Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 10.06.2008

OVG NRW: befreiung, kleinbus, beförderung, rundfunk, bad, materialien, musik, drucksache, datum, begriff

Oberverwaltungsgericht NRW, 19 A 2450/07
Datum:
10.06.2008
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
19. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
19 A 2450/07
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Minden, 9 K 2704/06
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen trägt die Klägerin.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in beizutreibender Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Klägerin ist eine gemeinnützige GmbH mit Sitz in M. . Dort und in angrenzenden
Gemeinden betreibt sie fünf Behindertenwohnheime, denen zum Teil
Außenwohngruppen in eigenen Häusern zugeordnet sind.
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Unter dem 22. Dezember 2005 übersandte die Klägerin dem Beklagten
Verlängerungsanträge für die Befreiung der Rundfunk- und Fernsehgeräte in ihren
Wohnheimen von der Rundfunkgebührenpflicht. Sie bezog sich auf das Senatsurteil 19
A 2349/02 vom 18. August 2004 und bat darum, auch die Autoradios in ihren insgesamt
12 steuerbefreiten Fahrzeugen, die ausschließlich zur Beförderung behinderter
Menschen dienten, „rückwirkend zum Zulassungsdatum bzw. zum Datum der
Aufhebung der Befreiung im Jahre 1999" von der Rundfunkgebühr zu befreien.
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Mit sieben Gebührenbefreiungsbescheiden vom 9. Januar 2006 entschied der Beklagte
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über die Befreiung der Rundfunk- und Fernsehgeräte in den jeweiligen Wohnheimen
und lehnte zugleich die Gebührenbefreiung für die Autoradios ab. Er verwies darauf,
dass der Gesetzgeber die bis zum 31. März 2005 in NRW geltende Befreiung für
Autoradios nicht in die seitdem geltende Fassung des Rundfunkgebührenstaatsvertrags
(RGebStV) aufgenommen habe. Eine rückwirkende Befreiung sei nicht möglich.
Gegen die ablehnenden Teile dieser Bescheide erhob die Klägerin Widerspruch und
machte im Wesentlichen geltend, die Befreiung für Autoradios in
Behindertentransportfahrzeugen gelte auch nach § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 RGebStV fort.
Dieser Befreiungstatbestand sei nahezu wortidentisch mit demjenigen des bis zum 31.
Dezember 2003 geltenden § 3 Abs. 1 Nr. 2 der Befreiungsverordnung (BefrVO NRW),
der ebenso wie jener keinen Sondertatbestand für Autoradios enthalten habe. Deshalb
sei die zu dieser Vorschrift ergangene Rechtsprechung des OVG NRW auch auf die ab
1. April 2005 geltende Rechtslage anzuwenden. Der Beklagte wies die Widersprüche
mit sieben Widerspruchsbescheiden vom 19. Juli 2006 zurück.
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Die Klägerin hat am 21. August 2006 sieben Klagen erhoben, über die die Beteiligten in
der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung einen gerichtlichen Mustervergleich des
Inhalts geschlossen haben, dass die vorliegende Klage nach den dort im Einzelnen
getroffenen Bestimmungen als Musterverfahren gelten soll. Sie betrifft das Autoradio im
Kleinbus - 556, den die Klägerin für das Wohnheim „C. II" und die Außenwohngruppe
"Altes Q. " in T. -X. einsetzt.
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Die Klägerin hat sinngemäß beantragt,
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den Beklagten zu verpflichten, ihr Rundfunkgebührenbefreiung für den Zeitraum vom 1.
Januar 2006 bis 31. Dezember 2008 für das Rundfunkgerät in dem Kleinbus - 556 und
etwaigen Ersatzfahrzeugen der Behinderteneinrichtungen „C. II" und "Altes Q. " in T. -X.
zu gewähren, und den ablehnenden Teil seines Gebührenbefreiungsbescheides vom 9.
Januar 2006 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 2006 insoweit
aufzuheben.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hat seine Ausführungen aus dem Verwaltungsverfahren wiederholt und vertieft.
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Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es unter
anderem ausgeführt: Bei dem betroffenen Autoradio handele es sich um ein
Rundfunkempfangsgerät, das im Sinne des § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 RGebStV in der
Fassung des 8. Rundfunkänderungsstaatsvertrags 'in' der Einrichtung bereit gehalten
werde. An den Ausführungen des Senats in seinem Urteil vom 18. August 2004 zu § 3
Abs. 1 Satz Nr. 2 BefrVO NRW sei festzuhalten. Der Wortlaut beider Vorschriften stimme
im Wesentlichen überein. Aus den Materialien betreffend die Zustimmung zum 8.
Rundfunkänderungsstaatsvertrag ergebe sich nicht, dass dem Landesgesetzgeber die
Problematik der Gebührenbefreiung für Transportfahrzeuge von Einrichtungen im Sinne
des § 5 Abs. 7 RGebStV bewusst gewesen sei. Er habe vielmehr einem Vertragswerk
zugestimmt, in dessen Begründung es ausdrücklich heiße, dass mit der Neuregelung
eine materielle Änderung nicht verbunden sei. Die weiteren in der Begründung
enthaltenen Ausführungen zur Befreiung von Rundfunkempfangsgeräten, die in den
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Einrichtungen "stationär" bereit gehalten würden, beträfen lediglich den Normalfall der
Gebührenbefreiung.
Der Beklagte begründet seine vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung im
Wesentlichen wie folgt: Nach § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 RGebStV würden
Rundfunkempfangsgeräte in Kraftfahrzeugen von befreiungswürdigen Einrichtungen
nicht befreit. Eine ausdrückliche Befreiungsregelung für Radios in Fahrzeugen von
befreiungswürdigen Einrichtungen habe der nordrhein-westfälische Gesetzgeber mit
Wirkung zum 1. Januar 2004 in die BefrVO NRW aufgenommen, und § 5 Abs. 7
RGebStV enthalte eine solche Sonderregelung nicht mehr. Hinzu komme, dass das
Land Nordrhein-Westfalen sich bei den Verhandlungen über die Neufassung des § 5
Abs. 7 RGebStV nicht mit dem Anliegen habe durchsetzen können, eine
Gebührenbefreiung auch für Autoradios in Fahrzeugen von befreiungswürdigen
Einrichtungen zu regeln. Der Landtag habe seine Zustimmung zum 8.
Rundfunkänderungsstaatsvertrag auf der Grundlage der staatsvertraglichen
Begründung erteilt. Aus dieser Begründung ergebe sich, dass die Geräte von der
Gebührenbefreiung erfasst seien, die stationär bereitgehalten würden. Dass nach der
Begründung mit der Neuregelung keine materielle Änderung verbunden gewesen sein
sollte, stehe nicht entgegen. Das Fehlen einer Gebührenbefreiung für Autoradios
entspreche nämlich der vorangegangenen Rechtslage in anderen Bundesländern. Um
den Zweck der Befreiungsregelung erreichen zu können, bedürfe es nicht zwingend
einer Befreiung auch von Radios in den jeweiligen Fahrzeugen. Denn die betroffenen
Personen würden sich dort nur vorübergehend aufhalten. Musik könne in den
Fahrzeugen auch mit einem Kassettenrekorder abgespielt werden.
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In der zweitinstanzlichen mündlichen Verhandlung hat die Klägerin klargestellt, dass
Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens die Gebührenbefreiung für das Autoradio im
Kleinbus - 556 und etwaige Ersatzfahrzeuge von Anfang an nur für die Kalenderjahre
2006 bis 2008 habe sein sollen; den Befreiungsantrag vom 22. Dezember 2005 habe
sie gerichtlich nicht weiterverfolgen wollen, soweit er sich auf Zeiträume vor 2006
bezogen habe.
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Der Beklagte beantragt,
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das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie trägt im Wesentlichen vor: Aus dem Wortlaut des § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 RGebStV
ergebe sich nicht, dass die Befreiung auf stationär bereit gehaltene Geräte beschränkt
worden sei. Anderenfalls hätte der Gesetzgeber eine solche Einschränkung in den
Gesetzestext aufnehmen müssen. Der Gesetzgeber habe in der staatsvertraglichen
Begründung deutlich gemacht, dass er die Sonderregelung betreffend eine
Gebührenbefreiung von Autoradios nicht habe aufheben wollen. Darin heiße es
nämlich, dass keine Änderung der bisherigen Rechtslage betreffend die
Gebührenbefreiung eintreten sollte. Einer Beschränkung auf stationär bereit gehaltene
Geräte stünden auch Sinn und Zweck der Befreiungsregelung entgegen. Warum den
betreuten Personen die Gelegenheit zur kostenlosen Teilnahme am Rundfunk nicht
auch während ihrer teilweise mehrstündigen Beförderung eröffnet werden solle, sei
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nicht nachvollziehbar. Es bestünden zudem Abgrenzungsschwierigkeiten bei der Frage,
wann ein Gerät stationär bereitgehalten werde. Denn viele Geräte könnten ohne
Probleme transportiert werden. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass Musik während
der Beförderung behinderter Menschen auf diese eine beruhigende Wirkung ausübe.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens
der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden
Verfahrens und des Verfahrens 9 K 2697/06 VG Minden sowie des beigezogenen
Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die durch das Verwaltungsgericht nach den §§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3
VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassene und auch
sonst zulässige Berufung des Beklagten ist begründet. Die Klage ist zulässig, aber
unbegründet. Sie betrifft, wie die Klägerin in der zweitinstanzlichen mündlichen
Verhandlung klargestellt hat, die Rundfunkgebührenbefreiung für das Rundfunkgerät in
dem Kleinbus - 556 und etwaigen Ersatzfahrzeugen der Behinderteneinrichtungen „C.
II" und "Altes Q. " in T. -X. ausschließlich für den Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis 31.
Dezember 2008. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten zu Unrecht unter
Aufhebung des insoweit ablehnenden Teils seines Gebührenbefreiungsbescheides
vom 9. Januar 2006 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 2006
verpflichtet, der Klägerin diese Rundfunkgebührenbefreiung zu gewähren. Der
ablehnende Teil des genannten Bescheides ist im angefochtenen Umfang rechtmäßig
und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, weil sie keinen Anspruch auf die
beantragte Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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Der Befreiungsanspruch ergibt sich nicht aus § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 des
Rundfunkgebührenstaatsvertrages (RGebStV) in der seit dem 1. April 2005 geltenden
Fassung des Art. 5 Nr. 5 des Achten Staatsvertrages zur Änderung rundfunkrechtlicher
Staatsverträge (8. Rundfunkänderungsstaatsvertrag) vom 8. März 2005, GV. NRW. S.
192. Nach dieser Vorschrift wird eine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht auf
Antrag für Rundfunkempfangsgeräte gewährt, die in Einrichtungen für behinderte
Menschen, insbesondere in Heimen, in Ausbildungsstätten und in Werkstätten für
behinderte Menschen, für den jeweils betreuten Personenkreis ohne besonderes
Entgelt bereitgehalten werden. Das Autoradio im Kleinbus der
Behinderteneinrichtungen „C. II" und "Altes Q. " gehört nicht zu den
Rundfunkempfangsgeräten, die dieser Befreiungstatbestand erfasst. Denn die Klägerin
hält es nicht, wie er voraussetzt, „in der Einrichtung" bereit. Dieses Tatbestandsmerkmal
erfasst nicht Radios in Kraftfahrzeugen, die ausschließlich der Beförderung der
behinderten Bewohner einer bestimmten Einrichtung für Behinderte im Rahmen der
Betreuungszwecke dieser Einrichtung dienen.
23
Ebenso VG Köln, Urteil vom 21. September 2006 - 6 K 6770/05 -, juris, Rdnrn. 20 ff.;
Göhmann/ Naujock/Siekmann, in: Hahn/Vesting, Beck´scher Kommentar zum
Rundfunkrecht, 2. Aufl. 2008, RGebStV § 5 Rdnr. 65, m.w.N.; in der Tendenz auch VGH
Bad.-Württ., Urteil vom 30. Juni 2005 - 2 S 395/04 -, juris, Rdnr. 31.
24
Das ergibt sich vor allem aus einer historischen und genetischen Auslegung des § 5
Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 RGebStV. Anders als das Verwaltungsgericht ist der Senat der
Überzeugung, dass sich der Landesgesetzgeber mit seiner Zustimmung zum 8.
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Rundfunkänderungsstaatsvertrag bewusst gegen die Fortführung der Befreiung von
Autoradios in Fahrzeugen von Behinderteneinrichtungen entschieden hat. Die
Befreiung solcher Autoradios war zuvor in Nordrhein-Westfalen ausdrücklich geregelt (§
3 Abs. 1 Satz 2 BefrVO NRW in der seit dem 1. Januar 2004 geltenden Fassung des Art.
8 Nr. 3 des Gesetzes zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung vom 16.
Dezember 2003, BefrVO NRW 2003, GV. NRW. S. 766). Wenn der Landesgesetzgeber
in dieser Situation für die Zeit ab 1. April 2005 einer staatsvertraglichen Regelung
zugestimmt hat, die im Gegensatz zur damaligen Rechtslage in NRW eine
ausdrückliche Befreiung solcher Autoradios nicht enthält, so legt das den Schluss nahe,
dass er im Interesse einer bundeseinheitlichen Regelung von einer Fortführung dieser
Gebührenbefreiung Abstand genommen hat. Auch die Landesregierung NRW hat
bestätigt, dass sie sich mit ihrer ursprünglichen Absicht bei den übrigen Bundesländern
nicht durchsetzen konnte, diese Gebührenbefreiung auch in die Neufassung des
Rundfunkgebührenstaatsvertrages aufzunehmen und damit auch auf alle anderen
Bundesländer auszudehnen (Stellungnahme der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-
Westfalen vom 19. September 2006, wiedergegeben im Urteil des Verwaltungsgerichts
Köln vom 21. September 2006 - 6 K 6770/05 -, NWVBl. 2007, 162, 163; juris, RdNr. 27).
Zudem stützt die Begründung zu Art. 5 Nr. 5 des 8. Rundfunkänderungsstaats-vertrags
das Auslegungsergebnis. Auch dieser staatsvertraglichen Begründung, die dem
Landtag bei seiner Zustimmung zu dem Staatsvertrag (Art. 66 Satz 2 Verf NRW)
vorgelegen hat, kommt für die Auslegung des § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 RGebStV
maßgebliche Bedeutung zu. Denn die gemeinsame amtliche, wortgleich in den
Landtagsdrucksachen niedergelegte Begründung ist angesichts der vielschichtigen
Motivationen der Beteiligten der einzig verlässliche Anhaltspunkt für den Willen der
Ländergesamtheit.
26
Vgl. BVerfG, Urteil vom 11. September 2007
27
- 1 BvR 2270/05 u. a. -, juris, Rdnr. 168.
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In der Begründung zu § 5 Abs. 7 Satz 1 RGebStV heißt es ausdrücklich, von dieser
Befreiungsmöglichkeit würden die Rundfunkempfangsgeräte erfasst, „die in derartigen
Betrieben bzw. Einrichtungen stationär bereit gehalten werden."
29
Landtags-Drucksache 13/6202, S. 41.
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In dieser Begründung kommt hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass sich die
Gebührenbefreiung nur auf solche Rundfunkempfangsgeräte beziehen soll, die in einem
zu der jeweiligen Einrichtung gehörenden Gebäude an einen festen Standort gebunden
bereitgehalten werden.
31
Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 30. Juni 2005 - 2 S 395/04 -, juris, Rdnr. 31.
32
Hiervon ausgehend greift der Einwand der Klägerin, es bestünden
Abgrenzungsschwierigkeiten bei der Bestimmung von stationär bereitgehaltenen
Rundfunkempfangsgeräten, weil viele Geräte transportabel seien, nicht durch. Es kommt
nach der staatsvertraglichen Begründung für eine Gebührenbefreiung nicht darauf an,
ob die jeweiligen Geräte transportiert werden können, sondern ob diese in den
Räumlichkeiten der jeweiligen Einrichtung bereitgehalten werden.
33
Ein anderes Verständnis der staatsvertraglichen Begründung ergibt sich nicht aus der
vorangehenden Bemerkung der Begründung, § 5 Abs. 7 bis 9 RGebStV betreffe die
bisher in § 3 Abs. 1 der Befreiungsverordnungen vorgesehenen Befreiungstatbestände,
und eine materielle Änderung sei damit nicht verbunden. Diese Aussage bezieht sich
auf alle materiell- rechtlichen Regelungen des § 5 Abs. 7 bis 9 RGebStV. Vergleicht
man die in § 5 Abs. 7 Satz 1 und Abs. 8 RGebStV geregelten materiellen
Befreiungsvoraussetzungen in ihrer Gesamtheit mit dem in den Bundesländern bis zum
31. März 2005 geltenden Recht, ist festzustellen, dass mit der Neuregelung insoweit
jedenfalls im Wesentlichen, das heißt bezogen auf die große Mehrzahl der
Befreiungstatbestände und die große Mehrzahl der Bundesländer keine Änderung
verbunden war. Dies gilt auch im Hinblick auf eine Befreiung für Rundfunkgeräte in
Kraftfahrzeugen befreiungswürdiger Einrichtungen. Soweit ersichtlich, war Nordrhein-
Westfalen nämlich das einzige Bundesland, in dem es bis zum Inkrafttreten des 8.
Rundfunkänderungs-staatsvertrags am 1. April 2005 einen dahin gehenden
Befreiungstatbestand gab. Zudem liegt obergerichtliche Rechtsprechung, aufgrund
derer Rundfunkgebührenbefreiung für Radios in Fahrzeugen von befreiungswürdigen
Einrichtungen trotz Fehlens eines dem entsprechenden ausdrücklichen
Gebührenbefreiungstatbestandes zu gewähren war, lediglich aus zwei Bundesländern
vor.
34
Vgl. OVG Rh.-Pf., Urteil vom 28. März 2002 - 12 A 11623/01 -, juris; Nds. OVG, Urteil
vom 21. September 1999 - 10 L 2704/99 -, juris; gegen eine derartige
Gebührenbefreiung: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 30. Juni 2005 - 2 S 395/04 -, juris;
BayVGH, Urteil vom 18. April 2002 - 7 B 01.2382 -, juris.
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Vor diesem Hintergrund kann auch dem nordrhein-westfälischen Landtag bei seiner
Zustimmung zum 8. Rundfunkänderungsstaatsvertrag entgegen der Auffassung des
Verwaltungsgerichts nicht unterstellt werden, er sei sich der Rechtsänderung betreffend
die Gebührenbefreiung für Rundfunkgeräte in Fahrzeugen von befreiungswürdigen
Einrichtungen nicht bewusst gewesen. Im Gegenteil liegen, wie sich aus den
vorstehenden Ausführungen zur historischen und genetischen Auslegung ergibt,
hinreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass der Landtag dem 8.
Rundfunkänderungsstaatsvertrag in Kenntnis dieser Problematik zugestimmt hat.
Unbeachtlich ist deshalb, dass diese in den Materialien betreffend das
Zustimmungsverfahren im Sinne des Art. 66 Satz 2 Verf NRW keine ausdrückliche
Erwähnung gefunden hat.
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Das Auslegungsergebnis steht auch mit dem Zweck des § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2
RGebStV im Einklang. Dieser Zweck besteht ebenso wie bei § 3 Abs. 1 Nr. 2 BefrVO
NRW 1993 darin, dem anstalts- oder heimmäßig untergebrachten Personenkreis, der
sich dort regelmäßig über einen längeren zusammenhängenden Zeitraum aufhält, durch
die damit eröffnete Gelegenheit zur kostenlosen Teilnahme am Rundfunk Ersatz für die
nicht mögliche Teilnahme am öffentlichen, sozialen und kulturellen Leben zu
verschaffen.
37
Landtags-Drucksache 13/6202, S. 41; zu § 3 Abs. 1 Nr. 2 BefrVO NRW 1993 vgl. OVG
NRW, Urteil vom 18. August 2004 - 19 A 2349/02 -, juris, Rdnrn. 33 ff.
38
Diese Ersatzfunktion der Gebührenbefreiung wird durch die Nichteinbeziehung auch der
Autoradios in Fahrzeugen von Behinderteneinrichtungen nicht durchgreifend
beeinträchtigt. In erster Linie wird sie durch die Gebührenbefreiung für diejenigen
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Rundfunkempfangsgeräte gewährleistet, die der Träger in den Räumlichkeiten seiner
Einrichtung „stationär" verwendet. Diese Hauptfunktion der Gebührenbefreiung bleibt
durch die Nichteinbeziehung auch der Autoradios in seinen Fahrzeugen unangetastet.
Auch der Wortlaut des § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 RGebStV steht diesem
Auslegungsergebnis nicht entgegen. Insbesondere ergibt sich nichts Anderes daraus,
dass der Senat zu der wortlautidentischen Vorschrift in § 3 Abs. 1 Nr. 2 BefrVO NRW
1993 entschieden hat, auch Autoradios in Fahrzeugen von Behinderteneinrichtungen
seien Rundfunkempfangsgeräte, die „in der Einrichtung" bereitgehalten werden.
40
OVG NRW, Urteil vom 18. August 2004 - 19 A 2349/02 -, juris, Rdnrn. 16 ff.
41
Denn der staatsvertragsrechtliche und damit bundeseinheitliche, aber gleichwohl
landesrechtliche Begriff des Bereithaltens „in der Einrichtung" in § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2
RGebStV ist, soweit es um Autoradios in Fahrzeugen von Behinderteneinrichtungen
geht, nicht identisch mit dem gleichlautenden früheren landesrechtlich individuellen
Begriff in § 3 Abs. 1 Nr. 2 BefrVO NRW 1993. Für die Auslegung jenes Begriffes kommt
es nämlich nicht allein auf die Übereinstimmung im Wortlaut an, sondern auch auf die
historische und genetische Auslegung, die hier zu dem dargelegten Ergebnis führt. Im
Gegensatz zu § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 RGebStV hatte der Landesgesetzgeber unter
Geltung des § 3 Abs. 1 Nr. 2 BefrVO NRW 1993 keine konkret auf Autoradios in
Fahrzeugen von Behinderteneinrichtungen bezogene bewusste Entscheidung getroffen.
42
Die Nichteinbeziehung auch der Autoradios in Fahrzeugen von
Behinderteneinrichtungen in die Gebührenbefreiung nach § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2
RGebStV ist schließlich auch mit dem Benachteiligungsverbot für Behinderte in Art. 3
Abs. 3 Satz 2 GG vereinbar.
43
Der Gesetzgeber war insbesondere nicht aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG heraus
verpflichtet, für die in § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 RGebStV genannten
Behinderteneinrichtungen eine Sonderregelung zu treffen, um speziell die für diesen
Personenkreis verwendeten Rundfunkempfangsgeräte weitergehend von der
Rundfunkgebührenpflicht zu befreien als die für Nichtbehinderte verwendeten Geräte.
Einer solchen Bevorzugung, etwa mit dem Ziel einer Angleichung der Verhältnisse von
Nichtbehinderten und Behinderten, steht Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG nicht entgegen,
gebietet sie jedoch auch nicht ohne Weiteres.
44
BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 1997 - 1 BvR 9/97 -, juris, Rdn. 68.
45
Der Gesetzgeber hat bei seiner Entscheidung darüber, inwieweit und mit welchen
rechtlichen Mitteln er eine solche Kompensation gewähren will, vielmehr einen
Gestaltungsspielraum, bei dem er auch andere Gemeinschaftsbelange berücksichtigen
und sich die Möglichkeit erhalten muss, die nur begrenzt verfügbaren öffentlichen Mittel
für solche anderen Belange einzusetzen, wenn er dies für erforderlich hält.
46
BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 1997 - 1 BvR 9/97 -, juris, Rdn. 74, 75.
47
Mit der Erwägung, nur die „stationären" Rundfunkempfangsgeräte, nicht aber auch die
Autoradios in Fahrzeugen von Trägern von Einrichtungen mit heimmäßiger
Unterbringung zu befreien, hat der nordrhein-westfälische Gebührengesetzgeber diesen
Gestaltungsspielraum willkürfrei ausgefüllt. Willkür ist schon deshalb nicht erkennbar,
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weil die Nichteinbeziehung der Autoradios in die Gebührenbefreiung Behinderte und
Nichtbehinderte in Einrichtungen mit heimmäßiger Unterbringung in gleicher Weise
betrifft. Denn die Nichteinbeziehung der Autoradios erfasst nicht nur die in Nr. 2 des § 5
Abs. 7 Satz 1 RGebStV genannten Behinderteneinrichtungen, sondern ebenso auch
alle anderen Einrichtungen, die in dieser Vorschrift aufgezählt sind (z. B. Krankenhäuser
und Jugendhilfeeinrichtungen) und in denen auch Nichtbehinderte untergebracht sind.
Insofern sind Behinderte von der Nichteinbeziehung solcher Autoradios in die
Gebührenbefreiung nicht anders betroffen als Nichtbehinderte in Einrichtungen im Sinne
des § 5 Abs. 7 Satz 1 RGebStV. Eine vollständige Gleichstellung von Nichtbehinderten
außerhalb von Einrichtungen sowie von Behinderten und Nichtbehinderten in
Einrichtungen im Sinne des § 5 Abs. 7 Satz 1 RGebStV ist weder nach Art. 3 Abs. 3
Satz 2 GG noch nach Art. 3 Abs. 1 GG geboten.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht
auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen
nicht vor.
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