Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 17.07.2006

OVG NRW: hauptsache, vollziehung, aussetzung, gemeinde, beweislastumkehr, widmung, rechtsschutzinteresse, datum, vollstreckung, rechtsschutzgarantie

Oberverwaltungsgericht NRW, 3 B 103/06
Datum:
17.07.2006
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 B 103/06
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Minden, 5 L 890/05
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 1.116,80 EUR
festgesetzt.
G r ü n d e :
1
Die mit dem Antrag erhobene Beschwerde,
2
den angefochtenen Beschluss abzuändern und die Erledigung der Hauptsache
festzustellen,
3
hat keinen Erfolg. Auch im Beschwerdeverfahren ist auf die einseitig gebliebene
Erledigungserklärung des Antragstellers hin nicht festzustellen, dass sich die
Hauptsache erledigt hat.
4
Vgl. zur einseitigen Hauptsacheerledigung BVerwG, Urteil vom 17. Februar 1993 - 11 C
17.92 - Buchholz 310 § 161 VwGO Nr. 101; zum Ganzen Neumann, in: Sodan/Ziekow,
VwGO, 2. Aufl. 2006, § 161 Rz. 113 ff.; zur einseitigen Hauptsacheerledigungserklärung
in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28.
November 1979 - VI B 1013/79 - juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.
März 1996 - 1 S 2856/95 - DÖV 1996, 792; VG Hannover, Beschluss vom 7. Januar
2004 - 6 B 7272/03 -, juris; Neumann, a.a.O., § 161 Rz. 186.
5
Die Hauptsache hat sich erledigt, wenn der Antragsteller sein Rechtsschutzbegehren
infolge eines nach Antragstellung eingetretenen Ereignisses nicht mehr mit Aussicht auf
Erfolg weiterverfolgen kann. Es muss eine Lage eingetreten sein, die eine Entscheidung
über den geltend gemachten Anspruch erübrigt oder ausschließt.
6
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. November 1981 - 1 WB 131.80 - BVerwGE 73, 312,
314; Neumann, a.a.O., § 161 Rz. 131.
7
Das ist hier mit Blick auf das Schreiben des Antragsgegners vom 4. Januar 2006 nicht
der Fall. Hiermit hat der Antragsgegner erklärt, bis zur Entscheidung über die Klage von
"weiteren Vollstreckungsmaßnahmen" absehen zu wollen. Diese Erklärung ist als sog.
Stillhaltezusage zu werten. Mit ihr hat der Antragsgegner zum Ausdruck gebracht,
einstweilen zur Durchsetzung der Erschließungsbeitragsforderung keine Maßnahmen
im Wege der Verwaltungsvollstreckung zu ergreifen. Dagegen hat er mit dieser
Erklärung keine Aussetzung der Kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO)
bestehenden Vollziehbarkeit des Erschließungsbeitragsbescheides ausgesprochen, die
allein Gegenstand des Verfahrens auf Regelung der Vollziehung ist und die beinhaltet,
ob der Antragsteller den Inhalt des Erschließungsbeitragsbescheides beachten muss,
m.a.W. ob der Erschließungsbeitrag ohne Rücksicht auf einen etwaigen Rechtsbehelf
festgesetzt ist und ob der Antragsteller bereits aktuell zur Zahlung des von ihm
verlangten Erschließungsbeitrags verpflichtet ist. Mithin hat sich die Hauptsache nicht
erledigt, sondern es bestand weiter ein Rechtsschutzinteresse an einer
Aussetzungsentscheidung des Gerichts, die dem Antragsteller ggf. Säumniszuschläge
ersparen konnte.
8
Durchgreifende Gründe für eine Erledigung der Hauptsache ergeben sich auch nicht
aus den beiden von dem Antragsteller angeführten Entscheidungen des
Bundesfinanzhofs. Die ältere Entscheidung betrifft den Fall, dass auf Grund einer
Erklärung des Finanzamtes mit "vorläufigen Vollstreckungsmaßnahmen" nicht zu
rechnen war, weswegen das Rechtsschutzbedürfnis für eine gerichtliche Aussetzung
der Vollziehung verneint wurde.
9
Vgl. BFH, Beschluss vom 28. März 1968 - V B 32/67 - BFHE 92, 164.
10
Sollten in dieser vor In-Kraft-Treten der AO 1977 ergangenen Entscheidung
Vollstreckung und Vollziehbarkeit gleichgesetzt worden sein, könnte der Senat dem für
das vorliegende, nach In-Kraft-Treten dieses Gesetzes betriebene Verfahren aus den
dargestellten Gründen nicht folgen. Die weitere von dem Antragsteller benannte
Entscheidung,
11
vgl. Beschluss 6. April 1995 - VIII S 2/94 - juris,
12
behandelt ausschließlich die Vollziehbarkeit eines Steuerbescheides, ohne
Vollstreckungsmaßnahmen zu thematisieren und unterscheidet sich damit wesentlich
vom vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt.
13
Die Beschwerde hat auch keinen Erfolg mit dem ursprünglichen Aussetzungsantrag,
dessen hilfsweise Weiterverfolgung der Senat in Anbetracht des zur Begründung der
Beschwerde insoweit Vorgetragenen und im Lichte der Rechtsschutzgarantie des Art.
19 Abs. 4 GG zugunsten des Antragstellers annimmt.
14
Vgl. allgemein hierzu BVerwG, Beschluss vom 20. Juli 1972 - 4 CB 13.72 - DÖV 1972,
796; BGH, Urteil vom 7. Juni 2001 - I ZR 157/98 - NJW 2002, 442; Neumann, a.a.O., §
161 Rz. 128.
15
Insoweit genügt die Beschwerdebegründung nämlich nicht den in § 146 Abs. 4 Satz 3
16
VwGO umschriebenen Darlegungsanforderungen. Dabei sind nur die innerhalb der
Beschwerdebegründungsfrist vorgebrachten Gründe zu berücksichtigen, nicht jedoch
die außerhalb dieser Frist mit Schriftsätzen vom 1. sowie 29. März 2006 vorgebrachten
Gründe, soweit sie über die fristgemäß dargelegten Beschwerdegründe hinausgehen
und diese nicht nur näher erläutern. Hat das Verwaltungsgericht - wie vorliegend - seine
Entscheidung auf mehrere selbstständig tragende Gründe gestützt, erfordert die
erfolgreiche Darlegung der Beschwerdegründe eine Auseinandersetzung mit jeder der
vom Verwaltungsgericht gegebenen Begründungen. Schon daran fehlt es vorliegend.
Mit der fristgemäß vorgelegten Beschwerdebegründung vom 14. Januar 2006 hat der
Antragsteller in Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Beschluss allein geltend
gemacht, dass die Straße von der Gemeinde gegenüber anderen Anliegern schon zu
einem früheren Zeitpunkt (1974) als "endgültig hergestellt" abgerechnet worden sei und
deshalb eine Beweislastumkehr hinsichtlich der Behauptung der Gemeinde eingreife,
die Straße sei gleichwohl nicht insgesamt "endgültig hergestellt" gewesen (vgl. Seite 3
der Beschwerdebegründung). Er geht jedoch nicht darauf ein, dass das
Verwaltungsgericht auch darauf abgestellt hat, dass das Entstehen der sachlichen
Erschließungsbeitragspflichten auch die Öffentlichkeit der Straße voraussetze und
insoweit auf die am 30. Juni 2004 bekannt gemachte Widmung abzustellen sei (Seite 3
des angefochtenen Beschlusses). Darüber hinaus hat das Verwaltungsgericht die
Auffassung vertreten, dass der Einwand, die nunmehr ausgebaute Anlage sei bereits
vor Durchführung der jetzt abgerechneten Ausbaumaßnahmen auf Grund früherer
Ausbaumaßnahmen endgültig hergestellt worden, im Hinblick auf seine Komplexität im
Verfahren auf Regelung der Vollziehung nicht berücksichtigt werden könne (Seite 4 des
angefochtenen Beschlusses). Auch hierauf geht der Antragsteller nicht ein.
17
Die Kostentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
18
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG.
19
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
20
21