Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 13.02.2009

OVG NRW: sozialismus, politische tätigkeit, gesellschaft, soziale gerechtigkeit, ddr, kuba, mandat, verfassungsschutz, abgeordneter, kapitalismus

Oberverwaltungsgericht NRW, 16 A 845/08
Datum:
13.02.2009
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
16. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
16 A 845/08
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 20 K 3077/06
Tenor:
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 13. Dezember 2007 wird
teilweise geändert. Es wird festgestellt, dass das Bundesamt für
Verfassungsschutz rechtswidrig Informationen über den Kläger in der
Zeit seines Landtagsmandats (von Oktober 1999 bis Oktober 2005)
sowie in der Zeit von der Übernahme seines Bundestagsmandats im
Oktober 2005 bis zum 13. Februar 2009 aus allgemein zugänglichen
Quellen erhoben hat.
Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, über den Kläger künftig
personenbezogene Daten aus allgemein zugänglichen Quellen zu
erheben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge werden gegeneinander
aufgehoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Der Kläger, Mitglied der Partei DIE LINKE und des 16. Deutschen Bundestages, wendet
sich gegen die Sammlung personenbezogener Informationen über ihn durch das
Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV).
2
I. Zur Partei DIE LINKE
3
Die Partei DIE LINKE entstand im Juni 2007 aus der Verschmelzung der Partei Die
Linkspartei.PDS (Die Linke.PDS) mit der Partei Arbeit & soziale Gerechtigkeit - Die
Wahlalternative (WASG). Die Partei hat zwei Vorsitzende: Herrn Prof. Dr. Lothar Bisky
und Herrn Oskar Lafontaine. Im 16. Deutschen Bundestag ist die Partei mit 53
Abgeordneten vertreten, die sich zur Fraktion DIE LINKE. im Bundestag
zusammengeschlossen haben. Die Partei Die Linkspartei.PDS (Die Linke.PDS) ist
ihrerseits aus der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) hervorgegangen.
Diese benannte sich im Dezember 1989 in Sozialistische Einheitspartei Deutschlands -
Partei des Demokratischen Sozialismus (SED-PDS) und im Februar 1990 in Partei des
Demokratischen Sozialismus (PDS) um. Ab Juli 2005 führte sie die Bezeichnung Die
Linkspartei.PDS (Die Linke.PDS).
4
Die Partei hatte Ende 1991 rund 180.000, Ende 2006 rund 60.300 Mitglieder. Ende
2008 gehörten der Partei DIE LINKE etwa 76.100 Personen an (Stichtag: 30. September
2008).
5
1. Parteiprogramm und Satzung
6
Mit Beschluss vom 13. Oktober 2007 setzte der Parteivorstand eine
Programmkommission ein, die sich Ende 2007 konstituierte. Sie soll den Entwurf eines
Parteiprogramms der Partei DIE LINKE vorlegen. Bis zur Verabschiedung des
Grundsatzprogramms - voraussichtlich Anfang/Mitte 2010 - stellen die von den
Parteitagen der Linkspartei.PDS und der WASG am 24. und 25. März 2007
beschlossenen Programmatischen Eckpunkte die programmatische Grundlage der
Partei dar. Auf diesen Parteitagen wurde ebenfalls die Bundessatzung der Partei Die
LINKE beschlossen. Grundlage der Linkspartei.PDS war das am 26. Oktober 2003
beschlossene und durch den Beschluss vom 17. Juli 2005 überarbeitete
Parteiprogramm.
7
Der Bundessatzung der Partei (in den Gerichtsakten als Dokument B 44) ist folgende
Präambel vorangestellt:
8
„Verwurzelt in der Geschichte der deutschen und der internationalen Arbeiterbewegung,
der Friedensbewegung und dem Antifaschismus verpflichtet, den Gewerkschaften und
neuen sozialen Bewegungen nahe stehend, schöpfend aus dem Feminismus und der
Ökologiebewegung, verbinden sich ihre Identität erweiternd demokratische
Sozialistinnen und Sozialisten und Mitglieder der Wahlalternative Arbeit und soziale
Gerechtigkeit zu der neuen Partei DIE LINKE mit dem Ziel, die Kräfte im Ringen um
menschenwürdige Arbeit und soziale Gerechtigkeit, Frieden und Nachhaltigkeit in der
Entwicklung zu stärken. DIE LINKE strebt die Entwicklung einer solidarischen
Gesellschaft an, in der die Freiheit eines jeden Bedingung für die Freiheit aller ist. Die
neue LINKE ist plural und offen für jede und jeden, die oder der gleiche Ziele mit
demokratischen Mitteln erreichen will."
9
In den Programmatischen Eckpunkten der Partei DIE LINKE (Dokument B 43) heißt es:
10
„Vorbemerkung
11
(...) Gemeinsam wollen wir eine Partei, wie es sie in Deutschland noch nicht gab - Linke
einigend, demokratisch und sozial, ökologisch, feministisch und antipatriarchal, offen
12
und plural, streitbar und tolerant, antirassistisch und antifaschistisch, eine konsequente
Friedenspolitik verfolgend. Wir sind Teil der europäischen Linken, der sozialen und
Friedensbewegungen. (...)
I. Gemeinsam für eine andere Politik
13
(...) Demokratie, Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Internationalismus und Solidarität
sind unsere grundlegenden Wertorientierungen. Sie sind untrennbar mit Frieden,
Bewahrung der Natur und Emanzipation verbunden. Die Ideen des demokratischen
Sozialismus stellen zentrale Leitvorstellungen für die Entwicklung der politischen Ziele
der Linken dar. (...)
14
DIE LINKE leitet ihr politisches Handeln aus dem Zusammenhang von Ziel, Weg und
grundlegenden Wertorientierungen ab. Freiheit und soziale Sicherheit, Demokratie und
Sozialismus bedingen einander. Gleichheit ohne individuelle Freiheit endet in
Entmündigung und Fremdbestimmung. Freiheit ohne Gleichheit ist nur die Freiheit für
die Reichen. Auch der Mensch ist nicht frei, der seine Mitmenschen unterdrückt und
ausbeutet. Ziel des demokratischen Sozialismus, der den Kapitalismus in einem
transformatorischen Prozess überwinden will, ist eine Gesellschaft, in der die Freiheit
des anderen nicht die Grenze, sondern die Bedingung der eigenen Freiheit ist. (...)
15
III. Unsere Alternative: Soziale, demokratische und friedensstiftende Reformen zur
Überwindung des Kapitalismus
16
(...) Die neue Linke legt programmatische Grundzüge einer umfassenden
gesellschaftlichen Umgestaltung vor, um die Vorherrschaft der Kapitalverwertung über
Wirtschaft und Gesellschaft zu beenden und den Herausforderungen der Gegenwart mit
einem alternativen Entwicklungsweg zu begegnen. (...)
17
Wir streiten für eine Gesellschaft, die jede und jeden an den Bedingungen eines Lebens
in Freiheit, sozialer Sicherheit und Solidarität beteiligt. Zu den Freiheitsgütern, die dies
erst ermöglichen, gehören die sozial gleiche Teilhabe der Einzelnen an den
Entscheidungen in der Gesellschaft, existenzsichernde, sinnvolle Arbeit, Bildung und
Kultur, hochwertige Gesundheitsleistungen und soziale Sicherungen. Notwendig ist die
Überwindung aller Eigentums- und Herrschaftsverhältnisse, 'in denen der Mensch ein
erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist' (Karl Marx).
(...)
18
IV. Für einen Richtungswechsel
19
(...) Wir werden Bürgerinnen und Bürger gegen Machtbestrebungen der herrschenden
Klasse mobilisieren und uns für eine neue Sammlungsbewegung einsetzen. Politische
Kämpfe und Wahlen dienen uns dazu, unsere alternativen Reformprojekte zu vertreten
und Mehrheiten für ihre Durchsetzung zu gewinnen. Die parlamentarische Arbeit
werden wir so gestalten, dass sie der Zusammenarbeit mit außerparlamentarischen
Kräften der Linken, der öffentlichen Darstellung eigener Reformvorschläge und dem
Einbringen alternativer Gesetze, der Transparenz politischer Prozesse, der
Untersuchung des Missbrauchs politischer Macht, der Entwicklung neuer
gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse und politischer Mehrheiten dient. (...)"
20
Das Parteiprogramm der Linkspartei.PDS vom 26. Oktober 2003 in der Fassung vom 17.
21
Juli 2005 (Dokument B 4) lautet auszugsweise wie folgt:
„Präambel
22
(...) Es war der Anspruch der Menschenrechtserklärungen, Verhältnisse zu schaffen, in
denen die Würde des Menschen unantastbar wird. Arbeiterbewegung,
Frauenbewegung und Friedensbewegung, sozialistische und antikoloniale
Bewegungen haben um konkrete Fortschritte bei der Durchsetzung dieses Anspruchs
gekämpft. Heute begründet dieser Anspruch unsere erneuerte sozialistische Politik.
23
Wachsende Arbeitslosigkeit, soziale Unsicherheit und Armut, Hunger und Kriege,
Fremdbestimmung und Gewalt sind Angriffe auf die Würde des Menschen. Die
neoliberale Politik der Verwandlung aller Lebensbereiche in profitbestimmte Märkte und
die autoritäre, imperiale und kriegerische Durchsetzung dieser Politik zerstören die
Errungenschaften von zweieinhalb Jahrhunderten sozialer emanzipativer Kämpfe. Die
USA-Regierung verfolgt mit ihrer imperialistischen Politik, mit politischer und
wirtschaftlicher Erpressung und mit Aggressionskriegen das geostrategische Ziel einer
weltweiten Vorherrschaft.
24
Wir, Sozialistinnen und Sozialisten, Mitglieder der Linkspartei.PDS, wollen am
Widerstand gegen diese Politik teilnehmen und gemeinsam mit anderen an der
Herausbildung einer Alternative mitwirken, die Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und
Solidarität zum Ziel hat.
25
Wir geben uns dieses Programm in der Tradition der Kämpfe gegen kapitalistische
Ausbeutung, ökologische Zerstörung, politische Unterdrückung und verbrecherische
Kriege.
26
Wir tun dies aber auch in rückhaltloser Auseinandersetzung mit den Verbrechen, die im
Namen des Sozialismus und Kommunismus begangen wurden, und in Ablehnung jedes
Versuchs, mit Mitteln der Diktatur Fortschritt zu erreichen. Uns eint der unumkehrbare
Bruch mit der Missachtung von Demokratie und politischen Freiheitsrechten, wie sie in
und von nicht wenigen linken Parteien, darunter der SED, praktiziert worden ist. (...)
27
In den Profit- und Herrschaftsinteressen der international mächtigsten Teile des Kapitals
und im Bestreben, die Entwicklung des 'Nordens' auf Kosten des 'Südens', der Natur
und der zukünftigen Generationen zu betreiben, sehen wir die Ursachen für die
Gefährdung der menschlichen Zivilisation, für Gewalt und Krieg, soziales Elend und die
Krise der weltweiten Ökosphäre. Wir wollen, dass diese gesellschaftlichen Strukturen
zurückgedrängt und schließlich überwunden werden, damit die Menschheit einen
Ausweg aus dieser zerstörerischen Entwicklungslogik findet. In diesem Sinne sind wir
konsequent antikapitalistisch.
28
In einer sozialistischen Gesellschaft, wie wir sie anstreben, dienen Produktions-,
Verteilungs- und Konsumtionsweise dem Ziel, allen die Bedingungen eines
selbstbestimmten und solidarischen Lebens zur Verfügung zu stellen. (...)
29
I. Sozialismus - Ziel, Weg und Werte
30
Sozialismus ist für uns ein notwendiges Ziel - eine Gesellschaft, in der die freie
Entwicklung einer und eines jeden zur Bedingung der freien Entwicklung aller
31
geworden ist. Sozialismus ist für uns eine Bewegung gegen die Ausbeutung des
Menschen durch den Menschen, gegen patriarchale Unterdrückung, gegen die
Ausplünderung der Natur, für die Bewahrung und Entwicklung menschlicher Kultur, für
die Durchsetzung der Menschenrechte, für eine Gesellschaft, in der Bürgerinnen und
Bürger ihre Angelegenheiten demokratisch regeln.
Sozialismus ist für uns ein Wertesystem, in dem Freiheit, Gleichheit und Solidarität,
Emanzipation, Gerechtigkeit, Erhalt der Natur und Frieden untrennbar miteinander
verbunden sind. Die sozialistische Idee ist durch ihren Missbrauch als Rechtfertigung
von Diktatur und Unterdrückung beschädigt worden. Die Erfahrungen der DDR
einschließlich der Einsicht in die Ursachen ihres Zusammenbruchs verpflichten uns,
unser Verständnis von Sozialismus neu zu durchdenken.
32
1. Unsere Ziele und Werte: Freiheit, Gleichheit, Solidarität
33
(...) Eine radikale Ökologisierung der Gesellschaft, die damit verbundene neue Art
wirtschaftlichen Wachstums und wissenschaftlichen und technischen Fortschritts
bedürfen einer alternativen Produktions- und Lebensweise. Ein selbstbestimmtes
Leben, eine von Entfremdung befreite Arbeitswelt und eine gerechte Verteilung des
Reichtums bedürfen alternativer Gesellschaftsstrukturen, die von der Verwirklichung
gemeinschaftlicher Interessen geprägt sind und die Dominanz privatkapitalistischen
Eigentums überwunden haben. (...)
34
2. Unser Weg: Demokratisierung der Gesellschaft
35
Nicht aus dem Frieden mit den Herrschenden, sondern aus der Gegenwehr der
Unterdrückten und Benachteiligten und aller, die sich solidarisch für sie engagieren,
entsteht eine menschlichere Gesellschaft. Die Mittel für diese Auseinandersetzungen
müssen den Zielen von Gewaltfreiheit und Demokratie entsprechen, da sie sonst zum
Ausgangspunkt neuer Herrschaft und Unterdrückung werden. Allerdings gibt es ein
legitimes Recht auf Widerstand da, wo Personen, Gruppen und Staaten die Würde des
Menschen missachten und ihrerseits Gewalt anwenden. (...)
36
Die Politik der PDS soll dazu beitragen, die Vorherrschaft der
Kapitalverwertungsinteressen abzuschwächen, schließlich zu überwinden und die ihr
zu Grunde liegenden Macht- und Eigentumsverhältnisse zu verändern. Aus dieser
Politik sollen sich Möglichkeiten für weitergehende Umgestaltungen ergeben. (...)
37
II. Die gegenwärtige Welt
38
1. Die neoliberale Offensive
39
(...) In vielen westlichen Ländern wurde der Kompromiss zwischen den
Kapitalinteressen und den Interessen der organisierten Arbeiterbewegung aufgekündigt.
Kapitalistische Globalisierung, Durchkapitalisierung der Gesellschaften, Abbau
sozialstaatlicher Verantwortung, Aufhebung der Kontrollen von Kapitalbewegungen,
verstärkte Repression und Demokratieabbau, Unterordnung von
Welthandelsorganisation, Internationalem Währungsfonds und Weltbank unter die
Interessen der mächtigsten Kapitalgruppierungen sowie wachsendes Gewicht der
transnational agierenden Konzerne, Militarisierung der internationalen Beziehungen
und die Vorherrschaft der USA mit imperialen Zielen prägen die Entwicklung.
40
Dies wurde in erheblichem Maße durch die Krise und das Ende des Staatssozialismus
begünstigt. Seine Existenz hatte der westlichen Welt begrenzte Zurückhaltung beim
Einsatz militärischer Gewalt aufgenötigt. Er begünstigte Befreiungskämpfe in den so
genannten Entwicklungsländern und soziale Reformen in den kapitalistischen
Industrieländern. Das Verschwinden dieser äußeren Gegenmacht hat in der
kapitalistischen Welt zu einer tiefen historischen Zäsur geführt - verbunden mit weltweit
negativen Wirkungen. (...)
41
III. Reformalternativen: demokratisch, sozial, zivil
42
Sozialistische Politik entsteht aus dem Kampf für Gerechtigkeit und die gleiche Teilhabe
aller an den gesellschaftlichen Freiheitsgütern. Sie wendet sich gegen die Vermarktung
und Entmündigung von Menschen und gegen Krieg. Sie entwickelt sich in breitesten
sozialen und politischen Bündnissen. Sie zielt heute auf die Veränderung der
Kräfteverhältnisse, die Schaffung der notwendigen Voraussetzungen für einen
Richtungswechsel der Politik und die damit verbundene Umgestaltung von Eigentums-
und Machtstrukturen. Sie ist internationalistisch. (...)
43
IV. Veränderung mit der Linkspartei.PDS - Selbstveränderung der Linkspartei.PDS
44
(...) Die Auseinandersetzung mit unserer Geschichte muss uns niemand abnötigen. Sie
ist unsere Verantwortung, unser Interesse, ein Teil unseres Beitrages bei der
Wiedergewinnung und Erneuerung des demokratischen Sozialismus als einer politisch
bedeutenden und einflussreichen Bewegung in unserem Land, in die wir uns einbringen
wollen.
45
Wir beurteilen die Geschichte der DDR nicht allein aus der Perspektive ihres Scheiterns
und geben der vorherrschenden Totalkritik nicht nach. Diese Geschichte ist eine Quelle
wichtiger Lehren und Erfahrungen, die im Ringen um Sozialismus gewonnen wurden
und nicht in Vergessenheit geraten dürfen. Schon gar nicht darf der persönliche Einsatz
vieler Menschen für ein anderes Deutschland missachtet werden. Wir wiederholen
unsere Überzeugung: Nach 1945 bemühten sich Millionen Menschen in Ost und West,
das faschistische Erbe zu überwinden. Sie setzten sich für ein friedliebendes
Deutschland und den Aufbau einer besseren Gesellschaftsordnung ein. Dieser Wille
bedarf auch für den Osten keiner Entschuldigung. Die antifaschistisch-demokratischen
Veränderungen im Osten Deutschlands und das spätere Bestreben, eine sozialistische
Gesellschaft zu gestalten, standen in berechtigtem Gegensatz zur Weiterführung des
Kapitalismus in Westdeutschland, der durch die in der Menschheitsgeschichte
unvergleichbaren Verbrechen des deutschen Faschismus geschwächt und diskreditiert
war. Zur Geschichte der DDR gehören bemerkenswerte Ergebnisse und wertvolle
Erfahrungen im Kampf um soziale Gerechtigkeit, um die Bestimmung der Ziele der
Produktion im Interesse der Bevölkerung, um die Teilhabe breiter Bevölkerungsteile an
Bildung und Kultur und um ein solidarisches und friedliches Gemeinwesen auf
deutschem Boden. (...)
46
Die SED war als herrschende Partei aufgrund der konkreten historischen Bedingungen
von Anfang an auf das in der Sowjetunion entstandene Sozialismusmodell und auf
Linientreue zur Politik der Sowjetunion fixiert. Sie war weder fähig noch bereit,
Sozialismus mit Demokratie und Freiheit zu verknüpfen. Ihren Weg kennzeichneten
daher auch schmerzliche Fehler, zivilisatorische Versäumnisse und Verbrechen. (...)
47
In der Linkspartei.PDS wirken unterschiedliche, linke demokratische Kräfte zusammen.
In ihr haben sowohl Menschen einen Platz, die der kapitalistischen Gesellschaft
Widerstand entgegensetzen und die die gegebenen Verhältnisse fundamental
ablehnen, als auch jene, die ihren Widerstand damit verbinden, die gegebenen
Verhältnisse positiv zu verändern und schrittweise zu überwinden. Unser Eintreten für
einen demokratischen Sozialismus ist an keine bestimmte Weltanschauung, Ideologie
oder Religion gebunden. Die PDS ist eine pluralistische Partei demokratischer
Sozialistinnen und Sozialisten. Sie entscheidet über ihren Weg, ihre Ziele und ihr
politisches Profil mit demokratischen Mehrheiten. Sie räumt Minderheiten das Recht und
die Möglichkeiten ein, ihre Überzeugungen und Ziele im Rahmen der Grundsätze und
demokratisch-sozialistischen Orientierungen des Statuts und dieses Programms zu
vertreten. (...)"
48
Der Partei sind darüber hinaus u.a. folgende Aussagen zuzuordnen:
49
„Die Linkspartei ist pluralistisch und auch die neue Partei wird pluralistisch bleiben. Ich
freue mich, dass wir eine Kommunistische Plattform haben und dass es auch radikale
Linke bei uns gibt."
50
Dr. Dietmar Bartsch (Bundesgeschäftsführer der Partei), Neues Deutschland vom
29./30. April 2006, S. 3), zitiert nach Verfassungsschutzbericht 2006, S. 172.
51
„Das Traditionsverständnis der Partei DIE LINKE sollte eindeutig auf ihrer Haltung zu
der Jahrhunderte alten Geschichte der emanzipatorischen Bewegung der unterdrückten
Klassen beruhen, primär der deutschen und weltweiten Geschichte der
Arbeiterbewegung, vor allem der sozialdemokratischen, linkssozialistischen,
kommunistischen und gewerkschaftlichen. Als eine deutsche Partei sollte sie sich
insbesondere zum Vermächtnis von Karl Marx, Friedrich Engels, August Bebel und
Rosa Luxemburg wie von weiteren deutschen und internationalen Kämpfern für eine
sozialistische Gesellschaftsordnung bekennen."
52
Aus: „Anregungen zum Umgang mit der Geschichte", Erklärung des Ältestenrats der
Partei DIE LINKE vom 16. Juli 2008 (Dokument B 92).
53
„Regierungsbeteiligung der Linken ist eine Art 'Millimeterarbeit' auf dem Weg zu einer
friedlichen und sozial gerechten Gesellschaft.
54
Gern möchte ich deshalb an Rosa Luxemburg erinnern: 'Da wir wissen, dass der
Sozialismus sich ohne weiteres, wie aus der Pistole geschossen, nicht durchführen
lässt, sondern nur dadurch, dass wir in einem hartnäckigen Klassenkampfe auf
wirtschaftlichem und politischem Boden von der bestehenden Ordnung kleine Reformen
erreichen, um uns wirtschaftlich und politisch immer besser zu stellen und die Macht zu
erhalten, endlich der heutigen Gesellschaft das Genick zu brechen, sind unsere
Minimalanforderungen nur auf die Gegenwart zugeschnitten. Wir akzeptieren alles, was
man uns gibt, aber fordern müssen wir das ganze politische Programm.'
55
Unsere politischen Kontrahenten und manche Medien möchten uns gern auf
'pragmatische Sozialisten' zurechtstutzen. Ich warne vor solch vergiftetem Lob.
Pragmatische Politik kann auch sachliches Handeln bezeichnen. Gemeint und
gewünscht ist aber der negative Sinn, unparteiliche Nützlichkeit."
56
Torsten Koplin (seinerzeit Mitglied des Parteivorstands und Mitglied des Landtags von
Mecklenburg-Vorpommern), „Keine sozialistische Enklave", Disput Januar 2006, S. 10
(Dokument B 34).
57
2. Innerparteiliche Zusammenschlüsse
58
Die Bundessatzung sieht die Möglichkeit vor, innerparteiliche Zusammenschlüsse zu
bilden:
59
„§ 7 Innerparteiliche Zusammenschlüsse
60
Innerparteiliche Zusammenschlüsse können durch die Mitglieder frei gebildet werden.
Sie sind keine Gliederungen der Partei. (...)
61
Zusammenschlüsse bestimmen selbstständig den politischen und organisatorischen
Beitrag, den sie zur Politik der Partei und zur Weiterentwicklung von Mitglieder-,
Organisations- und Kommunikationsstrukturen der Partei leisten. Sie sind entsprechend
ihren Schwerpunktthemen aktiv in die Arbeit von Parteivorstand, Kommissionen und
Arbeitsgremien aller Ebenen einzubeziehen. (...)
62
Bundesweite Zusammenschlüsse können Delegierte zum Parteitag entsenden.
63
Bundesweite Zusammenschlüsse erhalten im Rahmen des Finanzplanes finanzielle
Mittel für ihre Arbeit.
64
Zusammenschlüsse, die in ihrem Selbstverständnis, in ihren Beschlüssen oder in ihrem
politischen Wirken erheblich und fortgesetzt gegen die Grundsätze des Programms, der
Satzung oder Grundsatzbeschlüsse der Partei verstoßen, können durch einen
Beschluss des Parteitages oder des Bundesausschusses aufgelöst werden. (...)"
65
Zweitgrößter von derzeit 18 von der Partei anerkannten innerparteilichen
Zusammenschlüssen ist die Kommunistische Plattform mit mehr als 800 Mitgliedern. Die
Kommunistische Plattform (KPF) beschreibt sich auf der Internetseite der Partei wie
folgt:
66
„Die Kommunistische Plattform ist ein offen tätiger Zusammenschluss von
Kommunistinnen und Kommunisten in der Partei DIE LINKE, die auf der Grundlage von
Programmatik und Satzung der Partei aktiv an der Basis und in Parteistrukturen wirken.
Die Bewahrung und Weiterentwicklung marxistischen Gedankenguts ist wesentliches
Anliegen der Kommunistischen Plattform. Die Plattform tritt sowohl für kurz- und
mittelfristig angestrebte Verbesserungen im Interesse der Nicht- und wenig Besitzenden
innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft als auch für den Sozialismus als Ziel
gesellschaftlicher Veränderungen ein. Antifaschismus und Antirassismus sind für die
Kommunistische Plattform ein strategisches politisches Anliegen, und sie wendet sich
gegen jegliche Art von Antikommunismus, von wem er auch ausgehen mag."
67
Zu den Zielen der Kommunistischen Plattform heißt es u.a.:
68
„Wir wollen Stimme derjenigen sein, die in der Partei am Ziel des Sozialismus
festhalten, d.h. derjenigen, die Sozialismus im Marx'schen Sinne definieren: Nämlich als
69
erste Phase der kommunistischen Gesellschaft, in der die Produktionsmittel bereits
Eigentum der gesamten Gesellschaft sind. Diese Kräfte wollen wir stärken. Ist das denn
notwendig, werden nun wieder einige fragen? Es heißt doch auch im neuen wie schon
im 93er Parteiprogramm: 'Sozialismus ist für uns ein notwendiges Ziel - eine
Gesellschaft, in der die freie Entwicklung der einzelnen zur Bedingung der freien
Entwicklung aller geworden ist.'
Der zweite Satzteil ist sinngemäß aus dem Kommunistischen Manifest übernommen.
Die Voraussetzung für eine solche Gesellschaft wird allerdings nicht genannt, die aber
im Manifest vor dem obigen Satz steht - nämlich, wenn sich das Proletariat durch eine
Revolution zur herrschenden Klasse gemacht hat und die alten Produktionsverhältnisse
aufgehoben hat.
70
Im 93er Programm heißt es immerhin noch im nächsten Absatz: 'Die Existenzkrise der
Zivilisation macht die Umwälzung der herrschenden kapitalistischen Produktions- und
Lebensweise zu einer Frage menschlichen Überlebens.' Im Chemnitzer Programm ist
diese klare Formulierung verschwunden und durch nebulöse Phrasen über Freiheit,
Gleichheit und Gerechtigkeit ersetzt.
71
Nun frage ich, ist der Kapitalismus in den vergangenen 10 Jahren humaner geworden,
ist die Existenzkrise überwunden? Ich denke, das Gegenteil ist der Fall.
72
Die KPF konnte trotz großer Anstrengungen das Chemnitzer Programm nicht
verhindern. Dessen ungeachtet wollen wir aber den verbliebenen Spielraum nutzen und
für die Durchsetzung des wissenschaftlichen Sozialismus in der Partei streiten.
73
Die besondere Verantwortung von deutschen Sozialisten und Kommunisten liegt
unserer Meinung nach darin, dass wir in einem Staat wirken, der zu den stärksten
kapitalistischen Mächten Europas gehört. In einem rasanten Tempo wird mittels
asozialer Reformen die Lebensqualität der Lohnabhängigen immer mehr
zurückgefahren. Die Militarisierung der EU wird vorangetrieben. Kurz, die Entwicklung
des Kapitalismus nimmt mehr und mehr gefährliche Formen an. Es genügt nicht, dieser
Entwicklung mit Tagesforderungen zu begegnen. Der Kampf gegen Harz IV, Lohnraub,
Gesundheitsreform usw. ist natürlich notwendig. Doch die PDS muss in ihrer
Programmatik und ihrem Handeln klar zum Ausdruck bringen, dass eine wirkliche
Lösung der sozialen Probleme nur durch eine Entwicklung in Richtung Sozialismus
möglich ist.
74
Haben wir doch die gegenteilige Entwicklung am Beispiel der SPD vor Augen. Diese
Partei, die sich mit ihrem Godesberger Programm vom Marxismus verabschiedet hat,
preist nun seit über 40 Jahren Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität als die Grundwerte
des demokratischen Sozialismus. Es geht ihr auch nicht mehr um die Durchsetzung von
Arbeiterinteressen, sondern um deren Einschränkung. Auch die PDS läuft Gefahr, in
diese Richtung abzugleiten. Das beweisen die Programmformulierungen über Freiheit,
Gleichheit und Gerechtigkeit. Dieses Abgleiten muss verhindert werden. Das geht nur,
wenn die Partei sich wieder auf den wissenschaftlichen Sozialismus von Marx und
Engels besinnt. Dafür kämpft die Kommunistische Plattform. Wir rufen alle Mitglieder der
PDS auf, in diesem Sinne mit uns zu wirken."
75
Aus: Kronschwitz: „Was will die kommunistische Plattform der PDS?", in: Opp! - Die
Zeitung des PDS-Landesverbands Sachsen, Ausgabe Januar/Februar 2005, S. 5
76
(Dokument B 5).
„Wir setzen uns für eine vorurteilsfreie Analyse des Sozialismus im 20. Jahrhundert ein
und unterstreichen unsere Position, dass dieser historisch legitim war und ist. Wir sind
solidarisch mit allen Ländern, die den Weg - ihren eigenen Weg - zum Sozialismus
gehen, insbesondere mit dem vom US-Imperialismus bedrohten Cuba. Wir weisen alle
Angriffe der imperialistischen Reaktion auf die Souveränität und die fortschrittliche
Entwicklung Venezuelas zurück. Wir unterstreichen unsere Position, dass die Debatte
über den Sozialismus notwendig ist. Diese mit einem verbindlichen Dokument der
Kommunistischen Plattform zu beenden, halten wir allerdings gegenwärtig weder für
realisierbar, noch für richtig.
77
Anfang Juni 2007 veröffentlichten siebzehn namhafte russische Wissenschaftler und
Autoren in der Wochenzeitung Moskowskije Nowosti einen Aufruf zur Wiedereinführung
des Feiertages zu Ehren der Oktoberrevolution, unter ihnen der international
renommierte Dramatiker Schatrow, die Historiker Galkin und Medwedew, die
Philosophen Kelle und Bagaturja. Obwohl die Unterzeichner unterschiedlicher
politischer Auffassung sind, bewerten sie die Oktoberrevolution und die nachfolgende
Entwicklungsphase des Sozialismus als historisch legitim. Wir müssen alles tun, um
diesen Aufruf in unserer Partei und darüber hinaus bekannt zu machen.
78
Wir unterstützen Oskar Lafontaines Feststellung: »Die Linke muss die Systemfrage
stellen«. Zugleich sind wir uns dessen bewusst, dass diese Forderung verschieden
ausgelegt werden kann. Die Probe aufs Exempel ist das Verhältnis zum Kapitalismus
und die daraus resultierende Praxis der Partei. Wir halten Kapitalismus letztlich für nicht
reformierbar. Wir treten für eine Gesellschaftsordnung ein, in welcher die Ausbeutung
des Menschen durch den Menschen abgeschafft und der Mensch nicht länger ein
'erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist ...' (Marx-
Engels-Werke 1/385). Unser Ziel ist der Sozialismus, in dem die unerlässliche
Demokratie ihre Basis in Eigentumsverhältnissen hat, die gewährleisten, dass die
Profitmaximierung nicht mehr das Maß aller Dinge ist."
79
Aus: „Wir bleiben, was wir waren und sind: In der Partei DIE LINKE organisierte
Kommunistinnen und Kommunisten", Beschluss der 3. Tagung der 13.
Bundeskonferenz der Kommunistischen Plattform vom 10. November 2007 (Dokument
B 46).
80
„Wenn es dem Kapital erlaubt ist, die funktionelle Verkommenheit des Profitsystems auf
solche Weise moralisch zu rechtfertigen, warum ist es dann in den Augen mancher
Linker eine Art Todsünde, über den Preis der sozialen Sicherheit und des Friedens zu
reden. Der Preis nämlich ist die Überwindung des Kapitalismus und die Errichtung einer
anders funktionierenden Gesellschaft, die natürlich in ihrer Anfangsphase alles andere
als perfekt ist. Die Erfahrung haben wir gemacht. Die Brie-Brüder und ihresgleichen
predigen eine perfekte sozialistische Gesellschaft vom ersten Tage ihrer Existenz an.
Ihre Vorstellungen vom Sozialismus erinnern irgendwie an die Geschichte von der
unbefleckten Empfängnis. Und um es auch dem Verfassungsschutz ein wenig schwerer
zu machen, soll an dieser Stelle Kurt Tucholsky unseren Gedanken und Gefühlen
Ausdruck verleihen. 1922 schrieb er: 'Ich will nicht, dass ... diese Kinder einmal in
Ackergräben verrecken, weil sich zwei Kapitalistengruppen nicht anders über die
Verteilung der Konsumentenplantagen einigen können, und weil zwei Beamtenapparate
dergleichen zur Auffrischung und Weiterexistenz nötig haben, soziologische Fakten, die
81
man unter Zuhilfenahme entsprechender Universitätsprofessoren und frei schaffender
Schriftsteller als mystisch immanente Gegensätzlichkeiten leicht philosophisch
begründen kann. Wir haben's ja: Wozu haben wir auf diesen Universitäten studiert! ...
Wer nicht sieht, dass es ganze Gesellschaftsschichten sind, ganze Klassen und Kasten,
die so verkommen, so heruntergekommen in ihrem moralischen Empfinden, von so
frechem Hochmut sind - wer nicht sieht, dass man diesen Beamten, ihren Söhnen,
diesen Studenten, Professoren, Oberlehrern, Medizinern, diesen Balkan-Deutschen die
Macht zeigen muss, die unlogische, nicht objektive, ungerechte, einfache Macht: der
richtet das Land zugrunde. Und wir wollen uns nicht zugrunde richten lassen.' "
Aus: „... und doch haben wir uns nicht klein machen lassen", Referat des
Bundessprecherrats auf der 1. Tagung der 13. Bundeskonferenz der Kommunistischen
Plattform am 1. Oktober 2006, Teil 1 (Dokument B 7).
82
„Das widerspiegelt das Versagen vieler Parteien vor den Herausforderungen der
Gegenwart - auch sozialdemokratischer und pseudosozialistischer Parteien, die sich
vom Ziel der Ablösung des Kapitalismus durch eine sozialistische Gesellschaftsordnung
verabschiedet haben. Nicht überlebt aber haben sich Parteien, die im Geiste von Marx,
Engels und Lenin gegen das Kapital, für den Sozialismus wirken. Sie können - und
müssen - den neuen sozialen Bewegungen echte Partner - nicht 'Führer' - sein, den
Bewegungen, die, so machtvoll sie auch sein mögen, auf Grund ihrer Breite, aber auch
Spezifik, und ihrer Heterogenität - die gerade ihre Stärke ausmachen - nicht die
Aufgaben einer revolutionären politischen Partei erfüllen können. Für sozialistische,
kommunistische Parteien, die im Sinne von Marx und Lenin wirken, ist das eine enorme
Herausforderung. Das Leninsche Erbe wird helfen, sie zu meistern."
83
Aus: Prof. Dr. Heinz Karl (seinerzeit Mitglied des Bundeskoordinierungsrats der
Kommunistischen Plattform), „Vom Leninschen Denken und Handeln", Mitteilungen der
Kommunistischen Plattform, Februar 2004, S. 31 (vgl. Verfassungsschutzbericht 2004,
Dokument B 2, S. 148).
84
„Wir haben keine revolutionäre Situation, in der die unten nicht mehr so weiter leben
wollen wie bisher und die oben auch nicht mehr weiter so regieren können, und es gibt
auch gegenwärtig keine Kraft in Deutschland, die einen praktisch ernst zu nehmenden
Kampf um eine andere Gesellschaft zu führen in der Lage wäre. Doch der Kapitalismus
wird zunehmend weniger als etwas Vernünftiges betrachtet. Durch die eigene soziale
Erfahrung wird er von immer mehr Menschen als asozial, nicht friedfertig und als immer
weniger demokratisch empfunden. Menschen werden offener für antikapitalistische
Erwägungen. Daran wäre zur Zeit des Zustandekommens von 'Deutschland einig
Vaterland' nicht zu denken gewesen."
85
Aus: Friedrich Rabe, Bericht des Bundessprecherrats, Mitteilungen der
Kommunistischen Plattform, Mai 2008 (Dokument B 50).
86
Das seit 1995 bestehende Marxistische Forum mit etwa 60 Mitgliedern hat seine
Anerkennung als innerparteilicher Zusammenschluss der Partei DIE LINKE beantragt.
Es stellt sich auf der Internetseite der Partei folgendermaßen vor:
87
„In den Diskussionen dieser Jahre um das Oppositionsverständnis der PDS, die Rolle
des Klassenkampfs in der bestehenden Gesellschaft und über den Umgang mit der
Eigentumsfrage als Grundlage zur Überwindung des Kapitalismus bildete sich das
88
Marxistische Forum. Sein Ziel ist, den Rang der marxistischen Gesellschaftsanalyse
innerhalb der Diskussion in der Partei durch die Verbreitung marxistischen Wissens und
dialektischen Herangehens zu erhöhen."
Zu den Zielen des Marxistischen Forums heißt es u.a.:
89
„Eine sozialistische Partei, die diesen Namen verdient, darf auch keinen Hehl daraus
machen, dass die Überwindung des kapitalistischen Systems nicht nur erfordert, den
Herrschenden ihre ökonomischen Machtgrundlagen zu entreißen, sondern voraussetzt,
ihnen eine politische Macht zu nehmen, sie von den Schalthebeln der staatlichen Macht
zu entfernen und diese für die grundlegende Umgestaltung der gesellschaftlichen
Verhältnisse zu nutzen."
90
Aus: Geschichtskorrespondenz, April 2003, S. 17, zitiert nach Verfassungsschutzbericht
2003, S. 136 (Dokument B 1).
91
„Aber ein wirklich antikapitalistischer Neuanfang ist ohne eine marxistische Partei
zeitgemäßen Leninschen Zuschnitts nicht möglich. Es gilt heute mehr denn je, dass die
marxistische Linke eine revolutionäre Partei benötigt, die den Kampf um
Gesellschaftsveränderung - letztlich um sozialistische Neuorganisierung der
Gesellschaft - begreift und führt."
92
Aus: Prof. Dr. Ingo Wagner, Das Übergangsprogramm heute, Marxistisches Forum, Heft
53, Januar 2007, S. 5, vgl. Verfassungsschutzbericht 2007, S. 153.
93
„Es gehört zum Einmaleins marxistischer Verfassungsbetrachtung, dass Verfassungen
und einzelne Verfassungsnormen keine von den gesellschaftlichen und politischen
Kämpfen losgelöste Grundwerte sind. Verfassungen sind nach marxistischem
Verständnis Resultate von Klassenkämpfen. (...) In aller Regel - so auch die Weimarer
Reichsverfassung und das Bonner Grundgesetz - sind sie Waffenstillstandslinien bzw.
Grenzmarken der kämpfenden Klassen, die auch nach ihrer Annahme immer wieder
umkämpft sind."
94
Aus: Prof. Dr. Ekkehard Lieberam (seinerzeit Sprecher des Marxistischen Forums), „Die
soziale Frage als Verfassungsfrage 1919, 1949 und in der Gegenwart",
Geschichtskorrespondenz, Juli 2005 (Dokument B 12).
95
Der Gründungsparteitag der Partei DIE LINKE hat die Linksjugend ['solid] als
Jugendorganisation der Partei anerkannt (Dokument B 125). Dieser Organisation
gehören etwa 8.200 Mitglieder an, die nicht notwendigerweise zugleich Parteimitglieder
sind. Die Selbstbeschreibung der Linksjugend ['solid] lautet:
96
„Die Linksjugend ['solid] ist ein offener sozialistischer Jugendverband, der sich kritisch
zur kapitalistischen Gesellschaft in den aktuellen politischen Auseinandersetzungen
engagiert. Als Teil emanzipatorischer und antifaschistischer Bewegungen sucht der
Jugendverband die Zusammenarbeit mit anderen BündnispartnerInnen."
97
Im Programm der Linksjugend ['solid] vom 5. April 2008 (Dokument B 127) heißt es:
98
„Wir wollen die Bühne des Parlamentarismus für den Kampf um eine gerechtere Welt
nutzen, aber uns nicht der Illusion hingeben, dass dort der zentrale Raum für reale
99
Veränderungen sei. Gesellschaftliche Veränderungen finden schwerpunktmäßig
außerhalb der Parlamente statt."
Eine ihrer Untergruppierungen erklärte:
100
„Wir als antikapitalistische Jugendgruppe lehnen den Parlamentarismus zwar ab, weil er
Stellvertreterlogik produziert und lediglich als Kasperletheater zur Legitimation
kapitalistischer Verhältnisse dient. Linke Politik wird unserer Meinung nach vor allem
auf der Straße gemacht. Das heißt nicht, dass wir nicht die Vorteile einer starken
sozialen Oppositionspartei schätzen würden."
101
Verband ['solid] 36 - die sozialistische Jugend Kreuzberg im Internetportal indymedia,
Mai 2006, zitiert nach Verfassungsschutzbericht 2006.
102
3. Verhältnis zur DDR
103
Zum Umgang der Partei DIE LINKE (früher: PDS/Linkspartei.PDS) bzw. ihrer
Unterorganisationen mit der Geschichte der DDR und der Rolle der SED in diesem
Staat liegen u.a. folgende Äußerungen vor:
104
„Sowohl eine Distanzierung von früheren Fehlentscheidungen wie erst recht die
Verurteilung von Untaten, die im Namen des Sozialismus begangen wurden, bleiben
unverzichtbar. Dies um so mehr in Hinsicht auf die neuen Herausforderungen, vor
denen die Gesellschaft und damit auch die LINKE stehen. Nur sollte man nach unserer
Auffassung nicht der Benennung von Fehlern den dominierenden Platz einräumen. Eine
kritische Bewertung geschichtlicher Ereignisse darf auch nicht in Verkennung oder gar
bei bewusster Negierung der jeweiligen konkreten historischen Situation vorgenommen
werden. Dagegen sollte sie mit dem Hinweis auf zukunftsorientierte Lehren zum Gewinn
neuer aktueller Erkenntnisse beitragen. Für kontraproduktiv halten wir daher
realitätsfremde und bedenkliche Urteile über geschichtliche Vorgänge, wie sie
gelegentlich leider auch von Mandatsträgern der Partei geäußert werden. Es sind
zudem Positionen, die von vielen Mitgliedern und Sympathisanten eindeutig missbilligt
werden. Mit Nachdruck wenden wir uns deshalb auch gegen Diffamierungen und
Verleumdungen des untergegangenen zweiten deutschen Staates der
Nachkriegsentwicklung. (...)
105
Die Mitglieder des Ältestenrats halten es für erforderlich, eine bisher oftmals noch
vorherrschende Konzentration auf eine Distanzierung von der Politik sozialistischer
Führungskräfte im 20. Jahrhundert, von damaligen Unzulänglichkeiten, Fehlern,
sonstigen negativen Handlungen und ihren nachwirkenden Folgen zu überwinden. Ein
solch einseitiges Geschichtsbild kann gerade gegenüber vielen jüngeren Menschen zur
sicher ungewollten Verunglimpfung des Sozialismus als eines angeblich
menschenfeindlichen Systems missbraucht werden. Es entspricht weitgehend dem
heute besonders auch in der Bundesrepublik instrumentalisierten
Geschichtsrevisionismus, der eindeutig durch die antisozialistische Grundhaltung der
herrschenden Kreise geprägt wird. Diese Anlehnung an den 'Zeitgeist' muss sich als
Hemmschuh für eine linke deutsche Partei erweisen. Das gilt auch für eine selbst nur
andeutungsweise Billigung der heute propagierten verleumderischen These von den
'zwei deutschen Diktaturen'.
106
Erforderlich ist eine wahrheitsgetreue, eine durchaus differenzierte Bewertung der
107
jüngsten Geschichte. Wir erklären daher mit aller Deutlichkeit: Bei einer unbedingt auch
weiterhin notwendigen Verurteilung aller selbstverschuldeten Deformationen bei der
Verwirklichung einer angestrebten antikapitalistischen Alternative sollten wir uns
dennoch überzeugend zur Legitimität der Herausbildung sozialistischer
Gesellschaftsformationen im 20. Jahrhundert bekennen, darunter auf deutschem Boden,
so unvollkommen und mit Fehlern belastet die Entwicklung der DDR in den vier
Jahrzehnten ihrer Existenz bis zu ihrem Zusammenbruch auch war. Wer sich im 21.
Jahrhundert für eine demokratischen Sozialismus einsetzt, wird daher bei
unumgänglicher Kritik aller negativen Erscheinungen vielfältige Erfahrungen und reale
Leistungen des Sozialismus im 20. Jahrhundert nicht übergehen oder gar pauschal
ablehnen dürfen. Und das betrifft ganz besonders unsere Haltung zur Geschichte der
DDR - und wir werden auch in absehbarer Zukunft bei ganz unterschiedlichen
Gelegenheiten immer wieder danach befragt. Die DDR war ein organischer Bestandteil
der deutschen Geschichte, verstand sich als Beherzigung ihrer Lehren und als
Fortsetzung einer Jahrhunderte alten wichtigen und unverzichtbaren Traditionslinie. Sie
ergab sich nach 1945 als historisch herangereifte Antwort auf die von den Machthabern
des deutschen Imperialismus verursachte nationale Katastrophe. Sie war damit das
Projekt eines neuen Deutschland und sollte auch als dieses entsprechend gewürdigt
werden."
Aus: „Anregungen zum Umgang mit der Geschichte", Erklärung des Ältestenrats der
Partei DIE LINKE vom 16. Juli 2008 (Dokument B 92).
108
„Eine allzu gedankenlose Distanzierung vom Mauerbau könnte in Zukunft das
Verständnis dahin dogmatisch versperren, wo eine ökonomisch unterentwickelte
Region - um mehr Demokratie, mehr Ökologie, mehr Kulturausgaben, mehr Soziales zu
wagen - sich abschottet oder etwa die Abwerbung der vom Monopolkapitalismus
bevorzugten Kräftigen, Jungen, teuer Ausgebildeten verhindern wollte."
109
Aus: Dr. Dieter Dehm (Landesvorsitzender der Partei DIE LINKE Niedersachsen und
Abgeordneter im Deutschen Bundestag), „Drei Brücken über programmatische Mauern",
UTOPIE kreativ, Heft 132 (Oktober 2001), S. 878 (880) (Dokument B 111).
110
„Wir brauchen ein ausgewogenes Geschichtsbild, vor allem zur deutschen
Nachkriegsentwicklung. Das sollte nach unserer Auffassung sowohl ein Bekenntnis zur
historischen Legitimität des sozialistischen Aufbruchs in weiten Teilen Europas und
anderen Kontinenten, darunter der DDR, wie auch eine Benennung der wesentlichen
Ursachen seines Scheiterns einschließen. Zugleich sollten wir nicht verschweigen,
dass der Zusammenbruch des Sozialismus auf europäischem Boden einen
bedrohlichen Rückfall in der Entwicklung der menschlichen Zivilisation begünstigte. Es
geht nicht um nostalgische Definitionen, sondern darum, die Traditionen der
sozialistischen und demokratischen Bewegung, des Kampfes gegen Faschismus und
imperialistischen Krieg für die Gewinnung neuer, vor allem auch jüngerer Mitglieder,
Sympathisanten und Wähler zu nutzen."
111
Aus: „Den historisch gewachsenen und bewährten Ideen des Sozialismus verpflichtet",
Botschaft des Ältestenrats der Linkspartei.PDS an die Delegierten des Dortmunder
Parteitags vom 6. März 2007 (Dokument B 54).
112
„Für Kommunistinnen und Kommunisten ist die Dialektik Methode nicht nur zur Analyse
gegenwärtiger Verhältnisse sondern gleichermaßen der Geschichte. Das klingt wie eine
113
Binsenwahrheit. Diese bedarf allerdings der besonderen Erwähnung, weil es auch unter
Linken nicht unüblich ist, den Kapitalismus und Imperialismus nach den Kriterien des
historischen Materialismus zu bewerten und gleichzeitig zuzuschauen, wenn der
Mainstream den gewesenen Sozialismus jenseits von Zeit und Raum
denunziatorischen Bewertungen unterzieht. (...)
Wenn Kommunistinnen und Kommunisten sich den Denunziationen des Sozialismus
des 20. Jahrhunderts entgegenstellen, dann verteidigen sie damit mehr, als die Würde
all jener, die aufrichtig und oft unter großen Opfern für eine andere Welt gekämpft und
gearbeitet haben. Sie verteidigen gleichermaßen die Idee einer sozialistischen Zukunft,
die Überzeugung, dass Kapitalismus nicht das letzte Wort der Geschichte sein darf, das
Wissen, dass es Sozialismus geben wird oder eben Barbarei."
114
Aus: „Kommunistische Identität bewahren", Beschluss des Bundeskoordinierungsrats
der Kommunistischen Plattform vom 4. August 2007 (Dokument B 55).
115
„Mit der Keule vom gescheiterten Modell wird jeder erschlagen, der in den sozialen
Vorzügen des gewesenen Sozialismus mehr sieht als ein Phänomen - eine
unerklärbare Erscheinung also. Was nicht geleugnet werden kann, wird de facto zur
Erscheinungsform eines unerkennbaren 'Dinges an sich' gemacht und die
nichtsozialistischen Züge des gewesenen Versuchs werden verabsolutiert und schon
haben wir die überaus wissenschaftliche Trennung von Modell und ... ja, von was
eigentlich? Machen wir es kurz: Die Kommunistische Plattform hat in der Vergangenheit
diesem ahistorischen Umgang mit unserer Geschichte keinen Tribut gezollt und wird
das auch in Zukunft nicht tun. Und genau in diesem Punkt befinden wir uns mit der
übergroßen Mehrheit der Mitgliedschaft der PDS bzw. Linkspartei.PDS in unbedingter
Übereinstimmung. Wenn Ulla Lötzer, MdB und ebenfalls der sozialistischen linken
Strömung zugehörige Protagonistin, von den rückwärtsgewandten Vertretern der
Kommunistischen Plattform und des Marxistischen Forums spricht, dann ist ihr
womöglich nicht bewusst, dass diejenigen, die sie damit denunziert, weit mehr sind, als
jene, die sich den genannten Zusammenschlüssen zugehörig fühlen. Was heißt
eigentlich 'rückwärts gewandt'? Seine Wurzeln nicht zu verleugnen? Bindungslosigkeit
nicht zu ertragen? Perspektive von Sachanalyse ableiten zu wollen und nicht von
Verdikten? Wir jedenfalls ziehen weder in Betracht, unsere Haltung zum gewesenen
Sozialismus aus bündnispolitischen Erwägungen zu verleugnen noch kommt für uns in
Frage, uns dem Zeitgeist anzupassen. Wir halten es vielmehr für schizophren, sich über
sozialistische Perspektiven verständigen zu wollen und aus Angst vor dem Zeitgeist vor
jenen, welche den Sozialismus denunzieren, den Kotau zu machen.
116
Liebe Genossinnen und Genossen, das Land braucht nicht unsere Anpassung, sondern
nichts so sehr wie Widerstand: Widerstand gegen Sozialabbau und nicht minder gegen
deutsche Kriegspolitik und zunehmende Repressionen nach innen. Die jüngste
Terrorhysterie um merkwürdig misslungene Bombenattentate führt erneut vor Augen,
wie mittels der Medien eine ganze Gesellschaft manipuliert wird, ein stets enger
werdendes Überwachungsnetz, genannt zentrale Antiterrordatei, zu goutieren.
Folgerichtig soll der Etat des Verfassungsschutzes um 50 Millionen Euro erhöht werden.
Angemerkt sei: Die gleichen Medien machen aus dem im übrigen technisch
vergleichsweise bescheiden ausgestatteten MfS ein Horrorgebilde, indem sie der DDR
jegliches Recht auf ein Sicherheitsbedürfnis absprechen. (...)
117
Das trifft wesentlich auch für die offizielle Politik der PDS zu. Bevor der Kapitalismus
118
einmal prinzipiell kritisiert wird, hat man sich ca. 78mal für den gewesenen Sozialismus
entschuldigt. Die Entschuldigungsarie war eine Grundbedingung dafür, auf
Landesebene regierungstauglich zu werden. Sie hatte daher im Sommer 2001 ihren
stolzen Höhepunkt. (...)
Gerade unsere nur wenige Monate zurückliegende Kuba-Solidaritätsaktion, aber auch
unser Wirken zur Abwehr pogromartiger Stimmungen gegen ehemalige MfS-
Angehörige beweisen, wir stehen gegen den Zeitgeist."
119
Aus: „... und doch haben wir uns nicht klein machen lassen", Referat des
Bundessprecherrats auf der 1. Tagung der 13. Bundeskonferenz der Kommunistischen
Plattform am 1. Oktober 2006, Teil 2 (Dokument B 10).
120
Die Kommunistische Plattform veröffentlichte eine Erklärung ehemaliger Mitarbeiter des
Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. Diese lautet auszugsweise:
121
„Unsere Tätigkeit als staatliches Untersuchungsorgan erfolgte auf der Grundlage der
Verfassung und der Strafprozessordnung der DDR. Wir stehen zu unserer Tätigkeit und
Verantwortung als Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit zum Schutze der
DDR, in der auf deutschem Boden der legitime Versuch unternommen wurde, eine
sozialistische Gesellschaft aufzubauen, eine antifaschistische, dem Frieden
verpflichtete Gesellschaft ohne kapitalistische Ausbeutung und soziale Not. Dieser Staat
wurde seit seinem Bestehen von seinen Gegnern, die sich mit einer sozialistischen
Perspektive in Deutschland nicht abfinden wollten, unerbittlich bekämpft und bedurfte
des Schutzes. (...) Wir werden uns aber auch nicht vor den ständigen Versuchen, unsere
Vergangenheit und uns persönlich zu diskriminieren und zu kriminalisieren, beugen. (...)
Jüngsten Veröffentlichungen ist zu entnehmen, dass die Geschichtsklitterung in den so
genannten Stasi- Gedenkstätten weiter in dem Sinne forciert werden soll, diese
vollständig auf die Totalitarismusdoktrin, also die Gleichsetzung von Nazistaat und
DDR, einzuschwören. (...) Wir fordern: Schluss mit den Lügen, Halbwahrheiten und
Verdrehungen über die DDR und ihre Schutz-, Sicherheits- und Justizorgane. Schluss
mit der davon bestimmten Gedenkstättenpolitik. Schluss mit der gesetzwidrigen
persönlichen Diskriminierung von Angehörigen der Untersuchungsabteilungen des
Ministeriums für Staatssicherheit."
122
Aus: „Geschichtsklitterung in der Gedenkstätte 'Roter Ochse' „, Erklärung ehemaliger
Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit, veröffentlicht in Mitteilungen der
Kommunistischen Plattform, Oktober 2007 (Dokument B 56).
123
4. Verhältnis zur Deutschen Kommunistischen Partei (DKP)
124
Die Fraktion DIE LINKE. im Bundestag enthielt sich der Stimme bei einem im März 2008
von der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion in den Deutschen Bundestag
eingebrachten Antrag, mit dem die Bundesregierung u.a. aufgefordert wurde, „zu prüfen,
wie sichergestellt werden kann, dass extremistische Vereine von vornherein nicht als
gemeinnützig anerkannt werden" (BT-Drs. 16/8497). Im Bericht des Innenausschusses
heißt es:
125
„Die Fraktion DIE LINKE. betont, sie enthalte sich bei dem Antrag der
Koalitionsfraktionen, da er zu pauschal von 'extremistischen' Vereinen spreche und sich
nicht deutlich genug auf rechtsextremistische Zusammenschlüsse beziehe."
126
BT-Drs. 16/8497, S. 4.
127
1990 unterbreitete die DKP der PDS ein Angebot zur Zusammenarbeit. In der Antwort
führt Herr Dr. André Brie, damals stellvertretender Parteivorsitzender, aus:
128
„Die bestehenden Kontakte sollten wir weiterentwickeln. Wir würden uns sehr freuen,
wenn Genossinnen und Genossen der DKP uns beim Aufbau von Kontakten zu
anderen linken Parteien, Bewegungen und Organisationen unterstützen könnten. Es
wäre für uns von großer Bedeutung, wenn ihr uns bei der Überwindung alter, durch die
SED erfolgter Abgrenzungen gegenüber Linken in der BRD helfen würdet."
129
Unsere Zeit (UZ) vom 3. August 1990, S. 6 (Dokument B 138).
130
In der Folgezeit nahm die PDS (später: Linkspartei.PDS, jetzt DIE LINKE) in ihre
Wahlvorschläge für Wahlen aller Ebenen außer eigenen Parteimitgliedern u.a. auch
Mitglieder der DKP auf. Der Parteitag der Partei DIE LINKE im Mai 2008 beschränkte
die Aufnahme von Mitgliedern anderer Parteien auf von der Partei eingereichte
Wahlvorschläge auf Kommunalwahlen. In dem Beschluss (Dokument B 51) heißt es:
131
„Wir werben mit unserer Politik und unseren Wahlprogrammen für gesellschaftliche
Mehrheiten, die auch zu politischen Mehrheiten führen. Daher bewahren wir die
politische Tugend, bei Wahlen mit 'Offenen Listen' anzutreten. 'Offene Listen' bei
Europa-, Bundestags- und Landtagswahlen sind eine Einladung an Persönlichkeiten
des öffentlichen Lebens, deren Herz links schlägt und die sich dem Wahlprogramm und
den Grundsätzen der Partei verpflichtet sehen, sich öffentlich um ein parlamentarisches
Mandat zu bemühen. Auf den Listen der Partei DIE LINKE für Europa-, Bundestags- und
Landtagswahlen kandidieren Mitglieder der Partei DIE LINKE und parteiungebundene
Persönlichkeiten."
132
Als Gründe für diesen Beschluss führte der Kläger an:
133
„Die Linke muss ihre Wahllisten so gestalten, dass sie nicht per Anfechtungsverfahren
annulliert werden können. Auf den gemeinsamen Erfolg von PDS und WASG bei der
letzten Wahl zum Bundestag hat dessen Mehrheit mit dem Beschluss reagiert, dass bei
Europa- und Bundestagswahlen keine Mitglieder fremder Parteien mehr auf einer Liste
kandidieren dürfen. Ich rate meiner Partei daher dringend, diese rechtliche Veränderung
zu beachten. Wir dürfen uns nicht in die Gefahr bringen, von anderen Parteien juristisch
bekämpft zu werden. Eine solche Klarstellung richtet sich keineswegs gegen die DKP
oder eine andere Partei. (...)
134
Ich habe sämtliche Landeswahlgesetze prüfen lassen. Dabei bin ich auf zum Teil sehr
zweideutige Formulierungen gestoßen, die sich juristisch auch gegen uns auslegen
ließen, falls wir Mitglieder anderer Parteien in unsere Listen aufnähmen. Um jede
Möglichkeit der Wahlanfechtung auszuschließen, bleibt für uns nur die erwähnte
Klarstellung. Wir wollen uns weder abgrenzen noch andere ausgrenzen - wer DKP-
Mitglied ist, soll das auch bleiben und entsprechend politisch arbeiten. Das kann er
auch mit uns gemeinsam machen - in Bündnissen, Bürgerinitiativen,
Erwerbslosengruppen oder ähnlichem. Überkreuzkandidaturen werden wir aber nicht
mehr zulassen."
135
Aus: „Klarstellung richtet sich nicht gegen die DKP", junge Welt vom 21. Mai 2008
(Dokument B 62).
136
Zum Verhältnis der Partei DIE LINKE (früher: PDS bzw. Linkspartei.PDS) zur DKP
verhalten sich u.a. folgende Dokumente:
137
„Die DKP und die PDS sind zwei unterschiedliche Parteien. Die PDS ist keine
kommunistische Partei. Ich habe oft gesagt, dass sie nie eine antikommunistische Partei
sein darf und habe mich, wenn Kommunisten in der PDS angegriffen wurden, stets
schützend vor sie gestellt. Ich denke aber auch, dass sich eine linkssozialistische Partei,
die in der Gesellschaft verändern will, die aus dem Osten kommt, aus einer ehemaligen
allmächtigen Staatspartei hervorgegangen ist, an deren Tropf die DKP bis 1989
gehangen hat, eine andere Entwicklung nehmen muss als die DKP der Bundesrepublik
Deutschland, die 1968 nach schweren Verbotsjahren wiedererstanden ist.
Wechselseitige Beziehungen sind möglich, und es gibt sie übrigens vielerorts, nicht nur
von der Kommunistischen Plattform, sondern auch von vielen Basisorganisationen und
z.B. auch zwischen Heinz Stehr und mir. Und wie sie sich entwickeln, dazu können
beide Parteien beitragen. Eine Unterstützung von DKP-Genossen und -Wählern in den
Wahlen zum 14. Deutschen Bundestag - ich denke an die Zweitstimme - wäre eine
kluge Entscheidung der DKP."
138
Aus: „Neuer Politikansatz geht nur, wenn sich alles links von der Mitte einig ist",
Interview mit Prof. Dr. Lothar Bisky (seinerzeit Vorsitzender der PDS), UZ vom 5.
September 1997 (Dokument B 142).
139
„Sowohl seitens des PDS-Parteivorstandes, als auch seitens der PDS-
Bundestagsfraktion und von einzelnen Parteifunktionären der PDS gibt es konkrete
Vorschläge bzw. Signale für Bereitschaft zu einer gewissen Zusammenarbeit. Wir
wollen die Gespräche zwischen Vertretern der Parteivorstände, wie sie seit 1990 in
gewissen Zeitabständen immer wieder geführt wurden, fortsetzen. Wir sollten die
Einladung zur Darlegung unserer politischen Positionen im Ältestenrat der PDS nutzen.
Wir sollten den Vorschlag für einen gemeinsamen Erfahrungsaustausch von DKP- und
PDS-Kommunalabgeordneten aufgreifen. In der nächsten Woche findet auf Einladung
des Bundestagsabgeordneten Wolfgang Gehrcke im Bundestag ein Gespräch mit
Vertretern der DKP über die Zusammenarbeit mit der Fraktion statt. (...)
140
Wir sollten uns nicht nur zentral, sondern vor allem auch regional und lokal um
Gespräche mit der PDS bemühen und prüfen, welche Möglichkeiten sich auf
verschiedensten Feldern zur Zusammenarbeit ergeben."
141
Aus: Rolf Priemer (seinerzeit stellvertretender Vorsitzender der DKP), Zum Verhältnis
DKP - PDS, Tagung des Parteivorstands der DKP am 7. Februar 1999 (Dokument B
144).
142
„Die entscheidende Lehre aus der Geschichte muss sein: Wir brauchen die
Aktionseinheit aller fortschrittlichen Kräfte gegen Krieg und Faschismus, gegen Sozial-
und Demokratieabbau - von Sozialdemokraten und Sozialisten, über Kommunisten und
Gewerkschafter, Autonome Antifaschisten und Globalisierungskritiker. Bei allen
Unterschieden und Differenzen muss es möglich sein, dass wir uns auf die
entscheidenden Ziele im Kampf einigen können - ohne Ausgrenzung und bei Freiheit
der gegenseitigen Kritik aller an solchen Aktionseinheiten beteiligten Kräfte. (...)
143
Ich möchte mich daher an dieser Stelle dafür aussprechen, dass die Partei DIE LINKE
auf allen Ebenen ihre Bündnisse mit der DKP, anderen sozialistischen und
kommunistischen Vereinigungen und insbesondere den außerparlamentarischen
Bewegungen ausbaut statt aufkündigt. Das ist eine Grundvoraussetzung für eine starke
Aktionseinheit gegen Sozialabbau und Militarismus - für Sozialismus und Frieden."
144
Aus: Ulla Jelpke (Mitglied der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag), Rede zum 122.
Geburtstag von Ernst Thälmann (Dokument B 148).
145
Die Partei DIE LINKE ist Mitglied in der Europäischen Linkspartei. Der Vorsitzende der
Partei DIE LINKE, Herr Prof. Dr. Lothar Bisky, ist seit November 2007 auch Vorsitzender
der Europäischen Linkspartei. In dieser Organisation, in der - so die Selbstdarstellung in
einer Broschüre (Dokument B 15) - „sozialistische, kommunistische, rot-grüne und
andere demokratische linksorientierte Parteien aus den Mitgliedstaaten und assoziierten
Staaten der EU" zusammengeschlossen sind, hat die DKP Beobachterstatus.
146
Die Partei DIE LINKE unterhält darüber hinaus Kontakte zu sozialistischen und
kommunistischen Parteien im Ausland. So wurden auf dem Parteitag im Oktober 2003
„in solidarischer Verbundenheit" Gäste von 38 „nahen und befreundeten Parteien" aus
34 Ländern begrüßt, darunter Vertreter der kommunistischen Parteien aus China, Kuba
und Vietnam.
147
5. Verhältnis zur Republik Kuba
148
Die außenpolitischen Tätigkeiten der Partei DIE LINKE beziehen sich u.a. auf die
Republik Kuba. Beim Parteivorstand existiert eine Arbeitsgemeinschaft Cuba Si mit 418
Mitgliedern. Die Arbeitsgemeinschaft ist als Zusammenschluss im Sinne von § 7 der
Bundessatzung anerkannt. Ihr stehen bei Parteitagen zwei Mandate zu.
149
Am 23. Mai 2005 beschloss der Parteivorstand der PDS, eine mit dem
Bundesvorsitzenden, dessen Stellvertreter und weiteren herausgehobenen
Funktionsträgern besetzte Delegation nach Kuba zu entsenden. Der Zweck dieser
Reise wird in dem Beschluss (Dokument B 21) wie folgt beschrieben:
150
„Die Resolution der Genfer Menschenrechtskonferenz gegen Kuba, von den USA
durchgesetzt und von den Regierungen Deutschlands und anderer europäischer
Staaten mitgetragen, schließt Türen, statt diese zu öffnen. (...)
151
Die EU und alle europäischen Staaten sollten Partner für Kuba sein: fair,
gleichberechtigt und weltoffen. Die Zeiten von Drohungen und Sanktionen gegen Kuba
müssen endlich der Vergangenheit angehören. Die PDS wird sich auch künftig dafür
einsetzen, dass die Bundesregierung sich wieder auf einen solchen politischen Kurs
begibt.
152
(...) Zur Umsetzung des Beschlusses der 1. Tagung des 9. Parteitags entsendet der
Parteivorstand eine offizielle und repräsentative PDS-Delegation nach Kuba 2005. (...)
Diese PDS-Delegation wird sich mit der gesellschaftlichen Realität Kubas sowie in
diesem Rahmen auch mit den Solidaritätsprojekten der PDS vertraut machen, die die
AG Cuba Si seit Jahren in Kuba realisiert.
153
Mit der Kuba-Reise wird die politische Aufgabenstellung konkretisiert, eine politische
Signalwirkung in Bezug auf die solidarische Verbundenheit der PDS mit der
kubanischen Revolution auszudrücken und zugleich heutige Leistungen und
Anstrengungen zur Entwicklung sozialer und wirtschaftlicher Alternativen zum
neoliberalen Wirtschaftsmodell in Lateinamerika kennen zu lernen, konkrete
Erfahrungen dabei und bei der eigenständigen Einwirkung auf internationale
Entwicklungsprozesse und die Sicherung entsprechender friedens- und
entwicklungspolitischer Bedingungen im Rahmen der UNO auch nach Deutschland und
in die Europäische Union zu vermitteln."
154
Im Februar 2006 stimmten drei Abgeordnete der Linkspartei.PDS einer kubakritischen
Resolution des Europaparlaments zu. Daraufhin unterzeichneten innerhalb weniger
Tage mehr als 1.200 Mitglieder und Sympathisanten der Partei folgenden offenen Brief
an Bundesvorstand und Parteirat (Dokument B 25):
155
„Dem sozialistischen Kuba gehört unsere Solidarität. Solidarität verbietet Kritik nicht.
Sehr wohl aber schließt sie aus, sich dem scheinheiligen Gezeter derer anzuschließen,
die Kuba wieder der Kapitalherrschaft unterwerfen möchten. Nichts anderes wollen die
USA und deren Bündnispartner. Seit beinahe fünfzig Jahren widersteht das Land dem
gewaltigen brutalen Druck des weltweit mächtigsten imperialistischen Staates. Nicht
zuletzt deshalb verkörpert Kuba für ungezählte Menschen in aller Welt Hoffnung.
156
Nicht so für André Brie, Helmuth Markov und Gabriele Zimmer. Weitab vom Schuss
stimmten sie einer Kuba-feindlichen Resolution im Europaparlament zu. Mittlerweile
findet dieses Verhalten das Verständnis von Sylvia-Yvonne Kaufmann und Feleknas
Uca.
157
Uns, den Unterzeichnenden dieses offenen Briefes, fehlt jegliches Verständnis für das
Abstimmungsverhalten der drei Abgeordneten. Sie haben nicht irgendeinen Fehler
begangen. Sie haben das Vertrauen missbraucht, das ihnen Wählerinnen und Wähler
entgegenbrachten.
158
Gerade deshalb fordern wir den Bundesvorstand und den Parteirat der Linkspartei.PDS
auf, ein deutliches Wort zu sprechen. Angesichts der existentiellen Kuba drohenden
Gefahren ist das von Sozialistinnen und Sozialisten nicht zuviel verlangt. Es wäre zum
Beispiel das richtige Signal, dem Abstimmungsverhalten Sahra Wagenknechts
öffentlich zuzustimmen."
159
Der Parteivorstand erklärte daraufhin:
160
„Die Solidarität der Linkspartei.PDS mit dem sozialistischen Kuba hat tiefe politische,
kulturelle und emotionale Wurzeln. (...)
161
Eine Bewegung der praktischen Solidarität, der politischen Kooperation, der Diskussion
und des Meinungsstreits schloss und schließt Kritik in Menschenrechtsfragen ein. Der
Zusammenhang und die Widersprüche von globaler Gerechtigkeit und
Menschenrechten gehören zum Diskurs der internationalen globalisierungskritischen
Bewegungen. Die Resolution des Europaparlamentes 'Zur Haltung der EU zur
kubanischen Regierung' widerspiegelt diese Betrachtungsweise nicht. Die Zustimmung
zur Resolution des Europaparlaments entspricht nicht der Position der Linkspartei.PDS.
(...)
162
Die Linkspartei.PDS ist und bleibt ein verlässlicher Freund und Partner Kubas.
Angesichts der jahrzehntelangen anhaltenden völker- und menschenrechtswidrigen
Blockadepolitik der USA ist es notwendiger denn je, unsere aktive solidarische
Unterstützung des kubanischen Volkes fortzusetzen."
163
Beschluss des Parteivorstands vom 27. Februar 2006 (Dokument B 26).
164
In einer Stellungnahme von drei Bundestagsabgeordneten der Partei heißt es mit Blick
auf die Verhältnisse in der Republik Kuba:
165
„Die Linke in den kapitalistischen Metropolen muss diesen Emanzipationsprozess mit
Verständnis, mit Sympathie und grundlegender Solidarität begleiten und darf sich darin
auch nicht durch instrumentelle Menschenrechtskampagnen irre machen lassen."
166
Aus: Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke, Paul Schäfer: „Eine Revolution für das
Grundgesetz", Neues Deutschland vom 8. Dezember 2007 (Dokument B 48).
167
Der Vorsitzende der Partei DIE LINKE, Herr Oskar Lafontaine, äußerte in einem
Interview anlässlich einer weiteren Reise einer Parteidelegation nach Kuba Ende
August 2007:
168
„Wir haben die Menschenrechtsfrage natürlich ausführlich erörtert. Ebenso die Frage der
Religionsausübung. Es ist das übliche Spiel, wenn mit uns konkurrierende Parteien die
Menschenrechtsfrage wichtigtuerisch instrumentalisieren. Es geht dabei wohl eher
darum, sich von uns abzugrenzen und uns zu diffamieren."
169
Aus: Junge Welt vom 1. September 2007 (Dokument B 73).
170
6. Verhältnis zur Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia - Ejército del Pueblo
(FARC)
171
Der Bundestagsabgeordnete der Partei DIE LINKE und Sprecher der Fraktion für
internationale Beziehungen, Herr Wolfgang Gehrcke, bestätigte gegenüber der Presse
Kontakte zu Vertretern der kolumbianischen Guerillaorganisation FARC:
172
„Zur Beendigung des Bürgerkriegs in Kolumbien sei es notwendig, auch die FARC in
einen Friedensprozess einzubinden, erklärte Gehrcke am Samstag in Berlin. Er
bestätigte zugleich, mehrfach Vertreter der FARC bei Konferenzen und Kongressen der
lateinamerikanischen Linken gesprochen zu haben. Auch hätten Treffen in Deutschland
mit dem Europa-Beauftragen der FARC bis zu dem Zeitpunkt stattgefunden, an dem die
EU die FARC auf die Liste der Terrororganisationen gesetzt habe."
173
Aus: „Linke-Politiker verteidigt Kontakte zur Guerilla-Organisation FARC", pr- inside vom
24. Mai 2008 (Dokument B 79).
174
Zur Lage in Kolumbien und über die FARC enthalten die von den Beteiligten
vorgelegten Dokumente u.a. folgende Aussagen:
175
„Heike Hänsel berichtete über die Situation in Kolumbien. Sie kritisierte, dass
Bundesregierung und EU nichts gegen den Angriff auf Farc-Rebellen in Ecuador gesagt
176
hätten. Nach Israel und Ägypten bekäme Kolumbien unter dem 'Plan Colombia' mehr
US-Militärhilfe als jedes andere Land (3,5 Mrd. Euro pro Jahr). Die Programme, die von
der EU finanziert werden, sind der zivile Teil des 'Plan Colombia'. Wie in Afghanistan
sollen jetzt zivil-militärische 'Provincial reconstruction teams'(PRTs) etabliert werden. Es
sei nicht akzeptabel, dass die Bundesregierung - aber auch die Friedrich-Ebert-Stiftung -
den Kurs der Regierung Uribe stützten. Das Uribe-Regime sei verantwortlich für die
Aufrüstung mörderischer Paramilitärs, die Menschenrechtler und Gewerkschafter
ermorden. Sie forderte die Kräfte zu unterstützen, die gegen rechte Regierungen
kämpften."
Aus: Bericht von der 3. Bundesversammlung der BAG Frieden und internationale Politik
am 15. und 16. März 2008 in Frankfurt am Main (Dokument B 75).
177
„Wir rufen die Regierung Uribe und auch die FARC auf, unmissverständlich die
Bereitschaft zu Friedensverhandlungen zu signalisieren. Friedensverhandlungen waren
immer Ziel unserer Politik und unserer konkreten Handlung. Von der FARC erwarte ich,
jetzt alle Geiseln frei zu lassen. Die Regierung Uribe wäre gut beraten, auch ihrerseits
gefangen genommene FARC-Rebellen, die ebenfalls seit Jahren inhaftiert sind, frei zu
lassen."
178
Wolfgang Gehrcke (Sprecher der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag für internationale
Beziehungen) zur Befreiung von Ingrid Betancourt, die von der FARC als Geisel
festgehalten worden war (Dokument B 165).
179
„Die Teilnehmenden der Venezuela-Delegationsreise von DIE LINKE.SDS verurteilen
die Offensive der kolumbianischen Regierung Uribe gegen die Guerilla: 'Nicht die
Guerilla, sondern Präsident Uribe gehört (wegen) seiner Politik der Gewalteskalation auf
die Terrorliste.' (...)
180
Der Studierendenverband DIE LINKE.SDS ruft die Bundesregierung auf, die verlogene
Politik der USA zurückzuweisen. Zudem muss sie endlich die
Menschenrechtsverletzungen in Kolumbien kritisieren und sich für eine friedliche
Lösung des Konflikts im Sinne der Bevölkerung einsetzen. Dazu gehört, die Ermordung
von Raul Reyes zu verurteilen, die FARC von der Liste der Terrororganisationen zu
streichen, sie als Kriegspartei anzuerkennen und Kolumbien zu Verhandlungen zu
drängen, die weitere Tote verhindern."
181
Aus: „Der kolumbianische Präsident Uribe gehört auf die Terrorliste. Erklärung der
TeilnehmerInnen der Delegationsreise zur Eskalation in
Kolumbien/Venezuela/Ecuador" (Dokument B 166).
182
7. Verhältnis zur Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und ihren Nachfolgeorganisationen
183
Über die PKK sowie ihre Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA GEL heißt es
u.a.:
184
„Es wird keine friedliche und demokratische Lösung des Kurden-Problems geben, wenn
die Vereins-, Versammlungs-, Presse- und Meinungsfreiheit für Kurdinnen und Kurden
nicht wiederhergestellt und gesichert wird. Dies gilt nicht nur für die Türkei, sondern
auch für die BRD. Grundlage für einen gesellschaftlichen Dialog zur Lösung der
kurdischen Frage ist es, dass alle Beteiligten miteinander verhandeln können. In diesem
185
Sinne bekräftigt die PDS ihre Ablehnung der Vereins- und Betätigungsverbote gegen
kurdische Vereine in der BRD, die mit der Konstruktion der PKK-Nähe einer uferlosen
Kriminalisierung ausgesetzt sind, und fordert deren Aufhebung.
Zugleich gehen wir davon aus, dass eine Lösung des Kurden-Problems in der Türkei
ohne die Einbeziehung der PKK in Verhandlungen unmöglich ist. Die PDS wird sich in
diesem Sinne auch gegenüber allen politischen Parteien in der Bundesrepublik und der
Bundesregierung einsetzen."
186
Aus: „Grundpositionen des PDS-Parteivorstands zur kurdischen Frage", Erklärung vom
21. August 1995 (Dokument B 170).
187
„Der Befreiungskampf des kurdischen Volkes findet die Unterstützung der PDS. Die
Jahrhunderte andauernde Unterdrückung und der Krieg der türkischen Regierung
gegen die Kurden muss endlich beendet werden. Eine Folge von Unterdrückung und
Krieg - nicht etwa Ursache - ist die PKK in ihrer konkreten Ausrichtung.
188
Bestimmte Methoden und Maßnahmen der PKK stehen wir kritisch, ablehnend und auch
verurteilend gegenüber. Darin sind wir uns mit vielen demokratischen kurdischen
Organisationen einig, die zugleich aber betonen, dass es ohne Einbeziehung der PKK
eine politische und endlich friedenbringende Lösung für das kurdische Volk nicht geben
wird."
189
Aus: „Retourkutsche des Bundesamts für Verfassungsschutz", Erklärung von Dr. Gregor
Gysi vom 7. August 1995 (Dokument B 171).
190
„Der Befreiungskampf des kurdischen Volkes findet die Unterstützung der PDS. Wir
betrachten die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) als eine legitime Vertreterin des
kurdischen Volkes, ohne deren Einbeziehung es keine politische und endlich Frieden
bringende Lösung für das kurdische Volk geben wird. Auch wenn wir mit bestimmten
Methoden und Ansichten der PKK nicht übereinstimmen, sprechen wir uns für die
Aufhebung des PKK-Verbots aus."
191
aus: Steffen Tippach (seinerzeit Abgeordneter der PDS im Deutschen Bundestag):
„Focus-Pocus", Leipzigs Neue vom 18. April 1997, S. 8 (Dokument B 172).
192
Ein Flugblatt und Aufruf zu einer Demonstration am 5. März 1999 unter dem Motto „Für
das uneingeschränkte Recht der Kurdinnen und Kurden auf Selbstbestimmung - Für
eine politische, friedliche Lösung der Kurdenfrage", zu dessen Erstunterzeichnern der
Kläger gehörte (Dokument B 174), lautet auszugsweise:
193
„Im Interesse einer friedlichen Lösung fordern wir (...) die Aufhebung des PKK- Verbots
sowie der Verbote zahlreicher kurdischer Vereine und Organisationen in der
Bundesrepublik. Wir fordern die Bundesregierung weiterhin auf, für die Beendigung aller
kriegerischen und repressiven Handlungen der Türkei gegenüber Kurdinnen und
Kurden, für die Freilassung Abdullah Öcalans aus der Türkei und seine Anerkennung
als politische Person gegenüber der türkischen Regierung einzutreten."
194
Der Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Partei DIE LINKE, Herr Dr. Gregor Gysi,
antwortete auf die Frage, ob der militärische Kampf der PKK ein legitimer Freiheitskampf
sei:
195
„Wer es in einer Demokratie nicht schafft, Mehrheiten zu organisieren, hat kein Recht
zum gewaltsamen Widerstand. Wer aber diktatorisch unterdrückt wird, hat notfalls das
Recht, sich auch bewaffnet zu wehren. Die Kurden wurden über Jahrzehnte stark
unterdrückt. Geiselnahmen allerdings sind nie hinnehmbar und nur zu verurteilen."
196
Tagesspiegel vom 27. Juli 2008 (Dokument B 175).
197
II. Zur Person des Klägers
198
Der Kläger wurde 1956 in Niedersachsen geboren. Von dort zog er mit seiner Familie
zunächst nach Rheinland-Pfalz und später nach Hessen, wo er eine Ausbildung zum
Einzelhandelskaufmann absolvierte und einen Fachoberschulabschluss erwarb. Er
arbeitete als Substitut und später als Filialleiter. Von 1981 bis 1990 war er
Gewerkschaftssekretär in Mittelhessen. 1990 ging er nach Thüringen und war dort bis
1999 Landesvorsitzender der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen.
199
Im April 1999 trat der Kläger der PDS bei. Im Oktober 2004 wurde er in den
Parteivorstand gewählt, dem er bis heute angehört. Im selben Monat wurde er zum
Bundeswahlkampfleiter berufen. Als solcher war er bis Mai 2008 für alle Wahlen in
Deutschland verantwortlich. Ab Oktober 2005 nahm der Kläger innerhalb der
Linkspartei.PDS die Aufgabe eines Fusionsbeauftragten/Beauftragten für die
Parteineubildung für den Zusammenschluss mit der WASG wahr. Seit Mai 2008 ist er
Föderalismusbeauftragter der Partei. Er arbeitet an führender Stelle in der
Arbeitsgemeinschaft Christinnen und Christen bei der Partei DIE LINKE mit. Er ist
religionspolitischer Sprecher der Partei und der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag.
200
Von Oktober 1999 bis Oktober 2005 war der Kläger Abgeordneter im Thüringer Landtag.
Dort übernahm er von 1999 bis 2001 den stellvertretenden Vorsitz und ab 2001 den
Vorsitz der Landtagsfraktion. Zudem war er gewerkschafts- und wirtschaftspolitischer
Sprecher der Fraktion. Im Oktober 2005 wurde der Kläger über die Landesliste der
Thüringer Linkspartei in den 16. Deutschen Bundestag gewählt. Dort ist er
stellvertretender Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag. Im Dezember
2007 nominierte der Landesparteitag der Thüringer Linkspartei den Kläger als
Spitzenkandidat für die Landtagswahl am 30. August 2009.
201
Das BfV führt über den Kläger eine Personenakte, in der Unterlagen über seine
politischen Aktivitäten zusammengestellt sind. Die Informationen reichen bis in die
1980er Jahre zurück. Sie wurden zunächst bei der Beobachtung der DKP und ihres
Umfelds gewonnen, seit 1999 bei der Beobachtung der PDS bzw. der Linkspartei.PDS
sowie gegenwärtig der Partei DIE LINKE. Das BfV erhebt Informationen über die
Tätigkeit des Klägers in der und für die Partei sowie über seine Abgeordnetentätigkeit,
jedoch ohne sein Abstimmungsverhalten und seine Äußerungen im Parlament sowie
den Ausschüssen. Auch über sonstige politische Aktivitäten des Klägers gewinnt das
BfV Informationen.
202
Die bei der Informationsbeschaffung über den Kläger durch das BfV eingesetzten Mittel
sind zwischen den Beteiligten streitig. Die Beklagte behauptet, jedenfalls seit der Kläger
im Oktober 1999 seine Tätigkeit als Landtagsabgeordneter in Thüringen aufgenommen
hat, seien lediglich sogenannte offene Quellen eingesetzt worden. Bei der
Informationsgewinnung aus offenen Quellen wertet das Bundesamt insbesondere
203
Zeitungen, Zeitschriften und Veröffentlichungen im Internet aus und analysiert
Presseerklärungen und sonstige Verlautbarungen. Dass darüber hinaus keine
heimliche Informationsbeschaffung stattgefunden hat, bestreitet der Kläger mit
Nichtwissen.
Neben dem Kläger sind und waren Mitglieder der Partei DIE LINKE und Mitglieder der
Fraktion DIE LINKE. im Bundestag Gegenstand der Informationsbeschaffung durch das
BfV. Beim Verwaltungsgericht Köln sind in diesem Zusammenhang Klagen auf
Akteneinsicht, Auskunftserteilung und/oder Datenlöschung anhängig von ...
204
Anfang 2003 vertrieb der Landesverband Thüringen der Christlich-demokratischen
Arbeitnehmerschaft (CDA) eine Broschüre mit dem Titel „'Transmissionsriemen' der
Postkommunisten? PDS-Arbeit gegen den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB)".
Darin wurde die politische Tätigkeit des Klägers in den 1980er Jahren thematisiert.
Unter Beschreibung einzelner Vorgänge enthielt die Broschüre die Behauptung, der
Kläger sei für seine politische Nähe zur DKP bekannt gewesen. Weil er für möglich hielt,
dass die CDA die in die Broschüre eingeflossenen Informationen von
Verfassungsschutzbehörden erhalten hatte, bat der Kläger das BfV um Auskunft über
die dort über seine Person gespeicherten Daten. Das BfV teilte dem Kläger mit, unter
den beim Bundesamt zu seiner Person erfassten Erkenntnissen seien auch einige der in
der CDA-Broschüre aufgeführten Informationen. Gleichzeitig übermittelte das BfV dem
Kläger eine etwa zweieinhalb Seiten umfassende Liste von zu seiner Person erfassten
Daten aus der Zeit von Mai 1985 bis Mai 2001. Eine weitergehende Auskunft müsse aus
Gründen der Geheimhaltung unterbleiben. Nach erfolgloser Durchführung eines
Widerspruchsverfahrens verfolgte der Kläger sein Auskunftsbegehren durch eine Klage
beim Verwaltungsgericht Köln (20 K 6242/03) weiter. Im verwaltungsgerichtlichen
Verfahren legte das BfV die Personenakte des Klägers vor, nahm jedoch aus
Geheimhaltungsgründen Schwärzungen vor und entfernte einzelne Dokumente.
Nachdem das Bundesverwaltungsgericht in einem Zwischenverfahren (20 F 10.06) die
Rechtmäßigkeit der Weigerung, die Personenakte des Klägers uneingeschränkt
vorzulegen, bestätigt hatte, haben die Beteiligten das Verfahren in der Hauptsache
übereinstimmend für erledigt erklärt, soweit es auf Auskünfte aus der Personenakte des
Klägers gerichtet war. Die weitergehende Klage, die auf Auskunft über alle seine
Person betreffenden Informationen abzielte, über die das BfV außerhalb seiner
Personenakte verfügt, erhielt der Kläger aufrecht. Diese Klage wies das
Verwaltungsgericht Köln mit Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 13.
Dezember 2007 ab. Mit Beschluss vom 13. Februar 2009 hat der Senat den hiergegen
gerichteten Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung abgelehnt (16 A 844/08).
205
Der Kläger richtete auch Auskunftsbegehren an das Thüringer Landesamt für
Verfassungsschutz. In diesem Zusammenhang gelangte er zu der Auffassung, dass die
in die Broschüre der CDA eingeflossenen Informationen vom Thüringer Landesamt für
Verfassungsschutz herrührten. Nachdem ihm bekannt geworden war, dass das
Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz personenbezogene Daten über ihn erhebt,
erhob er beim Verwaltungsgericht Weimar Klage gegen den Freistaat Thüringen (4/1 K
2299/03.We), mit den Anträgen
206
unter Aufhebung entgegenstehender Bescheide des Thüringer Landesamts für
Verfassungsschutz den Beklagten zu verpflichten, Auskunft über die
personenbezogenen Daten des Klägers zu erteilten, die das Thüringer Landesamt für
Verfassungsschutz seit dem 8. November 2002 über ihn gespeichert hat,
207
festzustellen, dass die Weitergabe personenbezogener Daten über den Kläger an die
Thüringer CDA, ihr nahestehende Personen oder sonstige für die Veröffentlichung der
Broschüre „'Transmissionsriemen' der Postkommunisten?" verantwortliche Personen
rechtswidrig war,
208
festzustellen, dass die Sammlung personenbezogener Daten über den Kläger durch das
Thüringer Landsamt für Verfassungsschutz rechtswidrig ist,
209
festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Auskunftsverweigerung durch das
Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz bezüglich der Auskunftsbegehren des
Klägers vom 7. März 2002 und vom 3. Januar 2003 nicht vorliegen.
210
Das Verfahren beim Verwaltungsgericht Weimar, in dem bislang drei die Vorlage von
Unterlagen betreffende Zwischenverfahren beim Thüringer Oberverwaltungsgericht
anhängig waren (10 SOV 136/04, 10 SOV 1024/06 und 10 SOV 884/07), ist noch nicht
abgeschlossen.
211
Nachdem der Kläger in dem auf Auskunftserteilung gerichteten Verfahren beim
Verwaltungsgericht Köln (20 K 6242/03) erfahren hatte, dass er weiterhin Gegenstand
der Informationserhebung durch das BfV ist, hat er am 22. Juli 2004 die vorliegende
Klage erhoben.
212
Die Informationsbeschaffung des BfV über den Kläger ist auch Gegenstand eines noch
anhängigen Organstreitverfahrens beim Bundesverfassungsgericht, das der Kläger
(Antragsteller zu 1.) und die Fraktion DIE LINKE. im Bundestag (Antragsteller zu 2.)
gegen den Bundesminister des Innern (Antragsgegner zu 1.) und die Bundesregierung
(Antragsgegnerin zu 2.) angestrengt haben (2 BvE 4/07). Die Antragsteller beantragen
folgende Feststellungen:
213
Die Antragsgegnerin zu 2. und ihre Mitglieder sind verpflichtet, dafür zu sorgen, dass
Abgeordnete des Deutschen Bundestags ihr Abgeordnetenmandat frei und
unbeeinträchtigt durch Maßnahmen der Beobachtung durch das Bundesamt für
Verfassungsschutz ausüben können.
214
Der Antragsgegner zu 1. und die Antragsgegnerin zu 2. haben, indem sie es unterlassen
haben, das Bundesamt für Verfassungsschutz anzuweisen, die Beobachtung des
Antragstellers zu 1. einzustellen, gegen Art. 46 Abs. 1, 38 Abs. 1 Satz 2 GG i.V.m. dem
Grundsatz der Verfassungsorgantreue verstoßen und dadurch den Antragsteller zu 1. in
seinen verfassungsmäßigen Rechten aus Art. 46 Abs. 1 und Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG
verletzt.
215
Der Antragsgegner zu 1. und die Antragsgegnerin zu 2. haben, indem sie es unterlassen
haben, das Bundesamt für Verfassungsschutz anzuweisen, die Beobachtung des
Antragstellers zu 1. und weiterer der Antragstellerin zu 2. angehörender
Bundestagsabgeordneter einzustellen, gegen den Grundsatz der Funktionsfähigkeit des
Deutschen Bundestags i.V.m. Art. 46 Abs. 1, 38 Abs. 1 Satz 2 GG und den Grundsatz
der Verfassungsorgantreue sowie gegen die Grundsätze der Finanzverfassung gemäß
Art. 104a ff. GG verstoßen und dadurch den Deutschen Bundestag in seinen
verfassungsmäßigen Rechten aus diesen Vorschriften verletzt.
216
Zur Begründung der vorliegenden Klage hat der Kläger im Wesentlichen vorgetragen:
Es sei rechtswidrig, Daten über ihn zu sammeln. Dies wolle er für die Vergangenheit
und für die Zukunft festgestellt wissen. Er habe ein berechtigtes Interesse an diesen
Feststellungen. Das ergebe sich aus seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und
seiner Stellung als Abgeordneter. Als Persönlichkeit des öffentlichen Lebens sei er auf
einen untadeligen Ruf angewiesen. Um sein durch die Aktivitäten des BfV beschädigtes
Ansehen wiederherzustellen, sei eine gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit der
Datensammlung das wirksamste Mittel. Die Sammlung personenbezogener
Informationen über ihn durch das BfV sei rechtswidrig, weil die Voraussetzungen des
Bundesverfassungsschutzgesetzes hierfür nicht vorlägen. Insbesondere fehle es an
tatsächlichen Anhaltspunkten dafür, dass er in einem oder für einen
Personenzusammenschluss Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische
Grundordnung nachdrücklich unterstütze. Den Ausführungen der Beklagten sei an
keiner Stelle etwas dafür zu entnehmen, dass die Linkspartei.PDS (heute: DIE LINKE)
darauf hinarbeite, die freiheitliche demokratische Grundordnung außer Geltung zu
setzen. Die Einstellung und Politik der Partei gegen das kapitalistische
Wirtschaftssystem und dessen Auswüchse sei mit der freiheitlichen demokratischen
Grundordnung des Grundgesetzes vereinbar. Unabhängig hiervon könne die schlichte
Innehabung von Funktionen innerhalb der Partei nicht ausreichen, um ihn zum
Gegenstand der Beobachtung durch Verfassungsschutzbehörden zu machen.
Erforderlich sei vielmehr der Nachweis konkreter Handlungen, die zu einer aktiven
Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen geeignet seien. Im Hinblick auf das
freie Mandat und die Indemnität seien die Vorschriften des
Bundesverfassungsschutzgesetzes für eine Sammlung personenbezogener
Informationen über Abgeordnete nicht ausreichend. Unabhängig davon ließen das freie
Mandat und die Indemnität auch materiell derartige Maßnahmen gegen Abgeordnete
nicht zu. Für die Zeit seiner Tätigkeit als Abgeordneter des Thüringer Landtags seien
die zusätzlichen Beschränkungen zu beachten, die sich aus der Verfassung des
Freistaats Thüringen ergäben. Sein Status als Abgeordneter stehe einer Beobachtung
durch Verfassungsschutzbehörden insgesamt entgegen. Auch eine
Informationsgewinnung über seine Aktivitäten innerhalb der Partei sei unzulässig. Eine
Aufteilung seiner Person in den Parteifunktionär und den Abgeordneten sei nicht
möglich, weil beide Funktionen untrennbar miteinander verknüpft seien.
217
Der Kläger hat beantragt,
218
festzustellen, dass die Sammlung personenbezogener Informationen über den Kläger
durch das Bundesamt für Verfassungsschutz rechtswidrig ist,
219
soweit es sich um Informationen handelt, die bis zur Aufnahme des Landtagsmandats
des Klägers im Oktober 1999 erhoben worden sind,
220
soweit es sich um Informationen handelt, die während der Zeit des Landtagsmandats
des Klägers im Thüringischen Landtag erhoben worden sind,
221
soweit es sich um Informationen handelt, die während der Tätigkeit als
Bundestagsabgeordneter erhoben worden sind und noch erhoben werden.
222
Die Beklagte hat beantragt,
223
die Klage abzuweisen.
224
Zur Begründung hat sie ausgeführt: Die Klage sei unzulässig, soweit sie darauf gerichtet
sei, die Rechtswidrigkeit einer Informationsgewinnung über den Kläger unter Einsatz
nachrichtendienstlicher Mittel festzustellen. Insoweit fehle dem Kläger das erforderliche
besondere Rechtsschutzbedürfnis. Während seiner Zeit als Abgeordneter seien
Erkenntnisse über den Kläger nur aus öffentlich zugänglichen Informationsquellen
gesammelt und insbesondere nachrichtendienstliche Mittel nicht eingesetzt worden.
Zwar könne der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel auch in Bezug auf die
Mandatsausübung nicht unabhängig von weiteren tatsächlichen Entwicklungen in
jedem Fall für die Zukunft ausgeschlossen werden, es sei jedoch nicht absehbar, unter
welchen künftigen Umständen der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel in Betracht
kommen könne. Im Übrigen sei die Klage unbegründet. Die Sammlung
personenbezogener Informationen über den Kläger sei auf der Grundlage des
Bundesverfassungsschutzgesetzes rechtmäßig. Es lägen tatsächliche Anhaltspunkte
dafür vor, dass die Linkspartei.PDS (heute: DIE LINKE) gegen die freiheitliche
demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen entfalte. Aus den Erkenntnissen
in den Verfassungsschutzberichten, dem Parteiprogramm sowie Verlautbarungen der
Partei, der in ihr tätigen Zusammenschlüsse und einzelner Mitglieder ergäben sich
Anhaltspunkte für das Anstreben einer sozialistischen Gesellschaft, die Propagierung
der sozialistischen Revolution und die Inanspruchnahme eines auch gewaltsamen
Widerstandsrechts. Zudem lasse die Partei in ihren Reihen linksextremistische
Gruppierungen zu, arbeite mit deutschen Linksextremisten außerhalb der Partei
zusammen, distanziere sich nicht hinreichend von der SED-Gewaltherrschaft, unterhalte
Verbindungen zu kommunistischen Parteien im Ausland, bekunde dem
kommunistischen Regime in Kuba ihre uneingeschränkte Solidarität und unterstütze
ausländische Guerillaorganisationen politisch. Die Sammlung personenbezogener
Informationen über den Kläger durch das BfV sei aufgrund seiner ausgesprochen
prominenten und hervorgehobenen Tätigkeit in und für die Partei zulässig. Dem stehe
sein Status als Abgeordneter nicht entgegen. Eine Informationssammlung über
Abgeordnete sei weder im Hinblick auf die Indemnität noch im Hinblick auf die
Immunität oder das freie Mandat unzulässig. Während seiner Tätigkeit als
Landtagsabgeordneter in Thüringen habe der Kläger keinen weitergehenden Schutz
gegen Maßnahmen des BfV genossen als als Bundestagsabgeordneter. Die
Vorschriften der Verfassung des Freistaats Thüringen über den Status von
Landtagsabgeordneten seien nicht geeignet, die Tätigkeit des BfV auf der Grundlage
des Bundesverfassungsschutzgesetzes einzuschränken, weil Bundesrecht selbst dem
Landesverfassungsrecht vorgehe. Die Sammlung personenbezogener Informationen
über den Kläger sei in ihrem bisherigen Umfang auch verhältnismäßig.
225
Das Verwaltungsgericht hat das Verfahren mit dem Klageantrag zu 1. (Sammlung von
Informationen bis zur Aufnahme des Landtagsmandats im Oktober 1999) durch
Beschluss vom 13. Dezember 2007 abgetrennt. Im Übrigen hat es mit Urteil aufgrund
mündlicher Verhandlung vom 13. Dezember 2007 festgestellt, dass die Sammlung
personenbezogener Informationen über den Kläger durch das BfV rechtswidrig ist,
soweit es sich um Informationen handelt, die während der Zeit des Landtagsmandats
des Klägers im Thüringer Landtag erhoben worden sind und die während der Tätigkeit
als Bundestagsabgeordneter erhoben worden sind und noch erhoben werden. Zur
Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Das Parteiprogramm der
Linkspartei.PDS - ein Parteiprogramm der Partei DIE LINKE liege noch nicht vor -
schließe verfassungswidrige Zielsetzungen zumindest nicht eindeutig aus. Die Partei
biete jedoch eindeutig kommunistisch geprägten Zusammenschlüssen wie z.B. der
226
Kommunistischen Plattform statuarisch abgesicherte Betätigungsmöglichkeiten in der
Partei. Ob unter diesen Umständen auch bei Parteifunktionären wie dem Kläger, die
entsprechenden Strömungen nicht angehörten, die Bewertung gerechtfertigt sei, dass
sie Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung entfalteten,
könne offen bleiben. Die von der Beklagten unter dem ausdrücklichen Vorbehalt des
Einsatzes von nachrichtendienstlichen Mitteln vorgenommene Beobachtung des
Klägers erweise sich bei einer einzelfallbezogenen Abwägung seiner Statusrechte als
Abgeordneter auf der einen und den Erfordernissen des Schutzes der freiheitlichen
demokratischen Grundordnung auf der anderen Seite jedenfalls als unverhältnismäßig.
Maßgeblich sei insoweit, dass Bürger oder auch andere Abgeordnete vor dem Umgang
mit dem Kläger zurückschrecken könnten, wenn die Beobachtung publik werde. Für
seine Tätigkeit als Abgeordneter sei der Kläger darauf angewiesen, dass sich Bürger
mit Bitten und Ansinnen an ihn wendeten. Zudem benötige er Informationen von Dritten,
um die Kontrollfunktion des Parlaments wahrnehmen zu können. Diese Problematik
werde dadurch in erheblicher Weise verschärft, dass die Datenerhebung in eine
Sammlung von Daten mit nachrichtendienstlichen Mitteln übergehen könne, ohne dass
dies für den Abgeordneten oder Dritte erkennbar werde.
Zur Begründung ihrer vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung wiederholt und
vertieft die Beklagte ihr bisheriges Vorbringen und führt ergänzend aus: Für die
Sammlung personenbezogener Informationen über Abgeordnete durch das BfV sei
keine spezialgesetzliche Regelung erforderlich. Dem Bundesverfassungsschutzgesetz
und dem Artikel 10-Gesetz sei unmissverständlich zu entnehmen, dass auch der Einsatz
nachrichtendienstlicher Mittel gegen Abgeordnete grundsätzlich zulässig sei.
Unabhängig davon, dass die Tätigkeit des Klägers als hochrangiger Funktionär der
Partei DIE LINKE eine gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete
Bestrebung sei, sei die Informationserhebung über ihn jedenfalls deshalb zulässig, weil
dies zur Erforschung und Bewertung von Bestrebungen der Partei als solcher
erforderlich sei. Die Sammlung von Informationen in der bisherigen Form sei
verhältnismäßig. Die Informationsgewinnung aus öffentlichen Quellen stelle keinen
erheblichen Eingriff in die Rechte des Klägers dar; dieser geringfügige Eingriff sei durch
das Interesse der Allgemeinheit am Schutz der freiheitlichen demokratischen
Grundordnung gerechtfertigt. Jedenfalls sei nicht erkennbar, warum der Kläger nicht in
Bezug auf seine Wahrnehmung von Parteifunktionen Gegenstand von Maßnahmen des
BfV sein dürfe. Eine Trennung zwischen der Tätigkeit als Abgeordneter und als
Parteifunktionär sei möglich.
227
Die Beklagte beantragt,
228
das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
229
Der Kläger stellt seine erstinstanzlichen Klageanträge klar und beantragt,
230
festzustellen, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz rechtswidrig Informationen
über ihn in der Zeit seines Landtagsmandats (von Oktober 1999 bis Oktober 2005)
sowie in der Zeit von der Übernahme seines Bundestagsmandats im Oktober 2005 bis
zur mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht erhoben hat,
231
die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, über ihn künftig personenbezogene
Daten zu erheben.
232
Außerdem beantragt er,
233
die Berufung zurückzuweisen,
234
Er verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens
das angefochtene Urteil. Ergänzend führt er aus: Die Notwendigkeit einer speziellen
Ermächtigungsgrundlage für die Sammlung personenbezogener Informationen über
Abgeordnete durch das BfV ergebe sich aus einer systematischen Auslegung des
Abgeordnetengesetzes. Wenn dieses in § 44c eine besondere Regelung der
Überprüfung von Abgeordneten auf eine Mitarbeit beim Ministerium für Staatssicherheit
der früheren DDR enthalte, müsse für eine Beobachtung von Abgeordneten durch
Verfassungsschutzbehörden erst Recht eine besondere gesetzliche Regelung
geschaffen werden. Zudem finde das Sicherheitsüberprüfungsgesetz nach seinem § 2
Abs. 3 Nr. 1 auf Abgeordnete des Deutschen Bundestages keine Anwendung. Wenn die
Verfassungsschutzbehörden demnach gegenüber Abgeordneten im Rahmen der
Sicherheitsüberprüfung nicht tätig werden dürften, sei ihnen dies nach dem Grundsatz
der Einheit der Rechtsordnung auch im Übrigen untersagt. Unabhängig hiervon stehe
seiner Beobachtung durch das BfV, und zwar sowohl einer solchen aus offenen Quellen
als auch einer heimlichen Informationsbeschaffung, entgegen, dass es der Beklagten
nicht gelungen sei, Bestrebungen der Partei DIE LINKE gegen die freiheitliche
demokratische Grundordnung nachzuweisen. Die in diesem Zusammenhang von der
Beklagten angeführten Zitate seien aus dem Zusammenhang gerissen und dadurch
fehlinterpretiert. Zudem verkenne die Beklagte den offenen Charakter des
Grundgesetzes auch und gerade im Hinblick auf gesellschaftliche Veränderungen.
235
Der Senat hat Beweis darüber erhoben, ob seit Oktober 1999 im BfV die Anordnung
getroffen wurde, personenbezogene Daten über den Kläger mit Mitteln zur heimlichen
Informationsbeschaffung zu erheben, durch Vernehmung von Herrn Direktor beim BfV
Artur I. als Zeugen. Herr Direktor beim BfV I. ist als Abteilungsleiter im BfV zuständig für
den Bereich Rechts-/Linksextremismus und in dieser Funktion grundsätzlich befugt, den
Einsatz von heimlichen Mitteln zur Informationsbeschaffung anzuordnen. Wegen des
Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung
Bezug genommen.
236
Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung einen Erlass des Bundesministeriums
des Innern an das BfV vom 21. Juli 1995 vorgelegt, mit dem sich der Bundesminister
des Innern persönlich die Entscheidung über den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel
gegen die PDS (später: Linkspartei.PDS, heute: DIE LINKE) vorbehalten hat.
237
Wegen des Sach- und Streitstands im Übrigen wird Bezug genommen auf die
Gerichtsakte dieses Verfahrens sowie des Verfahrens 16 A 844/08, auf die von den
Beteiligten vorgelegten Anlagen (vom Kläger: 1 bis 14; von der Beklagten: B 1 bis B
179) sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge und die zum Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gemachten Unterlagen.
238
Entscheidungsgründe:
239
Die Berufung der Beklagten hat teilweise Erfolg. Die Klage des Klägers ist nur in dem
aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zulässig und begründet, im Übrigen unzulässig
bzw. unbegründet.
240
Die Klage hat keinen Erfolg, soweit der Kläger dem BfV einen rechtswidrigen Einsatz
nachrichtendienstlicher Mittel vorwirft.
241
Die Klage gegen den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel in der Vergangenheit ist
unzulässig, jedenfalls unbegründet. Dem Kläger fehlt das nach § 43 Abs. 1 VwGO
erforderliche Feststellungsinteresse. Das BfV hat keine Informationen heimlich
beschafft.
242
Bei der heimlichen Informationsbeschaffung werden nachrichtendienstliche Mittel wie
der Einsatz von Vertrauensleuten und Gewährspersonen, Observationen, Bild- und
Tonaufzeichnungen, Tarnpapiere und Tarnkennzeichen angewendet (vgl. § 8 Abs. 2
Satz 1 des Gesetzes über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in
Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für
Verfassungsschutz - Bundesverfassungsschutzgesetz - BVerfSchG).
243
Der Senat ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung
überzeugt, dass das BfV Informationen über den Kläger seit Oktober 1999 allein aus
allgemein zugänglichen Quellen erhebt. Dies hat das BfV im gerichtlichen Verfahren
mehrfach - zuletzt mit Schriftsatz vom 16. Januar 2009 - erklärt. Der Zeuge, Herr Direktor
beim BfV I. , hat dies in seiner Vernehmung vor dem Senat überzeugend bestätigt. Der
Zeuge ist glaubwürdig, seine Angaben sind glaubhaft. Seine Aussage ist in sich
schlüssig und widerspruchsfrei. Er hat unter Bezugnahme auf einen entsprechenden
schriftlichen Erlass des Bundesministeriums des Innern vom 21. Juli 1995 dargelegt,
dass sich der Minister persönlich die Entscheidung über den Einsatz
nachrichtendienstlicher Mittel gegen die PDS (später: Linkspartei.PDS, heute: DIE
LINKE), ihre Teilgruppen und Mitglieder vorbehalten habe. Seither habe der
Bundesminister des Innern von dem Vorbehalt keinen Gebrauch gemacht. Weder er -
der Zeuge - noch seine beiden Amtsvorgänger, die er im Hinblick auf seine
bevorstehende Zeugenaussage danach befragt habe, hätten weisungswidrig den
Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel gegen den Kläger angeordnet. Dafür, dass
dennoch nachrichtendienstliche Mittel gegen den Kläger eingesetzt wurden, bieten die
dem Senat vorliegende Personenakte oder sonstige Umstände keinen Hinweis. Auch
der Kläger hat dies nicht substantiiert vorgetragen. Insbesondere gibt der vom Kläger in
der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geschilderte Vorfall nichts anderes her. Der
Kläger will danach Ende 2007 von einem Bewohner seines Wahlkreises angesprochen
worden sein, der behauptet habe, als V-Mann des Verfassungsschutzes tätig zu sein.
Dieser Angabe lässt sich weder entnehmen, dass es sich um eine Vertrauensperson
des BfV handelte, noch, dass sie auf den Kläger angesetzt war.
244
Die Klage gegen den zukünftigen Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel ist unzulässig.
Dem Kläger fehlt das für die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes
erforderliche qualifizierte Rechtsschutzbedürfnis. Dies setzt voraus, dass konkret mit
zukünftigen Rechtsverletzungen gerechnet werden muss und der Betroffene zur Abwehr
dieser Rechtsverletzungen ausnahmsweise nicht auf nachträglichen Rechtsschutz
verwiesen werden kann.
245
Vgl. BVerfG, Urteil vom 27. Februar 2008 - 1 BvR 370/07 u.a. -, juris Rdnr. 140 (= NJW
2008, 822); BVerwG, Urteil vom 8. September 1972 - IV C 17.71 -, juris Rdnr. 29 (=
BVerwGE 40, 323), Beschluss vom 21. Februar 1973 - IV CB 69.72 -, juris Rdnr. 6 (=
DVBl 1973, 448).
246
Es liegen keine Anhaltspunkte vor, dass das BfV konkret beabsichtigt, demnächst
nachrichtendienstliche Mittel gegen den Kläger einzusetzen. An dieser Bewertung
ändert sich nichts dadurch, dass sich die Beklagte den Einsatz solcher Mittel gegen den
Kläger bei veränderten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen vorbehalten hat.
Dieser allgemeine Vorbehalt begründet keine für die Inanspruchnahme vorbeugenden
Rechtsschutzes hinreichend konkrete Gefahr einer zukünftigen Rechtsverletzung. Eine
Veränderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse, die das BfV zum Einsatz
nachrichtendienstlicher Mittel veranlassen könnte, ist nicht absehbar.
247
Die Klage gegen die Informationserhebung aus allgemein zugänglichen Quellen (offene
Beobachtung) ist zulässig. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem
Senat seine Klageanträge anders als erstinstanzlich gefasst hat, handelt es sich nicht
um eine Klageänderung, sondern lediglich um die Klarstellung seines seit der
Klageerhebung verfolgten Begehrens. Die nunmehr gewählte Formulierung der
Erhebung anstelle der Sammlung personenbezogener Daten über den Kläger ist nicht
mit einer materiellen Änderung des Klagebegehrens verbunden, sondern passt das
bislang Gewollte lediglich sprachlich an den Wortlaut des § 8 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG
an. Für die Zukunft entspricht der Unterlassungsantrag dem Begehren des Klägers
besser als der erstinstanzlich gestellte Feststellungsantrag. Bei sachgerechter
Auslegung seines Klagevorbringens wollte der Kläger von Anfang an erreichen, künftig
nicht mehr Gegenstand der Informationsbeschaffung durch das BfV zu sein.
248
Soweit die Klage zulässig ist, ist sie auch begründet. Das BfV durfte den Kläger in der
Zeit von Oktober 1999 bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht beobachten
und muss die offene Beobachtung des Klägers auch künftig unterlassen. Dabei steht die
offene Beobachtung des Klägers durch das BfV insgesamt zur Überprüfung des Senats.
Sie umfasst die gesamte Tätigkeit des Klägers im linken politischen Spektrum, seine
Aktivitäten in der und für die Partei DIE LINKE sowie zuvor in und für die Parteien PDS
und Linkspartei.PDS, Teile seiner Abgeordnetentätigkeit im Bundestag und im
Thüringer Landtag sowie seine sonstigen politische Betätigungen. Bei der
Informationsgewinnung über die Abgeordnetentätigkeit des Klägers durch das BfV sind
allein sein Abstimmungsverhalten und seine Äußerungen im Parlament sowie in dessen
Ausschüssen außer Betracht geblieben. Der Senat hat keinen Anlass, an den
entsprechenden Erklärungen der Beklagten zu zweifeln. Aus der dem Gericht
vorliegenden Personenakte des Klägers ergeben sich keine gegenteiligen
Anhaltspunkte. Die in der Akte enthaltenen Informationen über die Arbeit des Klägers
als Abgeordneter betreffen andere Aspekte dieser Tätigkeit: Das BfV hat allein
dokumentiert, wenn dem Kläger innerhalb der Fraktionen, denen er angehörte,
besondere Funktionen (z.B. als Vorsitzender, stellvertretender Vorsitzender oder
Sprecher für bestimmte Politikbereiche) übertragen wurden.
249
1. Als Rechtsgrundlage für die Beobachtung des Klägers durch das BfV kommt allein §
8 Abs. 1 BVerfSchG in Betracht. Danach darf das BfV die zur Erfüllung seiner Aufgaben
erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten erheben. Zu
seinen Aufgaben gehört nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Fall 1 BVerfSchG u.a. die Sammlung und
Auswertung von Informationen, insbesondere von sach- und personenbezogenen
Auskünften, Nachrichten und Unterlagen über Bestrebungen, die gegen die freiheitliche
demokratische Grundordnung gerichtet sind. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 3 BVerfSchG ist
Voraussetzung für die Sammlung und Auswertung das Vorliegen tatsächlicher
Anhaltspunkte für solche Bestrebungen.
250
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe c BVerfSchG sind Bestrebungen gegen die
freiheitliche demokratische Grundordnung solche politisch bestimmten, ziel- und
zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen
Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, einen der in § 4 Abs. 2 BVerfSchG
genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Zur
freiheitlichen demokratischen Grundordnung gehören nach § 4 Abs. 2 BVerfSchG u.a.
das Recht des Volkes, die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher
und geheimer Wahl zu wählen (Buchstabe a), das Recht auf Bildung und Ausübung
einer parlamentarischen Opposition (Buchstabe c), die Ablösbarkeit der Regierung und
ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung (Buchstabe d) sowie die im
Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte (Buchstabe g).
251
Sind zur Erfüllung der Aufgabe nach § 3 Abs. 1 BVerfSchG verschiedene Maßnahmen
geeignet, hat das BfV nach § 8 Abs. 5 Satz 1 BVerfSchG diejenige zu wählen, die den
Betroffenen voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Eine Maßnahme darf keinen
Nachteil herbeiführen, der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg
steht (§ 8 Abs. 5 Satz 2 BVerfSchG).
252
Die genannten Normen scheiden nicht deshalb von vornherein als Rechtsgrundlage
aus, weil der Kläger Abgeordneter des Deutschen Bundestages ist und zuvor dem
Thüringer Landtag angehörte. Für die offene Beobachtung von Abgeordneten durch das
BfV bedarf es keiner besonderen Ermächtigungsgrundlage. Die allgemeine gesetzliche
Regelung des § 8 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG genügt entgegen der klägerischen
Rechtsansicht dem Vorbehalt des Gesetzes auch in Bezug auf Abgeordnete. Einer
Anwendung dieser Vorschrift auf Parlamentsmitglieder steht nicht entgegen, dass sie
Maßnahmen des BfV insofern nicht an besondere Voraussetzungen, namentlich eine
Mitwirkung parlamentarischer Gremien knüpft. Ein solcher Vorbehalt ergibt sich aus dem
Grundgesetz nicht. Art. 46 Abs. 2 und Abs. 3 GG, die die Einleitung von Strafverfahren
und Verfahren nach Art. 18 GG gegen Abgeordnete sowie Verhaftungen und sonstige
freiheitsbeschränkende Maßnahmen gegen Abgeordnete von einer Genehmigung des
Bundestags abhängig machen, sind auf ihren - hier nicht betroffenen -
Anwendungsbereich beschränkte Spezialvorschriften. Eine allgemeine Regel, dass
Maßnahmen anderer staatlicher Gewalten gegen Parlamentarier nur zulässig sind,
wenn sie zuvor vom Parlament genehmigt wurden, lässt sich hieraus nicht ableiten und
wäre mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung, wie ihn das Grundgesetz ausgestaltet hat,
nicht vereinbar.
253
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegt der Sinn der
Gewaltenteilung nicht darin, die Funktionen der Staatsgewalt scharf zu trennen.
Vielmehr sollen die Organe der Legislative, Exekutive und Judikative sich gegenseitig
kontrollieren und begrenzen. Auf diese Weise sollen eine Mäßigung der Staatsgewalt
erreicht und die Freiheit des Einzelnen geschützt werden. Die zu diesem Zweck
erforderliche Aufrechterhaltung der in der Verfassung vorgenommenen Verteilung der
Gewichte zwischen den drei Gewalten gebietet nicht nur, keine Gewalt der
Zuständigkeiten zu berauben, die für die Erfüllung ihrer verfassungsmäßigen Aufgaben
erforderlich sind. Auch darf keine Gewalt ein von der Verfassung nicht vorgesehenes
Übergewicht über die anderen Gewalten erhalten.
254
Vgl. BVerfG, vom 27. April 1959 - 2 BvF 2/58 -, juris Rdnr. 56 (= BVerfGE 9, 268);
Beschluss vom 17. Juli 1996 - 2 BvF 2/93 -, juris Rdnr. 43 (= BVerfGE 95, 1), jeweils m.
w. N.
255
Einen Vorrang des Parlaments und seiner Entscheidungen gegenüber den anderen
Gewalten sieht das Grundgesetz nicht vor. Insbesondere lässt sich ein solcher Vorrang
nicht aus dem Grundsatz der parlamentarischen Demokratie herleiten.
256
BVerfG, Beschluss vom 8. August 1978 - 2 BvL 8/77 -, juris Rdnr. 74 (= BVerfGE 49, 89).
257
Maßnahmen anderer Staatsgewalten gegen Abgeordnete generell von einer
Genehmigung des Parlaments abhängig zu machen, würde der Legislative einen ihr
gegenüber den anderen Staatsgewalten nicht zustehenden Vorrang einräumen und ihr
ein Übergewicht über diese verschaffen. Es ist nicht ersichtlich, wie die anderen
Staatsgewalten zu einer wirksamen Kontrolle der Legislative in der Lage sein sollten,
wenn sie für jede die Tätigkeit der Abgeordneten beeinträchtigende Maßnahme auf
vorherige Genehmigungen des Parlaments angewiesen wären.
258
Das gilt auch im Lichte von Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG. Danach sind die Abgeordneten
des Deutschen Bundestages Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen
nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. Das freie Mandat von Thüringer
Landtagsabgeordneten ist durch Art. 53 Abs. 1 der Verfassung des Freistaats Thüringen
in gleicher Weise gewährleistet.
259
Zwar sehen diese Verfassungsnormen keine Möglichkeit vor, das freie Mandat
einzuschränken. Hieraus folgt jedoch nicht, dass jeder Eingriff in das freie Mandat
unzulässig wäre. Vielmehr ist das freie Mandat im Lichte der sonstigen Vorschriften des
Grundgesetzes auszulegen und kann durch andere Rechtsgüter von Verfassungsrang
begrenzt werden.
260
Vgl. BVerfG, Urteil vom 20. Juli 1998 - 2 BvE 2/98 -, juris Rdnr. 42 (= BVerfGE 99, 19);
Urteil vom 4. Juli 2007 - 2 BvE 1/06 u.a. -, juris Rdnr. 207 (= BVerfGE 118, 277).
261
Das Erfordernis einer besonderen Ermächtigungsgrundlage für Maßnahmen der
Verfassungsschutzbehörden gegen Abgeordnete ergibt sich nicht aus einer
systematischen Auslegung der Gesamtheit der Vorschriften, die die Rechte und
Pflichten eines Abgeordneten regeln. Insbesondere lässt sich dies entgegen der Ansicht
des Klägers auch nicht aus § 44c Abgeordnetengesetz (AbgG) herleiten. Der Existenz
dieser Vorschrift, die eine Überprüfung von Bundestagsabgeordneten auf eine Tätigkeit
für das Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR ermöglicht, kann nicht
entnommen werden, dass eine Beobachtung von Abgeordneten durch
Verfassungsschutzbehörden erst Recht einer besonderen gesetzlichen Grundlage
bedürfte. Einem solchen Erst-recht-Schluss steht entgegen, dass § 44c AbgG nicht dazu
dient, Abgeordnete aufgrund ihrer besonderen Stellung in der Ordnung des
Grundgesetzes anders als Bürger, die diesen verfassungsrechtlichen Schutz nicht
genießen, vor staatlichen Maßnahmen zu schützen. § 44c AbgG schafft vielmehr
staatliche Eingriffsmöglichkeiten, die nur gegenüber Abgeordneten gelten.
262
Dass Maßnahmen des BfV gegen Abgeordnete unzulässig sind, sofern sie nicht auf
einer besonderen, gerade auf Abgeordnete zugeschnittenen Rechtsvorschrift beruhen,
lässt sich auch nicht § 2 Abs. 3 Nr. 1 des Gesetzes über die Voraussetzungen und das
Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes (Sicherheitsüberprüfungsgesetz -
SÜG) entnehmen. Nach dieser Vorschrift gilt das Sicherheitsüberprüfungsgesetz nicht
für Mitglieder der Verfassungsorgane des Bundes und ist damit insbesondere auf
263
Bundestagsabgeordnete nicht anwendbar. Hieraus ergibt sich jedoch keine allgemeine
Beschränkung der Kompetenzen des BfV gegenüber Abgeordneten. Bei § 2 Abs. 3 Nr. 1
SÜG handelt es sich um eine als solche grundsätzlich eng auszulegende
Ausnahmevorschrift, die zudem nur am Rande die Tätigkeit des BfV betrifft. Nach § 3
Abs. 1 SÜG liegt die Zuständigkeit für Sicherheitsüberprüfungen nach diesem Gesetz
grundsätzlich nicht beim BfV. Dieses führt Sicherheitsüberprüfungen nur selbst durch,
wenn Bewerber und Mitarbeiter des eigenen Dienstes betroffen sind (§ 3 Abs. 3 SÜG).
Im Übrigen wirkt das BfV bei von anderen Behörden durchzuführenden Überprüfungen
lediglich mit (§ 3 Abs. 2 SÜG).
Gegen einen besonderen Gesetzesvorbehalt zugunsten von Abgeordneten spricht auch
§ 3 Abs. 2 Satz 4 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und
Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz). Wenn diese Vorschrift die Einbeziehung
von Abgeordnetenpost in Maßnahmen, die sich gegen Dritte richten, verbietet, ist dem
zu entnehmen, dass Abgeordnetenpost Gegenstand von gegen den Abgeordneten
selbst gerichteten Maßnahmen sein darf. Das Gesetz geht damit von der Zulässigkeit
solcher Maßnahmen der Verfassungsschutzbehörden gegen Abgeordnete aus, obwohl
das Artikel 10-Gesetz keine Ermächtigungsgrundlage für speziell diesen Personenkreis
betreffende Eingriffe enthält.
264
Bleibt damit die besondere Stellung des Abgeordneten tatbestandlich noch
unberücksichtigt, stellt das Bundesverfassungsschutzgesetz seinen
verfassungsrechtlich gebotenen Schutz allein, aber auch hinreichend auf der
Rechtsfolgenseite sicher. Der Tätigkeit des BfV sind durch den verfassungsrechtlichen
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit klare Grenzen gesetzt. Bei der
Verhältnismäßigkeitsprüfung sind sämtliche schutzwürdigen Belange des Betroffenen
auf der einen Seite und die zu schützenden öffentlichen Interessen auf der anderen
Seite in die Abwägung einzustellen und zu gewichten. So kann der verfassungsrechtlich
insbesondere durch das freie Mandat verbürgte Status eines Abgeordneten
ausschlaggebend sein.
265
2. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine offene Beobachtung des Klägers
waren und sind gegeben.
266
a) Bei den Parteien PDS, Linkspartei.PDS und heute DIE LINKE handelt es sich jeweils
um Personenzusammenschlüsse im Sinne des § 4 Abs. 1 BVerfSchG.
267
Der verfassungsrechtliche Sonderstatus der Parteien aus Art. 21 Abs. 2 GG schließt
eine solche Bewertung und die an sie anknüpfende Beobachtung durch
Verfassungsschutzbehörden nicht aus. Zwar behält Art. 21 Abs. 2 GG die Entscheidung
über die Verfassungswidrigkeit einer Partei ausschließlich dem
Bundesverfassungsgericht vor. Bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
ist ein administratives Einschreiten gegen den Bestand einer politischen Partei
schlechthin ausgeschlossen und niemand befugt, die Verfassungswidrigkeit einer Partei
rechtlich geltend zu machen oder wegen parteioffizieller Tätigkeiten rechtliche
Sanktionen anzudrohen oder zu verhängen.
268
Vgl. BVerfG, Urteil vom 17. August 1956 - 1 BvB 2/51 -, juris Rdnr. 215 (= BVerfGE 5,
85); Beschluss vom 29. Oktober 1975 - 2 BvE 1/75 -, juris Rdnr. 16 (= BVerfGE 40, 287);
Bay. VGH, Beschluss vom 7. Oktober 1993 - 5 CE 93.2327 -, juris Rdnr. 18 (= NJW
1994, 748).
269
Das Parteienprivileg hindert aber staatliche Stellen nicht, die Überzeugung zu gewinnen
und zu vertreten, eine Partei verfolge verfassungsfeindliche Ziele.
270
OVG NRW, Beschluss vom 13. Januar 1994 - 5 B 1236/93 -, juris Rdnr. 27 (= NVwZ
1994, 588); OVG Rhl.-Pf., Urteil vom 10. September 1999 - 2 A 11774/98 -, juris Rdnr.
20; Bay. VGH, Beschluss vom 7. Oktober 1993 - 5 CE 93.2327 -, juris Rdnr. 18 (= NJW
1994, 748); Löwer, Welche Anforderungen stellen der verfassungsrechtliche Status der
Parteien und der Abgeordneten an die Arbeit des Verfassungsschutzes und den
jährlichen Verfassungsschutzbericht?, in: BMI, Verfassungsschutz: Bestandsaufnahme
und Perspektiven (1998), S. 240 (248).
271
Wenn es von Verfassungs wegen der Regierung nicht nur erlaubt, sondern von ihr auch
gefordert wird, Berichte über die Entwicklung verfassungsfeindlicher Kräfte, Gruppen
und Parteien dem Parlament und der Öffentlichkeit vorzulegen,
272
vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 u.a. -, juris Rdnr. 62 (= BVerfGE
39, 334); Beschluss vom 29. Oktober 1975 - 2 BvE 1/75 -, juris Rdnr. 19 (= BVerfGE 40,
287),
273
beschränkt die Verfassung nicht generell die Möglichkeit, diesbezügliche Informationen
auch über politische Parteien als Grundlage für solche Berichte zu beschaffen.
274
OVG NRW, Beschluss vom 13. Januar 1994 - 5 B 1236/93 -, juris Rdnr. 27 ff. (= NVwZ
1994, 588); OVG Rhl.-Pf., Urteil vom 10. September 1999 - 2 A 11774/98 -, juris Rdnr.
20.
275
Trotz des Parteienprivilegs muss sich die bloße Beobachtung durch das BfV nicht auf
aktiv-kämpferische Bestrebungen beschränken, die die Parteiverbotsvoraussetzungen
des Art. 21 Abs. 2 GG erfüllen. Die Beobachtung von Parteien durch ein Amt für
Verfassungsschutz ist nicht nur zu dem Zweck zulässig, ein Parteiverbotsverfahren
einzuleiten. Die Beobachtung einer politischen Partei und ihrer Funktionäre auf den
Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen hin zielt ebenso wie die Beobachtung
anderer Vereinigungen oder einzelner nicht ausschließlich darauf ab, die Entscheidung
über repressive staatliche Maßnahmen vorzubereiten. Sie bezweckt vielmehr auch und
in Anbetracht der langjährigen Staatspraxis sogar vornehmlich, Erkenntnisse über die
aktuelle Entwicklung verfassungsfeindlicher Kräfte, Gruppen und Parteien im Vorfeld
einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Verfassungsordnung zu gewinnen
und zu sammeln und damit die Regierung und die Öffentlichkeit in die Lage zu
versetzen, Art und Ausmaß möglicher Gefahren zu erkennen und diesen in
angemessener Weise, namentlich mit politischen Mitteln, entgegenzuwirken. Die als
Institution verfassungsrechtlich anerkannten Ämter für Verfassungsschutz könnten die
ihnen damit gestellte Aufgabe schwerlich erfüllen, wenn sie nicht bereits beim Verdacht
verfassungsfeindlicher Bestrebungen tätig werden dürften.
276
BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 1999 - 1 C 30.97 -, juris Rdnr. 26 f. = BVerwGE 110,
126); OVG NRW, Beschluss vom 13. Januar 1994 - 5 B 1236/93 -, juris Rdnr. 31 (=
NVwZ 1994, 588); OVG NRW, Beschluss vom 21. Dezember 2000 - 5 A 2256/94 -,
www.nrwe.de Rdnr. 46 (Rechtsprechungsdatenbank des Landes Nordrhein-Westfalen =
juris Rdnr. 23 = NWVBl 2001, 178); Nds. OVG, Urteil vom 19. Oktober 2000 - 11 L 87/00
-, juris Rdnr. 20 (= NVwZ-RR 2002, 242); VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 11. März
277
1994 - 10 S 2386/93 -, juris Rdnr. 3 (= DÖV 1994, 917).
§§ 3, 4, 8 und 9 BVerfSchG gewährleisten über den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
im Einzelfall einfachgesetzlich den verfassungsrechtlich gebotenen schonenden
Ausgleich zwischen dem Parteienprivileg des Art. 21 GG und der gleichfalls
verfassungsrechtlich geschützten freiheitlichen demokratischen Grundordnung.
278
Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 1999 - 1 C 30.97 -, juris Rdnr. 26 f. (= BVerwGE
110, 126); OVG NRW, Beschluss vom 13. Januar 1994 - 5 B 1236/93 -, juris Rdnr. 31 (=
NVwZ 1994, 588); Nds. OVG, Urteil vom 19. Oktober 2000 - 11 L 87/00 -, juris Rdnr. 19
(= NVwZ-RR 2002, 242).
279
Es lagen und liegen aktuell tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht von
Bestrebungen der Parteien PDS, Linkspartei.PDS und DIE LINKE gegen die
freiheitliche demokratische Grundordnung vor.
280
Bei dem Tatbestandsmerkmal „Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte" in § 4 Abs. 1 Satz
3 BVerfSchG handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der in vollem
Umfang der gerichtlichen Kontrolle unterfällt. Bloße Mutmaßungen oder Hypothesen,
dass Bestrebungen der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 Fall 1 BVerfSchG genannten Art gegeben
sein könnten, genügen nicht. Andererseits bedarf es nicht bereits der Gewissheit, dass
die freiheitliche demokratische Grundordnung bekämpft und abgeschafft werden soll. Es
müssen vielmehr konkrete Umstände vorliegen, die bei vernünftiger Betrachtung auf
solche Bestrebungen hindeuten und deshalb eine weitere Aufklärung erforderlich
erscheinen lassen. Ausreichend ist dabei, dass die Gesamtschau aller vorhandenen
tatsächlichen Anhaltspunkte auf entsprechende Bestrebungen hindeutet, mag auch
jeder für sich genommen nicht genügen.
281
OVG NRW, Urteil vom 12. Februar 2008 - 5 A 130/05 -, www.nrwe.de Rdnr. 286 (= juris
Rdnr. 270); zu entsprechenden Regelungen in den Landesverfassungsschutzgesetzen
vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 2005 - 1 BvR 1072/01 -, juris Rdnr. 68 (= BVerfGE
113, 63); OVG NRW, Beschluss vom 13. Januar 1994 - 5 B 1236/93 -, juris Rdnr. 44 (=
NVwZ 1994, 588); Bay. VGH, Beschluss vom 7. Oktober 1993 - 5 CE 93.2327 -, juris
Rdnr. 20 (= NJW 1994, 748); VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 11. März 1994 - 10 S
2386/93 -, juris Rdnr. 4 (= DÖV 1994, 917); siehe auch BVerfG, Urteil vom 14. Juli 1999 -
1 BvR 2226/94 u.a. -, juris Rdnr. 281 (= BVerfGE 100, 313); BVerwG, Urteil vom 17.
Oktober 1990 - 1 C 12.88 -, juris Rdnr. 26 ff. (= BVerwGE 87, 23).
282
Solche tatsächlichen Anhaltspunkte können bereits dann gegeben sein, wenn
aussagekräftiges Tatsachenmaterial lediglich einen Teilbereich der Zielsetzungen,
Verlautbarungen und Aktivitäten des Personenzusammenschlusses widerspiegelt.
Deren Aussagekraft wird nicht allein dadurch in Frage gestellt, dass daneben eine
Vielzahl von Äußerungen existiert, denen sich keine Anhaltspunkte für eine
verfassungsfeindliche Ausrichtung entnehmen lassen.
283
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21. Dezember 2000 - 5 A 2256/94 -, www.nrwe.de
Rdnr. 66 (= juris Rdnr. 43 = NWVBl 2001, 178) und Urteil vom 12. Februar 2008 - 5 A
130/05 -, www.nrwe.de Rdnr. 320 (= juris Rdnr. 304).
284
Derartige Anhaltspunkte können sich aus dem Programm und/oder der Satzung des in
den Blick genommenen Personenzusammenschlusses ergeben, aus den Äußerungen
285
und Taten von führenden Persönlichkeiten und sonstigen Vertretern, Mitarbeitern und
Mitgliedern der Gruppierung sowie aus deren Schulungs- und Werbematerial.
Vgl. in Bezug auf Parteien BVerfG, Urteil vom 17. August 1956 - 1 BvB 2/51 -, juris Rdnr.
228 (= BVerfGE 5, 85); OVG NRW, Beschluss vom 13. Januar 1994 - 5 B 1236/93 -, juris
Rdnr. 46 (= NVwZ 1994, 588); Nds. OVG, Urteil vom 19. Oktober 2000 - 11 L 87/00 -,
juris Rdnr. 22 (= NVwZ-RR 2002, 242); OVG Berlin-Bbg., Urteil vom 6. April 2006 - 3 B
3.99 -, juris Rdnr. 47 (= NVwZ 2006, 838); OVG Rh.-Pf., Urteil vom 10. September 1999 -
2 A 11774/98 -, juris Rdnr. 21; in Bezug auf sonstige Organisationen OVG NRW, Urteil
vom 12. Februar 2008 - 5 A 130/05 -, www.nrwe.de Rdnr. 288 (= juris Rdnr. 272).
286
Bei Äußerungen kommt es nicht auf ihre abstrakte Interpretierbarkeit und Bewertung an,
sondern auf ihre konkrete Verwendung und ihren Stellenwert in der Gesamtausrichtung
der Gruppierung.
287
Vgl. in Bezug auf Parteien BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 1999 - 1 C 30.97 -, juris
Rdnr. 31 (= BVerwGE 110, 126); OVG Berlin-Bbg., Urteil vom 6. April 2006 - 3 B 3.99 -,
juris Rdnr. 47 (= NVwZ 2006, 838); in Bezug auf sonstige Organisationen OVG NRW,
Urteil vom 12. Februar 2008 - 5 A 130/05 -, www.nrwe.de Rdnr. 293 (= juris Rdnr. 272).
288
Bei der Würdigung von Erklärungen ist dem in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verbürgten Recht
auf freie Meinungsäußerung Rechnung zu tragen. Das Grundrecht ist konstituierend für
die Demokratie, die auch eine kritische Auseinandersetzung mit
Verfassungsgrundsätzen und - werten zulässt. Die bloße Kritik an Verfassungswerten
und Verfassungsgrundsätzen ist daher ebenso wenig als Gefahr für die freiheitliche
demokratische Grundordnung einzuschätzen wie die Äußerung der Forderung, tragende
Bestandteile dieser Grundordnung zu ändern. Es ist andererseits verfassungsrechtlich
unbedenklich, wenn die Verfassungsschutzbehörde das Vorliegen tatsächlicher
Anhaltspunkte im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 3 BVerfSchG insoweit an die Inhalte von
Meinungsäußerungen knüpft, als diese Ausdruck eines Bestrebens sind, die
freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen.
289
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 2005 - 1 BvR 1072/01 -, juris Rdnr. 71 f. (= BVerfGE
113, 63); OVG NRW, Urteil vom 12. Februar 2008 - 5 A 130/05 -, www.nrwe.de Rdnr.
297 (= juris Rdnr. 281).
290
Anhaltspunkte für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete
Bestrebungen einer Partei sind nicht nur dann gegeben, wenn die Partei in ihrer
Gesamtheit solche Bestrebungen entfaltet. Gerade die innere Zerrissenheit einer Partei,
Flügelkämpfe und eine Annäherung an extremistische Gruppierungen oder Parteien
können eine Beobachtung durch Verfassungsschutzbehörden erfordern. Nur so ist
festzustellen, in welche Richtung sich die Partei letztlich bewegt. Allein durch die
Beobachtungen können die Regierung, das Parlament und die Öffentlichkeit über den
Fortgang der weiteren, noch nicht abgeschlossenen Entwicklung der Partei sachkundig
und angemessen unterrichtet werden.
291
OVG NRW, Urteil vom 21. Dezember 2000 - 5 A 2256/94 -, www.nrwe.de Rdnr. 73 (=
juris Rdnr. 50 = NWVBl 2001, 178).
292
Nach diesen Maßgaben deutet bei vernünftiger Betrachtung die Gesamtschau aller
vorhandenen tatsächlichen Anhaltspunkte darauf hin, dass die Parteien PDS,
293
Linkspartei.PDS und heute DIE LINKE Bestrebungen verfolgten und weiterhin
verfolgen, die darauf gerichtet sind, die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte,
das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, die
Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung
sowie das Recht des Volkes, die Volksvertretung in allgemeiner und gleicher Wahl zu
wählen, zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Eine weitere Aufklärung durch das
BfV erscheint deshalb erforderlich.
Die Auswertung der dem Senat vorliegenden Unterlagen ergibt Anhaltspunkte von
hinreichendem Gewicht und in ausreichender Zahl dafür, dass es noch immer die
Richtung der Partei maßgeblich bestimmende verfassungsfeindliche Strömungen gibt.
Sie sprechen bei einer Gesamtschau dafür, dass durchaus namhafte Teile der Partei
eine politische Umgestaltung der Bundesrepublik Deutschland verfolgen, die mit den
entscheidenden Merkmalen eines freiheitlichen demokratischen Staates im Sinne des
Grundgesetzes unvereinbar ist. Sie streben durch eine mit zentralen Verfassungswerten
nicht vereinbare sozialistische Revolution und die Diktatur des Proletariats im klassisch
marxistisch- leninistischen Sinne eine sozialistisch-kommunistische
Gesellschaftsordnung an. Tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche
Bestrebungen ergeben sich auch aus Verlautbarungen der Partei insgesamt sowie der
Zusammenschlüsse in ihr, die eine nach den Maßstäben des Grundgesetzes
erforderliche Distanzierung von der ehemaligen DDR und der Republik Kuba vermissen
lassen und stattdessen für eine Solidarisierung streiten. Hinweise für eine Annäherung
der Parteien an extremistische Organisationen im In- und Ausland bzw. deren politische
Unterstützung ergeben sich aus einer Analyse der Unterlagen über die praktische Arbeit
der Partei.
294
Die Verfassungswidrigkeit einer sozialistisch-kommunistischen Gesellschaftsordnung
ist seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Verbot der Kommunistischen
Partei Deutschlands (KPD) geklärt. Das Bundesverfassungsgericht hat u.a. ausgeführt:
Das Anstreben einer sozialistisch-kommunistischen Gesellschaftsordnung, die durch
eine sozialistische Revolution und die Diktatur des Proletariats im klassisch marxistisch-
leninistischen Sinne erreicht werden soll, ist mit der freiheitlichen demokratischen
Grundordnung nicht vereinbar. In einer solchen Gesellschaft sind - vor allem in der
Phase der Diktatur des Proletariats - die Wahrung der im Grundgesetz konkretisierten
Menschenrechte, das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen
Opposition, die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der
Volksvertretung sowie allgemeine und gleiche Wahlen nicht gewährleistet.
295
Nach marxistisch-leninistischer Lehre ist die Diktatur des Proletariats eine notwendige
Vorstufe zur Erreichung des Sozialismus. In dieser Phase wandelt das Proletariat, das
durch eine Revolution die Macht ergriffen hat, in fortgesetzten revolutionären Kämpfen
die kapitalistische Gesellschaft in eine sozialistisch-kommunistische um. Hierzu bedarf
es einer Unterdrückung des Widerstands der durch die Revolution entmachteten Klasse.
Die Staatsgewalt ist bei der Staatspartei - der Kommunistischen Partei - konzentriert, die
alleinige Trägerin der den Massen verborgenen Einsicht in die Natur des
Klassenkampfs ist.
296
Die so verstandene Diktatur des Proletariats ist mit der freiheitlichen demokratischen
Grundordnung des Grundgesetzes unvereinbar. Es wäre nicht denkbar, den
Wesenskern des Grundgesetzes aufrechtzuerhalten, wenn eine Staatsordnung errichtet
würde, die die kennzeichnenden Merkmale der Diktatur des Proletariats trüge. In einem
297
derartigen Gemeinwesen sind die Menschenrechte nicht gewährleistet. Für die
Angehörigen der unterdrückten Klasse ist das selbstverständlich. Da alles staatliche
Handeln der Aufgabe der grundlegenden Neugestaltung der staatlichen Ordnung und
der Erreichung des Sozialismus untergeordnet ist, stehen auch den Mitgliedern der
herrschenden Klasse Grundrechte nur insoweit zu, als sie der Festigung der Diktatur
des Proletariats zumindest nicht entgegenstehen. Angesichts der Allmacht der
Kommunistischen Partei und ihrer alleinigen Einsicht in die politischen Notwendigkeiten
scheiden eine Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber der Volksvertretung und erst
Recht Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition aus. Die Erörterung
von Methoden und Einzelmaßnahmen ist ausgeschlossen, sobald sie einmal von der
herrschenden Partei autoritativ verkündet worden sind. Angesichts dessen bestehen
auch für eine Ablösbarkeit der Regierung sowie allgemeine und gleiche Wahlen kein
Raum und kein Bedürfnis.
BVerfG, Urteil vom 17. August 1956 - 1 BvB 2/51 -, juris Rdnr. 250 ff. (= BVerfGE 5, 85)
mit umfangreichen Nachweisen; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 1. Februar 1989 - 1 D
2.86 -, juris Rdnr. 29 ff. (= BVerwGE 86, 99); Urteil vom 29. Oktober 1981 - 1 D 50.80 -,
juris Rdnr. 32 ff. (= BVerwGE 73, 263).
298
Es widerspräche vernünftiger Betrachtung, Anhaltspunkte für Verfassungsfeindlichkeit
schon deshalb zu bejahen, weil eine Partei das Ziel ihrer Arbeit am gesellschaftlichen
Umbau umschreibt mit „Sozialismus", „demokratischer Sozialismus", „sozialistische
Gesellschaft" oder ähnlichen Formulierungen.
299
So etwa Programm der Linkspartei.PDS, Präambel und Kapitel I. (Dokument B 4, S. 2 f.);
Programmatische Eckpunkte der Partei DIE LINKE, I. (Dokument B 43, S. 2).
300
Der Begriff „Sozialismus" wird im politischen Sprachgebrauch nicht nur in dem
dargelegten klassischen marxistisch-leninistischen Sinne benutzt, sondern kann auch
eine als sozial verstandene, grundlegende Umgestaltung der wirtschaftspolitischen
Verhältnisse meinen, die den Rahmen des Grundgesetzes nicht überschreitet.
301
Zur wirtschaftspolitischen Neutralität des Grundgesetzes vgl. BVerfG, Urteil vom 11. Juni
1958 - 1 BvR 596/56 -, juris Rdnr. 63 (= BVerfGE 7, 377); Urteil vom 1. März 1979 - 1
BvR 532/77 u.a. -, juris Rdnr. 120 (= BVerfGE 50, 290).
302
Auch die Begriffe „Revolution", „Kapitalismus", „Demokratie" und „Menschenrechte"
werden nicht einheitlich verwandt. „Revolution" bedeutet nicht notwendig einen
gewaltsamen Umsturz der verfassungsmäßigen Ordnung des Grundgesetzes, sondern
kann auch eine radikale, sich aber noch im Rahmen des Grundgesetzes haltende
Umgestaltung der Gesellschaft sein. Der Begriff des „Kapitalismus" kann auf die
Wirtschaftsordnung beschränkt sein, aber auch die ihn ermöglichende politische
Ordnung erfassen. Andererseits lässt das Bekenntnis zu „Demokratie" und
„Menschenrechten" für sich genommen noch nicht den Schluss auf eine Interpretation
dieser Begriffe im Sinne der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des
Grundgesetzes zu. Auch Diktaturen und totalitäre Regime nehmen für sich regelmäßig
in Anspruch, demokratisch verfasst zu sein und die Menschenrechte zu achten. Die
Partei DIE LINKE bezeichnet ebenfalls Vorgänge unter solchen Herrschaftsformen als
„demokratisch", indem sie die Nachkriegsentwicklung in der DDR als „antifaschistisch-
demokratische Veränderungen im Osten Deutschlands" beschreibt.
303
Parteiprogramm der Linkspartei.PDS, Kapitel IV. (Dokument B 4, S. 51).
304
Zahlreiche und gewichtige Anhaltspunkte für den Verdacht verfassungsfeindlicher
Bestrebungen ergeben sich aber bei vernünftiger Betrachtung in Bezug auf bedeutende
Teile der Parteien PDS, Linkspartei.PDS und DIE LINKE.
305
Das gilt zunächst in besonderem Maße für Äußerungen der Kommunistischen Plattform.
Dieser parteiinterne Zusammenschluss strebt offen die Errichtung einer mit der
freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbaren Staats- und
Gesellschaftsordnung an. Seine Mitglieder bekennen sich in ihren programmatischen
Äußerungen der Sache nach ausdrücklich zu einer sozialistischen Revolution und der
mit dem Wesenskern des Grundgesetzes nicht in Einklang zu bringenden Phase der
Diktatur des Proletariats. Ihre Forderungen nach einem „Sozialismus im Marx´schen
Sinne", einem „wissenschaftlichen Sozialismus von Marx und Engels" (Dokument B 5),
einer Partei, die „im Geiste von Marx, Engels und Lenin gegen das Kapital, für den
Sozialismus" wirkt (Heinz Karl) und - unter Berufung auf die Marx-Engels-Werke - einer
Gesellschaftsordnung, „in welcher die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen
abgeschafft und der Mensch nicht länger ein 'erniedrigtes, ein geknechtetes, ein
verlassenes, ein verächtliches Wesen ist'" (Dokument B 46) lassen verständigerweise
keine andere Interpretation zu. Vor diesem ideologischen Hintergrund sind die Aussage,
die angestrebte Gesellschaft werde „natürlich in ihrer Anfangsphase alles andere als
perfekt" sein, und der Hinweis auf die Notwendigkeit, „unlogische, nicht objektive,
ungerechte, einfache Macht" einzusetzen (Dokument B 7), nur als kaum verhohlene
Bekenntnisse zur Diktatur des Proletariats und zur Gewaltanwendung während dieser
Vorphase des Sozialismus zu verstehen. Angesichts dessen sind Ausführungen dazu,
dass gegenwärtig keine revolutionäre Situation bestehe, der Kapitalismus aber „von
immer mehr Menschen als asozial, nicht friedfertig und als immer weniger demokratisch
empfunden" werde, woran „zur Zeit des Zustandekommens von 'Deutschland einig
Vaterland' nicht zu denken gewesen" wäre (Dokument B 50), keine bloße Beschreibung
der politischen Lage, sondern Ausdruck der Hoffnung auf das Entstehen einer
revolutionären Stimmung in Deutschland.
306
Das Marxistische Forum bekennt sich ebenfalls offen zu mit der freiheitlichen
demokratischen Grundordnung nicht vereinbaren Zielen. Indem es nicht nur fordert, „den
Herrschenden ihre ökonomischen Machtgrundlagen zu entreißen", sondern ihnen auch
ihre „politische Macht (...) nehmen" will (Geschichtskorrespondenz April 2003, S. 17),
stellt es unmissverständlich klar, dass es sich nicht darauf beschränkt, im Rahmen des
nach dem Grundgesetz Zulässigen für wirtschaftspolitische Veränderungen einzutreten.
Dass das Marxistische Forum vielmehr anstrebt, die bestehende staatliche Ordnung
durch ein gänzlich anderes Gemeinwesen zu ersetzen, wird deutlich, wenn das
Grundgesetz als eine Verfassung beschrieben wird, die „nach marxistischem
Verständnis Resultat von Klassenkämpfen" und „Waffenstillstandslinie bzw.
Grenzmarke der kämpfenden Klassen, die auch nach ihrer Annahme immer wieder
umkämpft" sei (Dokument B 12). Die demnach angestrebte Umgestaltung der Staats-
und Gesellschaftsordnung soll auch durch eine sozialistische Revolution und die
Diktatur des Proletariats im klassisch marxistisch-leninistischen Sinne erreicht werden.
Ein anderes Verständnis lassen die Bekenntnisse zu „Verbreitung marxistischen
Wissens und dialektischen Herangehens" (Internetauftritt) und „marxistischer
Verfassungsbetrachtung" (Dokument B 12) sowie die Auffassung, die „marxistische
Linke" benötige „eine revolutionäre Partei (...), die den Kampf um
Gesellschaftsveränderung - letztlich um sozialistische Neuorganisierung der
307
Gesellschaft - begreift und führt" (Prof. Dr. Ingo Wagner), nicht zu.
Mit der als Jugendorganisation der Partei DIE LINKE anerkannten Linksjugend ['solid]
lehnt eine weitere der Partei zuzurechnende Gruppierung tragende Prinzipien der
freiheitlichen demokratischen Grundordnung offen ab. Sie spricht dem Parlament seine
in der Staatsordnung des Grundgesetzes zentrale Rolle bei der politischen
Willensbildung ab, indem sie den Parlamentarismus als „Kasperletheater zur
Legitimation kapitalistischer Verhältnisse" (Verband ['solid] 36 - die sozialistische
Jugend Kreuzberg) verunglimpft. Sie will das Parlament lediglich für ihre Zwecke
instrumentalisieren, indem sie es als „Bühne (...) für den Kampf um eine gerechtere
Welt" (Verband ['solid] 36 - die sozialistische Jugend Kreuzberg) nutzt, der
„schwerpunktmäßig außerhalb der Parlamente" (Dokument B 127) stattfinden soll.
308
Den Äußerungen dieser Gruppierungen, die sich offen zu mit der freiheitlichen
demokratischen Grundordnung nicht vereinbaren Zielen bekennen, kommt im Rahmen
der vorzunehmenden Gesamtschau maßgebliche Bedeutung zu, weil sie keine
innerhalb der Partei unbedeutenden Splittergruppen sind, sondern nach ihrer
satzungsmäßigen Stellung, der Zahl ihrer Mitglieder, ihrem Rückhalt bei der Gesamtheit
der Parteimitglieder und dem sich hieraus ergebenden Einfluss nennenswertes Gewicht
innerhalb der Partei besitzen.
309
Die Partei bezeichnet sich in für ihre Ausrichtung tragenden Dokumenten als plural
(Bundessatzung und Programmatische Eckpunkte DIE LINKE) bzw. pluralistisch
(Parteiprogramm der Linkspartei.PDS) und verfolgt das Ziel, unterschiedliche Kräfte des
linken politischen Spektrums zu binden. Hierbei bezieht sie ausdrücklich auch radikale
Kräfte (Bundesgeschäftsführer Dr. Dietmar Bartsch) und solche, „die die gegebenen
Verhältnisse fundamental ablehnen" (Parteiprogramm der Linkspartei.PDS) mit ein.
Ausdruck dieser Pluralität ist die besondere Stellung, die § 7 der Bundessatzung
innerparteilichen Zusammenschlüssen einräumt. Sie sind entsprechend ihren
Schwerpunktthemen aktiv in die Arbeit von Parteivorstand, Kommissionen und
Arbeitsgruppen aller Ebenen einzubeziehen (§ 7 Abs. 3 Satz 2), können Delegierte zum
Parteitag entsenden (§ 7 Abs. 6) und erhalten im Rahmen des Finanzplanes finanzielle
Mittel für ihre Arbeit (§ 7 Abs. 7).
310
Die Kommunistische Plattform ist mit mehr als 800 Mitgliedern und 6 Mandaten der
zweitgrößte Zusammenschluss innerhalb der Partei. Auch wenn ihr damit nur etwas
mehr als ein Prozent der rund 76.000 Parteimitgliederangehören, verfügt sie über
erheblichen Rückhalt und daraus resultierend über nennenswerten tatsächlichen
Einfluss innerhalb der Partei. Ausdruck dessen ist, dass ihre Vertreter bei der
Aufstellung von Wahlvorschlägen regelmäßig auf aussichtsreiche Listenplätze gewählt
werden und auch bei Wahlen für parteiinterne Gremien erfolgreich sind. So vertritt Frau
Sahra Wagenknecht, ein führendes Mitglied der Kommunistischen Plattform, die Partei
im Europaparlament. Bei den Wahlen zum Parteivorstand erzielt sie regelmäßig
überdurchschnittliche Ergebnisse. Auf dem Gründungsparteitag der Partei DIE LINKE
im Jahr 2007 erhielt sie 75,2 % der Stimmen. Auf dem letzten Parteitag im Mai 2008
erzielte sie mit 70,2 % der Stimmen das drittbeste Ergebnis aller bei den
Vorstandswahlen angetretenen Kandidaten.
311
Das Marxistische Forum ist mit rund 60 Mitgliedern deutlich kleiner. Auch diese
Gruppierung hat sich jedoch innerhalb der Partei tatsächlichen Einfluss erarbeitet, der
ihren Anteil an den Mitgliedern der Partei deutlich übersteigt. Dieser Einfluss beruht
312
darauf, dass die Organisation in den mehr als 13 Jahren ihres Bestehens durch
engagierte Grundlagenarbeit auf sich aufmerksam gemacht hat. Ihre Mitglieder
beschäftigen sich intensiv mit dem theoretischen Fundament der politischen Arbeit der
Partei und zeichnen sich hierbei durch eine wissenschaftliche Herangehensweise
sowie hohes Abstraktionsvermögen aus. Angesichts dessen besitzen ihre
Stellungnahmen innerhalb der Partei in politischen Grundsatzdiskussionen Gewicht.
Die Linksjugend ['solid] genießt in weiten Teilen der Partei Wertschätzung, was nicht
zuletzt dadurch zum Ausdruck kommt, dass sie durch Beschluss des
Gründungsparteitags der Partei DIE LINKE als Jugendorganisation gemäß § 11 der
Parteisatzung anerkannt wurde. Ihr kommt ebenfalls aufgrund ihrer ca. 8.200 Mitglieder,
auch wenn diese nicht notwendigerweise Parteimitglieder sind, eine gewichtige Rolle
für die Ausrichtung der Partei zu.
313
Das nennenswerte Gewicht kann den vorgenannten Zusammenschlüssen bzw.
Organisationen nicht mit dem Argument abgesprochen werden, die von ihnen initiierten
und unterstützten Strömungen in der Partei könnten sich angesichts einer Übermacht
grundgesetzkonformer Meinungen und Aktivitäten niemals durchsetzen. Insofern
unterscheiden sich die PDS, die Linkspartei.PDS und trotz des Zusammenschlusses mit
der WASG auch DIE LINKE von den anderen im Deutschen Bundestag vertretenen
Parteien: Bezogen auf die Gesamtpartei gibt es zahlreiche weitere gewichtige Hinweise,
die Zweifel daran begründen, dass sich die Partei als solche vorbehaltlos zum zentralen
Wertesystem des Grundgesetzes bekennt. Insoweit ist die Sachlage eine grundlegend
andere als bei den übrigen im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien, bei denen
kein solcher Nährboden für verfassungsfeindliche Bestrebungen feststellbar ist, mögen
auch einzelne Äußerungen von Parteimitgliedern bedenklich erscheinen. Angesichts
dessen kann derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass es den vorgenannten
Zusammenschlüssen bzw. Organisationen insbesondere auch im Zusammenwirken
gelingt, ihre gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten
Bestrebungen innerhalb der Partei DIE LINKE durchzusetzen. Diese Absicht legt die
Kommunistische Plattform durch das Bekenntnis offen, sie wolle „für die Durchsetzung
des wissenschaftlichen Sozialismus in der Partei streiten" (Dokument B 5). In diese
Richtung deutet auch das Ziel des Marxistischen Forums, „den Rang der marxistischen
Gesellschaftsanalyse innerhalb der Diskussion in der Partei durch die Verbreitung
marxistischen Wissens und dialektischen Herangehens zu erhöhen" (Internetauftritt).
Bei der Einschätzung der Erfolgsaussichten eines solchen Vorgehens ist zu
berücksichtigen, dass keinerlei Distanzierung der Gesamtpartei von diesen
Gruppierungen oder ihren Zielen erkennbar ist. Im Gegenteil hat der
Bundesgeschäftsführer der Partei, Herr Dr. Dietmar Bartsch, Freude darüber bekundet,
dass es innerhalb der Partei die Kommunistische Plattform und „auch radikale Linke"
gibt (Neues Deutschland vom 29./30. April 2006).
314
In den dem Senat vorliegenden Dokumenten der Gesamtpartei und Äußerungen
führender Parteimitglieder, die nicht der Kommunistischen Plattform, dem Marxistischen
Forum oder der Linksjugend ['solid] angehören, finden sich folgende Anhaltspunkte für
Zweifel an der Verfassungstreue der Partei PDS, Linkspartei.PDS und DIE LINKE:
315
Wenn es im Parteiprogramm der Linkspartei.PDS heißt, es bedürfe „alternativer
Gesellschaftsstrukturen, die von der Verwirklichung gemeinschaftlicher Interessen
geprägt sind und die Dominanz privatkapitalistischen Eigentums überwunden haben",
und an anderer Stelle ausgeführt wird, sozialistische Politik ziele „heute auf die
316
Veränderung der Kräfteverhältnisse, die Schaffung der notwendigen Voraussetzungen
für einen Richtungswechsel der Politik und die damit verbundene Umgestaltung von
Eigentums- und Machtstrukturen", macht dies deutlich, dass die von der Partei
angestrebten Veränderungen nicht auf die Wirtschaftspolitik beschränkt sind, sondern
die bestehenden Gesellschafts- und Machtverhältnisse insgesamt betreffen sollen. In
diesen Formulierungen können sich die Kräfte in der Partei wiederfinden, die den
Übergang zu einer sozialistischen Gesellschaft im marxistisch-leninistischen Sinne
anstreben. Eine dahingehende Auslegung des Parteiprogramms der Linkspartei.PDS ist
jedenfalls nicht völlig ausgeschlossen, zumal in den programmatischen Eckpunkten der
Partei DIE LINKE unter Berufung auf Karl Marx die „Überwindung aller Eigentums- und
Herrschaftsverhältnisse, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein
verlassenes, ein verächtliches Wesen ist", gefordert und das Ziel formuliert wird,
„Bürgerinnen und Bürger gegen Machtbestrebungen der herrschenden Klasse" zu
„mobilisieren". In diese Richtung deuten auch die Empfehlung des Ältestenrats der
Partei DIE LINKE, die Partei solle sich „zum Vermächtnis von Karl Marx, Friedrich
Engels, August Bebel und Rosa Luxemburg wie von weiteren deutschen und
internationalen Kämpfern für eine sozialistische Gesellschaftsordnung bekennen"
(Dokument B 92), und das von Herrn Torsten Koplin (MdL, Mecklenburg Vorpommern)
unter Berufung auf Rosa Luxemburg formulierte Fernziel, „endlich der heutigen
Gesellschaft das Genick zu brechen" (Dokument B 34).
Ähnlich verhält sich die Partei zur Definition des sozialistischen Ziels im „Manifest der
Kommunistischen Partei"; diese lautet:
317
„Wenn das Proletariat im Kampf gegen die Bourgeoisie sich notwendig zur Klasse
vereint, durch eine Revolution sich zur herrschenden Klasse macht und als herrschende
Klasse gewaltsam die alten Produktionsverhältnisse aufhebt, so hebt es mit diesen
Produktionsverhältnissen die Existenzbedingungen des Klassengegensatzes, der
Klassen überhaupt und damit seine eigene Herrschaft als Klasse auf. An die Stelle der
alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine
Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie
Entwicklung aller ist."
318
(Marx-Engels-Werke, Band 4, S. 482
319
Die Definition wird im Parteiprogramm (Kapitel I., Dokument B 4, S. 3) und in der
Bundessatzung der Partei DIE LINKE (Präambel, Dokument B 44, S. 5) zwar nur in
ihrem letzten Teil aufgegriffen. Dies muss aber nicht notwendigerweise als Abkehr von
einer Revolution als Mittel zur Erreichung des beibehaltenen gesellschaftlichen Ziels
verstanden werden. Wer - mit Marx, Engels und Lenin - eine Revolution als zwingende
Voraussetzung für das Erreichen der angestrebten Gesellschaftsordnung ansieht, muss
sich im Gegenteil wegen der Beibehaltung des Ziels vorhalten lassen, dass er eine
Revolution als einzusetzendes Mittel ansieht. Eine an die Sprache von Marx, Engels
und Lenin anknüpfende Ausdrucksweise muss nicht auf einen verfassungswidrigen
Inhalt führen - ohne eine deutliche Abkehr davon bleibt aber jedenfalls ein tatsächlicher
Anhaltspunkt für den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen.
320
Im Rahmen der vom Senat vorzunehmenden Gesamtschau erhalten die dargelegten
Anhaltpunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung
weitere Substanz durch die Erklärungen der Partei zur ehemaligen DDR und der
Republik Kuba, die totalitäre Züge getragen haben bzw. tragen. Die fehlende Distanz zu
321
bzw. die ausdrückliche Solidarität mit diesen Staatsgewalten trotz der dortigen
gravierenden Verletzungen der Menschenrechte verstärken die Zweifel, ob die Partei
die für die freiheitliche demokratische Grundordnung grundlegenden Werte des
Grundgesetzes teilt.
Dies gilt zunächst für die Äußerungen der Partei und der in ihr tätigen
Zusammenschlüsse zur früheren DDR. Hinsichtlich der Auseinandersetzung mit der
Vergangenheit als Staatspartei der DDR und damit Hauptverantwortliche der dortigen
Verhältnisse bieten die PDS, die Linkspartei.PDS sowie DIE LINKE ein in Würdigung
des damaligen Unrechts unverständliches, uneinheitliches Bild. Deutlichen
Distanzierungen (z.B. in der Präambel des Parteiprogramms, Dokument B 4, S. 2)
stehen ebenso deutliche Versuche gegenüber, das begangene Unrecht zu relativieren
(Parteiprogramm, Kapitel IV., Dokument B 4, S. 51 und Dokument B 92) oder sogar zu
rechtfertigen mit der konkreten historischen Situation (Parteiprogramm, Kapitel IV.,
Dokument B 4, S. 52 und Erklärung des Ältestenrats, Dokument B 92) bzw. berechtigten
ökonomischen Interessen des Staates (Dr. Dieter Dehm, Dokument B 111). Auch finden
sich Würdigungen der aus Sicht der Partei positiven Wirkungen des Staatssozialismus
des früheren Ostblocks auf die Weltpolitik: Dieser habe „der westlichen Welt begrenzte
Zurückhaltung beim Einsatz militärischer Gewalt aufgenötigt" sowie „Befreiungskämpfe
in den so genannten Entwicklungsländern und soziale Reformen in den kapitalistischen
Industrieländern" begünstigt (Parteiprogramm, Kapitel II. 1., Dokument B 4, S. 10). „Der
Zusammenbruch des Sozialismus auf europäischem Boden (habe) einen bedrohlichen
Rückfall in der Entwicklung der menschlichen Zivilisation begünstigt" (Ältestenrat,
Dokument B 54).
322
Auf die schon danach von großer Inhomogenität geprägte Partei wirkt die zur Bewertung
der DDR unzweifelhaft positiv eingestellte Kommunistische Plattform ein, die Kritik an
der DDR sowohl innerhalb als auch außerhalb der Partei entschieden entgegentritt. So
ist in Erklärungen der Kommunistischen Plattform von „denunziatorischen Bewertungen"
des „gewesenen Sozialismus" (Dokument B 55) und einem „ahistorischen" Umgang mit
der Geschichte der DDR die Rede (Dokument B 10). Kritische Äußerungen der Partei
werden als taktisch motiviert verstanden (Dokument B 10). Das Ministerium für
Staatssicherheit wird verharmlost. In den jüngsten Sicherheitsgesetzen soll ein „stets
enger werdendes Überwachungsnetz" liegen, während gleichzeitig den Medien
vorgeworfen wird, aus dem „im Übrigen technisch vergleichsweise bescheiden
ausgestatteten" Ministerium für Staatssicherheit „ein Horrorgebilde" zu machen, „indem
sie der DDR jegliches Recht auf ein Sicherheitsbedürfnis absprechen" (Dokument B
10). In diesem Zusammenhang ist auch die Veröffentlichung einer Erklärung ehemaliger
Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit in den Mitteilungen der
Kommunistischen Plattform zu sehen, in der die Tätigkeit dieser Behörde mit der
Schutzbedürftigkeit der DDR gerechtfertigt wird, die von ihren Gegnern „unerbittlich
bekämpft" worden sei. Die früheren Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit
seien „ständigen Versuchen" ausgesetzt, ihre Vergangenheit und sie persönlich „zu
diskriminieren und zu kriminalisieren" (Dokument B 56).
323
Zweifel daran, dass die Partei DIE LINKE (früher: PDS/Linkspartei.PDS) die dem
Grundgesetz zugrundeliegende Werteordnung vorbehaltlos teilt, ergeben sich auch aus
ihren Stellungnahmen zur Republik Kuba und den dort herrschenden politischen
Verhältnissen. Die Partei versichert dem Regime in Kuba immer wieder ihre Solidarität
(Dokumente B 21, B 25, B 26 und B 48), ohne die massiven
Menschenrechtsverletzungen zu erwähnen oder hinreichend kritisch zu würdigen. Im
324
Gegenteil werden Kritiker der Menschenrechtslage in Kuba innerhalb und außerhalb der
Partei - sogar vom Parteivorsitzenden, Herrn Oskar Lafontaine, - in teils diffamierender
Weise angegriffen. Ihnen wird vorgeworfen, das „Vertrauen (der Wähler) missbraucht"
zu haben (Offener Brief, Dokument B 25), „instrumentelle Menschenrechtskampagnen"
zu betreiben (Dr. Diether Dehm, Dokument B 48) und „die Menschenrechtsfrage
wichtigtuerisch (zu) instrumentalisieren" (Oskar Lafontaine, Dokument B 73). Die
Bedeutung, die die Partei der Republik Kuba bei ihren außenpolitischen Aktivitäten
beimisst, wird schon mit der formal herausgehobenen Position der Arbeitsgemeinschaft
Cuba Si und durch ihre für eine außenpolitische Unterorganisation vergleichsweise
zahlreichen Mitglieder deutlich. Mit 418 Mitgliedern und als Zusammenschluss im Sinne
von § 7 der Bundessatzung anerkannt, stehen der Arbeitsgemeinschaft bei Parteitagen
zwei Mandate zu.
Zusätzliche Anhaltspunkte für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung
gerichtete Bestrebungen der Partei DIE LINKE (früher: PDS/Linkspartei. PDS) ergeben
sich im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtschau aus ihrer engen Zusammenarbeit
mit der DKP. Zu dieser linksextremistischen Partei,
325
zur Einordnung der DKP als linksextremistisch vgl. BVerwG, Urteile vom 1. Februar
1989 - 1 D 2.86 -, juris Rdnr. 32 ff. (= BVerwGE 86, 99); vom 20. Januar 1987 - 1 D
114.85 - , juris Rdnr. 18 f. (= NJW 1987, 2691); vom 10. Mai 1984 - 1 D 7.83 -, juris Rdnr.
15 ff. (= BVerwGE 76, 157) und vom 29. Oktober 1981 - 1 D 50.80 -, juris Rdnr. 32 ff. (=
BVerwGE 73, 263); BAG, Urteil vom 13. Oktober 1988 - 6 AZR 144/85 -, juris Rdnr. 25 f.
(= NJW 1989, 2562),
326
pflegte und pflegt die Partei langjährige intensive Kontakte. Nach der Wende in der
DDR setzte die damalige PDS zunächst auf die Hilfe der DKP bei ihren Bemühungen,
im politischen System der Bundesrepublik akzeptiert zu werden (Dokument B 138). In
der Folgezeit intensivierte sich die Zusammenarbeit bis hin zur Aufnahme von
Mitgliedern der DKP in Wahlvorschläge der Partei DIE LINKE. Der auf dem Parteitag im
Mai 2008 gefasste Beschluss, auf den Listen der Partei DIE LINKE für Europa-,
Bundestags- und Landtagswahlen zukünftig keine Personen mehr aufzunehmen, die
Mitglied in anderen Parteien sind, ist nicht als Abkehr von dieser Zusammenarbeit zu
verstehen. Vielmehr hat sogar der Kläger betont, der Beschluss sei nicht gegen die DKP
gerichtet, sondern solle nur der Gefahr von Wahlanfechtungen begegnen (Dokument B
62).
327
In dieses Gesamtbild zahlreicher Anhaltspunkte für gegen die freiheitliche
demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen fügt sich, dass die Partei
ausländische Guerillaorganisationen politisch unterstützt. Ohne dies von einer
Beendigung terroristischer Aktionen abhängig zu machen, fordert sie Zugeständnisse
an Organisationen, die - wie die kolumbianische FARC - auf der Terrorliste der EU
geführt werden oder - wie die PKK bzw. ihren Nachfolgeorganisationen KADEK und
KONGRA GEL - auch in Deutschland verboten sind,
328
zur Rechtmäßigkeit dieses Verbots vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. Juli 1994 - 1 VR
10.93 -, juris (= NVwZ 1995, 587),
329
Anhaltspunkte dafür, dass die politische Ausrichtung der Partei und der in ihr
vertretenen Strömungen im Rückblick bis Oktober 1999 nicht durchgängig dem
Verdacht der Verfassungsfeindlichkeit ausgesetzt war, sind nicht ersichtlich. Die
330
zitierten Quellen stammen aus dem gesamten Zeitraum seit 1999. Daneben liegen
weitere Quellen aus den ersten Jahren des streitgegenständlichen Zeitraums vor, die
ähnliche Aussagen enthalten wie die aufgeführten jüngeren Dokumente und für diese
Zeit auf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen
der Partei hinweisen.
Vgl. nur die in den Verfassungsschutzberichten 2003 (S. 131 ff., Dokument B 1), 2004
(S. 144 ff., Dokument B 2) und 2005 (S. 159 ff., Dokument B 3) zitierten Stellungnahmen
der Partei insgesamt und insbesondere von Vertretern der Kommunistischen Plattform
und des Marxistischen Forums, sowie Everts, Politischer Extremismus (2000), S. 248 ff.
331
b) Es sind nicht nur tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen
der PDS, der Linkspartei.PDS sowie heute der Partei DIE LINKE gegeben, sondern
darüber hinaus auch dafür, dass diese in politisch bestimmte, ziel- und zweckgerichtete
Verhaltensweisen in Bezug auf die Beseitigung bzw. Außer-Geltungsetzung der
genannten Verfassungsgrundsätze mündeten und nach wie vor münden.
332
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchstabe c BVerfSchG sind Bestrebungen gegen die
freiheitliche demokratische Grundordnung (nur) solche - d.h. die in diesem Sinne
verfolgten - politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen. Das
Tatbestandsmerkmal einer „politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten
Verhaltensweise" erfordert damit über das bloße Vorhandensein bestimmter
Bestrebungen hinaus ein aktives, nicht jedoch notwendig kämpferisch-aggressives
Vorgehen zu deren Realisierung. Es bedarf Aktivitäten, die über eine bloße
Missbilligung oder Kritik an einem Verfassungsgrundsatz hinausgehen. Vorausgesetzt
wird, dass in einem oder für einen Personenzusammenschluss Bemühungen
unternommen werden, einen der in § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannten
Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen.
333
OVG NRW, Urteil vom 12. Februar 2008 - 5 A 130/05 -, www.nrwe.de Rdnr. 335 (= juris
Rdnr. 319); vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 2005 - 1 BvR 1072/01 -, juris Rdnr.
70 (= BVerfGE 113, 63); OVG NRW, Beschluss vom 13. Januar 1994 - 5 B 1236/93 -,
juris Rdnr. 31 (= NVwZ 1994, 588) (jeweils zu der vergleichbaren Regelung im
nordrhein- westfälischen Verfassungsschutzgesetz); VGH Baden-Württemberg,
Beschluss vom 11. März 1994 - 10 S 2386/93 -, juris Rdnr. 3 (= DÖV 1994, 917) (zum
Verfassungsschutzrecht in Baden-Württemberg); OVG Niedersachsen, Urteil vom 19.
Oktober 2000 - 11 L 87/00 -, juris Rdnr. 20 (= NVwZ-RR 2002, 242) (zum
Verfassungsschutzrecht in Niedersachsen); ferner Borgs, in: Borgs-Maciejewski/ Ebert,
Das Recht der Geheimdienste (1986), § 3 BVerfSchG a.F., Rdnr. 62 f.
334
Innerhalb der Partei sind aktive Verhaltensweisen, insbesondere der Kommunistischen
Plattform, des Marxistischen Forums und der Linksjugend [´solid], festzustellen, die
darauf gerichtet sind, mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht
vereinbare Ziele innerhalb der Partei und über diese hinaus durchzusetzen. So
bemühen sich die extremistischen Kräfte, ihren Einfluss innerhalb der Partei zu
vergrößern, indem sie bei den Parteimitgliedern massiv um Unterstützung für ihre
Positionen werben. Ein erheblicher Anteil der zitierten Dokumente ist primär an die
Mitglieder der Partei gerichtet und soll diese zum Beitritt zu den genannten
Gruppierungen oder zumindest zur Unterstützung ihrer extremistischen Ansichten
bewegen. Derartige Bemühungen, parteiintern Unterstützung für ihre eigenen
Positionen zu gewinnen, entfalten die gegen die freiheitliche demokratische
335
Grundordnung gerichteten Kräften insbesondere zu Zeiten, in denen wesentliche
programmatische Grundentscheidungen anstehen. Die Kommunistische Plattform
betont selbst Jahre nach dessen Verabschiedung noch, dass sie große Anstrengungen
unternommen habe, um das Chemnitzer Programm der Partei zu verhindern (Dokument
B 5). Auch die mehrfach zitierten Erklärungen des Ältestenrats der Partei (Dokumente B
54 und B 92) wurden kurz vor den Bundesparteitagen 2007 und 2008 veröffentlicht, die
für die weitere programmatische Ausrichtung der Partei von erheblicher Bedeutung
waren. 2007 war über die Fusion der Linkspartei.PDS mit der WASG zu entscheiden.
Zudem hatte der Parteitag über die Bundessatzung der neuen Partei und ihre
Programmatischen Eckpunkte zu beschließen. Die Bedeutung des Parteitags 2008
ergibt sich daraus, dass er der erste der Partei DIE LINKE nach der Fusion war.
Die Bemühungen der genannten Gruppierungen um Einfluss innerhalb und außerhalb
der Partei werden zudem durch ihr Streben nach parteiinternen Ämtern und
Parlamentsmandaten deutlich. Besonders erfolgreich war insoweit das führende
Mitglied der Kommunistischen Plattform, Frau Sahra Wagenknecht.
336
Bei sich bietendem Anlass werden gezielt Parteimitglieder und -anhänger mobilisiert,
um den Bundesvorstand und den Parteirat zu Äußerungen zu veranlassen, die geeignet
sind, Zweifel daran zu begründen, dass die Partei die für die freiheitliche demokratische
Grundordnung grundlegenden Werte des Grundgesetzes teilt. Beispiel hierfür ist der
offene Brief, der sich gegen die Zustimmung von drei Europaabgeordneten der Partei zu
einer kubakritischen Resolution wandte (Dokument B 25) und den Parteivorstand
veranlasste, die Solidarität der Partei mit der Republik Kuba zu betonen sowie das
Abstimmungsverhalten der Abgeordneten zu kritisieren (Dokument B 26).
337
Anhaltspunkte für über die Partei hinaus wirkende Aktivitäten zur Durchsetzung von
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Zielen ergeben sich
insbesondere aus der Unterstützung, die die Partei linksextremistischen Organisationen
gewährt. So begründete die Fraktion DIE LINKE. im Bundestag ihre Weigerung, einem
gegen extremistische Vereine gerichteten Antrag (BT-Drs. 16/8497) zuzustimmen,
damit, dass „er zu pauschal von 'extremistischen' Vereinen spreche und sich nicht
deutlich genug auf rechtsextremistische Zusammenschlüsse beziehe" (BT-Drs.
16/8497). In diesem Zusammenhang ist auch in den Blick zu nehmen, dass die Partei in
der Vergangenheit Mitglieder der linksextremistischen DKP in von ihr aufgestellte
Wahlvorschläge aufgenommen hat und beabsichtigt, dies auch künftig im Rahmen des
rechtlich Möglichen, d.h. insbesondere auf kommunaler Ebene, zu tun. Durch dieses
Vorgehen, das auch vom Kläger befürwortet wird (vgl. Dokument B 62), ermöglicht die
Partei DIE LINKE Mitgliedern einer extremistischen Organisation, für ihre Ansichten in
Parlamenten und Gemeindevertretungen zu streiten.
338
c) Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine offene Beobachtung des Klägers
waren und sind allein schon wegen seiner politischen Betätigung in der Partei DIE
LINKE (früher: PDS/Linkspartei.PDS) gegeben.
339
Die Tätigkeit des Klägers in der Partei zum Anknüpfungspunkt für Maßnahmen des BfV
zu machen, ist mit dem Parteienprivileg vereinbar. Zwar erstreckt sich das in erster Linie
die Parteiorganisation schützende Privileg des Art. 21 Abs. 2 GG auch auf die mit
allgemein erlaubten Mitteln arbeitende parteioffizielle oder parteiverbundene Tätigkeit
der Funktionäre und Anhänger einer Partei. Es stellt den Bürger bei solchen Tätigkeiten
von Sanktionen frei, um ein ungestörtes und unbehindertes Funktionieren der Partei zu
340
gewährleisten.
BVerfG, Urteil vom 21. März 1961 - 2 BvR 27/60 -, juris Rdnr. 26 ff. (= BVerfGE 12, 296);
Beschluss vom 27. Juni 1961 - 1 BvR 486/59 -, juris Rdnr. 35 (= BVerfGE 13, 46);
Beschluss vom 18. Juli 1961 - 2 BvE 1/61 -, juris Rdnr. 10 (= BVerfGE 13, 123);
Beschluss vom 30. Oktober 1963 - 2 BvL 7/61 u.a. -, juris Rdnr. 36 (= BVerfGE 17, 155);
Beschluss vom 29. Oktober 1975 - 2 BvE 1/75 -, juris Rdnr. 16 (= BVerfGE 40, 287);
Beschluss vom 17. Januar 1978 - 2 BvR 487/76 -, juris Rdnr. 33 (= BVerfGE 47, 130);
BVerwG, Urteil vom 17. September 2003 - 6 C 4.03 -, juris Rdnr. 24 (= NVwZ-RR 2004,
269).
341
Aus dem Schutzzweck des Art. 21 Abs. 2 GG folgt jedoch, dass der Kläger als
Parteimitglied nicht im Hinblick auf seine Mitgliedschaft in der Partei gegen staatliche
Maßnahmen geschützt sein kann, die die Partei selbst hinzunehmen hat.
342
Allerdings liegen bei vernünftiger Betrachtung keine hinreichenden tatsächlichen
Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger selbst durch seine Parteiarbeit im dargelegten
Sinne politisch bestimmte, ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen gegen die
freiheitliche demokratische Grundordnung verfolgt. Dies gilt zunächst, soweit es um die
Kommunistische Plattform, das Marxistische Forum und die Linksjugend [´solid] geht.
Der Kläger, der außerhalb dieser Personenzusammenschlüsse steht, handelt nach § 4
Abs. 1 Satz 2 BVerfSchG nur dann für diese, wenn er sie in ihren Bestrebungen
nachdrücklich unterstützt. Das behauptet selbst die Beklagte nicht. Auch im Übrigen
sind dafür keine Anhaltspunkte ersichtlich. Gleiches gilt - insoweit entgegen der Ansicht
der Beklagten - für den Kläger in seiner Rolle als Spitzenfunktionär der Partei. Die
Übernahme führender Ämter innerhalb einer Partei, die hinsichtlich ihrer Einstellung zur
freiheitlichen demokratischen Grundordnung so inhomogen ist wie DIE LINKE (früher:
PDS/Linkspartei.PDS), stellt für sich genommen keine Bemühung dar, einen der in § 4
Abs. 2 BVerfSchG genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung
zu setzen, und zwar auch dann nicht, wenn der Spitzenfunktionär davon absieht, sich
gegen verfassungsfeindliche Ansätze in der Partei zu engagieren. Politisch bestimmte,
ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen gegen die freiheitliche demokratische
Grundordnung erfordern vielmehr umgekehrt ein aktives Vorgehen zur Beseitigung der
freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Derartige Aktivitäten des Klägers ergeben
sich aus dem Vorbringen der Beklagten nicht und sind auch sonst nicht erkennbar.
343
Entgegen der Ansicht des Klägers führt das Fehlen hinreichender eigener verdächtiger
Verhaltensweisen jedoch nicht zur Unzulässigkeit seiner offenen Beobachtung durch
das BfV. Das Bundesverfassungsschutzgesetz knüpft die Beobachtung von Personen,
die in einem Personenzusammenschluss handeln, bei dem Anhaltspunkte im Sinne des
§ 4 Abs. 1 Satz 1 Buchstabe c BVerfSchG vorliegen, über die bloße Mitgliedschaft
hinaus nicht an weitere, in der beobachteten Person selbst liegende - subjektive oder
objektive - Voraussetzungen.
344
Insbesondere verbietet sich zunächst ein Verständnis der Vorschrift dahingehend, dass
eine offene Beobachtung nur dann zulässig sein soll, wenn ein Mitglied eines solchen
Personenzusammenschlusses selbst subjektiv das Ziel verfolgt, durch seine Tätigkeit in
dem Personenzusammenschluss die freiheitliche demokratische Grundordnung ganz
oder teilweise zu beseitigen. Dies ergibt sich aus einer systematischen Auslegung von §
4 Abs. 1 BVerfSchG: Sowohl bei Einzelpersonen als auch bei Personen, die nicht
Mitglied eines gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten
345
Personenzusammenschlusses sind, aber für diesen handeln, reicht es für Bestrebungen
im Sinne des § 4 Abs. 1 BVerfSchG aus, dass ihr Verhalten objektiv geeignet ist, ein
Schutzgut des Gesetzes zu beschädigen. Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 BVerfSchG handelt für
einen Personenzusammenschluss, wer ihn in seinen Bestrebungen nachdrücklich
unterstützt. Hierdurch wird die Beobachtung von Personen, die - ohne Mitglied zu sein -
für einen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten
Personenzusammenschluss tätig sind, nicht von subjektiven Voraussetzungen
abhängig gemacht. Ob eine Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen
vorliegt, richtet sich allein nach objektiven Kriterien.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. November 2004 - 3 C 8.04 -, juris Rdnr. 39 (= BVerwGE
122, 182).
346
Objektiv ausgerichtet ist auch § 4 Abs. 1 Satz 4 BVerfSchG. Danach sind
Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen
Personenzusammenschluss handeln, Bestrebungen im Sinne des
Bundesverfassungsschutzgesetzes, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet sind
oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut dieses Gesetzes
erheblich zu beschädigen. Bei dieser objektiven Ausrichtung von § 4 Abs. 1 BVerfSchG
erhellt sich nicht, warum bei Personen, die in einem gegen die freiheitliche
demokratische Grundordnung gerichteten Personenzusammenschluss tätig sind,
zusätzlich subjektive und damit strengere Anforderungen gelten sollen. Schließlich steht
die Person im Zusammenschluss in größerer Nähe zu den Verdachtsmomenten als
Personen außerhalb der Gruppierung.
347
Diese Auslegung steht im Einklang dem Zweck des Bundesverfassungsschutzgesetzes.
Es soll helfen, objektiv bestehende Gefahren für die freiheitliche demokratische
Grundordnung abzuwehren. Solche Gefahren gehen nicht nur von Personen aus, die
der freiheitlichen demokratischen Grundordnung feindlich gegen-überstehen und sie
ganz oder teilweise beseitigen wollen. Ebenso gefährlich können Personen sein, die
selbst auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehen, jedoch
bei objektiver Betrachtung durch ihre Tätigkeit verfassungsfeindliche Bestrebungen
fördern, ohne dies zu erkennen oder als hinreichenden Grund anzusehen, einen aus
anderen Beweggründen unterstützten Personenzusammenschluss zu verlassen.
348
Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. November 2004 - 3 C 8.04 -, juris Rdnr. 39 (= BVerwGE
122, 182) mit dem prägnanten Hinweis auf den „nützlichen Idioten".
349
Dieses Ergebnis wird durch die Entstehungsgeschichte des § 4 Abs. BVerfSchG
bestätigt. Nach der zunächst erwogenen Definition von Bestrebungen gegen die
freiheitliche demokratische Grundordnung setzten solche im Regelfall Betätigungen
einer Organisation oder einer unorganisierten Gruppierung voraus.
350
BR-Drs. 618/28/88.
351
Erst ist Zusammenhang mit der Ausweitung auch auf Personen, die nicht in einem
Personenzusammenschluss handeln, entstand die Notwendigkeit, insoweit
einschränkende Tatbestandsmerkmale zu formulieren.
352
Vgl. BT-Drs. 11/7235, S. 55 und BT-Drs.11/7504, S. 7 f.
353
Über das Fehlen einschränkender subjektiver Voraussetzungen für die Beobachtung
von Personen, die in einem Personenzusammenschluss handeln, hinaus sind hieran
außer der Mitgliedschaft auch keine zusätzlichen objektiven Anforderungen gestellt.
Während solche in § 4 Abs. 1 Satz 2 und Satz 4 im Hinblick auf Personen, die (lediglich)
für einen Personenzusammenschluss handeln oder die weder in noch für einen solchen
handeln, ausdrücklich formuliert sind, ist dies für Personen, die in einem
Personenzusammenschluss handeln, nicht der Fall.
354
3. Angesichts der damit gegebenen Weite des Tatbestands ist der notwendigen
Einzelfallbetrachtung, ob es zur Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische
Grundordnung einer offenen Beobachtung des in den Blick genommenen
Parteimitglieds bedarf, zwingend ausreichender Raum im Rahmen der
verfassungsrechtlich gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung zu geben.
355
Zur Notwendigkeit der Einzelfallbetrachtung bei Mitgliedschaft in einer Organisation mit
verschiedenen Strömungen, die unter dem Aspekt der Verfassungsfeindlichkeit
unterschiedlich zu bewerten sind, vgl. BVerwG, Urteil vom 11. November 2004 - 3 C
8.04 -, juris Rdnr. 39 (= BVerwGE 122, 182).
356
Da es durch die Beobachtung der Verfassungsschutzbehörden regelmäßig zu Eingriffen
in verfassungsrechtlich geschützte Rechte des Betroffenen und damit zum Konflikt mit
dem durch die Beobachtung beabsichtigten Schutz eines anderen Verfassungsgutes
kommt, ist eine besondere Verhältnismäßigkeitsprüfung zu leisten: Kollisionen
verfassungsrechtlich geschützter Güter sind nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts im Wege praktischer Konkordanz zu lösen, d.h. zwischen
den widerstreitenden verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern ist ein schonender
Ausgleich herzustellen, der beiden betroffenen Rechtsgütern zu möglichster Entfaltung
verhilft.
357
BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 1984 - 1 BvR 1494/78 -, juris Rdnr. 47 (= BVerfGE 67,
157); Beschluss vom 16. Mai 1995 - 1 BvR 1087/91 -, juris Rdnr. 51 (= BVerfGE 93, 1),
jeweils m. w. N.
358
Nach diesen Maßgaben ist die offene Beobachtung des Klägers nicht schon deshalb
rechtswidrig, weil er sich als Spitzenfunktionär in einer dem Verdacht
verfassungsfeindlicher Bestrebungen ausgesetzten Partei betätigt, ohne erkennbar
selbst Anhaltspunkte für die Verfolgung solcher Bestrebungen zu bieten. Es kann auch
nicht verallgemeinernd festgestellt werden, dass Abgeordnete einer solchen Partei
grundsätzlich nicht beobachtet werden dürfen. Im Einzelfall des Klägers allerdings durfte
und darf das BfV keine Informationen über ihn erheben.
359
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der in § 8 Abs. 5, § 9 Abs. 1 Sätze 2 bis 4
BVerfSchG seine einfachgesetzliche Ausprägung gefunden hat, fordert im Allgemeinen,
dass der staatliche Eingriff in ein Recht des Einzelnen zur Erreichung des verfolgten
Zwecks geeignet und erforderlich sein muss. Des Weiteren darf der Eingriff nach
Maßgabe einer Abwägung zwischen den öffentlichen Belangen und denen des
Betroffenen für diesen nicht unzumutbar sein. Dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz trägt
Rechnung, dass die Beobachtung durch das BfV erst zulässig ist, wenn tatsächliche
Anhaltspunkte für Bestrebungen im Sinne von § 3 Abs. 1 BVerfSchG vorliegen (vgl. § 8
Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 1 Satz 3 BVerfSchG). Nachteile, die mit der Aufklärung eines so
erhärteten Verdachts verfassungsfeindlicher Bestrebungen verbunden sind, hat der
360
Betroffene grundsätzlich hinzunehmen.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 1999 - 1 C 30.97 -, juris Rdnr. 33 (= BVerwGE
110, 126); OVG NRW, Urteil vom 12. Februar 2008 - 5 A 130/05 -, www.nrwe.de Rdnr.
359 (= juris Rdnr. 343).
361
a) Die Beobachtung des Klägers durch das BfV aus allgemein zugänglichen Quellen
dient einem legitimen öffentlichen Zweck. Im Hinblick auf die innerparteilichen und
parteinahen Gruppierungen, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte für gegen die
freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen vorliegen, und das
insoweit uneinheitliche Erscheinungsbild der Partei DIE LINKE (früher: PDS bzw.
Linkspartei.PDS) gehört die Informationsgewinnung über diese Partei zu den Aufgaben
der Verfassungsschutzbehörden (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG). Diese Beobachtung
bezweckt, die bestehenden tatsächlichen Anhaltspunkte für das Vorliegen
verfassungsfeindlicher Bestrebungen der Partei DIE LINKE weiter aufzuklären und mit
den gewonnenen Informationen die Regierung und die Öffentlichkeit in die Lage zu
versetzen, Art und Ausmaß möglicher Gefahren zu erkennen und diesen in
angemessener Weise zu begegnen.
362
b) Die Beobachtung des Klägers ist, auch wenn sie auf die Informationsgewinnung aus
allgemein zugänglichen Quellen beschränkt ist und den Kernbereich seiner
parlamentarischen Tätigkeit nicht zum Gegenstand hat, geeignet, diesen Zweck zu
fördern. Der Kläger hat bereits in der PDS und in der Linkspartei.PDS herausgehobene
Funktionen wahrgenommen und tut dies weiterhin in der Partei DIE LINKE. Als
langjähriges Mitglied des Parteivorstands, zugleich dessen Föderalismusbeauftragter,
mehrjähriger Bundeswahlkampfleiter sowie Fusionsbeauftragter, stellvertretender
Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag und nicht zuletzt als
Spitzenkandidat für die Thüringer Landtagswahl am 30. August 2009 war und ist der
Kläger Spitzenfunktionär der Partei. Bei der Beurteilung der von einer Partei
ausgehenden Gefahren kommt den Äußerungen und dem Verhalten ihrer
Spitzenfunktionäre erhebliche Bedeutung zu, weil diese Personen die politische
Richtung der Partei, ihr Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit und die innerparteiliche
Diskussion maßgeblich beeinflussen.
363
Die Beobachtung ist nicht deshalb ungeeignet, weil sie sich über zehn Jahre erstreckt
und fortdauert. Eine mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbare
Dauerbeobachtung liegt vor, wenn sich nach umfassender Aufklärung durch eine
mehrjährige Beobachtung der Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen nicht
bestätigt hat und die für die Beobachtung maßgeblichen tatsächlichen Umstände im
Wesentlichen unverändert geblieben sind.
364
Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 1999 - 1 C 30.97 -, juris Rdnr. 34 (= BVerwGE
110, 126); OVG NRW, Urteil vom 12. Februar 2008 - 5 A 130/05 -, www.nrwe.de Rdnr.
367 (= juris Rdnr. 351).
365
Das ist hier nicht der Fall. Der Kläger betätigt sich nach wie vor politisch in einer Partei,
bei der auch aktuell tatsächliche Anhaltspunkte für gegen die freiheitliche
demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen vorliegen. Die Quellen, auf die
der Senat seine diesbezügliche Einschätzung der Partei gestützt hat, stammen auch
aus jüngerer Zeit. Zudem hat der im Jahr 2007 erfolgte Zusammenschluss der
Linkspartei.PDS mit der WASG zur Partei DIE LINKE zu einem beträchtlichen
366
Mitgliederzuwachs geführt und der Partei neue Wählerschichten eröffnet. Es besteht ein
berechtigtes öffentliches Interesse daran, die Entwicklung der neu zusammengesetzten
Partei und ihrer maßgeblichen Funktionäre zu beobachten. Insbesondere bedarf der
Aufklärung, ob es den extremistischen Kräften innerhalb der Partei gelingt, die
verbreiterte Basis der Partei innerhalb der Gesellschaft für ihre Zwecke zu nutzen. Noch
kann nicht festgestellt werden, dass sie nach dem Hinzukommen einer größeren Zahl
politisch gemäßigter Parteimitglieder,
die WASG war auch nach Einschätzung der Beklagten keine linksextremistische
Organisation, vgl. Verfassungsschutzbericht 2007, S. 150,
367
an innerparteilichem Einfluss verlieren.
368
c) Die verfassungsschutzbehördliche Beobachtung des Klägers in der bisherigen Form
war und ist auch erforderlich. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet, unter
mehreren gleich geeigneten Maßnahmen diejenige zu wählen, die den Betroffenen
voraussichtlich am wenigsten belastet. Dem entspricht es, dass gemäß § 9 Abs. 1 Satz
2 BVerfSchG Informationen nicht unter Einsatz von Methoden, Gegenständen und
Instrumenten zur heimlichen Informationsbeschaffung erhoben werden dürfen, wenn die
Erforschung des Sachverhalts auf andere, den Betroffenen weniger beeinträchtigende
Weise möglich ist.
369
Das Ziel, verfassungsfeindliche Bestrebungen innerhalb der Partei DIE LINKE
aufzuklären, ließe sich ohne eine Beobachtung des Klägers als einer ihrer
Spitzenfunktionäre nicht ebenso effektiv erreichen. Eine Gefahrenabschätzung wäre
nicht in gleicher Weise möglich, wenn neben der Partei in ihrer Gesamtheit nur solche
Mitglieder beobachtet würden, von denen verfassungsfeindliche Äußerungen bekannt
geworden sind oder die einer der parteiinternen Organisationen angehören, bei denen
Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie gegen die freiheitliche demokratische
Grundordnung gerichtete Ziele verfolgen. Aufgrund der Bedeutung, die
Spitzenfunktionären für die politische Richtung der Partei, ihr Erscheinungsbild in der
Öffentlichkeit und die innerparteiliche Diskussion zukommt, sind Erkenntnisse über
deren Verhältnis zu den radikalen Kräften innerhalb der Partei für eine zuverlässige
Abschätzung der von der Partei ausgehenden Gefahren von wesentlicher Bedeutung.
Spitzenfunktionäre sind maßgebliche Repräsentanten der Partei und bringen aufgrund
dessen für Außenstehende zum Ausdruck, dass sie das Programm und die Politik der
Partei umfassend unterstützen.
370
Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. März 1986 - 1 D 103/84 -, juris Rdnr. 91 f. (= BVerwGE 83,
158).
371
Sie haben Einblick auch in die Zielsetzungen verfassungsfeindlich ausgerichteter
Zusammenschlüsse und Organisationen in der Partei. Sie sind an maßgebender Stelle
mitverantwortlich für alle Äußerungen und Erklärungen der Partei, selbst wenn sie sich
diese subjektiv nicht zu eigen machen. Sie engagieren sich maßgeblich für die Partei in
der Öffentlichkeit, um Unterstützer, Wähler und Mitglieder zu gewinnen und so die
Position der Partei im politischen Wettbewerb zu verbessern. Damit unterstützen sie
objektiv letztlich auch die Kräfte in der Partei, die gegen die freiheitliche demokratische
Grundordnung gerichtet sind. Wächst die Partei in ihrer politischen Bedeutung und
Durchsetzungsfähigkeit, erschließen sich auch für die verfassungsfeindlichen, weiterhin
nicht parteiintern angegriffenen Kräfte neue Wege und Kreise, Unterstützung zu finden.
372
Um ein umfassendes Bild über die Partei zu gewinnen, ist nicht nur die Beobachtung
solcher Spitzenfunktionäre erforderlich, bei denen Anhaltspunkte für eigene Aktivitäten
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung bekannt geworden sind. Auch die
Beobachtung von Spitzenfunktionären, die - wie der Kläger - selbst zwar keine eigenen
verfassungsfeindlichen Aktivitäten entfalten, aber die radikalen, offen gegen die
freiheitliche demokratische Grundordnung eintretenden Kräfte innerhalb der Partei
genauso wenig aktiv bekämpfen, verspricht - wenn auch vergleichsweise geringfügige -
zusätzliche Erkenntnisse. Sie ermöglicht eine unmittelbare und deshalb zuverlässigere
Einschätzung des Verhältnisses dieser Spitzenfunktionäre zu den radikalen Kräften
innerhalb der Partei, als sie aufgrund einer Beobachtung möglich wäre, die sich auf die
Partei als solche oder die in ihr aktiven radikalen Kräfte beschränkt. Welche
Entfaltungsmöglichkeiten für verdächtige Parteimitglieder bestehen, hängt entscheidend
davon ab, wie sich die Spitzenfunktionäre positionieren und welche Freiräume sie
anderen Strömungen geben.
373
Bedenken gegen die Erforderlichkeit der offenen Beobachtung des Klägers ergeben
sich auch nicht aus der Vorgehensweise des BfV bei der Informationsgewinnung. Die
gegen den Kläger getroffenen Maßnahmen halten sich am unteren Rand des bei einer
Informationsbeschaffung durch Verfassungsschutzbehörden Möglichen. Dies gilt sowohl
im Hinblick auf die eingesetzten Mittel als auch im Hinblick auf den Gegenstand der
Beobachtung. Bei der Informationserhebung über den Kläger werden keine Methoden,
Gegenstände und Instrumente zur heimlichen Informationsbeschaffung im Sinne des § 8
Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG eingesetzt. Das BfV beschränkt sich vielmehr auf die im
Vergleich hierzu weniger eingriffsintensive Auswertung allgemein zugänglicher Quellen
wie parlamentarischer Drucksachen, Berichte in den Medien und Pressemitteilungen
des Klägers oder seiner Partei. Der Gegenstand dieser offenen Beobachtung ist auch
insoweit zutreffend begrenzt, als der Kernbereich der parlamentarischen Tätigkeit des
Klägers, nämlich sein Abstimmungsverhalten sowie seine Äußerungen im Parlament
und in dessen Ausschüssen, nicht Gegenstand der Beobachtung sind. Möglichkeiten,
die mit der offenen Beobachtung verbundenen Belastungen des Klägers durch eine
weitere Beschränkung des Beobachtungsgegenstands oder der eingesetzten Mittel
noch weiter zu reduzieren, ohne den Zweck der Beobachtung zu verfehlen, sind weder
vom Kläger vorgetragen noch sonst erkennbar.
374
d) Die offene Beobachtung des Klägers in dem bislang praktizierten Umfang ist, wenn
man zunächst seine Stellung als Abgeordneter außer acht lässt, auch noch
verhältnismäßig im engeren Sinne. Sie steht angesichts der konkreten Betroffenheit des
Klägers und unter Berücksichtigung des mit ihr verbundenen Eingriffs in das
Parteienprivileg des Art. 21 Abs. 2 GG und das aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1
Abs. 1 GG hergeleitete Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung,
375
letzteres ist jedenfalls insoweit betroffen, als sich die Beobachtung des Klägers auf
Tätigkeiten erstreckt, die er in anderen Funktionen als in seiner Eigenschaft als
Abgeordneter wahrnimmt. Zu der Frage, ob zur Bestimmung der Rechts- und
Pflichtenstellung von Abgeordneten neben Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG auch auf
Grundrechte zurückgegriffen werden kann, vgl. BVerfG, Urteil vom 20. Juli 1998 - 2 BvE
2/98 -, juris Rdnr. 30 (= BVerfGE 99, 19); Urteil vom 4. Juli 2007 - 2 BvE 1/06 u.a. -, juris
Rdnr. 214 (= BVerfGE 118, 244); abweichende Meinung zum Urteil vom 4. Juli 2007 - 2
BvE 1/06 u.a. -, juris Rdnr. 337 f. (= BVerfGE 118, 244),
376
nicht erkennbar außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts (vgl.
§ 8 Abs. 5 Satz 2 BVerfSchG). Die gebotene Abwägung zwischen diesen durch die
Beobachtung betroffenen Interessen des Klägers und dem Interesse an einer wirksamen
Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung,
377
zur nachrichtendienstlichen Beobachtung von Parteien und der
Verhältnismäßigkeitsprüfung im Lichte von Art. 21 GG vgl. BVerwG, Urteil vom 7.
Dezember 1999 - 1 C 30.97 -, juris Rdnr. 36 (= BVerwGE 110, 126); OVG NRW,
Beschluss vom 21. Dezember 2000 - 5 A 2256/94 -, www.nrwe.de Rdnr. 75 (= juris
Rdnr. 52 = NWVBl 2001, 178),
378
führt in Bezug auf bloße Spitzenfunktionäre grundsätzlich noch zu einem Überwiegen
des Schutzes der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Der Schutz dieser
Grundordnung ist für den Bestand des Grundgesetzes und der in ihm verkörperten
Werteordnung von existentieller Bedeutung. Auch wenn die offene Beobachtung eines
Spitzenfunktionärs im Vergleich zu einer Beobachtung der Partei als solcher oder der in
ihr aktiven radikalen Kräfte nur einen begrenzten zusätzlichen Erkenntnisgewinn bietet,
hat er diese Beobachtung hinzunehmen.
379
Da bei der Beobachtung keine Mittel nach § 8 Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG eingesetzt
werden, sind die Auswirkungen der verfassungsschutzbehördlichen Maßnahmen auf
die Parteiarbeit verhältnismäßig gering. Dafür, dass der Kläger sich durch die
Beobachtung inhaltlich in seiner politischen Arbeit als Spitzenfunktionär beeinflussen
lassen könnte, ist nichts ersichtlich. Im Gegenteil hat der Kläger eine solche
Beeinflussung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich verneint. Die
Auswirkungen der offenen Beobachtung auf die politische Tätigkeit des Klägers
beschränken sich damit im Wesentlichen auf faktische Nachteile. Solche faktischen
Nachteile ergeben sich daraus, dass dem Kläger aufgrund der mit der Beobachtung
verbundenen „Stigmatisierung" der Zugang zu dem die überwiegende Mehrheit
bildenden Teil der Bevölkerung erschwert werden kann, der sich als verfassungstreu
betrachtet. Wenn die offene Beobachtung des Klägers durch
Verfassungsschutzbehörden allgemein bekannt wird, kann es für den Kläger
schwieriger werden, Anhänger und Wähler für sich und seine Partei zu gewinnen sowie
mit der Bevölkerung in Kontakt zu kommen. Letzteres hat auch deshalb negative
Auswirkungen auf seine politische Arbeit, weil er für diese darauf angewiesen ist,
Meinungen und Stimmungen der Wählerschaft zu kennen, sowie Informationen aus der
Bevölkerung zu erhalten. Solche faktischen Nachteile einer Beobachtung durch
Verfassungsschutzbehörden sind jedoch grundsätzlich in Abwägung mit der
Gewährleistung eines ausreichenden Schutzes der freiheitlichen demokratischen
Grundordnung zumutbar und machen derartige Maßnahmen nicht unverhältnismäßig.
380
Vgl. für die Beobachtung von Parteien BVerfG, Beschluss vom 18. März 2003 - 2 BvB
1/01 u.a. -, juris Rdnr. 77 (= BVerfGE 107, 339); Beschluss vom 29. Oktober 1975 - 2
BvE 1/75 -, juris Rdnr. 19 (= BVerfGE 40, 287); Beschluss vom 22. Mai 1975 - 2 BvL
13/73 -, juris Rdnr. 62 (= BVerfGE 39, 334); OVG Rh.-Pf., Urteil vom 10. September 1999
- 2 A 11774/98 -, juris Rdnr. 79; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 11. März 1994 - 10 S
2386/93 -, juris Rdnr. 3 (= DÖV 1994, 917); für die Beobachtung anderer Organisationen
OVG NRW, Urteil vom 12. Februar 2008 - 5 A 130/05 -, www.nrwe.de Rdnr. 387 (= juris
Rdnr. 371).
381
Besondere Gründe, die offene Beobachtung des Klägers abweichend von diesem
382
Grundsatz aufgrund der hiermit verbundenen faktischen Nachteile als
unverhältnismäßig zu bewerten, sind - seine Stellung als Abgeordneter außen vor
gelassen - nicht erkennbar. Im Gegenteil ist zu berücksichtigen, dass die Öffentlichkeit
von der Beobachtung des Klägers durch Verfassungsschutzbehörden - anders als in
den den zitierten Entscheidungen zugrundeliegenden Fällen - von dem Betroffenen
selbst erfahren hat. Soweit ersichtlich, war es nicht die Beklagte, die die Beobachtung
(etwa durch Erwähnung im Verfassungsschutzbericht) öffentlich gemacht hat, sondern
dieser selbst durch entsprechende Äußerungen in der Öffentlichkeit.
Zu berücksichtigen ist weiter, dass der Kläger durch seine herausgehobene politische
Betätigung in einer Partei, bei der Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die
freiheitliche demokratische Grundordnung bestehen, einen ihm zurechenbaren Anlass
für die offene Beobachtung durch das BfV geschaffen hat. Die Persönlichkeitsrelevanz
der vom BfV erhobenen Informationen ist gering. Es handelt sich um Informationen, die
durch die Veröffentlichung in allgemein zugänglichen Quellen einem unbestimmt
großen Personenkreis bekannt geworden sind. Sie betreffen nicht den persönlichen
Lebensbereich des Klägers, sondern ausschließlich dessen politische Tätigkeit in der
Öffentlichkeit. An ihrer Geheimhaltung besteht für den Kläger kein Interesse. Vielmehr
muss ihm als einem Politiker in herausgehobener Position daran gelegen sein, dass
seine politischen Aktivitäten und seine Ansichten in der Öffentlichkeit bekannt werden.
Nur hinreichende Präsenz in den Medien macht es in der modernen Gesellschaft, in der
politische Auseinandersetzungen zu einem wesentlichen Teil über die Medien geführt
werden, möglich, Anhänger und Wähler zu gewinnen. Auch der weitere
Informationsgehalt, der durch die Zusammenfassung der vom BfV in einer Personenakte
zusammengestellten Unterlagen entstanden ist, betrifft den Kläger nicht in seiner
persönlichen Lebensführung. Das umfassende Bild der Aktivitäten und Ansichten des
Klägers bleibt auf dessen politische Tätigkeit beschränkt, die sich ohnehin zu einem
großen Teil öffentlich abspielt und von den Medien und den politischen Gegnern genau
beobachtet wird.
383
Zu diesen Kriterien für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit von Eingriffen in das Recht
auf informationelle Selbstbestimmung vgl. BVerfG, Urteil vom 11. März 2008 - 1 BvR
2074/05 u.a. -, juris Rdnr. 77 f. (= BVerfGE 120, 378).
384
Die Beobachtung des Klägers erweist sich auch nicht deshalb als unverhältnismäßig,
weil die Partei DIE LINKE (früher: PDS/Linkspartei.PDS) auch nach den Erkenntnissen
der Beklagten,
385
Verfassungsschutzbericht 2007, S. 151,
386
bislang in der parlamentarischen Praxis sowie bei Regierungsbeteiligungen keine
Ansätze für eine Umsetzung des Ziels der Überwindung der herrschenden Staats- und
Gesellschaftsordnung erkennen ließ. In Ansehung der anhaltenden Flügelkämpfe in der
Partei lässt dieser Befund nicht die Schlussfolgerung zu, eine Gefahr könne auch für die
Zukunft ausgeschlossen werden. Es ist nämlich möglich, dass die Kräfte in der Partei
DIE LINKE, die die insbesondere von der Kommunistischen Plattform und dem
Marxistischen Forum angestrebten Ziele unterstützen, künftig weiter an
innerparteilichem Einfluss gewinnen. Folglich ist nicht auszuschließen, dass die Partei
dann auch die Möglichkeiten nutzt, die ihr Regierungsbeteiligungen und
Parlamentssitze bieten, um den verfassungsfeindlichen Bestrebungen zur praktischen
Wirksamkeit zu verhelfen.
387
e) Das freie Mandat steht der offenen Beobachtung eines Abgeordneten nicht von
vornherein entgegen.
388
Das freie Mandat nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG bzw. Art. 53 Abs. 1 der Verfassung des
Freistaats Thüringen dient dem Schutz des Abgeordneten vor jeder Art von
Fremdbestimmung. Dieser Schutz richtet sich sowohl gegen Einflussnahmen von
staatlicher Seite als auch gegen Beeinflussungen durch gesellschaftliche Kräfte wie
Parteien oder Verbände. So werden die Abgeordneten in die Lage versetzt, kraft
eigener, durch die Wahl erworbener Legitimation am Prozess der parlamentarischen
Willensbildung teilzunehmen und ihre Vorstellungen zum überindividuellen
Gesamtwillen hinzuführen und zu verbinden. Das freie Mandat ist damit Grundlage der
repräsentativen Stellung des Bundestages insgesamt und dient neben dem Schutz des
einzelnen Abgeordneten auch der Wahrung der Freiheit und Unabhängigkeit des
Parlaments in seiner Gesamtheit.
389
Vgl. Klein, in: Maunz/Dürig, GG (Stand: Oktober 2008) Art. 38 Rdnr. 189 ff.; Klein, in:
Handbuch des Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 3. Aufl. (2005), Band 3, §
51 Rdnr. 3 f.; Badura, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz (Stand: Dezember 2008),
Art. 38 Rdnr. 48 ff.; Brenner, Abgeordnetenstatus und Verfassungsschutz, in: Brenner/
Huber/Möstl, Der Staat des Grundgesetzes - Kontinuität und Wandel, Festschrift für
Peter Badura (2004), S. 25 (27 f.).
390
Vor diesem Hintergrund schützt Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG nicht nur den Bestand, sondern
auch die tatsächliche Ausübung des Mandats. Der Abgeordnete ist Inhaber eines
öffentlichen Amts, Träger eines freien Mandats und, gemeinsam mit der Gesamtheit der
Mitglieder des Parlaments, Vertreter des ganzen Volkes. Er hat einen repräsentativen
Status inne, übt sein Mandat in Unabhängigkeit, frei von jeder Bindung an Aufträge und
Weisungen aus und ist nur seinem Gewissen unterworfen.
391
BVerfG, Urteil vom 4. Juli 2007 - 2 BvE 1/06 u.a. -, juris Rdnr. 206 (= BVerfGE 118, 277)
m. w. N.
392
Die Sammlung personenbezogener Informationen über Abgeordnete durch
Verfassungsschutzbehörden greift jedenfalls deshalb in das freie Mandat ein, weil sie -
wie bereits ausgeführt - zumindest mit faktischen Nachteilen für die politische Tätigkeit
eines Abgeordneten verbunden sein kann.
393
Bei der Beobachtung eines Mitglieds des Deutschen Bundestages durch das BfV
kollidiert das freie Mandat mit dem Schutz der freiheitlichen demokratischen
Grundordnung (vgl. Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 Buchstabe b, Art. 18 Satz 1, Art. 21 Abs. 2 Satz
1 GG). Der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung durch das
Grundgesetz ist Ausdruck der Ausgestaltung der auf ihm beruhenden Staatsordnung als
wehrhafte Demokratie. Für die wehrhafte Demokratie ist kennzeichnend, dass das
Grundgesetz als Konsequenz aus dem Untergang der Weimarer Republik tragende
Grundprinzipien der staatlichen Ordnung gegen alle Angriffe verteidigt, indem es sie vor
Veränderungen schützt und sie insbesondere auch der Verfügungsgewalt des
verfassungsändernden, demokratisch legitimierten Gesetzgebers entzieht.
394
Vgl. BVerfG, Urteil vom 17. August 1956 - 1 BvB 2/51 -, juris Rdnr. 214 (= BVerfGE 5,
85); grundlegend zur wehrhaften Demokratie Stern, Staatsrecht I, 2. Aufl. (1984), § 6 III.
395
In der Werteordnung des als wehrhafte Demokratie ausgestalteten Staates des
Grundgesetzes kommt dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung
durch die hierzu berufenen staatlichen Stellen wie das BfV besondere Bedeutung zu.
Das freie Mandat ist als Grundlage der repräsentativen Stellung des Deutschen
Bundestages ebenfalls ein herausgehobenes Verfassungsgut. Eine Gesamtschau der
die Stellung der Abgeordneten regelnden Verfassungsnormen macht die Bedeutung
des Schutzes des Abgeordneten im System des Grundgesetzes deutlich. Zum Schutz
des Abgeordneten und der Funktionsfähigkeit des Parlaments müssen unter Umständen
auch so gewichtige staatliche Interessen wie die Strafverfolgung oder die dem Schutz
der freiheitlichen demokratischen Grundordnung dienende Verwirkung von
Grundrechten zurückstehen. Das Grundgesetz schützt den Abgeordneten davor, wegen
seiner Abstimmung oder wegen einer Äußerung, die er im Bundestag oder in einem
seiner Ausschüsse getan hat, zur Verantwortung gezogen zu werden (Art. 46 Abs. 1
GG). Eine Strafverfolgung von Abgeordneten (Art. 46 Abs. 2 GG), Einschränkungen ihrer
persönlichen Bewegungsfreiheit und die Einleitung eines Verfahrens nach Art. 18 GG
sind nur mit Genehmigung des Bundestages möglich (Art. 46 Abs. 3 GG). Daneben ist
der Abgeordnete durch Art. 48 Abs. 2 Satz 2 GG gegen Maßnahmen, die die
Übernahme oder Ausübung des Abgeordnetenmandats erschweren oder verhindern
sollen, geschützt.
396
Der schonende Ausgleich zwischen den betroffenen hochrangigen Verfassungsgütern
entzieht sich einer generellen Lösung. Weder lässt sich feststellen, dass der Schutz des
freien Mandats stets dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung
vorginge, noch hat es umgekehrt stets hinter dem Schutz der freiheitlichen
demokratischen Grundordnung dienenden Maßnahmen von
Verfassungsschutzbehörden zurückzustehen. Vielmehr ist der Konflikt dieser
hochrangigen, verfassungsrechtlich geschützten Güter in jedem Einzelfall unter
Berücksichtung der Schwere ihrer konkreten Beeinträchtigungen nach dem Grundsatz
praktischer Konkordanz zu lösen. Dies erfordert eine Interessenabwägung unter
besonderer Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Die hierfür
erforderliche umfassende Tatsachengrundlage bieten die getroffenen detaillierten
Feststellungen zur Partei DIE LINKE (früher: PDS/Linkspartei.PDS) und zur Tätigkeit
des Klägers in dieser.
397
Nach diesen Kriterien steht im Einzelfall des Klägers das freie Mandat einer offenen
Beobachtung durch das BfV entgegen. Allerdings sind die sich aus der Beobachtung
ergebenden Beeinträchtigungen der Tätigkeit des Klägers als Abgeordneter und - als
mittelbare Folge hiervon - der Freiheit und Unabhängigkeit des Deutschen Bundestages
in seiner Gesamtheit gering. Auch wenn sich die Folgen der offenen Beobachtung des
Klägers für seine Abgeordnetentätigkeit - ebenso wie für seine allgemeine politische
Tätigkeit - auf mögliche faktische Nachteile beschränken, muss der Kläger sie jedoch
nicht hinnehmen. Die Feststellungen zur Partei DIE LINKE (früher:
PDS/Linkspartei.PDS) und zur Tätigkeit des Klägers in dieser Partei können im
vorliegenden Einzelfall auch solche geringfügigen Eingriffe in das freie Mandat nicht
rechtfertigen. Über die auf seine Person bezogenen Beeinträchtigungen hinaus ist der
Schutz der Funktionsfähigkeit des Parlaments in die Abwägung einzubeziehen.
398
Im Parlament kann sich ein den Willen des Volkes widerspiegelnder, überindividueller
Gesamtwille nur durch das ungehinderte Zusammenwirken aller Abgeordneten bilden:
Er ist Ergebnis einer Diskussion, in die jedes Parlamentsmitglied sein Wissen und seine
399
persönlichen Überzeugungen einbringt. Der Beitrag, den der einzelne Abgeordnete zu
diesem Willensbildungsprozess leistet, beruht nicht nur auf seiner Ausbildung, seinem
persönlichen Werdegang und den Erfahrungen in seinem privaten Umfeld, sondern
ganz wesentlich auch auf Erkenntnissen, die er durch Kontakte mit der Bevölkerung
gewinnt. Wenn dem einzelnen Abgeordneten als faktische Folge einer Beobachtung
durch das BfV der Zugang zur Bevölkerung erschwert wird, bedeutet dies nicht nur eine
Beeinträchtigung der Arbeit dieses Abgeordneten. Zugleich gehen Erkenntnisse
verloren, die für den Willensbildungsprozess des Parlaments in seiner Gesamtheit von
Bedeutung sind.
Demgegenüber ist eine unmittelbar drohende Gefahr für die freiheitliche demokratische
Grundordnung nicht gegeben. Die Partei hat in ihrer parlamentarischen Arbeit und bei
Regierungsbeteiligungen bislang keine Aktivitäten unternommen, die Ansätze für eine
Überwindung der herrschenden Staats- und Gesellschaftsordnung erkennen ließen.
Den Gruppierungen innerhalb der Partei, bei denen Anhaltspunkte für gegen die
freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen bestehen, kommt
innerhalb der Partei zwar nennenswerter, bislang aber nicht bestimmender Einfluss zu.
Kurzfristige Veränderungen zugunsten der verdächtigten Gruppierungen sind nicht
erkennbar.
400
Dass das BfV ohne eine Beobachtung des Klägers bei der gebotenen
Informationsgewinnung über die Partei DIE LINKE in nicht hinzunehmender Weise an
seiner Aufgabenerfüllung gehindert oder dabei zumindest beeinträchtigt würde, ist
weder substantiiert von der Beklagten vorgetragen noch sonst ersichtlich. Das BfV kann
die für seine Aufgabenwahrnehmung relevanten Informationen über das Ausmaß der
von der Partei DIE LINKE (früher: PDS/ Linkspartei.PDS) ausgehenden Gefahren für die
freiheitliche demokratische Grundordnung in erster Linie durch die Beobachtung der
Partei als solcher, einzelner in ihr bestehender Gruppierungen sowie anderer führender
Parteimitglieder gewinnen. Die darüber hinaus durch eine offene Beobachtung des
Klägers möglichen zusätzlichen Erkenntnisse sind - wie dargelegt - für die
Gefahrenabschätzung durch das BfV von verhältnismäßig geringer Bedeutung.
401
Diese geringe Bedeutung kann im Einzelfall des Klägers einen Eingriff in das freie
Mandat nicht rechtfertigen. Insoweit ist maßgeblich, dass der Kläger zwar
Spitzenfunktionär der Partei ist, jedoch keiner Gruppierung innerhalb der Partei
angehört, bei der der Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen besteht. Auch im
Übrigen liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger sich an gegen die
freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen beteiligt oder
beteiligt hat, wenn er auch die Kräfte innerhalb der Partei, die solcher Bestrebungen
verdächtig sind, nicht aktiv bekämpft. Dass trotz dieses Verhältnisses des Klägers zu
den radikalen Kräften innerhalb der Partei die durch seine bisherige Beobachtung
während ihrer etwa zehnjährigen Dauer gewonnenen Informationen über solche
Bestrebungen von maßgeblicher Bedeutung für die Einschätzung der von der Partei DIE
LINKE (früher: PDS/Linkspartei.PDS) ausgehenden Gefahren waren, ist weder von der
Beklagten dargelegt noch sonst erkennbar. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass künftig
derart relevante Informationen nur durch eine weitere Beobachtung des Klägers erlangt
werden könnten. Hinzu kommt, dass der Kläger authentisch wirkt, wenn er in der
mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich betont, in die Partei eingetreten
zu sein, um sie zu verändern.
402
Entgegen der Ansicht der Beklagten steht das freie Mandat einer offenen Beobachtung
403
des Klägers durch das BfV insgesamt entgegen. Eine Differenzierung zwischen
Tätigkeiten, die der Kläger als Abgeordneter wahrnimmt, und Tätigkeiten in seiner
Eigenschaft als Parteifunktionär scheidet aus. Dabei kann offen bleiben, ob eine solche
Differenzierung bereits aus praktischen Gründen nicht möglich ist, weil beide
Tätigkeitsbereiche so eng miteinander verbunden sind, dass sie nicht getrennt werden
können. Selbst eine auf Tätigkeiten des Klägers, die dieser nicht als Abgeordneter
wahrnimmt, beschränkte offene Beobachtung wäre mit dem freien Mandat nicht
vereinbar. Auch wenn die Beobachtung in dieser Weise beschränkt wäre, ließe dies die
mit ihr verbundenen faktischen Nachteile für die Abgeordnetentätigkeit des Klägers nicht
entfallen. Diese faktischen Nachteile beruhen darauf, dass die mit der Beobachtung
verbundene „Stigmatisierung" das Vertrauen des die überwiegende Mehrheit bildenden
Teils der Bevölkerung, der sich als verfassungstreu betrachtet, in den Kläger
beeinträchtigt. Dieser die Abgeordnetentätigkeit beeinträchtigende Vertrauensverlust ist
Folge der Beobachtung durch Verfassungsschutzbehörden als solcher und entfällt nicht
bei Beschränkung der Beobachtung auf außerparlamentarische Bereiche.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die
Entscheidung über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO in
Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 und § 713 ZPO.
404
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht vorliegen.
405
406