dem Vorsitzenden die Verteilung der Aufgaben und
Verfahren auf die an dem Volksgericht tätigen Richter oblag. Eine solche Tätigkeit weist
aber keinen spezifischen Bezug zum kommunistischen Herrschaftssystem auf und
unterscheidet sich von daher qualitativ nicht entscheidend von einer gewöhnlichen
richterlichen Tätigkeit.
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Soweit der Kläger zu 1. ab März 1990 Mitglied des Altaier Regionsgerichts gewesen ist,
bleibt diese Tätigkeit im vorliegenden Zusammenhang schon deshalb außer Betracht,
weil sie nicht mehr in den Zeitraum fällt, der von § 5 BVFG erfasst wird. Denn mit der
Aufgabe des Alleinherrschaftsanspruchs der Partei durch die Mitglieder des
Zentralkomitees der KPdSU am 7. Februar 1990 endete das kommunistische
Herrschaftssystem in der ehemaligen Sowjetunion im Sinne von § 5 BVFG.
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Vgl. Urteil vom 19. April 2002 - 2 A 2122/00 - n.v. und Urteil vom 24. Mai 2000 - 2 A
3411/99 - unter Bezugnahme auf Urteil des Senats vom 17. November 1998 - 2 A
6235/95 -.
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Rechtsgrundlage für den von der Klägerin zu 2) geltend gemachten Anspruch auf
Erteilung eines Aufnahmebescheides sind die §§ 26, 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG. Sie ist auf
ihren entsprechenden Aufnahmeantrag hin als Abkömmlinge des Klägers zu 1) in
dessen Aufnahmebescheid einzubeziehen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO.
48
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167
VwGO, 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
49
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht vorliegen.
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Rechtsmittelbelehrung
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Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden.
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Die Beschwerde ist beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein- Westfalen,
Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster (Postfachanschrift: Postfach 63 09, 48033 Münster),
innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils einzulegen. Sie muss das
angefochtene Urteil bezeichnen.
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Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung dieses Urteils zu
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begründen. Die Begründung ist beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-
Westfalen einzureichen. In der Begründung muss die grundsätzliche Bedeutung der
Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil abweicht, oder der
Verfahrensmangel bezeichnet werden.
Die Beschwerde kann nur durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer
deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum
Richteramt eingelegt und begründet werden; juristische Personen des öffentlichen
Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung
zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften auch
durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen
Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem
sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen.
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