Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 24.02.1998

OVG NRW (baulinie, fläche, wirtschaftliche einheit, bebauungsplan, teil, linie, grundstück, abwasseranlage, anlage, 1995)

Oberverwaltungsgericht NRW, 15 A 6436/96
Datum:
24.02.1998
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
15. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
15 A 6436/96
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 5 K 7032/95
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Der Beschluß ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 9.896,25 DM
festgesetzt
G r ü n d e :
1
I.
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Wegen des erstinstanzlichen Sachverhalts wird auf den Tatbestand des angefochtenen
Urteils Bezug genommen (§ 130 b Satz 1 VwGO).
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Gegen das der Klage stattgebende Urteil des Verwaltungsgerichts hat der Beklagte
rechtzeitig Berufung eingelegt. Er trägt vor: Die veranlagte Teilfläche des Flurstücks 22
sei als Hinterliegergrundstück eine selbständige wirtschaftliche Einheit und in
Übereinstimmung mit dem Bebauungsplan bebaubar. Der Bebauungsplan sehe nicht
zwingend eine Erschließung zur I. straße nach Norden hin vor. Aus der Ausrichtung der
überbaubaren Flächen könne für die Erschließung nichts abgeleitet werden. Die
Festlegung des Mülltonnenstandplatzes betreffe das veranlagte klägerische Grundstück
nicht, wenn lediglich die Bebauungsmöglichkeit innerhalb des bestehenden
Grundstückszuschnitts ausgenutzt werde. Im übrigen schließe die Festlegung des
Mülltonnenstandplatzes eine anderweitige Aufstellung nicht aus. Die Erschließung des
veranlagten Grundstücks könne nach Westen über die bebauten Teile des Flurstücks 22
erfolgen. Die festgesetzte Baulinie auf den Nachbargrundstücken sei unerheblich. Die
veranlagte Fläche könne als eigenständiges Baugrundstück selbständig bebaut
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werden. Allein der auf den Nachbargrundstücken gelegene Teil des Bauteppichs werde
durch eine Baulinie abgeschlossen, so daß diese für die selbständige Bebauung des
klägerischen Grundstücks keine Bedeutung habe. Eine andere Beurteilung würde der
Baulinie entgegen ihrem Regelungszweck ein Baugebot beimessen.
Der Beklagte beantragt,
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das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie trägt vor: Der Beklagte habe ursprünglich ein Umlegungsverfahren angeordnet,
dieses dann jedoch abgebrochen. Jetzt sei eine Änderung des Bebauungsplanes
beabsichtigt, um ein neues Umlegungsverfahren einzuleiten. Es sei unzulässig, den
jetzigen Zwischenzustand zur Veranlagung zu Kanalanschlußbeiträgen zu nutzen. Im
übrigen ergebe sich aus dem Bebauungsplan, daß offensichtlich eine Erschließung der
Blockbebauung nach Norden hin gewollt sei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten
im übrigen wird auf den Inhalt der Verfahrensakte und der dazu beigezogenen
Unterlagen Bezug genommen.
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II.
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Der Senat entscheidet nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluß gemäß § 130 a
VwGO, dessen Voraussetzungen vorliegen.
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Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht
stattgegeben, da der angefochtene Bescheid rechtswidrig und die Klägerin dadurch in
ihren Rechten verletzt ist (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Der Bescheid vom 6. März 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.
Juni 1995 ist rechtswidrig, da die Beitragspflicht für die veranlagte Fläche nicht
entstanden ist. Gemäß § 1 Abs. 2 der Satzung über Anschlußbeiträge für die
Herstellung, Anschaffung und Erweiterung der öffentlichen Abwasseranlage der
Landeshauptstadt Düsseldorf vom 21. Juli 1981 in der Fassung der ersten
Änderungssatzung vom 25. Juni 1985 sind Gegenstand der Beitragspflicht Grundstücke,
die an die öffentliche Abwasseranlage angeschlossen werden können und für die eine
bauliche oder gewerbliche Nutzung festgesetzt ist, sobald sie entsprechend genutzt
werden können. An letzterem fehlt es.
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Der Bebauungsplan Nr. 5770/11 setzt für den hier in Rede stehenden Bereich durch
eine Baulinie und Baugrenzen eine überbaubare Fläche fest, die sich von dem
veranlagten Grundstücksteil über die Nachbargrundstücke Flurstück 19 und 166 zur I.
straße nach Norden erstreckt. Dabei ist zur I. straße - auf den benachbarten, nicht der
Klägerin gehörenden Flurstücken - eine Baulinie festgesetzt, während die überbaubare
Fläche im übrigen, insbesondere auf dem Flurstück der Klägerin, allein durch
Baugrenzen ausgewiesen ist. Daraus ergibt sich, daß auf der veranlagten Fläche nur so
gebaut werden darf, daß das Gebäude Teil eines Baukörpers ist, der auf der Baulinie
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gebaut ist (§ 23 Abs. 2 Satz 1 BauNVO). Eine solche Bebauung existiert zur Zeit nicht.
Eine Bebauung innerhalb der überbaubaren Fläche ohne eine Bebauung auf der
Baulinie ist unzulässig. Die vom Beklagten dagegen erhobenen Einwände greifen nicht
durch: Ob der Teil des klägerischen Grundstücks, auf dem der südliche Teil der
überbaubaren Fläche liegt, nach den gegenwärtigen Grundstücksgrenzen ein
eigenständiges Baugrundstück darstellt, ist für die Pflicht, auf der Baulinie zu bauen,
unerheblich. Wie der Beklagte zu Recht selbst ausführt, gelten Baulinien und
Baugrenzen unabhängig von Grundstücksgrenzen.
Vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Loseblattsammlung (Stand: 1. Juni 1997), § 23
Rdnr. 30.
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Die Bebauungsmöglichkeit für den veranlagten Grundstücksteil unterscheidet sich - was
die Einhaltung der Pflicht, auf der Baulinie zu bauen, betrifft - deshalb nicht von der für
eine Grundstückssituation, in der die gesamte überbaubare Fläche auf einem
Grundstück liegt.
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Allenfalls wird man erwägen können, ob die parallel zur Baulinie in der Mitte der
überbaubaren Fläche eingezeichnete gestrichelte Linie die Wirkung der Baulinie
räumlich begrenzen soll. Das ist jedoch zu verneinen: Ausweislich der Legende des
Bebauungsplans und nach den in der Planzeichenverordnung verwendeten Zeichen
setzt eine solche Linie nichts fest, sondern macht gewöhnlich nur einen unverbindlichen
Bebauungsvorschlag, hier wohl in Form eines Doppelhauses. Das wird bestätigt durch
die in gleicher Weise durch eine Baulinie und Baugrenzen gebildete benachbarte
überbaubare Fläche, die durch zwei gestrichelte Linien in drei Teile unterteilt wird und
für die damit die Errichtung einer Hausgruppe vorgeschlagen wird. Sollte mit der
gestrichelten Linie die räumliche Begrenzung der Baulinie bezweckt sein, wäre die
zweite, hintere gestrichelte Linie unnötig und deshalb unverständlich.
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Schließlich trägt auch der vom Beklagten genannte Beispielsfall eines durch
Baugrenzen und seitliche Baulinien gebildeten Bauteppichs über mehrere
Baugrundstücke hinweg an einer Anbaustraße zwischen zwei einmündenden Straßen
kein anderes Ergbnis. Wenn innerhalb einer durch Baugrenzen und Baulinien
gebildeten Fläche sich die räumliche Wirkung der Baulinien nicht über den gesamten
hinter ihnen liegenden Bereich erstrecken soll, bedarf dies der Festsetzung, die
jedenfalls nicht aus existierenden Grundstücksgrenzen abgeleitet werden kann.
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Da der Beitrag eine Gegenleistung für den durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme
der Anlage gewährten wirtschaftlichen Vorteil des Grundstückseigentümers ist (§ 8 Abs.
2 Satz 2 KAG NW), kann er nur erhoben werden, wenn die Inanspruchnahme der
Anlage nur noch vom Willen des Grundstückseigentümers abhängt. Somit muß die
Satzungsbestimmung "sobald sie (also die Grundstücke) entsprechend genutzt werden
können" dahingehend ausgelegt werden, daß die Möglichkeit der - einen Bedarf für
einen Kanalanschluß nach sich ziehenden - baulichen oder gewerblichen Nutzung
allein vom Willen des Grundstückseigentümers abhängt. Das ist hier nicht der Fall, weil
- wie oben ausgeführt - die Bebauungsmöglichkeit für das klägerische Grundstück von
der Bebauung bis zur Baulinie auf den Nachbargrundstücken abhängt.
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Die vom Beklagten erwähnte Möglichkeit der Befreiung von der Baulinie vermag die
Bebaubarkeit nicht herzustellen, da eine solche Befreiung nicht erteilt ist.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 709 Nr. 10, 713 ZPO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht vorliegen.
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Die Streitwertentscheidung ergibt sich aus §§ 13 Abs. 2, 14 Abs. 1 GKG.
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