Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 04.07.2001

OVG NRW: grundsatz der transparenz, behörde, unternehmen, akteneinsicht, verweigerung, wettbewerber, berechtigung, rechtsschutz, geheimnisschutz, verzicht

Oberverwaltungsgericht NRW, 13 E 190/01
Datum:
04.07.2001
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 E 190/01
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 1 K 1749/99
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird teilweise geändert.
Die Beteiligte ist berechtigt, die - eine Akteneinsicht der Klägerinnen
ermöglichende - Vorlage der vom Vermerk des Bundesministeriums für
Wirtschaft und Technologie vom 29. Dezember 1999 - VII A 3 16 08
03/05 - und von seinem Schreiben vom 8. Januar 2001 - VII A 3-16 08
03/05 - erfassten Verwaltungsvorgänge Bände VG 1 bis 5
"Geschäftsgeheimnisse der DTAG" zu verweigern, wenn nicht der
erstinstanzliche Vorsitzende ihr die Ablehnung einer von den
Klägerinnen gegenwärtig oder zukünftig beantragten Einsicht in diese
Vorgänge zusichert oder die Klägerinnen einen verbindlichen Verzicht
auf Akteneinsicht erklären.
Die außergerichtlichen Kosten des Zwischenverfahrens beider
Rechtszüge einschließlich derjenigen der Beigeladenen und der
Beteiligten tragen die Klägerinnen; Gerichtsgebühren werden nicht
erhoben.
G r ü n d e :
1
Die zulässigen Beschwerden sind begründet.
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Die Beteiligte ist zur Verweigerung der Vorlage - auch - der Verwaltungsvorgänge
Bände VG 1 bis 5 "Geschäftsgeheimnisse der DTAG" nach Maßgabe des Tenors
berechtigt.
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Der Senat hat mit Beschluss vom 23. November 2000 - 13 E 276/00 - entschieden, dass
im telekommunikationsrechtlichen Entgeltrechtsstreit über die Berechtigung der
Behörde zur Verweigerung der Vorlage von Geheimnisse enthaltenden
Verwaltungsvorgängen in einem "in camera"-Verfahren im Sinne der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts, Beschluss vom 27. Oktober 1999 - 1 BvR 385/90 -,
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BVerfGE 101, 106, zu entscheiden ist. Hieran hält der Senat trotz der vom
Verwaltungsgericht im angefochtenen Beschluss geäußerten Einwände fest. Dabei geht
er davon aus,
1. dass dem Verwaltungsgericht eine Prüfung, ob die Verwaltungsvorgänge überhaupt
Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse enthalten und welche Bedeutung diesen zukommt,
ohne deren Vorlage nicht möglich ist;
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2. dass das Bundesverfassungsgericht in seinem o.a. Beschluss - Tenor zu 1. - mit
Bindungswirkung für die Gerichte § 99 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 VwGO nach
Maßgabe der dortigen Gründe für mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar erklärt, die
Rechtsschutzbeschränkung durch die vorgenannten Vorschriften für mit dem Grundsatz
der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbar bezeichnet - a.a.O. 127 - und ausdrücklich von
der Verfassungswidrigkeit des § 99 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 VwGO
gesprochen hat - a.a.O. 131 -;
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3. dass das Bundesverfassungsgericht die genannten Regelungen verfassungsrechtlich
zwar lediglich in denjenigen Fällen beanstandet hat, in denen die Gewährung effektiven
Rechtsschutzes von der Kenntnis geheim gehaltener Verwaltungsvorgänge abhängt,
und einen solchen Fall namentlich - a.a.O. 131 -, d.h. insbesondere bei einem Begehren
nach Auskunft über den Akteninhalt gegeben sieht, was aber weitere
Fallkonstellationen mit gleichem Interessenkonflikt nicht ausschließt;
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4. dass der vorliegende Ausgangsrechtsstreit eine Interessenproblematik aufweist, die
der vergleichbar ist, die dem vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall
zugrunde lag, weil für den Wettbewerber im Streit wegen telekommunikationsrechtlicher
Entgeltregulierung die Kenntnis der vom regulierten Unternehmen vorgelegten - ggf.
Geheimnischarakter tragenden - Kostennachweise zunächst im Vordergrund steht und
die Ermittlung der richtigen Entgeltbeträge nach Kenntnis der nachgewiesenen
Kostenpositionen im Wesentlichen ein Rechenvorgang ist, so dass die Konstellation der
Interessen im vorliegenden Ausgangsrechtsstreits der vom Bundesverfassungsgericht
beurteilten sehr nahe kommt und jedenfalls die zu lösende Interessenkollission die
gleiche ist und nicht davon abhängt, ob mit Kenntnis der Prozesspartei von dem Inhalt
der Verwaltungsvorgänge eine Hauptsachenerledigung eintritt;
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5. dass er - der Senat - nicht gehindert ist, nach vom Bundesverfassungsgericht
erkannter Verfassungswidrigkeit einer prozessualen Regelung eine erforderliche
Zwischenlösung bis zur gesetzlichen Neuregelung in der vom
Bundesverfassungsgericht selbst aufgezeigten Weise vorzunehmen, worin ein
Wahrnehmen bundesverfassungsgerichtlicher Kompetenz nicht gesehen werden kann,
dass er wohl aber an der weiteren uneingeschränkten Anwendung einer vom
Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig erkannten Regelung gehindert ist, so
dass, wie vom Verwaltungsgericht richtig erkannt, eine Entscheidung nach § 99 Abs. 2
Satz 1 VwGO nicht möglich ist;
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6. dass mit dem Bundesverfassungsgericht - a.a.O. - ein "in camera"-Verfahren den
Zwischenstreit nach § 99 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 VwGO über die
Glaubhaftmachung der gesetzlichen Verweigerungsvoraussetzungen entbehrlich macht.
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Das Verfahren zur Prüfung der Berechtigung zur Verweigerung der Vorlage der
Verwaltungsvorgänge, wobei der Begriff Vorlage wegen des inneren Zusammenhangs
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von § 99 Abs. 1 Satz 1 und § 100 Abs. 1 VwGO als uneingeschränkte, der Akteneinsicht
der Prozessparteien zugängliche Vorlage im Sinne einer Offenlegung für die Parteien
zu verstehen ist, gestaltet sich aus Sicht des Senats wie folgt:
Der erstinstanzliche Vorsitzende sichert der Behörde, die die im zuvor beschriebenen
Sinne uneingeschränkte Vorlage der Verwaltungsvorgänge verweigert, eine "in
camera"-Prüfung der Verweigerungsberechtigung anhand der ihm hierzu zu
präsentierenden Vorgänge zu. Seine Entscheidung über die
Verweigerungsberechtigung kann mit der Beschwerde angefochten werden. Ist die
fehlende Berechtigung einer Vorlageverweigerung rechtskräftig festgestellt, stehen die
Verwaltungsvorgänge dem Spruchkörper - d.h. allen mitwirkenden Richtern - für die im
Ausgangsverfahren vorzunehmende Rechtskontrolle zur Verfügung und können die
Prozessbeteiligten auf Antrag in sie Akteneinsicht nach § 100 Abs. 1 VwGO nehmen. Ist
dagegen die Berechtigung zur Verweigerung der im beschriebenen Sinne
uneingeschränkten Vorlage der Verwaltungsvorgänge rechtskräftig festgestellt, folgt
daraus konsequenterweise eine Verpflichtung der Behörde zur lediglich
eingeschränkten Präsentation der Vorgänge, und zwar ausschließlich zum Zwecke der
Einsichtnahme durch den Spruchkörper - mithin aller mitwirkenden Richter - im Rahmen
der Rechtsprüfung im Ausgangsverfahren ohne die Möglichkeit der Akteneinsicht der
Prozessbeteiligten nach § 100 Abs. 1 VwGO, d. h. zur "in camera"-Einsicht des Gerichts.
Diese rechtliche Konsequenz kann bereits im die Berechtigung zur Verweigerung einer
uneingeschränkten Vorlage zuerkennenden Beschluss oder danach vom
erstinstanzlichen Vorsitzenden durch klarstellende Verfügung des Vorsitzenden an die
Prozessbeteiligten und die Behörde festgestellt werden. Mit der rechtskräftigen
Entscheidung über das Durchgreifen der Geheimhaltungspflicht und damit über das
Zurücktreten des Akteneinsichtsrechts der Beteiligten aus § 100 Abs. 1 VwGO sowie
ihres Rechts aus § 108 Abs. 2 VwGO auf ausschließliche Entscheidungsgrundlagen, zu
denen sie sich äußern konnten, entfällt für die Behörde die innere Rechtfertigung, die
Geheimnisse beinhaltenden Verwaltungsvorgänge auch einer "in camera"-Behandlung
durch den Spruchkörper vorzuenthalten und sie zurückzufordern. Mit den in jedem Fall
dem Spruchkörper zur Verfügung stehenden Verwaltungsvorgängen wird sich jedenfalls
bezüglich der vom regulierten Unternehmen in das Beschlusskammerverfahren
eingebrachten Kostennachweise die Notwendigkeit einer Entscheidung des
Verwaltungsgerichts nach Beweislastgrundsätzen nicht stellen. Eine ggf. notwendige
Einschaltung eines Sachverständigen wird durch das "in camera"-Verfahren bei der
gebotenen den Geheimnisschutz wahrenden Formulierung der Beweisfragen durch das
Gericht und deren Beantwortung durch den Gutachter nicht ausgeschlossen sein. Bei
durchgreifendem Geheimnisschutz wird auch dem in seinen prozessualen
Möglichkeiten beschränkten Wettbewerber im Unterliegensfalle der Zugang zur
Berufungsinstanz nicht unvertretbar erschwert sein.
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Der Prüfungsmaßstab für das "in camera"-Verfahren über die Berechtigung zur
Verweigerung der Vorlage der Verwaltungsvorgänge ist eine Abwägung der
widerstreitenden Interessen anhand des Inhalts der präsentierten Verwaltungsvorgänge,
was verglichen mit der eine Aktenpräsentation nicht zwingend erfordernden
Glaubhaftmachung des gesetzlichen Verweigerungsgrundes nach § 99 Abs. 2 Satz 1
VwGO einen wesentlichen Unterschied darstellt. Kommt dem Inhalt der
Verwaltungsvorgänge Geheimnischarakter nicht zu, scheitert regelmäßig das
Zurückhaltungsbegehren der Behörde. Kommt es bei überschlägiger Prüfung auf einen
Akteninhalt mit Geheimnischarakter im Ausgangsverfahren erkennbar nicht an,
überwiegt eindeutig das Geheimschutzinteresse. Handelt es sich um
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entscheidungsrelevante Geheimnisse, ist festzustellen, ob gewichtigere Belange des
Gemeinwesens oder des an Akteneinsicht interessierten Prozessbeteiligten das
grundsätzlich Priorität genießende Geheimschutzrecht überwiegen.
Für den vorliegenden Fall kommt der Senat nach überschlägiger Prüfung der
streitbefangenen Verwaltungsvorgänge Bände VG 1 bis 5 zu dem Ergebnis, dass sie
Geschäfts- und/oder Betriebsgeheimnisse der Beigeladenen im Sinne der
Rechtsprechung des Senats enthalten. Dies entspricht der Sicht der Beigeladenen und
den Standpunkten der Beklagten und der Beteiligten. Auch das Verwaltungsgericht geht
davon aus, dass es sich bei den zahlreichen Angaben in den Verwaltungsvorgängen
über bislang nur innerbetrieblich erhobene und verwertete Daten und Erkenntnisse der
Beigeladenen, die für Wettbewerber in vielfältiger Hinsicht von Interesse sein könnten,
sowie bei den darauf Bezug nehmenden Teilen der Begründung der angefochtenen
Regulierungsentscheidung um Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse handelt. Soweit
einigen Teilen der Verwaltungsvorgänge ein berechtigtes unternehmerisches
Geheimhaltungsinteresse nicht zuerkannt werden kann, weil sie beispielsweise nur das
Verfahren betreffenden Schriftverkehr zwischen der Beigeladenen und der Beklagten
und deren Aufforderungen an Erstere, aber noch keine Angaben über Betriebsführung,
Marktstrategien, Entgeltgestaltung, Betriebsabläufe, Umsätze und sonstiges internes
know how enthalten, steht der Klägerin ohnehin ein zu schützendes
Offenbarungsinteresse nicht zu. Soweit ein Unkenntlichmachen geheimer Inhaltsteile
der Verwaltungsvorgänge denkbar wäre, ist dies zu tun nicht Aufgabe des Senats und
erscheint zudem der einsehbar bleibende Akteninhalt nicht aussagekräftig.
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Bei überschlägiger Prüfung ist der Geheimnischarakter tragende Inhalt der hier
streitbefangenen Verwaltungsvorgänge für den Ausgangsrechtsstreit - jedenfalls der
Klägerinnen zu 1., 3., 4. und 6., die nach Aktenlage mit der Beteiligten einen Vertrag mit
Entgeltvereinbarung über den Zugang zur Teilnehmeranschlussleitung geschlossen
haben - entscheidungsrelevant in dem Sinne, dass er für eine notwendig werdende
materiell-rechtliche Entgeltprüfung nach der Telekommunikations-
Entgeltregulierungsverordnung von Bedeutung ist. Die o. a. Klägerinnen sind
insbesondere klagebefugt, weil durch die Entgeltfestsetzung der Beklagten im
Zusammenwirken mit der legislativen Anordnung der §§ 29 Abs. 2 Satz 1, 30 Abs. 5
Satz 2 TKG - und nicht etwa durch letztere allein - das zwischen ihnen und der
Beigeladenen bestehende Privatrechtsverhältnis unmittelbar, also ohne weitere
Umsetzung durch die Beigeladene, gestaltet wird und damit ihre Rechte aus der auf Art.
2 Abs. 1 GG gestützten Vertragsfreiheit berührt sind, sodass eine Rechtsverletzung
i.S.d. § 42 Abs. 2 VwGO zumindest möglich ist.
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Die Abwägung der widerstreitenden Interessen fällt zugunsten des
Geheimhaltungsinteresses aus. Hierbei ist von einem grundsätzlichen
Prioritätsanspruch des aus Art. 14 Abs. 1 GG abgeleiteten Geheimhaltungsrechts des
Inhabers, dem eine entsprechende Geheimhaltungsverpflichtung der Behörde
entspricht, auszugehen.
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Dem gegenüber kommt dem Recht der Akteneinsicht begehrenden Partei auf effektiven
Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG und auf gerichtliche Entscheidung ausschließlich
auf der Grundlage von Tatsachen und Beweisergebnissen, zu denen sie sich äußern
konnte, aus § 108 Abs. 1 VwGO als einfachgesetzliche Konkretisierung des
Gehörsrechts kein stärkeres Gewicht zu. Die gegenüber stehenden Rechte sind zwar
verfassungsrechtlich gleichrangig. Das Recht auf effektiven Rechtsschutz ist indes
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Einschränkungen unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zugänglich,
soweit ihm entgegen stehende Belange Beachtung verlangen. (vgl. BVerfG a.a.O. 124).
Der Geheimnisschutz ist ein solcher Belang. Zum wesentlichen Inhalt des Rechts auf
effektiven Rechtsschutz gehört, dass jedenfalls das Gericht das Rechtsschutzbegehren
in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht prüfen kann (vgl. BVerfG a.a.O. 123), d.h. eine
"gerichtliche" Rechtsprüfung unter voller Einbeziehung der der Behördenentscheidung
zugrundeliegenden Verwaltungsvorgänge gewährleistet ist. Das ist bei einer "in
camera"-Prüfung der Verwaltungsvorgänge durch den Spruchkörper der Fall. Das
rechtliche Gehör - und damit auch das Recht aus § 108 Abs. 2 VwGO - kann aus
hinreichend sachlichen Gründen eingeschränkt werden. Ein derartiger Grund liegt hier
vor, weil der begrenzte Verzicht auf das o.g. Recht ausnahmsweise den Rechtsschutz
des Einzelnen verbessert, indem er die Behörde zur eingeschränkten Präsentation der
Verwaltungsvorgänge, d.h. ausschließlich für den Spruchkörper verpflichtet und
letzterem den Weg in eine vollumfängliche Prüfung in tatsächlicher und rechtlicher
Hinsicht unter Heranziehung der Vorgänge erst ermöglicht (vgl. BVerfG a.a.O. 129 u.
130).
Die Erfüllung im öffentlichen Interesse liegender überragend wichtiger Aufgaben durch
die Verwaltung oder die Gerichte wird durch ein Geheimhalten von Geschäfts- und/oder
Betriebsgeheimnissen des regulierten Unternehmens vor den Wettbewerbern nicht
negativ berührt. Ebenso wie im Verwaltungsverfahren die Regulierungsbehörde volle
Einsicht in die geheimen Unterlagen des regulierten Unternehmens nimmt, hat auch das
Gericht diese Möglichkeit "in camera". Die durch Einschränkung des grundsätzlich
freien unternehmerischen Preisgestaltungsrechts für einen Marktbeherrscher im Markt
der Telekommunikationsdienstleistungen den Wettbewerbern eingeräumten Interessen
werden primär durch die Regulierungsbehörde beispielsweise durch ein gerichtsförmig
ausgestaltetes Entgeltregulierungsverfahren wahrgenommen, das nachfolgend der
Kontrolle durch die Verwaltunsgerichte unterliegt. Überdies haben die Wettbewerber
zumindest die Möglichkeit, ihren Sachverstand im Wege der
Vergleichsmarktbetrachtung einzubringen. Dass ihnen ein effektiver Rechtsschutz ohne
Kenntnis der den festgesetzten Entgelten zu Grunde liegenden Ansätze überhaupt nicht
eröffnet oder das Gesetzesanliegen des Telekommunikationsgesetzes verfehlt würde,
ist mithin nicht erkennbar. So gesehen erscheint es vor dem Hintergrund des
Spannungsverhältnisses der aufgezeigten gleichrangigen Rechtspositionen nicht außer
Verhältnis, wenn ausnahmsweise das Recht der einen Prozesspartei auf Einsicht in
Geschäfts- und/oder Betriebsgeheimnisse enthaltende Verwaltungsvorgänge und damit
zur eigenen Prüfung der Behördenentscheidung und zur Stellungnahme in voller
Kenntnis des zu Grunde liegenden Sachverhalts zurücktritt.
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Damit setzt sich der Senat auch nicht in Gegensatz zu dem einschlägigen Richtlinien-
Recht. Zwar verweist das Verwaltungsgericht zutreffend auf Art. 7 Abs. 2 Satz 1 und 2
der Richtlinie 97/33/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Juni
1997, ABL Nr. L 199/32, - ZusammenschaltungsRL - (RL). Danach unterliegen die
Zusammenschaltungsentgelte den Grundsätzen der Transparenz und
Kostenorientierung. Zugleich wird die Beweislast, dass sich Entgelte aus den
tatsächlichen Kosten einschließlich einer vertretbaren Investitionsrendite herleiten, der
Organisation, die die Zusammenschaltung mit ihren Einrichtungen bereitstellt, auferlegt.
Auch wenn das Richtlinienrecht von den nationalen Gerichten bei der Auslegung ihres
Rechts im Rahmen der gerichtlichen Zuständigkeiten zu berücksichtigen ist, hat dies auf
das vorstehend entwickelte Ergebnis unter verschiedenen Gesichtspunkten keinen
Einfluss. Zunächst ist der Regelungsbereich der ZusammenschaltungsRL das
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Verhältnis der Netzbetreiber, Wettbewerber und Regulierungsbehörde in Fragen der
Zusammenschaltung. Hingegen ist das hier fragliche Recht des
verwaltungsgerichtlichen Verfahrens noch nicht harmonisiert. Auch eine
Teilharmonisierung durch die ZusammenschaltungsRL ist nicht erkennbar. Im Übrigen
kann aber auch der ZusammenschaltungsRL für das Zusammenschaltungsverfahren
vor der Regulierungsbehörde ein in die Interessenabwägung einstellbarer, gegen den
Mitgliedstaat gerichteter, uneingeschränkter Anspruch auf Einsichtnahme des
Wettbewerbers in die Unterlagen des zusammenschaltenden Unternehmens - auch
unter Berücksichtigung von Anhang V zu Art. 7 Abs. 5 - nicht entnommen werden. Art. 6
Buchstabe c) RL enthält selbst einen Schutz der Geschäftsgeheimnisse, indem er
bestimmt, dass Zusammenschaltungsvereinbarungen den zuständigen nationalen
Regulierungsbehörden übermittelt und interessierten Parteien auf Antrag gemäß Art. 14
Abs. 2 RL zugänglich gemacht werden, "und zwar mit Ausnahme der Bestimmungen,
die die Geschäftsstrategie der Parteien betreffen". In diesem Zusammenhang heißt es
weiter: "Die nationale Regulierungsbehörde bestimmt, welche Teile die
Geschäftsstrategie der Parteien betreffen." Hierauf nimmt Art. 7 Abs. 2 durch die
Verwendung des in Art. 6 RL u.a. beschriebenen Begriffs der Transparenz Bezug.
Zudem fehlt den genannten Regelungen die für die Begründung eines Direktanspruchs
im Wege unmittelbarer Richtlinienwirkung wegen Umsetzungsmangels notwendige
Unbedingtheit und hinreichende Genauigkeit. Der Begriff der Transparenz der
Zusammenschaltungsentgelte ist inhaltlich weit gefasst und kann beispielsweise
Durchschaubarkeit der Entgeltstruktur und der erfassten Leistungen oder
Kostenelemente wie auch die Nachvollziehbarkeit des Zustandekommens des
einzelnen Entgelts bis ins letzte Detail bedeuten. Andererseits spricht der Begriff
Kostenrechnungssystem - eine zu veröffentlichende "Information" (Anhang V Satz 2) -
und die Angabe der Elemente einer solchen Information in Anhang V Satz 4 dafür, dass
mit Kostenrechnungssystemen nur Beschreibungen einer Methodik gemeint sind, nicht
aber die konkreten Berechnungen einzelner Entgelte. Der Auftrag zur Veröffentlichung
solcher Systeme ist gerichtet an die jeweilige nationale Regulierungsbehörde; mit der
Angabe des Motivs hierfür, nämlich damit sich andere Marktteilnehmer von der
Korrektheit und Ordnungsgemäßheit der Entgelte überzeugen können - was im Übrigen
auch mittelbar durch Zwischenschaltung der Gerichte erreicht werden kann -, ist noch
kein von der Richtlinie klar bestimmtes und bedingungsloses Recht des Wettbewerbers
auf Kenntnisnahme des Zustandekommens des einzelnen Entgelts im Detail,
beispielsweise durch Einsicht in die Kostenrechnungsunterlagen des regulierten
Unternehmens formuliert. Schließlich scheitert eine Direktwirkung der Richtlinie daran,
dass damit zugleich eine Belastung für das zusammenschaltende Unternehmen
verbunden wäre und eine Direktwirkung - auch im vorliegenden Dreiecksverhältnis
zwischen Wettbewerber, Regulierungsbehörde und reguliertem Unternehmen - nur zu
Gunsten eines Marktbürgers in Betracht kommt. Das gilt jedenfalls hier, wo den Dritten
nicht nur ein Reflex trifft, sondern mit der Begünstigung der Kläger ein
Grundrechtseingriff bei der Beigeladenen verbunden wäre. Soweit die vor dem
Telekommunikationsgesetz ergangene und in nationales Recht umgesetzte Richtlinie
des Rates vom 28. Juni 1990 über die Verwirklichung des Binnenmarktes für
Telekommunikationsdienste durch Einführung eines offenen Netzzugangs (Open
Network Provision - ONP) 90/387/EWG, ABl. Nr. L 192/1 in Art. 3 Abs. 1 verlangt, dass
die ONP- Bedingungen dem Grundsatz der Transparenz entsprechen müssen,
enthalten auch sie lediglich eine allgemeine Forderung an die Mitgliedstaaten und kein
Recht des einzelnen Wettbewerbers auf konkrete Überprüfungsmaßnahmen durch ihn
selbst. Dem Gemeinschaftsrecht lässt sich daher eine grundsätzlich geringere
Schutzwürdigkeit von Geschäfts- und/oder Betriebsgeheimnissen des regulierten
Unternehmens nicht entnehmen.
Erwägungen aus dem beamtenrechtlichen Konkurrentenrechtsstreit sind auf den anders
gelagerten Interessenkonflikt im vorliegenden Ausgangsverfahren nicht übertragbar. Mit
der dem jeweiligen Bewerber freistehenden Bewerbung unterwirft sich dieser
sinngemäß dem Verzicht auf Geheimhaltungsschutz bezüglich seiner Personalakten für
den Fall eines Konkurrentenrechtsstreits, was u.a. seinen eigenen Interessen insoweit
dient, als auch er im Streitfall aufgrund der Gegenseitigkeit des Verzichts die
Personalakten des vorgezogenen Konkurrenten einsehen und die Rechtmäßigkeit der
Auswahl überprüfen kann. Im vorliegenden Ausgangsstreit hat hingegen das regulierte
Unternehmen keinen entsprechenden Verzicht erklärt und auch kein Recht auf Einsicht
in Geheimnisse des Wettbewerbers enthaltende Verwaltungsvorgänge. Zudem verliert
mit Kenntnis des Wettbewerbers von Geschäfts- und/oder Betriebsgeheimnissen des
regulierten Unternehmens dieses vermögenswerte "Gut" den Großteil seines Wertes,
was in der Wirkung einer teilweisen Enteignung nahe kommt. Es ist den Materialien des
Telekommunikationsgesetzes nicht zu entnehmen, dass die den Geheimnisschutz
betreffende Eigentumsposition des regulierten Unternehmens gegenüber dem
Gesetzesanliegen der Förderung des sektorspezifischen Wettbewerbs aufgegeben oder
hintangestellt werden sollte. Derartiges wäre auch zur Erreichung des
Gesetzesanliegens nicht erforderlich. Insoweit greifen auch die vom Bundesgerichtshof
entwickelten Grundsätze zur Beschränkung der Betätigungsfreiheit und des
Eigentumsgebrauchs des Unternehmens mit besonderer Marktmacht nicht. Denn die
Offenlegung von Geschäfts- und/oder Betriebsgeheimnissen betrifft nicht mehr die
unternehmerische Betätigung und den Eigentumsgebrauch, sondern stellt
Eigentumsverlust mit beträchtlichem Schaden für das regulierte Unternehmen und eine
gleichzeitige Förderung von dessen Konkurrenten dar, wozu auch das regulierte
Unternehmen nicht verpflichtet ist. Im Übrigen lässt der bei Interpretation der
ZusammenschaltungsRL als deren Rechtsgrundlage zu beachtende EWG-Vertrag die
Eigentumsordnung der Mitgliedstaaten, das ist die Gesamtheit der mit dem Eigentum
verbundenen Rechte und Pflichten, so auch diejenige nach dem Grundgesetz
unberührt.
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