Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 15.02.2008

OVG NRW: aufschiebende wirkung, bankgarantie, bürgschaft, unvereinbarkeit, zugang, wahrscheinlichkeit, sicherheit, form, ermessen, rechtswidrigkeit

Oberverwaltungsgericht NRW, 13 B 2092/07
Datum:
15.02.2008
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 B 2092/07
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 18 L 1836/07
Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des
Verwaltungsgerichts Köln vom 17. Dezember 2007 geändert.
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen
Nr. 1.b.) betreffend Ziffer 3.4.2 und Ziffer 7.6, Nrn. 2. und 3. des
Bescheids der Antragsgegnerin vom 27. November 2007 - 10.040-F-07-
309 - wird angeordnet.
Die Kosten beider Rechtszüge trägt die Antragsgegnerin.
Der Streitwert wird unter Abänderung der Streitwertfestsetzung des
Verwaltungsgerichts für beide Instanzen auf jeweils 50.000,- EUR
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die zulässige Beschwerde ist begründet.
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Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der
aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen Nr. 1.b.) betreffend Ziffer 3.4.2 und
Ziffer 7.6, Nr. 2 betreffend die vorgenannten Ziffern und Nr. 3. des Bescheids der - als
Regulierungsbehörde im Sinne des Allgemeine Eisenbahngesetzes (AEG) tätig
gewordenen - Bundesnetzagentur vom 27. November 2007 zu Unrecht abgelehnt.
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Die im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Abwägung des
Aufschubinteresses des Betroffenen und des öffentlichen Vollzugsinteresses fällt zu
Gunsten der Antragstellerin aus, weil der angefochtene Bescheid im oben
beschriebenen Umfang bei der in der vorliegenden Verfahrensart möglichen
Prüfungsdichte durchgreifenden - u. a. dem Gebot effektiven Rechtsschutzes Rechnung
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tragenden - rechtlichen Bedenken unterliegt und gewichtige Nachteile für öffentliche
Belange im Fall des Nichtvollzugs des angefochtenen Bescheids bis zur Entscheidung
in einem Hauptsacheverfahren nicht ersichtlich sind.
Der auf § 14e AEG gestützte Widerspruch in Nr. 1b, Ziffern 3.4.2 und 7.6 des
angefochtenen Bescheids wird mit hoher Wahrscheinlichkeit in einem
Hauptsacheverfahren keinen Bestand haben, weil er jedenfalls an einem
Ermessensdefizit leidet. Das bedingt auch die hohe Wahrscheinlichkeit der
Rechtswidrigkeit seiner Nr. 2, soweit sich die Verpflichtung auf Ziffern 3.4.2 und 7.6
bezieht, und seiner Nr. 3, so dass auch diesbezüglich das öffentliche Vollzugsinteresse
zurücktritt.
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Allerdings ist der angefochtene Bescheid nicht schon, wie die Antragstellerin meint,
wegen Anhörungsmangels verfahrensfehlerhaft. Denn zu dem Kernargument, dass die
Antragstellerin über die Durchführung von Baumaßnahmen weit früher informiert ist als
externe Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU), ist sie ausweislich des Schreibens der
Bundesnetzagentur vom 16. November 2007, Nr. 6, angehört worden. Die Motive, die
die Bundesnetzagentur zu der Annahme der früheren Information der Antragstellerin
veranlasst haben, waren nicht zwingend in der Anhörung offen zu legen.
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Zwar könnte einzuräumen sein, dass Ziffer 3.4.2 der beabsichtigten "Allgemeinen
Bedingungen für die Nutzung der Infrastruktur von Personenbahnhöfen der V. C. H. " (B.
V1. ) insoweit eine Ungleichbehandlung der externen EVU darstellt, als die
Antragstellerin als EVU von ihrer Unternehmensentscheidung über das Ob und Wie
einer Baumaßnahme zwangsläufig eher Kenntnis hat als die übrigen externen EVU, die
lediglich von einem beabsichtigten Vorhaben wissen, nicht aber dessen Beginn und
Dauer kennen. Es mag auch gegenwärtig kein sachlicher Grund ersichtlich sein,
weshalb die externen EVU nicht sofort nach der Entscheidung über das Ob und Wie der
Baumaßnahme oder regelmäßig spätestens drei Monate vor dieser über die üblichen
Medien informiert werden sollten. Ob eine Information erst spätestens vier Wochen vor
der Baumaßnahme den Zugang und die Nutzung der Bahnhöfe der Antragstellerin
vereitelt oder behindert, kann an dieser Stelle offen bleiben.
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Gleichwohl muss eine solche - nur angenommene - Unvereinbarkeit einer
Nutzungsbedingung mit Vorschriften über den Zugang zur Eisenbahninfrastruktur nicht
zwangsläufig einen Widerspruch nach § 14e AEG auslösen. Der Widerspruch liegt im
Ermessen der Bundesnetzagentur. In die Erwägungen der Behörde, ob sie von dem
Mittel des Widerspruchs Gebrauch macht, sind alle relevanten Gesichtspunkte
einzustellen. Vor allem muss die Abwägung bezogen sein auf die konkret beanstandete
Regelung der Nutzungsbedingungen und erkennen lassen, aus welchen Gründen
widersprochen und nicht von einem Widerspruch abgesehen wird. Dazu reicht nicht
aus, die Unvereinbarkeit mit Eisenbahnrecht aufzuzeigen und zu formulieren, die
Bundesnetzagentur widerspreche daher der betreffenden Ziffer und verpflichte die
Bescheidadressatin zur Anpassung, sowie nur allgemeine Ausführungen zum
Ermessen oder zu Sinn und Zweck des Diskriminierungsverbots und
Transparenzgebots zu machen.
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Im vorliegenden Fall hat die Bundesnetzagentur in Bezug auf die beanstandete Ziffer
3.4.2 B. V1. bei summarischer Betrachtung keine Abwägung im beschriebenen Sinne
durchgeführt. Nicht eingestellt in die Entscheidungsfindung über das Ob des
Widerspruchs ist, dass nicht generell - etwa auf Grund eines Förderungsverfahrens - von
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einer langfristigen, mehr als drei Monate währenden Kenntnis der Antragstellerin über
künftige Baumaßnahmen ausgegangen werden kann, dass die Eisenbahninfrastruktur
der Antragstellerin, hier nur ihre Personenbahnhöfe, nicht von der Art ist, die den
allgemeinen Wettbewerb bei ihrer Inanspruchnahme greifbar beeinflussen könnte (vgl.
in dem Zusammenhang den Bescheid des Eisenbahn-Bundesamts vom 03. Januar
2006). Außer der Antragstellerin haben - von der Bundesnetzagentur unwidersprochen -
allenfalls vier EVU die Infrastruktur der Antragstellerin in Anspruch genommen. Wenn
die Antragstellerin Baumaßnahmen an Personenbahnhöfen durchführt, wird sie diese
voraussichtlich so einrichten, dass ihr eigener Verkehr möglichst wenig beeinträchtigt
wird, wovon in gleicher Weise auch die Verkehre anderer EVU profitieren werden. Dass
Letztere wegen nur mit vierwöchigem Vorlauf angekündigter Baumaßnahmen an
Personenbahnhöfen Ersatzverkehre langfristig einrichten müssten, erscheint
fernliegend.
Nicht in die Erwägung eingestellt ist ferner, dass bei realistischer Sicht ein externes
EVU auf Grund der Voraberörterungen schon vor der Mindestinformationsfrist mit
Bahnhofsbaumaßnahmen rechnen muss und sich auf solche einstellen kann. Es ist
nicht überzeugend, dass sich ein externes EVU durch die Mindestinformationsfrist von
vier Wochen von seinem Recht auf Zugang zur Schienen- oder Serviceinfrastruktur der
Antragstellerin bzw. deren Nutzung abhalten lassen wird. Nicht eingestellt hat die
Bundesnetzagentur schließlich die Frage, ob ein externes EVU für eine Reaktion auf
eine Bahnhofsbaumaßnahme überhaupt einer dreimonatigen Ankündigungsfrist, von
der die Bundesnetzagentur ausgeht, bedarf und die dahingehende Forderung
überzogen erscheint. Immerhin hat sich nach dem unwidersprochenen Vortrag der
Antragstellerin nach den bisherigen Erfahrungen eine Vier-Wochenfrist als vollkommen
ausreichend erwiesen.
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All diese Gesichtspunkte sind ermessensrelevant und von nicht zu vernachlässigendem
Gewicht, so dass selbst bei ihrer Berücksichtigung nicht von einem Überwiegen der
einen Widerspruch gemäß § 14e AEG gebietenden öffentlichen Belange (welcher?)
ausgegangen werden kann.
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Soweit die Bundesnetzagentur der Ziffer 7.6 B. V1. widerspricht, wird dies bei
summarischer Betrachtung in einem Hauptsacheverfahren ebenfalls mit großer
Wahrscheinlichkeit keinen Bestand haben.
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Die Bundesnetzagentur widerspricht dieser aus acht Unterpunkten bestehenden Ziffer
insgesamt, obwohl sie lediglich Bedenken gegen die in Unterpunkt 3 genannte
Sicherungsmöglichkeit "Bürgschaft/Bankgarantie auf erstes Anfordern" anführt. Gegen
die übrigen Regelungen der Ziffer 7.6 hat die Bundesnetzagentur offenbar keine
Bedenken. Allein schon das führt aus gegenwärtiger Sicht zur Rechtswidrigkeit des
Widerspruchs gegen die gesamte Ziffer 7.6.
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Überdies ist die von der Antragsgegnerin angeführte eisenbahnrechtliche
Unvereinbarkeit in Form eines Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot und das
Transparenzgebot aus § 14 Abs. 1 Satz 1 AEG, § 3 Abs. 1 Satz 1 EIBV bei
summarischer Betrachtung nicht erkennbar. Alle externen EVU, die die
Serviceeinrichtung Bahnhof der Antragstellerin benutzen wollen, werden ersichtlich
gleichbehandelt; die Regelung der Ziffer 7.6.3 B. V1. ist auch transparent. Jeder externe
EVU sollte wissen, dass er Sicherheit u. a. durch Bürgschaft/Bankgarantie "auf erstes
Anfordern" anbieten kann, und was diese Sicherheiten für den Bürgen/Garanten
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rechtlich beinhalten. Ob die Regelung in Ziffer 7.6.3 B. V1. gegen § 307 BGB verstößt,
ist zweifelhaft. Die von der Bundesnetzagentur angeführte BGH- Rechtsprechung betrifft
einen anderen Fall. Ziffer 7.6.3 B. V1. belässt dem externen EVU alle üblichen
Sicherungsmittel, insbesondere auch die Bürgschaft/Bankgarantie "auf erstes
Anfordern", verpflichtet ihn aber nicht zu letzterer. Insoweit liegt nicht die Situation vor,
dass das externe EVU in einem für eine Vielzahl von Vertragsverhältnissen
vorgesehenen Regelwerk einem sehr weitreichenden Verlangen ausgesetzt wird, das er
nicht zu erwarten hat. Sollte die Antragstellerin im Einzelfall auf einer Sicherheit in Form
der Bürgschaft/Bankgarantie "auf erstes Anfordern" bestehen, bleibt die Frage der
Rechtswirksamkeit einer solchen Forderung den zuständigen Zivilgerichten überlassen.
Insoweit wird auf die Rechtsprechung des Senats im Beschluss vom 28. Januar 2008 -
13 B 2014/07 - verwiesen.
Öffentliche Belange, die nach den obigen Ausführungen gleichwohl den Fortbestand
der sofortigen Vollziehung des Bescheids der Bundesnetzagentur vom 27. November
2007, soweit er Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist, rechtfertigen, sind nicht
ersichtlich.
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Ist der Widerspruch, soweit angefochten, nicht vollziehbar, fehlt der Aufforderung zur
Abänderung der beanstandeten Ziffern der B. V1. und der Zwangsgeldandrohung die
Grundlage, so dass auch insoweit dem Begehren der Antragstellerin auf vorläufigen
Rechtsschutz zu entsprechen ist.
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Die Nebenentscheidungen folgen aus § 154 Abs. 1 VwGO und - unter Bezugnahme auf
die Streitwertrechtsprechung des Senats im Beschluss vom 28. Januar 2008 (13 B
2014/07) - auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 3, 63 Abs. 3 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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